Das Rheingold
Hendrik Vestmann | ||||||
Oldenburgisches Staatsorchester | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Daniel Moon |
Donner | Aarne Pelkonen |
Froh | Philipp Kapeller |
Loge | Timothy Oliver |
Fasolt | Randall Jakobsh |
Fafner | Ill-Hoon Choung |
Alberich | Johannes Schwärsky |
Mime | Timo Schabel |
Fricka | Melanie Lang |
Freia | Sarah Tuttle |
Erda | Ann-Beth Solvang |
Woglinde | Sooyeon Lee |
Wellgunde | Martyna Cymerman |
Floßhilde | Julia Faylenbogen |
Wagner im Schweizer Bergdorf
2021 soll es soweit sein: Pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum des dortigen Opernbetriebs wird im Oldenburgischen Staatstheater zum ersten Mal Richard Wagners komplette Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ über die Bühne gehen. Bis dahin soll jeweils einer der vier Abende des Mammutwerkes pro Spielzeit erarbeitet werden. So wie jetzt „Das Rheingold“, das am Sonnabend im Großen Haus seine begeistert aufgenommene Premiere erlebte.
Fast hätte es vor gut 40 Jahren schon einmal einen „Ring“ in Oldenburg gegeben. Aber der wurde dann 1973 kurz vor seiner Vollendung abgebrochen, nachdem die als Brünnhilde engagierte hochdramatische Isabel Strauß zusammen mit dem Oldenburger Generalmusikdirektor Fritz Janota wegen (so drückt es das Sängerlexikon von Kutsch/Riemens aus) „familiärer Schwierigkeiten, die ihnen ausweglos erschienen“, freiwillig in den Tod gegangen war. Und zwar in einem Schweizer Waldstück in der Nähe der Stadt Bern.
Ob dieses Ereignis zumindest im Unterbewusstsein des Regisseurs eine Rolle dabei gespielt hat, dass er das neue Oldenburger „Rheingold“ jetzt in der Schweiz ansiedelt? Man wird es nicht ergründen können. Eine offizielle Erklärung geht dahin, dass Teile des „Rings“ und seiner Konzeption in der Schweiz entstanden seien. Wesentlicher allerdings erscheint die inhaltliche Komponente, wenn der Regisseur davon spricht, dass er das Werk reduzieren wolle und es deshalb in „einer Welt der kleinen Leute“ in einem Bergdorf spielen lasse.
Das geht, soweit es das „Rheingold“ betrifft, im Wesentlichen denn auch auf. Die großen Emotionen, die den Handlungen der mythologischen Gestalten in Wagners „Vorabend“ untertitelten Einakter zugrunde liegen, lassen sich durchaus übertragen auf die Schweizerischen Bauern, die uns Regisseur Paul Esterhazy auf der Oldenburger Bühne vorführt. Zumal es ihm und seinem Bühnen- und Kostümbildner Mathis Neidhardt gelingt, eine fesselnde, realistisch-bodenständige Geschichte zu erzählen, ohne Wagners Intentionen zu verfälschen.
Die Rheintöchter etwa der ersten Szene sind zu Waschfrauen umfunktioniert, in deren dörfliches Idyll der grobe Alberich hineinplatzt. Der war (Achtung: Provokation!) gerade auf seinem Plumpsklo und findet – ein etwas unappetitlicher Einfall – in dessen Tiefen auch das Gold, um das es im Weiteren gehen wird. Es folgen Wotan und Fricka im Ehebett, bewacht von der Urahne Erda (Ann-Beth Solvang), die bereits das Schwert Notung, später Siegmund und Siegfried zugedacht, in ihren Händen hält. Von solchen Anspielungen lebt Esterhazys Inszenierung, die für den vollen Genuss den wissenden Wagnerianer voraussetzt, dem nicht wissenden Noch-Nicht-Wagnerianer aber doch auch genügend Stoff zum Denken gibt.
Das kulminiert in einer in leicht überladen wirkenden Schluss-Apotheose, wenn zum Gesang der Rheintöchter Wotan zu Erda ins Ehebett steigt, um die Walküren zu zeugen, dann die Zwillinge Siegmund und Sieglinde als Babys präsentiert werden und Wotan sich schließlich anschickt, das Schwert Notung in den Eschenstamm zu stoßen, aus dem es Siegmund im ersten Akt der „Walküre“ wieder herausziehen wird. Möglich macht solch schnelle, filmisch wirkende Szenenfolge ein Drehbühnenaufbau, der in technischer Perfektion an die dreißig Räume ineinander schachtelt.
Musikalisch präsentiert sich im Oldenburger „Rheingold“ ein intaktes, weitgehend aus dem eigenen Bestand besetztes Ensemble, aus dem Johannes Schwärsky (dem dortigen Publikum bereits als Falstaff bekannt) als dräuender Alberich mit einer markanten Ring-Verfluchung und Timothy Oliver als bauernschlauer Loge mit intelligenter Diktion herausragen. Daniel Moon als in der Artikulation des Deutschen nicht ganz sicherer Wotan steht stimmlich eindeutig unter dem Pantoffel seiner gesanglich resoluteren Gattin Fricka. Gut geführt der leichte Tenor von Philipp Kapeller als Froh, der in der Rolle des salbadernden Pfaffen zur Regenbogenmusik die Weihe des neuen Hauses Walhall vornimmt. Schön im Zusammenklang die drei Rheintöchter (Sooyeon Lee, Anna Avakian, Julia Faylenbogen).
Hendrik Vestmann am Pult hielt sein Orchester zu durchweg flüssigem Spiel an, mit dem er das Werk in die Nähe des Konversationsstückes rückte. An der Durchlichtung des Klanges könnte weiter gearbeitet werden. Aber insgesamt eine beachtliche Leistung, die auf die Fortsetzung gespannt macht.
GERHART ASCHE | 06.02.2017
„Vom Wesen des Besitzes“ – Richard Wagners „Rheingold“ hatte Premiere am Staatstheater Oldenburg
Ein gut platziertes „Bravo“ ging dem Beifallssturm nach der Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ am Oldenburgischen Staatstheater voraus. Zu Recht. Nach dem „Vorabend“ des „Ring des Nibelungen“ ist der gesamte Zyklus erstmals in der Geschichte des Oldenburgischen Staatstheaters geplant.
Der Mythos der Nibelungen erlaube, so Richard Wagner, eine „ungemein scharfe Erkenntnis vom Wesen des Besitzes, des Eigentumes“. Der Anfang einer solchen Weltvorstellung – 1854 geschrieben, 1869 in München uraufgeführt und 1876 die Bayreuther Festspiele eröffnet – gelang nahezu perfekt: in der präzisen und empfindlich transparenten musikalischen Wiedergabe unter Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann, in der durch Realismus und gut gesetzte Komik verführerischen szenischen Konzeption des Österreichers Paul Esterházy, in der überragenden Leistung der SängerInnen, die ausnehmend gut artikuliert sprechen, und im braun gefärbten malerischen Bühnenbild (und Kostümen) von Mathis Neidhardt.
Für die Tiefe des Rheins, für die Riesen Fasolt und Fafner, für den Zwerg Alberich, muss man – und alle großen Regisseure bis zum legendären Ring-Zyklus von Patrice Chereau in Bayreuth – haben es getan – Bilder erfinden: denn alle Personen bei Wagner sind als Götter, Zwerge und Riesen keine Menschen, sondern Ideen, allenfalls Triebverkörperungen. Esterházy baut daraus auf der Stelle eine realistische Kleinbürger- oder Bauerngesellschaft aus Menschen, die sich belauern, bekriegen, sich Beine stellen, Korruption, Ausbeutung und Mord betreiben, alles im abgedunkelten Bauernhaus mit vielen Zimmern dank des ausgeklügelten Einsatzes der Drehbühne. Die quirlige Konversationsebene lässt Esterházy genauso zu wie ein ausgeprägtes, zum Teil komisches Zaubertheater.
Alberich, der kleine Mann von unten, sitzt im Vorspiel zunächst mal auf dem Klo. Dann sind die Rheintöchter in einer Waschküche zu sehen, Wotan sitzt im Ehebett mit seiner Frau Fricka, die später an einem endlos langen Schal in Regenbogenfarben strickt. Dann entfaltet sich in der bürgerlichen Bauernstube die Tragödie und gleichermaßen Komödie: die „Baulöwen“ Fafner und Fasolt verlangen ihren Lohn für den Bau von Walhall, Alberich als fett gewordener Unternehmer beutet die Arbeiter in Nibelheim aus – krass und realistisch lässt Vestmann die Ambosse erklingen, Alberich verwandelt sich in eine Kröte, der intellektuelle Loge als agiles Element der Zerstörung wuselt durch die Szenen, Wotan schlägt Alberich den Unterarm ab, an dessen Finger der Goldring hängt, Urmutter Erda warnt Wotan vorm Besitz des Goldes. Alles bleibt bei Esterházy im Rahmen von Menschen, die mehr oder weniger ihr Unwesen mit anderen betreiben. Das ist sehr deutlich – im Herbst 1848 hatte Wagner, so der Schauspieler Eduard Devrient, „wieder große sozialistische Rosinen im Kopf“– und wohltuend vermeidet Esterházy eine bedeutungsschwangere Interpretation, die ihrerseits wiederum interpretationsbedürftig wäre.
Große SängerInnenleistungen waren zu bewundern und allein die lohnen eine Reise: als Gäste Johannes Schwärsky, ein intensiver und dämonischer Alberich, Timothey Oliver als smarter und agiler Loge und Ann-Beth Solvang als beschwörende Erda. Doch das Ensemble hielt glänzend mit: Daniel Moon als Wotan, Melanie Lang als Fricka und Sarah Tuttle als Freia, Randall Jacobsh und Ill-Hoon Choung als Fasolt und Fafner. Wagner an kleinen Bühnen? Ja natürlich!
Ute Schalz-Laurenze | 06.02.2017