Das Rheingold
Christian Thielemann | ||||||
Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Michael Volle |
Donner | Lauri Vasar |
Froh | Siyabonga Maqungo |
Loge | Rolando Villazón |
Fasolt | Mika Kares |
Fafner | Peter Rose |
Alberich | Johannes Martin Kränzle |
Mime | Stephan Rügamer |
Fricka | Claudia Mahnke |
Freia | Vida Miknevičiūtė |
Erda | Anna Kissjudit |
Woglinde | Evelin Novak |
Wellgunde | Natalia Skrycka |
Floßhilde | Anna Lapkovskaja |
Experiment Rheingold
Während einige Opernhäuser die Neuinszenierungen und Premieren ihrer Ring-Zyklen, pandemiegeplagt und stets mit bedrohlich bevorstehenden Lockdowns, absagen oder verschieben mussten – beispielsweise der nach dem Vorabend abgebrochene und später konzertant aufgeführte Ring in Paris, der auch über ein Jahr nach seiner geplanten Fertigstellung immer noch nicht vollständig gezeigt wurde, oder der Herheim-Ring an der benachbarten Deutschen Oper Berlin, der zwar komplett gezeigt, aber planungsbedingt in veränderter Reihenfolge auf die Bühne gebracht werden musste – scheint der Berliner Staatsopern-Ring von Dmitri Tcherniakov, über allen erhaben, jegliche coronainduzierte Hindernisse überwunden zu haben. Bis auf eines: Daniel Barenboim, der sich das Dirigat des neuen Rings zu seinem 80. Geburtstag eigentlich nicht nehmen lassen wollte, musste den Taktstock nun aufgrund gesundheitlicher Probleme abgeben. Für zumindest zwei der drei angesetzten Zyklen konnte mit Christian Thielemann ein ebenbürtiger Ersatz gefunden werden, der die illustre Besetzung hochkarätig anführen kann. Für Thielemann, der vor bereits 30 Jahren Wagner an der Deutschen Oper Berlin dirigierte und dort als damaliger neuer GMD seinen ersten Ring des Nibelungen leitete, schließt sich somit ganz symbolträchtig der Kreis.
Der Projektor in dem halbrunden, an ein anatomisches Theater erinnernden Hörsaal, zeigt die Blaupause für das megalomanische Walhall. Ebenso ambitioniert ist auch das von Tcherniakov gestaltete Bühnenbild: zahllose Etagen und sich immer neu offenbarende Räume, die Einblick in diese Ring-Welt geben. Wir befinden uns im Forschungszentrum E.S.C.H.E. – ein Akronym, bei dem wohl eines der „E“s für „Experiment“ steht, dessen sich Alberich als für die Faszination des Goldes korrumpierbarer Mensch unterwerfen muss. Angeschlossen und verkabelt muss er sich beobachtet von zahlreichen Ärzt*innen einem Experiment unterziehen, bei dem er nicht nur erotisch, sondern auch vom Reichtum und Macht des Rheingoldes in Versuchung geführt wird. Das geht jedoch gehörig schief und so befreit er sich in Rage und macht sich nach der Verwüstung des Labors mit dem Schatz, ein paar Kabeln und Leiterplatten unterm Arm aus dem Staub.
Das 19. Jahrhundert als Wiege unzähliger wissenschaftlicher, technischer und medizinischer Errungenschaften, aber auch das ebenso aufkeimende Interesse an Psychologie, Spiritismus als Nährboden für Scharlatanerie und Irrlehren, bilden Inspiration für diesen Ausgangspunkt; sowie die bereits im 19. Jahrhundert vorgenommenen Untersuchungen der psychologischen Profile und Geschichten von Verbrechern, um herauszufinden, was einen Menschen zum (potenziellen) Täter werden lässt. Die Ursachen geistiger und moralischer Abweichungen wurden von Karl Philipp Moritz in seiner Experimental-Seelenlehre untersucht, um festzustellen, ob diesen Abweichungen Ursachen zu Grunde liegen oder sie gar in der Natur eines Menschen liegen können. In diesem Fall ist Alberich der Leidtragende.
Ästhetisch sieht Tcherniakovs Inszenierung jedoch allzu sehr danach aus, wenn ein russischer Regisseur in einem (ehemals) ostdeutschen Opernhaus inszeniert. Marmor- und holzgetäfelte Räume mit Herrscherbüsten, schwere, dunkle Möbel in einem Interieur, an denen der Zahn der Zeit nagt und in denen der Geist Erich Milekes zu spuken scheint… In Wotans Büro wird Cognac getrunken, viel geraucht und die Männer machen die Geschäfte und Verträge unter sich aus. Die Kostüme, gestaltet von Elena Zaysteva, hängt dieser gewisse Charme des Gewesenen ebenso an: Loge im senfgelben Samtanzug, Fafner im braunen Ledermantel und Wotan mit karamellfarbenen Jackett bilden dabei farbenreiche Hingucker.
Trotz der visuell beeindruckenden Szenerie zogen Christian Thielemann und die Staatskapelle Berlin alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie boten ein überaus langsames, doch stets auf feine Akzente bedachtes Dirigat an. Bereits die 136 Takte des sich langsam entfaltenden, anschwellenden Vorspiels gerieten überaus zurückhaltend, dafür aber ganz neue Klangfarben und Details offenbarende und Kommendes vorbereitende Interpretationen. Wie kein zweiter meisterte Thielemann im Rheingold die Kunst eines überaus differenzierten und interpretationsreichen Dirigats, ohne auf allzu effektvolle Übertreibungen setzen zu müssen. Oft hielt er die Musiker*innen mit dezenten piani im Zaum, sodass den Sänger*innen mehr Entfaltungsraum gegeben wurde. Zusätzlich unterstützt von den langsamen Tempi nutzten besonders Johanns Martin Kränzle und Michael Volle dies aus, um ihre Rollen so auszugestalten, dass das Publikum ihnen förmlich an den Lippen hing.
Volle glänzte mit seiner markanten, einzigartigen Stimme, die er deklamatorisch fesselnd, ganz wie im Liedgesang, einsetzte, um so seine Erzählung zu entfalten. Und auch Kränzles Alberich, ein im Labor missglücktes Experiment, das zu einem nicht mehr zu haltenden Frankensteinschen Monster mutiert, stellte diese Rolle stets und auf unheimliche Weise überzeugend, mit seiner klaren aber intensiven Baritonstimme, dar.
Zwischen diesen beiden erfahrenen Wagner-Sängern stach Rolando Villazón mit seinem Rollendebüt als Loge deutlich heraus. Der mexikanische Tenor, Regisseur und Moderator gab sich als Feuergott sowohl charmant als auch schmierig überzeichnet und spielte im Grunde doch nur sich selbst. Gestenreich umherzappelnd versuchte er als Rampensau über stimmliche Unzulänglichkeiten hinwegzutäuschen. Auch er genoss die Vorteile des langsamen Dirigats und konnte so mit guter Diktion und herber Tenorstimme glänzen, bis er später den hohen Anforderungen dieser Rolle langsam erlag und immer weniger stimmliche Ausgestaltung anbieten konnte und freier interpretieren musste.
Das Rheingold als Ensemble-Oper lebte auch an diesem Abend von den Höchstleistungen der kleinen Rollen – Anna Kissjudit als ätherisch stimmschöne Erda, Mika Kares und Peter Rose als stimmgewaltige Riesen und Claudia Mahnke als Parade-Fricka mit glanzvoll pointierter Mezzostimme.
Dieses Rheingold eröffnet den neuen Berliner Ring mit vielen interessanten Ansätzen, doch man bekommt das Gefühl, dass Tcherniakov viele seiner Ideen noch nicht preisgeben möchte. Er spart sie sich auf und steigert so den Reiz dieser Produktion. Ob sein Ring-Experiment glückt, kann wahrscheinlich erst nach 16 Stunden entschieden werden. Doch musikalisch haben Christian Thielemann und die Berliner Staatskapelle bereits entschieden, dass dieser Ring ein großer Erfolg ist!
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Alexandra Richter | 03 Oktober 2022
Im Forschungslabor der Götter
Mit Wagners „Rheingold“ in der Regie von Dmitri Tcherniakov startete bejubelt der neue „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper.
Dass sich der Moskauer Starregisseur Dmitri Tcherniakov treudeutsch auf Richard Wagners Opernmythos vom „Ring des Nibelungen“ einlassen würde und Götter auf Bergeshöhen, Rheintöchter auf dem Grunde des Rheins und unterirdische Finsterlinge in Nibelheim zeigen würde, war nicht zu erwarten. Tcherniakov, der auch sein eigener Bühnenbildner ist, bringt das Publikum zunächst einmal mit der ganzen Bühnenmaschinerie zum Staunen. Es wurde bei der bejubelten Premiere am Sonntag geklotzt wie noch nie seit der auch bühnentechnischen Grundsanierung der Staatsoper.
Am Beginn vom „Rheingold“, dem sogenannten Vorabend des vierteiligen Opernzyklus, wird zunächst der Grundriss des riesigen Forschungszentrums E.S.C.H.E. eingeblendet. Die Abkürzung steht für Experimental Scientific Center for Human Evolution. Man sieht Forscher, die auf einer Leinwand im Auditorium ein Gehirn-Experiment verfolgen. Das sind für den Regisseur die neuen Wagner-Götter.
Über vier Bilder hinweg führt Tcherniakov ausgefeilt sein gigantisches Forschungsinstitut vor, welches über mehrere Stockwerke hinauf und hinunter und von links nach rechts fährt und über einen Fahrstuhl, ein großes Versuchslabor mit lebenden Kaninchen, enge Flure, Büroräume, Sitzungszimmer und Innenhof mit Esche verfügt. Man hat viel zu bestaunen, auch wenn es insgesamt ein unsinnliches Setting bleibt.
Im „Rheingold“ werden die ersten Fährten für den Zyklus ausgelegt, der am kommenden Sonntag mit der „Götterdämmerung“ enden wird. Noch ist nicht erkennbar, ob dem Regisseur eher eine Gesellschaftsutopie oder eine Dystopie vorschwebt. Vermutlich aber letzteres. Was man bisher weiß: In der Schlüsselszene des ersten Bildes ist Alberich wie ein Versuchskaninchen mit einer Art Virtual-Reality-Brille in einem gläsernen Labor gefesselt. Die drei Rheintöchter betreuen ihn im weißen Kittel. Der halluzinierende Alberich dreht durch, demoliert das Labor und flüchtet mit dem Rheingold von Heute. Das moderne Gold sind die Forschungsergebnisse.
In der Staatsoper werden also keine Goldberge aufgeschichtet. Aber ein bisschen Wissenschafts-Retro wirkt das Ganze dennoch. Denn kurzzeitig fühlt man sich an die Götter in Weiß und mit Institutschef Wotan, den Bariton Michael Volle weise und dauergrantelnd aussingt, an Professor Brinkmann von der Schwarzwaldklinik erinnert. Die Telefone sind altmodisch, die Holztäfelungen ebenfalls. Der gierige Riese Fafner (Peter Rose) knallt seinen Bruder mit einer Pistole ab. Die beiden Riesen sind offenbar die Mafia mit einem Schlägertrupp in Anzügen hinter sich. Die gekidnappte Freia ist eine Handelsware.
Das Bemerkenswerteste findet beim „Ring“-Auftakt allerdings im Orchestergraben statt. Dort dirigiert Christian Thielemann anstelle des erkrankten Generalmusikdirektors Daniel Barenboim die Staatskapelle. Thielemann weiß das Premierenpublikum zu überraschen, gerade auch, weil er sich am Pult extrem zurücknimmt. Selten ist im „Rheingold“ das Orchester als ein so feinsinniger Begleiter der Sänger zu erleben, die an diesem Abend nicht gegen Klangmassen ansingen oder anschreien müssen, um ihre Partien auch mit großer Textverständlichkeit zu füllen.
Dirigent Christian Thielemann wird mit stehenden Ovationen bejubelt
Thielemann wird am Ende als einziger mit stehenden Ovationen bejubelt. Das kann man als Statement des Publikums für ein weiteres Engagement des Berliner Dirigenten an der Staatsoper deuten. Darüber hinaus lässt Thielemann die Musik genüsslich und mit einer gewissen Leichtigkeit auskosten. „Das Rheingold“ kommt mit zweidreiviertel Stunden Aufführungsdauer langsam daher. Aber falsches Pathos wird vermieden, es ist ein großartiger Abend mit einer streckenweisen Parlando-Leichtigkeit.
Startenor Rolando Villazón ist der Einzige, der am Sonntag beim Schlussbeifall einen Buhsturm einstecken muss. Er erträgt es mit Fröhlichkeit. Der Sänger hat auf gekonnte Weise den Loge, dem normalerweise auch etwas Mephistophelisches anhaftet, in einen verspielten Amor der Forscherwelt verwandelt. In einen Wotan-Begleiter, der glücklich darüber ist, gebraucht zu werden. Darüber hinaus geht Villazón die Wagner-Partie überraschend gut über die Lippen.
Für die gekidnappte Freia ist kurzfristig die lettische Sopranistin Vida Miknevičiūtė eingesprungen und überzeugt mit Stimmfrische und Gestaltungswillen. Andere Sänger tun sich manchmal damit schwerer. Natürlich ist „Das Rheingold“ eine Oper, in der die Götter- und Riesengesellschaft den halben Abend auf der Bühnen nebeneinander steht und nur ein oder zwei singen. Bei Tcherniakov dürfen die acht- bis zehn Figuren auch im Konferenzraum sitzen und ins Publikum singen.
Die Verwandlung in Riesenschlange und Kröte misslingt Alberich
Bariton Johannes Martin Kränzle kann beeindruckend den Alberich als einen Underdog zwischen Verzweiflung, Wut und Hybris darstellen, auch wenn ihm stimmlich die dunkle Grundierung fehlt. Die Verwandlung in Riesenschlange und Kröte misslingt Alberich, Psychiatriewärter schleppen ihn weg. Im Schlussbild trifft sich die Forschergesellschaft im Innenhof mit der Esche. Donner (Lauri Vasar) führt Zauberkunststücke mit Feuer vor. Aus einer bunten Blume entrollt sich symbolisch die Regenbogenbrücke, die zur neuen Burg mit Namen Walhall führt. Aber eine Burg ist nicht in Sicht. Die Rheintöchter beklagen derweil den Raub des Goldes. Fortsetzung folgt!
Volker Blech | 03.10.2022
A production by Dmitri Tcherniakov (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.