Das Rheingold
![]() | Franz Welser-Möst | |||||
Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Eric Owens |
Donner | Martin Häßler |
Froh | Daniel Jenz |
Loge | Michael Laurenz |
Fasolt | Ilja Kazakov |
Fafner | Ain Anger |
Alberich | Michael Nagy |
Mime | Matthäus Schmidlechner |
Fricka | Tanja Ariane Baumgartner |
Freia | Regine Hangler |
Erda | Noa Beinart |
Woglinde | Ileana Tonca |
Wellgunde | Patricia Nolz |
Floßhilde | Daria Sushkova |
Solides “Rheingold” an der Staatsoper mit Welser-Möst
Am Grund des Rheins befindet sich das Basislager für die Expedition zum Mount Everest der Opernliteratur. Als einen solchen Gipfelpunkt hat Franz Welser-Möst jüngst Richard Wagners Ring des Nibelungen bezeichnet. Mit 62 will sich der Österreicher solche Gewalttouren in Zukunft nicht mehr antun. Vor neun Jahren hat Welser-Möst abrupt Abschied genommen vom Posten des Generalmusikdirektors der Wiener Staatsoper, diesen Juni sagt der Zurückgekehrte Adieu zum Ring, wohlüberlegt und mit zwei Aufführungsserien. Am Donnerstagabend startete die erste mit dem Rheingold.
Der “Vorabend” der Tetralogie wurde zu einem Festspiel der Sangeskunst und der Wortdeutlichkeit, mit Michael Laurenz als dessen schillerndem Vitalzentrum. Als Feuergott Loge stimmte der Deutsche anschwellende Bocksgesänge der Intrigenkunst an: mal eruptiv, mal geschmeidig, schlangengleich sich windend. Dagegen hatte Michael Nagy wenig Chance, der als ansehnlicher Alberich auch mit einem mächtigen Bariton gefiel. Half alles nichts, der Nachtalb musste Ring und Gold abgeben.
Waffenschein für den Sopran
Als prägnanter Wotan hatte Eric Owens nur kurz Freude an dem Schatz, musste er damit doch Freia, den Jungbrunnen des Götterclans, auslösen (Regine Hangler wird für ihren Sopran bald einen Waffenschein brauchen). Im Stimmfach der schneidigen Tenöre assistierte Matthäus Schmidlechner seinem Kollegen Laurenz erstklassig.
Ebenfalls von heller Vokalkraft, aber biegsamer: Daniel Jenz als Froh, göttlich Tanja Ariane Baumgartner als Fricka.
Das Staatsopernorchester hat Welser-Möst als “eine Art Originalklang-Ensemble” für Wagner bezeichnet, dessen kurze “Generationenkette” bis zum Komponisten zurückreiche. Unter der Leitung des peniblen Musiksachwalters gelang den historisch informiert Musizierenden ein solider Ring-Start – Wagner-Titan Peter Schneider vermisste man trotzdem.
Stefan Ender | 2.6.2023
„Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles. Ach wir Armen!“ heißt es in Goethes Faust. Das gilt auch für die Saga über Macht, Gier, Liebe, Verrat, Betrug und Verderben, die in Wagners Der Ring des Nibelungen verhandelt wird und durchaus mit Serien wie Dynasty, Denver Clan, Mafiafilmen à la Der Pate oder, aus jüngerer Zeit, House of Cards, aber auch mit einer stinknormalen Aufsichtsratssitzung eines internationalen Autokonzerns verglichen werden kann. Wagners Auftakt mit Rheingold, auch „Vorabend des Bühnenfestspiels“ genannt, erzählt die Vorgeschichte des in einer Katastrophe mündenden Geschehens und ist zugleich Ausganspunkt einer verhängnisvollen Entwicklung, die unaufhaltsam auf die Götterdämmerung zusteuert. Ernste Warnungen von Fricka, vor allem aber von der Erda, werden nicht erhört. So wird Alberichs Fluch schließlich eine ganze Welt zum Einsturz bringen und Platz machen für Neues.
Rheingold ist gewissermaßen der Appetizer, der Lust machen soll auf die folgenden Abende mit Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. So richtig gelingt das diesmal allerdings nur dem großartigen Michael Laurenz mit seiner Darstellung des umtriebigen Winkeladvokaten Loge, der als listiger, mit allen Wassern gewaschener Mastermind, Spin-Doctor und Chefdramaturg jenseits von Gut und Böse im Hintergrund die Strippen zieht und dessen Rat Wotan blindlings vertraut. Wie er rastlos, einem dämonischen Faun mit feuerroten langen Haaren gleich, umherschwirrt, sich verrenkt, mit den Fingern in die Luft sticht, sie wie züngelnde Flammen flirren lässt und alle anwesenden Götter mit seinen Vorschlägen verwirrt und betört, ist eine Klasse für sich. Dieser Figur, Halbgott des gezähmten Feuers, hat der für die Inszenierung verantwortliche Sven-Eric Bechtolf viel Platz zur Entfaltung ihrer manipulativen Fähigkeiten und Intrigen eingeräumt. Das ehemalige Ensemblemitglied Laurenz hat sich intensiv darauf vorbereitet und weiß die Chance eindrucksvoll zu nützen. Der ausdrucksstarke deutsche Charaktertenor, der in seinen Wiener Jahren u.a. als Josef K. in Gottfried von Einems konzertant bei den Salzburger Festspielen aufgeführter Oper Der Prozess gefeiert wurde, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Schade, dass Michael Laurenz und sein Loge, das verführerische, komische und zugleich auch gefährliche Kraftzentrum der Aufführung, in den folgenden drei Teilen des Rings nicht mehr zu sehen und zu hören sein wird. Loge, der Anstifter des kommenden Unheils, hat bekanntlich nur diesen einen Auftritt.
Wotan, der Boss der Götterwelt, der auch in den weiteren Folgen immens gefordert sein wird, ist mit Eric Owens besetzt. Ob er die dafür nötige stimmliche Kraft und Ausstrahlung mitbringt, ist nach seinem Hausdebüt noch nicht eindeutig zu beantworten. Der dunkel timbrierte, angenehm klingende amerikanische Bassbariton singt wortdeutlich, wirkt aber insgesamt etwas zu blass. Um diese Partie mit Würde und Macht auszustatten, wird noch Einiges dazukommen müssen. Denn derzeit zieht er gegenüber seinem Widersacher Alberich noch bei weitem den Kürzeren. Michael Nagy ist ein eindrucksvoller, zäher, entschlossener, autoritärer Anführer der Unterwelt, der viel geopfert hat, um den zaubermächtigen Ring zu bekommen. Dass er ihm von Wotan trickreich geraubt wurde, wird er nicht hinnehmen. Nagy hat jedenfalls das stimmliche und darstellerische Zeug für einen stets präsenten, achtungsgebietenden Alberich. Auf ihn darf man ebenso gespannt sein wie auf Matthäus Schmidlechner, der als Mime gute Figur macht und über einen ausdrucksstarken Charaktertenor verfügt. Ein vielversprechendes Hausdebüt des am Landestheater Linz engagierten Gastes, das für den Siegfried Neugierde weckt.
Tanja Ariane Baumgartner singt mit einem fein modulierenden Mezzosopran und versucht als Fricka Wotan in ihrer Eigenschaft als Hüterin von Moral und der Ehre von nicht so sauberen Geschäften abzubringen. Sie ergreift auch stark Partei für ihre Schwester Freia, die sich als Pfand in den Händen der beiden Riesen befindet, die Walhall erbauten und ungeduldig auf ihre Belohnung warten. Regine Hangler ist eine bewährte Hausbesetzung in dieser Rolle und steigert sich, erregt ob ihrer heíklen Lage, in stimmliche Höhen, ohne je allzu schrill zu klingen.
Der mahnende, aufrüttelnde Appell der Erda übersteigt diesmal offenbar die Fähigkeiten von Noa Beinart. Das hat man schon viel eindrucksvoller und nachhaltiger gehört. Auch Ilja Kazakov (Fasolt) und Ain Anger (Fafner) liefern eher nur rollendeckende Leistungen ab, ohne wirklich herauszuragen.
Nicht zufriedenstellend sind die Rheintöchter Ileana Tonca (Woglinde), Patricia Nolz (Wellgunde) und Daria Sushkova (Flosshilde). Ihr Gesang klingt so fahl und grau wie die Stoffbahnen, die die Wellen des Rheins darstellen sollten (Bühne Rolf Glittenberg), aber nur im Schlamm verebben.
Als sich in den Vordergrund drängende Jungspunde in der Götterversammlung betätigen sich Martin Häßler als Donner und Daniel Jenz als Froh. Sie nehmen sich wichtig und stolzieren mit ihren Statussymbolen in der Hand herum: Froh, der Herr über Regen und Sonnenschein, mit einem gewölbten Wasserglas, Donner als Herr der Gewalt und des Zornes mit einem Hämmerchen bewaffnet: Die sich etwas lächerlich machende Buberlpartie Wotans.
Die musikalische Leitung von Franz Welser-Möst, der im Vorfeld wissen ließ, dass er damit zum letzten Mal den Ring zu dirigieren werde, ist solide und bleibt zunächst noch eher unspektakulär. Im Vorspiel mit den wogenden Wellen des Rheins sorgt das hohe Blech für einige unsaubere Töne, aber in weitere Folge sind keine auffälligen Absonderlichkeiten mehr auszumachen. Der Schlussapplaus fällt überraschend laut und begeistert aus. Ein einziger Solo-Buhrufer macht sich bei der Verbeugung von Welser-Möst bemerkbar. So schlecht war es wohl nicht. Aber es gibt noch – insgesamt – Luft nach oben.
Manfred A. Schmid | 2.6.2023
Im Bann des Loge
Ein Zwerg, der aus geklautem Gold einen Ring der Macht schmiedet. Ein Gott, der Schulden bei zwei Riesen hat, und deswegen dem Zwerg das Gold stiehlt. Und fast immer mittendrin einer, der in die Götterriege Walhalls gehört, aber nicht so richtig dazu. Das ist “Das Rheingold”, vierbildriger und pausenfreier Vorabend von Richard Wagners “Ring des Nibelungen”-Tetralogie. Für die Wiederaufnahme in der Staatsoper erntet Dirigent Franz Welser-Möst mit diesem ersten Teil neben viel Applaus auch heftige Buhs, was wohl besonders an diesem Vorspiel liegen dürfte, das in leuchtendem, sich aus der Tiefe emporschraubendem Es-Dur einen idealen Natur-Urzustand beschreibt. Hier beginnt Welser-Möst ungewöhnlich zügig, nivelliert aber alsbald das Tempo und gräbt nur selten seinem Gesangsensemble dynamisch das Wasser ab. Bemerkenswert, denn bei Wagner allgemein und dem “Ring” ganz speziell kann das schon grundsätzlich leicht passieren, und auf einer großen Bühne wie jener der Staatsoper erst recht, wenn die Sängerinnen und Sänger von weiter hinten als den ersten zehn Metern nach dem Orchestergraben zu agieren haben.
Unumstrittener Star des Abends ist Michael Laurenz als ein herausragender Loge, bei ihm eine Mischung aus Legolas und Tartuffe, schmeichelnd, geistreich und hintersinnig. Er sorgt in der geradlinigen Inszenierung Sven-Eric Bechtolfs (2009) für die kurzweiligsten Momente des Abends. Und glänzt dabei mit klarster Sprache und nicht enden wollender Energie. Matthäus Schmidtlechner erweist sich als kraftvoller und expressiver Mime; dessen Bruder Alberich ist bei einem seine Kräfte einteilenden Michael Nagy ebenfalls gut aufgehoben. Eric Owens braucht etwas, bis sein Wotan solide Fahrt aufnimmt, und transportiert ab dann wunderbar beiläufig die Selbstgewissheit des Gottes.
Michael Brommer | 2.6.2023