Rienzi
Cola Rienzi | Mikhail Davidoff |
Irene | Anna-Katharina Behnke |
Steffano Colonna | Marcel Rosca |
Adriano | Michelle Breedt |
Paolo Orsini | Heiko Trinsinger |
Raimondo | Michael Haag |
Baroncelli | Andreas Hermann |
Cecco del Vecchio | Günter Kiefer |
Friedensbote | Astrid Kropp |
Erschlagend
Hatte ich anfangs noch gedacht, dass es schade ist, die Möglichkeit zu vertun, Wagners ja nicht allzu oft zu erlebenden Rienzi ungestrichen zu präsentieren, so war mir nach gut drei Stunden klar, dass die Entscheidung für diese Strichfassung (die man anhand des im Programmheft abgedruckten Textes nachvollziehen kann) eine richtige war, denn in der Tat ist diese Musik unerhört bombastisch und so überladen, dass mindestens ich nicht traurig war, als der letzte Ton verklungen war, bei aller Bewunderung für viele gelungene Momente. Das mag aber auch daran liegen, dass Stefan Soltesz sein (teilweise in den Rang ausgelagertes) Orchester, die personenstarken, sehr präzis und klangschön singenden Chöre und die Mitwirkenden zwar gut im Griff hat, aber leider auch die Tendenz hat, mit seinem Faible fürs oberflächlich Glänzende gerade das noch zu betonen, was ohnehin schon etwas kunstgewerblich daherkommt in diesem Werk, es noch plakativer und unpassend operettenhaft wirken zu lassen und zu vergröbern. Leisere, eher an der romantischen Oper orientierte, subtile Momente, die sich auch in dieser Partitur finden, gehen da leider meistens unter oder haben wenig innere Spannung, und nicht selten hat man das Gefühl, das man in einem Neujahrskonzert sitzt, zumal der Hausherr einmal mehr eine bizarre Choreografie mit Sprüngen und anfeuernden Rufen aufführt, die einen den Kopf schütteln lässt.
Mikhail Davidoff hat man in Essen und anderswo zumeist in Partien des italienischen Fachs gehört (mitunter glaubt man, dass Aufführungen italienischer Opern in Deutschland kaum noch möglich sind ohne ihn), und meines Wissens ist der Rienzi seine erste deutsche Hauptrolle. Die Stimme an sich hat sich in den Jahren der Überbeanspruchung natürlich nicht zum Vorteil verändert, sie weist ein starkes Vibrato auf, sie klingt, obwohl sie ausgeruhter als sonst wirkte, oft farblos und grau und ist selten zu leiseren Tönen zu bewegen, sondern spricht fast nur im Forte an und auch das nicht ohne Druck, aber auf der Habenseite stehen auch wirklich angenehme Töne in der Mittellage, ungeahnte Legatoqualitäten und eine erstaunliche Textverständlichkeit, so dass die einzelnen Buhs am Ende des Konzerts wirklich ungerechtfertigt waren. Falls also in den nächsten Jahren eine Wiederaufnahme des Lohengrin geplant ist, wäre Davidoff meiner Meinung nach eine solidere, interessantere Wahl für den Schwanenritter als Premierenbesetzung Jeffrey Dowd.
Mit einem wütenden Buh sah sich auch Anna-Katharina Behnke nach dem kurzen Duett mit Adriano konfrontiert, was nicht ganz fair war, denn die überwiegende Mehrzahl der vielen Töne über dem System meisterte sie durchaus souverän (wer könnte das heute wesentlich besser singen?), auch wenn die Stimme natürlich quälend scharf ist, von penetranter, durch Mark und Bein gehender Lautstärke und ohne jede Liebenswürdigkeit, aber sie führt sehr präsent die Ensembles an, was hier ja auch gefordert ist. Die Register sind indes keineswegs harmonisch miteinander verbunden, die Mittellage klingt bereits reichlich farblos, fahl und voll von Gebrauchsspuren – als Fidelio, Salome, Senta, Desdemona, Aida, Elsa oder Marschallin möchte man sie wirklich nicht mehr hören! -, und leider versteht man auch nicht viel vom gesungenen Wort, wobei man der Fairness halber wohl auch sagen muss, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, in dieser exponierten Lage wirklich textverständlich zu singen.
Die größte Begeisterung erzielte zweifellos Michelle Breedt, die in mancherlei Hinsicht wie eine Reinkarnation ihrer Lehrerin Brigitte Fassbaender wirkt, auch wenn die Stimme insgesamt heller und höhenlastiger ist – die Unmittelbarkeit des Ausdrucks, das ungestüme, sehr natürliche wirkende Pathos ihres Vortrags, die hohe Identifikation mit der Hosenrolle, die Ernsthaftigkeit der Interpretation, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk erkennen lässt, die technische Souveränität, die vielen Details, mit denen sie die berühmte Arie zum Showstopper werden lässt, die sehr gezielt eingesetzten Piano- und messa di voce-Effekte, die überlegte Phrasierung und die intelligente Textbehandlung. Und doch war keineswegs zu überhören, dass die Südafrikanerin mit dem Adriano die zumindest vorläufigen stimmlichen Grenzen bereits überschritten hat, dass sie hörbar angestrengt in den wirklich dramatischen Passagen klang (vergessen wir nicht, dass diese anspruchsvolle Rolle in der Vergangenheit nicht selten von dramatischen Mezzosopranen oder hochdramatischen Sopranen interpretiert wurde!) und sich immer wieder, namentlich in den großen Tableaus, Momente der Entlastung verschaffte. Man fragt sich, warum sie bereits Partien wie Carmen, Brangäne (demnächst an der Wiener Staatsoper) oder Fricka (im nächsten Bayreuther Ring) übernimmt, die doch nicht weglaufen und die sie in fünf bis zehn Jahren mit weniger Gefahr würde singen können.
Marcel Roscas profunder Bass wird mit den Jahren knarzender, aber gerade auch im Vergleich mit jüngeren Kollegen – wie etwa Heiko Trinsinger, der den Paolo gab und dessen metallischer Bariton arg gepresst und in erster Linie auf Lautstärke getrimmt klang – fällt immer wieder auf, was für eine wunderbare, charaktervolle und vor allem sofort wiederzuerkennende Stimme der Rumäne doch hat und wie souverän er sie zur Charakterisierung der ihm anvertrauten Partien einsetzt. Unter den übrigen Mitwirkenden tat sich Astrid Kropp hervor, einmal mehr weniger auf Grund gesanglicher Meriten, sondern mit einem gänzlich unpassenden, aufreizenden Outfit. Ähnlich schlechtes Benehmen im Konzert ist für mich auch nach wie vor der Irrtum, während der musikalischen Nummern das Podium zu betreten oder zu verlassen – ich bleibe dabei.
FAZIT
Eine Produktion, die ihre Meriten, aber auch ihre Ecken und Kanten hat, aber immerhin ein wenig gespieltes Werk erneut zur Diskussion stellt, ohne größere Lust auf baldige Wiederbegegnung zu machen!
Thomas Tillmann | Aalto-Theater Essen am 24. September 2005