Der Ring des Nibelungen

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2006 (R), 27 July 2006 (W)
29 July 2006 (S), 31 July 2006 (G)
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast

Das Rheingold

Die Walküre

Siegfried

Götterdämmerung
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Aller Anfang ist schwer

So spektakulär Ende 2001 die Ankündigung war, dass Filmregisseur Lars von Trier 2006 den Ring des Nibelungen in Bayreuth inszenieren werde, so sorgte seine plötzliche Rücktrittserklärung im Juni 2004 noch viel mehr für Aufsehen und Spekulationen. Dieses Jahr nun veröffentlichte Lars von Trier auf den Seiten seiner dänischen Produktionsfirma neben einer “Abtretungsurkunde” seine komplette, detaillierte Ausarbeitung der Walküre und des Siegfried an Hand des Klavierauszuges. Was dort zu lesen ist, ist ungeheuer spannend und ermöglicht einen Einblick in die szenischen Visionen dieses überaus kreativen Regisseurs. Leider stellte sich bei diversen Bühnenbauproben heraus, dass sich dieses Konzept, das für die Zuschauer ab der ca. 6. Reihe – zusätzlich zum unsichtbaren Orchester – ein quasi unsichtbares Theater bedeutet hätte, praktisch nicht verwirklichen ließ. Der auf Kompromisse nicht erpichte Perfektionist Lars von Trier sah daraufhin keine andere Möglichkeit, als den Inszenierungsauftrag wieder zurückzugeben.

Schon kurz darauf wurde im November 2004 der 80-jährige Dramatiker Tankred Dorst als Ring-Regisseur präsentiert, der sich mit Ursula Ehler (seiner Lebensgefährtin und seit über 30 Jahren Mitautorin) an seine erste Opernregie wagen sollte. Abgesehen von den fehlenden handwerklichen Fähigkeiten hatten sie nur zwei Jahre Zeit, sich in den Ring-Kosmos und die gewaltige Partitur einzuarbeiten und ein realisierbares Konzept zu entwickeln. Dieses waren also alles denkbar ungünstige Voraussetzungen, die wohl jedem einleuchten sollten. Dass sich jetzt Teile des Publikums und die Presse so über das dieses Jahr sichtbare Ergebnis echauffieren, kann daraufhin nur verwundern!

Was Dramaturg Norbert Abels (1953 geboren und derzeitiger Chefdramaturg der Oper Frankfurt) zu der Konzeption dieses Rings unter dem Motto “Dramaturgie des Untergangs” zusammengefasst hat, ist sicherlich äußerst klug und tiefgründig, doch für “normale” Menschen – die nicht wie er neben Musikwissenschaft vor allem Literaturwissenschaft und Philosophie studiert haben – weitestgehend unverständlich und nur mit Mühe nachvollziehbar. Fast ließe sich vermuten, dass auch Tankred Dorst diesen Ausführungen nicht hatte folgen können (was wir nicht hoffen wollen), doch was letztendlich praktisch auf der Bühne des Festspielhauses zu erleben bzw. nicht zu erleben war, konnte diese theoretischen Vorgaben bei weitem nicht einlösen. Überzeugenderes gelang dagegen den Verantwortlichen der Ausstattung. Die meist aufwändigen und stimmungsvollen Bühnenbilder von Frank Philipp Schlössmann zeigen Schauplätze der Gegenwart, die überwiegend – abgesehen von der stilisierten “heilen Welt” des ersten Rheingold-Bildes – von den Menschen zerstört, verschandelt oder verlassen wurden.

Tankred Dorst konfrontiert darin heute lebende Menschen (Kinder, Spaziergänger, Arbeiter, Radfahrer etc.) mit den antiken Göttern, an die heute keiner mehr glaubt und in Folge dessen auch von Niemandem mehr wahrgenommen werden. Zumindest war das der ganz spezielle und wirklich noch ungewöhnliche Ansatzpunkt von Tankred Dorst, der allerdings immer nur diskretes Beiwerk bleibt, da die beiden Welten ja parallel und völlig unabhängig voneinander existieren.

Passend dazu hat Bernd Skodzig für die Götter originelle und die einzelnen Figuren treffend charakterisierende Fantasiekostüme entworfen, die die Götter in eine unbestimmbare Zeit versetzen, in der weder Speere, noch Schwerter oder Rüstungen als Fremdkörper wirken.

Heraus kommt dabei ein – zumindest ausstattungsmäßig – schön anzusehendes, modernes Weltmärchen, dem es allerdings noch mächtig an Profil und einer aufeinander abgestimmten, präzis gestalteten Personenführung mangelt. Tankred Dorst dafür abzustrafen, ist nun wirklich albern, schließlich wusste jeder vorher, dass er ein Dramatiker und kein Regisseur ist (der “Schwarze Peter” steckt da ganz woanders)! Sicherlich wäre es für den Anfang wohl ratsamer gewesen, ihm (statt eines gelehrten Dramaturgen bzw. zusätzlich) einen versierten Regisseur an die Seite zu geben, der sich der handwerklich höchst anspruchsvollen Aufgabe der Personenführung hätte annehmen können. Der Anfang ist allerdings gemacht (immerhin gab es schon einige gut strukturierte und auch bisweilen spannende Passagen) und dem immer wieder beschworenen Mythos der “Werkstatt Bayreuth” gehorchend, sollte es in den nächsten Jahren möglich sein, diesem Ring noch ein (eigenes) Profil zu verleihen (immerhin soll diese Produktion bis 2010 auf dem Spielplan bleiben). Allerdings bedürfte es dabei auch einer gravierenden Korrektur bei der Besetzung einiger Protagonisten. Probleme gab es – neben der indiskutablen Leistung von Endrik Wottrich als Siegmund – vor allem bei Brünnhilde und Siegfried. Je mehr diese beiden in die Handlung eingriffen, desto mehr verloren die Aufführungen an Niveau.

Linda Watson verfügt zwar über die nötigen stimmlichen Mittel, um den Anforderungen der Partie der Brünnhilde gerecht zu werden, aber ihre weitgehend unverständliche Deklamation (die übrigens schon bei ihrer Ortud im Lohengrin negativ auffiel) ließen nicht nur das Siegfried-Finale in einem nicht enden wollenden Vokalbrei verenden. Hinzu kommt noch, dass Linda Watson auch bei bestem Willen rein gar nichts von einer wilden und ungestümen Walküre verkörpern kann. Unfreiwillig komisch wird es dann noch in der Götterdämmerung, wenn Brünnhilde in einem anscheinend in ruhigen Stunden selbst gequilteten Mantel über die Bühne wallt und damit ihren matronenhaften Charakter noch verstärkt.

Dass Stephen Gould – der im Tannhäuser noch so strahlend geglänzt hatte – einen so blassen und teilweise verunsicherten Siegfried singen würde, war trotz seines Rollendebüts nicht unbedingt zu erwarten. Allerdings kann man bei ihm noch hoffen, dass er an Sicherheit und Format gewinnt. Wer allerdings noch das Powerpaar Evelyn Herlizius und Christian Franz aus der letzten Ring-Produktion (und aus dem Ring in Münster) in Erinnerung hatte, für den war vor allem dieses Siegfried-Finale das reinste Desaster.

Dabei waren die übrigen Partien – abgesehen von Satu Vihavainen (Freia), Jyrki Korhonen (Fafner) und dem völlig desaströsen Endrik Wottrich (Siegmund) – ganz gut bis sehr gut besetzt.

Zu den absolut herausragenden Entdeckungen gehörten aber die phänomenale Adrienne Pieczonka als Sieglinde und der in jeder Beziehung präsente Hans-Peter König als Hagen. Es wäre für Bayreuth sicherlich eine große Bereicherung, wenn diese beiden Sängerpersönlichkeiten für die Zukunft in das “Bayreuther Ensemble” integriert werden könnten!

Falk Struckmann gestaltete sowohl stimmlich wie auch darstellerisch einen überzeugenden, in vielen Facetten schillernden Wotan. Die gewaltigen stimmlichen Herausforderungen vom Rheingold-Erschleicher, über den “gebrochenen” Göttervater der Walküre bis zum zynischen Wanderer im Siegfried meisterte er mit großer Bravour. Als Göttergattin sang Michelle Breedt eine moderate, sehr klangschöne Fricka, die anscheinend auch ohne Gekeife ihren Willen durchzusetzen im Stande war.

Mit Ralf Lukas als Donners stand zum ersten Mal in der Geschichte der Bayreuther Festspiele ein echter Bayreuther als Sänger auf der Bühne des Festspielhauses. Zusammen mit Clemens Bieber als Froh, gereichten sie beide der Götterschar zu der ihnen gebührenden Ehre.

Da Satu Vihavainen als Freia und Jyrki Korhonen als Fafner kein Festspielformat bieten konnten, kamen die großen stimmlichen Qualitäten von Kwangchul Youn als Fasolt wieder einmal ganz besonders zur Geltung. Auch seine gewaltigen stimmlichen Ausbrüche als Hunding in der Walküre ließen keinerlei Wünsche offen.

Als die dominierende Persönlichkeit im Rheingold erwies sich allerdings Arnold Bezuyen in der Partie des Loge. So ein klangschön und facettenreich singender, immer präsenter und die Szene beherrschender Loge, ist ein ganz großer Glücksfall.

Einen ganz hervorragenden Eindruck hinterließen auch Gerhard Siegel und Andrew Shore als die ungleichen Brüder Mime und Alberich. Dabei bewies Andrew Shore wieder einmal eindrucksvoll, dass man mit gutem Willen auch als englischsprachig Geborener ein perfektes und sehr gut verständliches Deutsch singen kann!

Während die drei Rheintöchter mit Fionnuala McCarthy (Woglinde), Ulrike Helzel (Wellgunde) und Marina Prudenskaja (Flosshilde) ein wunderbar miteinander harmonierendes Dreigestirn bildeten, konnten die drei Nornen (Janet Collins, Martina Dike, Iréne Theorin) und das Geschwader der Walküren nicht wirklich überzeugen.

Die Gibichungen standen ganz im Schatten des großartigen Hans-Peter König als Hagen. Während sich Alexander Marco-Buhrmester in der Partie des Gunther noch gut in Szene setzen konnte, blieb Gabriele Fontana als Gutrune äußerst blass.

Dass der Ring musikalisch – trotz gravierenden Einschränkungen – Maßstäbe setzen konnte, ist Christian Thielemann zu verdanken, der mit dem beherzt aufspielenden Festspielorchester (trotz einiger Unpässlichkeiten) den gewaltigen, tönenden Kosmos Wagners in eine große, zehnteilige Form fasste. Schon das Vorspiel zum Rheingold deutete an, was später dann auch in den Zwischenspielen (bei geschlossenem Vorhang) zu hören war. Christian Thielemann bevorzugte flüssige bis moderate Tempi, die jedoch immer variierten, so wie es der ständige Fluss der Töne vorgibt. Mit einer ungeheuren Liebe zum Detail modellierte Thielemann den motivgespickten Klangteppich äußerst transparent und filigran. Große dynamische Ausbrüche setzte er ganz gezielt und sparsam ein und obwohl er immer die stimmlichen Möglichkeiten der Sänger berücksichtigte, verlor der Orchesterklang auch im äußersten Pianissimo nie an Substanz und Farbe.

Dabei machte Thielemann eigentlich nichts anderes, als Wagners Partitur genau zu lesen, was andere Dirigenten allerdings auch tun, oder zumindest versuchen. Das entscheidende allerdings ist, dass es ihm gelingt, die Ergebnisse des intensiven Studiums auch in der Praxis umsetzen zu können. So ist es zum Beispiel eben möglich, im großen Orchestertutti nicht nur die Holzbläser deutlich wahrzunehmen, sondern auch die Harfen. Crescendi und Decrescendi auf kleinstem Raum lassen die Musik atmen. Sie fließt und funkelt, sie baut Spannung und Dramatik auf und entspannt sich dann an den richtigen Stellen wieder. Vor allem die zahlreichen Orchesterzwischenspiele waren die Krönung eines phänomenalen Dirigates, das vom Publikum zu Recht mit Standing Ovations gefeiert wurde!

Trotz aller symphonischen Dichte und Geschlossenheit, Brünnhildes unverständlicher Schlussgesang und das szenisch eher diffus wirkende Ende ließen das Publikum eher ermüdet als betroffen zurück und provozierte die Frage: “Und das war’s jetzt?”

FAZIT

Eine musikalisch herausragende Interpretation sowie atmosphärische und phantasievolle Bühnenbilder und Kostüme können die sporadische und oft hilflose Personenregie und ein unzulängliches Heldenpaar nicht wettmachen. Bei allen Möglichkeiten der szenischen Nachbesserung, mit dieser Brünnhilde und diesem Siegmund wird der Ring nie das große Format erreichen, das er erreichen könnte!

Gerhard Menzel

Rating
(7/10)
User Rating
(4.7/5)
Media Type/Label
Premiere
Technical Specifications
320/320/320/256 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 1.9 GByte (MP3)
Remarks
Broadcasts from the Bayreuth festival
A production by Tankred Dorst (premiere)