Der Ring des Nibelungen

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
28 July 2008 (R), 29 July 2008 (W)
31 July 2008 (S), 2 August 2008 (G)
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast

Das Rheingold

Die Walküre

Siegfried

Götterdämmerung
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Zu viele Halbheiten im “Ring”

Enttäuschte Erwartungen kleben wie Pech an dieser 14. Inszenierung des “Ring des Nibelungen” in der Bayreuther Festspiel-Geschichte. Lars von Trier, der dänische Filmregisseur, an den ursprünglich der Ruf nach Bayreuth ergangen war und dem eine innovative Inszenierung zugetraut wurde, gab den Regieauftrag 2004 zurück, weil sich sein Konzept technisch nicht realisieren ließ. Der Dramatiker Tankred Dorst, der über erfolgreiche Bühnenerfahrung verfügt, sprang in die Bresche und gab mit 80 Jahren sein Operndebut. Recht ernüchtert reagierten allerdings Publikum und Kritik nach den Premieren im Sommer 2006. Kaum verändert erschien der “Ring” nun bei den diesjährigen Festspielen wieder (und wird es noch weitere zwei Jahre). Die Einstellung dazu hat sich bei Publikum und Kritik nicht verändert. Das Urteil heißt: “lau”.

Dorst ist von einer Grundidee ausgegangen : Trotz allen Vernunftdenkens und aller Modernität unserer Zivilisation seien die Mächte des Mythos in unserer Gegenwart immerfort wirksam. Das Wüste und Wilde sei noch immer ein Teil unserer Gegenwart. In den alten Göttern nehmen unsere archaischen, mythischen Ursprünge Gestalt an, werden zu Bildern. Aber: vernunftgläubig wie wir sind, wollen wir die alten mythischen Mächte nicht wahrhaben. So siedeln in Dorsts Inszenierung die Wagnerschen Götter und Halbgötter in unserer Gegenwartswelt, treiben ihr Wesen und Unwesen aber nahezu unbeachtet von den heutigen Menschen. Diese tauchen dann und wann auf der Bühne auf und verschwinden ebenso unvermittelt wieder, wie sie gekommen sind. Eine Berührung der beiden Sphären kommt nicht zustande, ist vom Regisseur auch nicht gewollt – eine Konstellation, die als Bühnenrealität aber auch nichts abwirft, spannungslos bleibt und ohne Inspiration verleppert.

Bereits im Vorfeld der Premiere hatte Dorst sein Konzept in einem Buch unter dem Titel “Die Fußspur der Götter” veröffentlicht. Recht ausgetretene Pfade hat er dann aber in der Realisierung seiner Ideen auf der Bühne betreten. Verweigert wird nahezu jede psychologische Ausleuchtung der Figuren. Deren Handeln beschränkt sich zumeist auf gestische Beliebigkeit- viel Statik, bisweilen nervöses Gewusel, aber selten zwingend entwickelte Interaktion. Gänzlich kapituliert die Regie am Schluss des 3. “Siegfried” – Aktes. Das ohnehin schon problematische, weil überlange Liebesduett absolvieren Brünnhilde und Siegfried mit ein paar unvermittelten Gängen über die Bühne, ansonsten wird kräftig das Publikum angesungen. Den ersten Akt dieses Abends dagegen beherrscht unübersichtlicher Aktionismus. Der Zwerg wirbelt umher, sein Ziehsohn schlägt mit einer Stange seines Kinderbetts alles kurz und klein. Ohne Focus treibt das Geschehen vor sich hin.

Schon der Beginn des “Rheingold” ist symptomatisch für die Produktion. Stocksteif sitzen die Rheintöchter während der ganzen Szene auf großen, runden Steinen, die zu einem Flussbett geformt sind. Darüber ist eine Videoprojektion zu sehen aus schwimmenden, nackten Frauenkörpern. Perfekt ist der Eindruck einer Unterwasserwelt erzeugt. Alberich stolpert unbeholfen durch die Szenerie und giert nach den virtuellen Liebesobjekten, die sitzenden Rheintöchter bleiben singende Staffage. Allein durch das Bild wird die Szene schlüssig, nicht durch die Aktion.

So sind es auch vor allem die Bühnenbilder, die in diesem “Ring” Wirkung machen und durchaus sind gelungene darunter: wie sich die kryptische Welt der Nibelungen plötzlich als geheimes Versteck hinter der Wand eines Maschinenraums öffnet oder die trostlose Landschaft aus abgeholzten Bäumen, über die sich eine unfertige Autobahnbrücke zieht, wo Siegfried den Drachen erschlägt. Das “wilde Felsengebirge” des 2. “Walküre”-Aktes stellt eine Art Endlager für überflüssige Heldendenkmäler dar. Der Walkürenfelsen ist ein Marmorsteinbruch und auf einer Holzpalette liegend wird Brünnhilde von Wotans Speer mosaikartig mit dem Feuerkreis umschlossen (was allerdings frappant an das CD-Cover der Karajanaufnahme erinnert). Bevor sie nach Walhall einziehen, wohnen die Götter auf einem Hochhausdach, einer unwirtlich heruntergekommenen Betonwüste mit Graffitti beschmiert. Die Burg der Gibichungen stellt eine postmoderne Hotelhalle dar, bevölkert von allerlei dekadent wirkenden Gestalten.

Die Bildwelt (vor allem auch die Kostüme) ist allerdings komponiert wie ein Patchwork verschiedener Stile. Symbole und Chiffren verrätseln oft unnötig das Bild. So stolziert in der Gibichungenhalle ein Hahn durch die Szene, eine schlafende Frau hängt in einem herumstehenden Sessel und ein Haufen Schuhe steht aufgereiht an der Vorderbühne. Manchen szenischen Lösungen fehlt die nötige Überzeugungskraft. In einer Art Schwert-Backmaschine schmiedet sich Notung von selbst! Es gibt viel zu sehen, aber die Gedanken konzentrieren sich nicht.

Einigen Schlüsselszenen fehlt die durchschlagende Kraft, der Reiz des Phantastischen: dem Schluss in “Rheingold”, der Todesverkündigung in “Walküre”, der Erda-Szene in “Siegfried”, der Erscheinung Alberichs in Hagens Traum in “Götterdämmerung”.

Dramatische Kraft fehlt auch vor allem der Schlussszene. Nach all dem Mord und Totschlag suchen die Bewohner im nebligen Feuerschein des Weltenbrandes kopflos das Weite. Irgendwo bleibt Brünnhilde ab, irgendwo Hagen, alles hat wenig Präsenz, vermag nicht zu packen. Zum aufjubelnden Liebesmotiv schiebt ein junger Mann, sein Mädchen im Arm, ein Fahrrad über die Bühne und beide betrachten das auflodernde Feuer. Das kolossale Epos endet in einem kraftlos banalen Bild.

Dass gerade Bayreuth in puncto Wagnergesang gegenwärtig nicht unbedingt der Nabel der Welt ist, darüber ist schon viel geschrieben worden und dies bestätigte sich im diesjährigen “Ring” leider auch. Sehr differenziert fiel denn auch der Beifall für Sängerinnen und Sänger aus. Gleich zu Beginn im “Rheingold” gefielen schon die Rheintöchter (Fionnuala McCarthy, Ulrike Helzel und Simone Schröder) besonders wegen ihres linienbetonten klangschönen, durchaus betörenden Gesangs. Solide gaben sich die Nebengötter Donner (Ralf Lukas, der auch in der Rolle des Gunther zu hören war) und Froh (Clemens Bieber). Mit hellem Sopran aufblühend sang Edith Haller eine lebhaft angerührte Freia. Auch als Helwige, 3. Norn und Gutrune war sie überzeugend zu hören. Als eine lyrische Fricka beeindruckte Michelle Breedt im “Rheingold”. In “Walküre” sang Martina Dike diese Rolle mit energischem Ton. Als Erda beeindruckte Christa Mayer hier wie auch in “Siegfried” mit einem angenehm weichen Alttimbre, ebenso als Waltraute in “Götterdämmerung”.

Mit Albert Dohmen stand ein Wotan /Wanderer auf der Bühne, der darstellerisch großes Format verkörperte, stimmlich allerdings recht uneinheitlich herüberkam. Am besten strömte sein Bariton in der Mittellage, in der Höhe wirkte er bisweilen gequescht und in der Tiefe orgelte er mitunter etwas zu kehlig, insgesamt störte der auffällige Lagenwechsel einen einheitlichen Stimmfluss. Mit Arnold Bezuyen stand ein glänzender Loge zur Verfügung, der diesen schillernden Charakter stimmlich wie darstellerisch glaubhaft verkörperte. Auch die beiden Nibelungen waren überzeugend besetzt: mit Gerhard Siegel ein Mime, der sich nicht auf’s jaulende Ächzen beschränkte, sondern auch stimmlichen Wohlklang zu erzeugen vermochte und als Alberich der großartige Andrew Shore, der sowohl hier als auch an den beiden letzten Abenden zu Recht großen Beifall einheimste. Stimmstarke Riesen waren Kwangchul Youn (Fasolt) und Hans-Peter König (Fafner), beide fielen besonders positiv auch durch klare Diktion auf, was bei mehreren Sängern zu vermissen war. König sang auch den Hagen, dem er aber erst ganz am Schluss die passende Schärfe und Schwärze verlieh. In seinem Erbförster-Kuno-Kostüm wirkte er zudem in dieser Rolle entschieden zu brav. Youn gab auch einen in seiner Grobschlächtigkeit beeindruckenden Hunding.

In “Walküre” setzte Eva-Maria Westbroek den sängerischen Glanzpunkt aller vier Abende, als Sieglinde strahlte ihr tadellos geführter und klangschön schwebender Sopran über die triste Bühne. Mit dieser Sängerin hat in Bayreuth eine Stimme Einzug gehalten, die wirklich festspieltauglich zu nennen ist. Dem Beifall nach, der für sie Orkanstärke annahm, wird sie sich zum Publikumsliebling entwickeln, wenn es nicht bei diesem einmaligen Gastspiel bleibt.

Endrik Wottrich sang wieder den Siegmund, und zwar zuerst verhalten, dann mit viel Kraft, seiner Stimme aber fehlten Glanz und Strahlkraft. Diese Besetzung ist eher unter der Rubrik “Ärgernis” abzuhaken. Schwergewichtig dagegen besetzt waren die acht Walküren, im Chor gewaltig, bisweilen zu schrill, aber solistisch durchaus individuell profiliert. Robin Johannsen sang einen kräftigen Waldvogel.

Als Brünnhilde gab Linda Watson in “Walküre” ihren Einstand mit prächtigem Stimmformat, das sie in “Siegfried” (und später “Götterdämmerung”) zu voluminöser Größe ausbaute, freilich nicht immer so klangschön und intonationsrein, dass es dem Ohr immer geschmeichelt hätte, eine konditionell beachtliche Vertreterin dieser Rolle aber war sie allemal. Stephen Gould zeigte sich dagegen nicht als idealer Siegfried. Neben dem ungelenken Gestus störte seine flackernde Tongebung. Spitzentöne pflegte er zu stoßen, in den lyrischen Passagen fehlten seiner Stimme Weichheit, Anmut und ein runder Klang. Beide wurden vom Publikum nicht als Traumpaar goutiert, nach “Götterdämmerung” gab es ein kräftiges Buhkonzert.

Dagegen konnte Christian Thielemann frenetischen Jubel verbuchen. Sein Dirigat wird von dieser Ring-Produktion noch am lebendigsten in Erinnerung bleiben. Mit subtiler Klarheit, fast ins Detail verliebt, zelebrierte er die feine Struktur des wagnerschen Motivgeflechts, alles war deutlich und ausgefeilt zu hören. In den rein instrumentalen Passagen erzeugte das Orchester eine klangliche Üppigkeit und Konkretion, die ihres Gleichen sucht. Wie aus dem einen Ton zu Beginn des “Rheingold”-Vorspiels sich zuerst kleine Wellen kräuselten und sich zu Strudeln erweitertend das rein akustische Bild von fließendem Wassers entwickelte, wurde noch vor dem (zum Glück) geschlossenen Vorhang zu einem Hörgenuss ersten Rangs. Überhaupt kam der brillanten orchestralen Klangmalerei während der Zwischen- und Vorspiele die Zäsur der Vorhänge sehr entgegen. Auch in den wortlosen Passagen bei offener Bühne war es das Orchester, das die Leerstellen im Handeln durch lebhafte Musiksprache spielend zu füllen vermochte. Die plakativen Stellen (Walkürenritt, Trauermarsch) nahm Thielemann durchaus mit Energie, aber doch diszipliniert und in klanglicher Verfeinerung. Auch die unterschiedliche Faktur der 4 Teile, vom kleinteilig ziselierten “Rheingold” bis zu den gleichsam sinfonischen Großformen in “Götterdämmerung” trat deutlich zutage. Einzig in “Rheingold” wackelte es ein wenig im Blech, ansonsten spielte das Orchester hochpräsent und differenziert bis in Nuancen hinein. Der Beitrag des Orchesters zum Gesamtkunstwerk war also mit Abstand der größte.

FAZIT
Diese “Ring”-Produktion ist wohl auch Symbol für die Ermüdung der kreativen Potenzen Bayreuths. Warum sollte sich da in der viel beschworenen “Werkstatt” nicht schon im kommenden Jahr eine Runderneuerung anbieten? Steht doch ein neuer Aufschwung unmittelbar bevor. Wie und mit wem auch immer: In Bayreuth kann es nur spannender werden.

Christoph Wurzel | 8., 9., 11. und 13. August 2008 (Ring II/2008)

Rating
(7/10)
User Rating
(3.8/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 2.2 GByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Tankred Dorst (2006)