Der Ring des Nibelungen
Die „Werkstatt Bayreuth“ hat versagt
Ein Meister allein kann nicht alles meistern
Vorhang auf für den letzten Durchgang von Tankred Dorsts Ring des Nibelungen – danach wird er für immer eingemottet. Großes Bedauern kommt da allerdings nicht auf. Über die Jahre war kaum eine deutlich verbesserte Qualität dieser Ring-Produktion zu hören und zu sehen – von wegen „Werkstatt Bayreuth“. Das gedankliche Konzept und die detailliert ausgeführte Bühnengestaltung konnten nie durch eine konsequente Personenführung ausgefüllt werden. Viele im Laufe der Jahre ausgefeilten Szenen wirkten gefällig, ließen aber größtenteils die übergeordneten Zusammenhänge vermissen. Lediglich die orchestrale, musikalisch deutlich konturierte Handschrift von Christian Thielemann konnte schon beim Premierendurchgang 2006 überzeugen, so dass sie für die folgenden Zyklen als sichere Basis für großartige und Maßstäbe setzende Aufführungen hätte werden können. So war zumindest die musikalische Interpretation für eine festspielreife Produktion gewährt. Leider war es den Verantwortlichen nicht gelungen, adäquate Protagonisten, vornehmlich bei den Hauptpartien, in das orchestrale Gewebe dieses Rings einzubinden.
Erst jetzt, im letzten Jahr dieser Produktion, konnten zumindest zwei der großen Tenorpartien festspielreif besetzt werden: Johan Botha als Siegmund und Lance Ryan als Siegfried.; mehr dazu unten. Weitere neu in das Ring-Ensemble eingefügte und die zum Teil in anderen Partien umbesetzten Solisten konnten sich mehr oder weniger überzeugend profilieren.
Neu besetzt war dabei Diógenes Randes als Fafner, der stimmlich schön, aber ohne hörbare Aggressivität klang. Dagegen war der sehr engagierte und darstellerisch sehr präsente Kwangchul Youn als Fasolt und vor allem als sich herrisch gebarender Hunding, in diesen Partien vollauf Rollen deckend.
Als eine vorteilhafte Umbesetzung erwon ies sich Mihoko Fujimura in der Partie der Fricka, die für große und intensiv gestaltete Szenen sorgte. Gegen sie konnten weder Albert Dohmen als Wotan noch Linda Watsals Brünnhilde bestehen. Nach einem völlig blass wirkenden Wotan im Rheingold gelang es Albert Dohmen im Folgenden zumindest punktuell deutliche Zeichen zu setzen. Wie auch er schöpfte Linda Watson vor allem aus ihrem großen Erfahrungsschatz und ihrer Routine, um die ausgiebigen Partien ohne völlige Erschöpfung zu Ende zu bringen. Obwohl sie beide ihre Meriten haben, besitzen sie doch kein ausgeprägtes Charisma und keine übermäßige Bühnenpräsenz.
Diese aber haben dagegen Andrew Shore als Alberich und vor allem Wolfgang Schmidt als Mime. Der lang gediente Siegfried aus mehreren Bayreuth-Produktionen sorgte auch hier als kleiner Bruder Alberichs für eine agile, ungeheuer temperamentvolle Darstellung. Schmidt zog alle Register seines Könnens, wobei er stimmlich gelegentlich überzog und bei langen Tönen nicht richtig intonierte.
Als einen strahlenden Lichtblick in dem diesjährigen Ring-Ensemble erschien Johan Botha als Siegmund, nicht nur, weil er in der Szene mit Brünnhilde als Todgeweihter in einen grellen Lichtspot gestellt wurde – fertig zum beamen nach Walhall – und nicht nur, weil er den schwachen Endrik Wottrich ersetzte, der vier Jahre lang ein kompletter Ausfall als Siegmund war. Es sind die herausragenden stimmlichen Fähigkeiten, die Johan Botha mit einer großen Palette an Farben und ohne konditionelle Probleme präsentierte. Allerdings konnte er nur vokal überzeugen. Sein darstellerisches Vermögen beschränkte sich darauf, das, was ihm vorgegeben wurde, nachzuspielen und ohne wirklichen Ausdruck verströmen zu können. Auf jeden Fall gab es am Ende des ersten Aufzugs – zum ersten Male in den letzten vier Jahren – die so lang vermissten Begeisterungsstürme.
Endlich fand sich ein stimmlich adäquates Geschwisterpaar zusammen. Während die Sieglinde in den letzen Jahren mit Eva-Maria Westbroek ausgezeichnet besetzt war, konnte sich Neubesetzung Edith Haller an der Seite ihres hochkarätigen Partners steigern und weiter entwickeln. Schließlich war es für Edith Haller ein schöner „Aufstieg“ von der Helmwige, über die Freia und Gutrune bis zur Sieglinde. Ihre intensiv gestaltete, mit warmer Tiefe und bis in die Höhe ausgeglichene großer Leuchtkraft der Stimme begann allerdings oft zu flackernd.
Durch die kurzfristige Absage von Linda Watson als Brünnhilde im Siegfried (es verwunderte dabei, dass die Ansage der Umbesetzung vor dem Vorhang nicht von einer der beiden Festspielleiterinnen angesagt wurde – für Wolfgang Wagner war so etwas eine Selbstverständlichkeit) nutzte die als „Cover“ schon seit langer Zeit verpflichtete Sabine Hogrefe die Gunst der Stunde Mit ihrer frischen Stimme und volltönigem Klang, von der resonanzreichen Tiefe bis in die Höhen strahlend geführte Lage, setzte sie vor allem auf stimmliche Klangschönheit, weniger auf Textverständlich.
Mit Lance Ryan hörte und sah man dieses Jahr einen neuen Siegfried-Typ. Lance Ryan ist kein bulliger Kraftmeier, sondern ein stimmlich gesunder und flexibel gestaltender Zottelkopf, ein Struwwelpeter oder Pumuckel bei Meister Mime. Trotzige Töne und Silben zu zerstückeln vermag er ebenso gut wie die kraftvoll und zielsicher zelebriereten Schmiedelieder sowie zarte und lyrische Töne an die verlorene Mutter. Sein spielerisches und vokales Repertoire nutzte er bis zu Siegfried Tod voll aus. Da kann ihm niemand das Wasser reichen – schon gar nicht Eric Halfvarson als Hagen, der im Vergleich mit dem bisher besetzten grandiosen Hans-Peter König nur ein Schatten eines Hagens war.
Bei der sonst wenig herausragenden Besetzung war es für Arnold Bezuyen sehr leicht, sich als verschlagener Loge zu profilieren. Während sich Christa Mayer als Waltraute stimmlich und deklamatorisch gut präsentierte, ist sie als Erda zu direkt, zu wenig geheimnisvoll. Die Walküren klangen eher nach bunter Legionärsversammlung als nach einer homogenen und qualitativ hochwertigen Elitetruppe, während die Rheintöchter insgesamt durchaus ins Reine kamen.
Christiane Kohl als Waldvogel war aus dem Off kaum zu vernehmen. Warum erschien der Waldvogel nur am Ende der Szene als Pantomime (Statistin)? Wie so oft eine hübsche Idee, aber ohne genaue Überlegung.
Für eine letzte Ring-Festspielzeit waren unglaublich viele (Requisiten-) Pannen zu beobachten. Peinlich waren vor allem, als das Schwert des Siegmund bereits vor dem Zusammentreffen mit Wotans Speer auseinander brach, der Helm Brünnhildes von dem blondgelockten Haar herunterfiel, bevor Siegfried ihn später abnehmen wollte, oder der Speer von Wotan schon lange vor Siegfrieds Schwertstreich in Stücken ging. Im großen Götterdämmerungs-Finale sollen ja eigentlich die Bilder der vier Götter verbrennen – Fricka blieb davon verschont. Dabei ist wohl nicht davon auszugehen, dass es hier um eine alternative Interpretation in Bezug auf Fricka als seherische Zukunft ging…
FAZIT
Viele Unzulänglichkeiten prägen diesen Ring auch im letzten Jahr, es bleibt und Verwunderung ob der Qualität dieser Produktion mit einer insgesamt keineswegs herausragenden Besetzung (bezeichnend ist die deutliche Ansage und Versicherung der Festspielleitung, dass es im Jubiläumsjahr 2013 besser werden solle). Die herausragende musikalische Interpretation von Christian Thielemann beruhte letztendlich auf dem engagierten Orchester, das trotz kleinerer Irritationen insgesamt festspielwürdig musizierte. Tankred Dorsts Regie sorgte immerhin für keine szenische Verwirrungen und Ablenkungen von der Musik, aber auch die Personenführung war nicht das, was man von Bayreuth erwarten sollte.
Für den ganzen, fünf Jahre währenden Aufwand ist das als Ergebnis deutlich zu wenig.
Gerhard Menzel