Siegfried
Christian Thielemann | ||||||
Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Stephen Gould |
Mime | Wolfgang Schmidt |
Wotan | Albert Dohmen |
Alberich | Tomasz Konieczny | Fafner | Ante Jerkunica |
Erda | Anna Larsson |
Brünnhilde | Linda Watson |
Waldvogel | Chen Reiss |
Thielemann-Ring: Siegfried
Der „Ring“-Zyklus an der Wiener Staatsoper unter Christian Thielemann ist beim „Siegfried“ angekommen. Der Besucherandrang war an einem Werktag erwartungsgemäß nicht so stark wie an den beiden vorangegangenen Abenden.
Langsam, aber sicher schälen sich die Konturen dieses „Thielemann“-Rings heraus – und diese sind stark illustrativ, klangbezogen. Die Schärfung von Charakteren und Sinnzusammenhängen, wie es etwa im „Rheingold“ oder auch über weite Strecken im ersten Aufzug des „Siegfried“ notwendig sein könnte, scheint weniger prägnant.
Deshalb bedarf dieser „Ring“ der spektakulären Momente, um richtig Fahrt aufzunehmen – und das Orchester besitzt genügend Reserven, um dann wie ein Sportwagen edelster Fertigung elastisch auf die gefühlvollen Befehle des Lenkers zu reagieren. Eine dieser Passagen im „Siegfried“ waren die „Schmiedelieder“, bei denen sich das Orchester in einen riesigen Blasebalg verwandelte, mächtig und spektakulär. Man spürte hautnah mit welchem Enthusiasmus, aber auch mit welcher körperlichen Anstrengung, Schmied Siegfried hier mit seinem Schwert um die Wette „schwitzt“. Im zweiten Aufzug das gerade Gegenteil davon: Hier bettete Thielemann Siegfried unter der Linde auf feines, kammermusikalisch ausgeführtes Streicherweben (und das „Pfeifenschnitzen“ geriet dem Siegfried des Abends, Stephen Gould, schon fast zu einer komödiantischen Einlage).
Der sprichwörtliche „große Bogen“, der den Handlungsfluss aufnimmt und fortträgt, war aber schon in der „Walküre“ nur abschnittartig zu spüren gewesen. Im „Siegfried“ brauchte es bis zum dritten Aufzug, aber dann stand sie endlich, diese über weite Teile gespannte Brücke, die fast von der ersten Szene weg bis zum Schluss erhalten blieb. Und hier verdichtete sich die Musik zunehmend in ihrer Aussagekraft: Die sinnverstörende Aufregung Siegfrieds, als er entdeckt, dass Brünnhilde „kein Mann“ ist, tobte durch das Orchester wie ein Stromstoß.
Stephen Gould hat viel zu dem positiven Gesamteindruck dieser Aufführung beigetragen: Sein strahlender Held war voll unbekümmerter, jugendlicher Energie, und im dritten Aufzug hatte er noch genug Reserven, um feurig um Brünnhilde zu werben.
Diese Brünnhilde wurde von Linda Watson gesungen. Watson war kurzfristig für die erkrankte Katarina Dalayman eingesprungen. Sie zeigte sich höhensicherer als ihre „Amtsvorgängerin“, ihre Mittellage war ein wenig „flackrig“. Watson hat die Partie schon vor einigen Jahren in Wien gesungen, die Stimme hat sich gut erhalten.
Albert Dohmen hat mit diesem Wanderer seinen Erfolg komplett gemacht. Er entledigte sich der Aufgabe mit anspruchsvollem Durchhaltevermögen und jener aus Erfahrung gewonnenen Kompetenz, die es bei dieser Partie einfach braucht, soll sie glaubwürdig wirken.
Wolfgang Schmidts Mime war nicht immer duchschlagskräftig genug, bot aber eine recht gute Charakterstudie. Tomasz Konieczny gab den Alberich, sein etwas grell gefärbter Bariton und sein gutes Spiel prägten den kurzen Auftritt der Figur vor Fafners „Wohnsitz“.
Ain Anger sang mit großer Ausdrucksstärke einen im Sterben durch tiefe Traurigkeit und große Würde ausgezeichneten Fafner. (Szenisch fährt hier Fafner aus einer Versenkung ein paar Meter gerade empor. Der Sänger steht auf einem Podest und steckt in einem grünhäutigen Kostümschlauch. Fafner schaut wie eine überdimensionierte, vor Siegfried aufragende Schlange aus.)
Anna Larsson stellte die Erda dar, diesmal mit gefestigterer Stimme als im „Rheingold“. Einen hübschen Waldvogel steuerte Chen Reiss bei.
Der Schlussapplaus dauerte wieder an die 20 Minuten. Die stärksten Ovationen erhielt Thielemann, den zweiten Rang auf der nach oben offenen Applausskala erreichte Stephen Gould. Es gab eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung noch Stehplatzkarten.
Fazit: Nach meiner Einschätzung hat sich dieser „Ring“ von Abend zu Abend merklich gesteigert. Die Erwartungen für die „Götterdämmerung“ sind hoch.
Dominik Troger | Wiener Staatsoper 9.11.2011
Schlaflos nach „Siegfried“
Christian Thielemanns Wiener „Ring“-Abenteuer bleibt auch beim notorisch am wenigsten spektakulären Abend sensationell. Was die Leichtigkeit betrifft, wurde die Erwartungshaltung durchaus erfüllt.
Der „zweite Abend“ – also in Wahrheit der dritte Teil – von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gilt als der am wenigsten spannungsgeladene. „Siegfried“ hat nicht die Attraktionskraft der umrahmenden Großtragödien „Walküre“ und „Götterdämmerung“. So heißt es zumindest. Kommentatoren bezeichnen das Werk als „Scherzo“ der viersätzigen Theatersymphonie, suggerieren damit also Leichtigkeit und weniger tiefgründige Emotionen, als man sie von einem „Adagio“ oder einem Finale erwartet.
Was die Leichtigkeit betrifft, wurde die Erwartungshaltung beim Staatsoperngastspiel Christian Thielemanns durchaus erfüllt: So locker und geradezu spritzig werden die Pointen des ersten Aufzugs kaum je serviert. Der Kapellmeister beherrscht die Partitur dermaßen souverän, dass trotz Totaleinsatzes der Musiker in keinem Moment der Eindruck entsteht, hier würde harte Arbeit geleistet. Hier wird musiziert, so leidenschaftlich und animiert wie irgend möglich.
Der Mann am Pult organisiert den Ablauf dieses notorisch heikelsten deutschen Opernaktes mit seinen unzähligen Tempo-Modifikationen und Taktwechseln, als wäre das alles in einem großen Atemzug komponiert – und auch mühelos so zu dechiffrieren. Der Musikfreund weiß aus Erfahrung, dass dem keineswegs so ist, erfreut sich an einer Leistung, wie sie das Wiener Orchester bringt, daher umso mehr.
Triumph der Tenöre
Und da Tenöre vom Format eines Stephen Gould und Wolfgang Schmidt in ihrem jeweiligen Fach derzeit schwer zu übertreffen sind, ergibt sich ein vollkommenes Wagner-Erlebnis. Auch weil Thielemann in kräfteraubenden Passagen wie den Schmelz- und Schmiedeliedern die Musiker bei gleichbleibender Energiezufuhr in Pianoregionen drosselt, damit dem Heldentenor die Luft nicht vorzeitig ausgeht: Gould steht denn auch den dritten Akt ohne Blessuren durch, an der Seite von Linda Watson hält er sogar über weite Strecken die Gesetze des Schöngesangs in Ehren, während sich seine Brünnhilde mehr aufs Durchhalten und die Hörbarkeit konzentriert.
Dem „Stürmebezwinger“ Wotan geht es diesbezüglich weniger gut: Albert Dohmen drohen die Orchester-Orkane mehr als einmal zur Unhörbarkeit zu verdammen. Anna Larssons Urmutter Erda tut sich – schon wegen Wagners dynamischer Anweisungen – entschieden leichter.
Exquisit tönt das neue Waldvöglein, Chen Reiss, wieder erholt von leichter „Rheingold“-Schwäche der Fafner von Ain Anger – und ein sicherer Treffer ins Opern-Schwarze bleibt Tomasz Konieczny, ein Alberich noch böser und hinterfotziger als der ohnehin höchst prägnante Bruder Mime von Wolfgang Schmidt. Bleibt noch die „Götterdämmerung“ – Thielemann soll schon signalisiert haben, nach den Wiener Erfahrungen mit einer Neuauflage des Ereignisses zu kokettieren…
WILHELM SINKOVICZ | 10.11.2011