Siegfried

Kent Nagano
Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
27 May 2012
Nationaltheater München
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegfriedLance Ryan
MimeWolfgang Ablinger-Sperrhacke
WotanThomas J. Mayer
AlberichWolfgang Koch
FafnerRafał Siwek
ErdaJill Grove
BrünnhildeCatherine Naglestad
WaldvogelAnna Virovlansky
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Mit Lust und Leidenschaft

Im Münchner Siegfried fliegen die Funken. Was schon deshalb nicht verwundert, weil es mit dem Projekt ziemlich zügig voran geht und schon zu den Opernfestspielen die Götterdämmerung nachgereicht wird. Jetzt, im dritten Teil der Tetralogie, fliegen die Funken aber auch ganz konkret beim Schwertschmieden. Vokal sowieso, denn der Kanadier Lance Ryan in der Rolle des Superhelden zeigte sich in so blendender Form, dass es ohne jeden Abstrich eine Lust war, ihm zu zuhören. Offenbar war sein Einsatz auf der Frankfurter Ringscheibe von Vera Nemirova eine Art Aufwärmtraining und sein allzu wuchtig geratener Lohengrin in Karlsruhe eher ein Ausrutscher. An seinem Münchner Siegfried jedenfalls gibt es rein gar nichts auszusetzen. Eva Wagner Pasquier wird das bei der Premiere mit großer Erleichterung zu Kenntnis genommen haben. Mag sein, dass der Bayreuther Ring im Jubeljahr, wegen der sich endlos hinziehenden Suche nach dem Regisseur und diversen Absagen, so seine Probleme haben wird – ein Siegfried-Problem dürfte er wegen Lance Ryan jedenfalls nicht bekommen. Ganz im Gegenteil. Es ist zudem ein Verdienst des Schauspielregisseurs Andreas Kriegenburg, dass er seinen Siegfried zu einem ironischen Spielwitz animierte, den man so von ihm lange nicht gesehen hat.

Dafür waren vor allem der wie ein verlotterter Altachtundsechziger wuselnde Mime von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke und dann besonders die in jeder Hinsicht überwältigende Catherine Naglestad als Brünnhilde die adäquaten Partner. Dass mit Naglestad eine spielfreudige Sängerdarstellerin zur Verfügung steht, war jedem klar, der sie vor allem in Stuttgart auf der Bühne erlebt hat. Mit welchem Volumen und welcher Leidenschaft sie freilich als Brünnhilde erwacht und in Liebe zu diesem Siegfried erblüht und aufleuchtet, das ist schon einer der eher seltenen Wagner-Glücksfälle. Bei einem so exemplarischen hohen Paar hat es das übrige Ensemble natürlich schwer. Am besten schlug sich dabei Wolfgang Koch als Alberich, während Thomas J. Mayer als Wanderer zwar wieder eine exzellente und noble Diktion ablieferte, gleichwohl aber etwas angestrengt wirkte. Anna Virolansky steuerte einen quicklebendigen Waldvogel und Rafal Siwek einen soliden Fafner bei, während Jill Grove ihren Widerstand gegenüber Wotans Weckrufen als Erda etwas zu wörtlich nahm.

Szenisch fügten sich die Sänger in das sehr viel größere Ensemble des Bewegungschores organisch ein. Als zaudernder (Mime) oder orakelnder (Erda) Mittelpunkt einer mäandernden Masse Mensch. Oder in mitten einer ausgelassenen kollektiven szenischen Gaudi, zu der bei Kriegenburg das Schwertschmieden eskaliert. In dieser Szene, die ja so ihre Tücken hat, wenn jemand beim Singen so tut, als würde er die Nothung-Bruchstücke raspeln, einschmelzen und neu gießen, wird hier ein gewaltiger Blasebalg heran geschafft. Züngelnde Flammen als bunte Streifen an Angelruten markieren das Feuer, und immer wenn Siegfried mit dem Hammer zuschlägt, stieben die bunten Glitzerfunken nur so auf. In dem ganzen Gewusel fällt es kaum auf, wenn der eine die Funken nachfüllt, oder ein anderer die verschiedenen Stadien des Schwertes austauscht, bis Siegfried seine Wunderwaffe in Händen hält und den Amboss (respektive ein Amboss-Nachbildung aus Menschen) zerteilt.

Mit solchen Menschen-Bildern, die längst zum Markenzeichen dieses Rings geworden sind, fasziniert Kriegenburg auch noch in anderen Szenen. So wird der Eingang zur Neidhöhle zu einem vielarmigen Monster, wenn lauter Statisten in Gitterwänden hängen und nach dem Eindringling greifen. Dass der ebenfalls aus Menschen geformte Kopf des Ungeheuers eher einer zu groß geratenen Katze ähnelt, nimmt man schmunzelnd in Kauf. Zumal artistisch gestapelte Menschen dann wieder einen ziemlich poetischen Wald imaginieren. Etwas platt wird es nur, wenn bei der Wissenswette die Behausung Mimes immer wieder auseinanderfliegt und Wotans Antworten mit simplen Selbst-Zitaten aus den vorangegangenen Ringteilen illustriert werden.

Erst zum großen Erweckungsfinale ziehen sich die dauerpräsenten Massen zurück, nachdem sie die gesamte Bühne durch ein Tuch mit dem Rot der Leidenschaft ausgeschlagen haben. Hier setzten dann ein Kammerspiel zwischen schüchterner Annäherung und erwachender Leidenschaft und ein vokaler Dauertriumpf einen grandiosen Schlusspunkt. Dessen nachwirkende Vehemenz liegt an der fabelhaft erblühenden Catherine Naglestad und an Lance Ryan, aber auch an dem, was Kent Nagano im Graben für diesen bejubelten Siegfried noch an Leidenschaft zuzulegen hat.

FAZIT
Der Münchner Ring zieht mit diesem Siegfried vokal und szenisch wieder deutlich an. Kent Nagano und das Orchester lassen sich nicht nur am Ende von der aufkommenden Leidenschaft mitreißen, sondern sind insgesamt überzeugender, als in manchen Teilen der Walküre.

Roberto Becker | Premiere am 27. Mai 2012 an der Bayerischen Staatsoper München

Die Welt

Seid ihr auch sicher, dass ich nicht zu laut singe?

Vor der Aufführung haben sie den Hauptdarsteller gefragt, ob er sich Sorgen macht. Die Titelpartie des “Siegfried” ist eine der schwersten Tenorrollen überhaupt, sie verlangt überdurchschnittliche Ausdauer. Nur wenige Sänger tun sich das überhaupt an (nicht mal Placido Domingo hat sich je als Siegfried auf die Bühne gestellt).

Der kanadische Tenor Lance Ryan, der Sänger der neuen Münchner “Siegfried”-Produktion, wurde also vom Magazin der Staatsoper gefragt, ob er schon mal die Kontrolle beim “Siegfried” verloren habe. Hatte er, neulich bei einer Probe in Frankfurt. “Da ist mir bei den Schmiedeliedern das Schwert zerbrochen, weil ich zu fest draufgeschlagen habe, und ein Stück ist in den Orchestergraben geflogen.” Lance Ryan dürfte der einzige Sänger der Welt sein, dessen größte Sorge vor einer “Siegfried”-Premiere nicht zu wenig, sondern zu viel Kraft ist.

Deshalb ist Ryan wohl der derzeit gefragteste Siegfried überhaupt. Auf praktisch allen Bühnen der Welt soll er im Moment Siegfried sein oder war es schon. 2013 ist er natürlich auch beim Jubiläums-“Ring” der Bayreuther Festspiele in der Regie von Frank Castorf dabei. Und auch die Bayerische Staatsoper schmückt sich mit dem Kanadier.

Der dortige “Ring des Nibelungen” von Regisseur Andreas Kriegenburg begann im Februar “Rheingold” und wird im Juni mit der “Götterdämmerung” vervollständigt. Die Reaktionen waren bisher verhalten, vor allem Teil zwei, die “Walküre”, fiel durch wegen Ideenarmut. Der dritte Teil, der soeben Premiere hatte, wurde dagegen zum Triumph.

Das lag zunächst an Lance Ryan, der von Beginn an kernig und stark sang und auch noch am Ende des dritten Akts in der Lage war, mit dem Ruf “Sei mein!” zu überwältigen. Ihm zur Seite stand im letzten Akt die US-Sopranistin Catherine Naglestad als Brünnhilde, ebenfalls praktisch eine Idealbesetzung mit großer Strahlkraft. Mit diesem Duo kann schon nicht mehr viel schiefgehen.

Die Oper erzählt, wie der junge Siegfried bei dem Zwerg Mime aufwächst, sich das zerbrochene Schwert seines gefallenen Vaters neu schmiedet, damit den Riesenwurm erschlägt und in dessen Höhle den Ring des Nibelungen findet, der maßlose Macht verheißt. Dass ihn Götter- und Zwergenfürsten ständig zu manipulieren versuchen, merkt er nicht. “Siegfried” ist der fröhlichste Teil der Tetralogie; eine Art Scherzo der “Ring”-Symphonie vor dem dramatischen letzten Satz, der “Götterdämmerung”.

Regisseur Kriegenburg hat sich wieder auf seine ursprüngliche Idee aus dem “Rheingold” besonnen: Er lässt mehr als hundert Statisten die Bühne bevölkern, die sich zu komplexen Choreografien verbinden und mit Bäumen, tragbaren Wänden und Einrichtungsgegenständen (Bühnenbild: Harald B. Thor) die jeweilige Szene zusammenpuzzeln oder in Form von Körperpyramiden selbst Kulissen werden. Sie erscheinen dabei als menschliche Protoypen mit neutralen weißen Gewändern oder in fleischfarbener Unterwäsche (Kostüme: Andrea Schraad). Eine Gruppe, eine Gesellschaft erzählt sich selbst ihren Mythos, versichert sich ihrer eigenen Geschichte, deutet die eigenen Ursprünge.

Ein Kunstgriff, der zu viel Dynamik führt. Wenn Mime (vorbildlich in musikalischer und schauspielerischer Gestaltung: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) seinem Ziehsohn Siegfried von dessen Geburt erzählt, wird im Hintergrund diese Geburt nachgespielt. Wenn der “Wanderer” (die einzige Besetzung mit Abstrichen: Thomas J. Mayer als zu schwacher, zu angestrengter Göttervater) von den Nibelungen und Walhall singt, verkörpern Statisten das jeweils passende Bild. Eine Visualisierung von Wagners Kompositionstechnik: Auch Wagners Leitmotive tun ja nichts anderes, als das Geschehen mit Rückblenden oder Ausblicken zu kommentieren.

Nur schade, dass Dirigent Kent Nagano sein technisch makelloses Staatsorchester nicht so richtig von der Kette lässt. Langsame, unflexible Tempi und große Zurückhaltung bei der Lautstärke lassen die Stimmen auf der Bühne gut zur Geltung kommen – aber Leidenschaft geht vom Orchestergraben nie aus. Nagano scheint immer Sorge zu haben, seine Sänger mit zu viel Klang zu überfordern. Wahrscheinlich hatte er das Lance-Ryan-Interview nicht gelesen.

Lucas Wiegelmann | 31.05.2012

onlinemerker.com

Der Bewegungschor hatte reichlich zu tun: Die Heerschar von jungen, sehr beweglichen Menschen formte quasi das Bühnenbild, ob lodernde Flamme, gieriger Drache, kahle Felsen, hohe Bäume oder als zappelnde Gestalten im Gitter hängend vor Fafners Neidhöhle. Überraschend, gelegentlich unfreiwillig komisch, manchmal spielerisch, meist sehr ästhetisch und immer bewundernswert, wie das Statistenheer mit geschmeidigen Bewegungen Formationen einnahm und sich lautlos wieder auflöste (Choreographie: Zenta Haerter). Das Wenige, was dann noch an Bühnenbild (Harald B. Thor) auf- und abzubauen ist, wird fast ausnahmslos auch von der Statisterie erledigt.

Regisseur Andreas Kriegenburg bietet mit den „Menschenbildern“ dem Zuschauer viel Raum für Phantasie auf der ansonsten eher kargen Bühne. Allerdings löst so manches Neckische wie der doppelte, mit Flügeln wedelnde, Waldvogel (Sängerin + Statistin) bei Puristen wohl eher Stirnrunzeln aus. Noch mehr das Happening zu den Schmiedeliedern: Da wimmelt und wuselt es vor Menschen, die einen Blasebalg darstellen, mit Konfetti oder bunten Papierstreifen Funken und Feuer „spielen“ und mittendrin schmiedet Siegfried bzw. braut Mime sein giftiges Gebräu. Das ist zwar bunt und vielleicht auch komisch, lenkt aber völlig vom eigentlichen Geschehen ab. Dafür ist die Schlussszene umso gelungener: Nachdem Siegfried sich durch die Menschenmauer gekämpft hat, bedeckt rotes Tuch Boden und Rückwand der Bühne, ein großes Bett wird gebracht und nach anfänglich schüchterner Abwehr versinkt Jung-Siegfried in liebestollen Jubel mit Brünnhild.

Musikalisch schwimmt man bei diesem „Siegfried“ fast durchgehend auf wonnigen Wogen reinsten Genusses: Lance Ryan, ein Siegfried der Extraklasse, der über schier unerschöpfliche Kraftreserven verfügt, sich vom köstlich-naiven Waldkind zum kraftmeierischen Jüngling und schließlich zum ängstlich-schüchternen Liebenden wandelt; Catherine Naglestad, die in dieser Produktion als Brünnhild debütierte und deren leuchtendes „Heil Dir, Sonne“ wirklich das musikalische Firmament erstrahlen ließ; Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, dessen schmuddeliger, nägelkauender Mime schon bedenklich neurotische Züge aufweist und der mit hellem, nie scharfem Tenor absolut textverständlich seine Ränke spinnt; Wolfgang Koch, der als Alberich mit mächtiger Stimme und Statur auftrumpft und dessen Weltherrschaft – gemessen an Stimmkraft und Präsenz – schon angebrochen zu sein scheint; sein Gegenspieler Thomas J. Mayer blieb da als Wotan eher blass und monochrom; schließlich noch das bezaubernde Waldvöglein (Anna Virovlansky), das mit blühendem Sopran herrliche Girlanden wob.

Im Graben waltete Kent Nagano, vor allem aber das Bayerische Staatsorchester, das wie immer bei Wagner und Strauss hörbar „zuhause“ war, Sänger und Zuschauer trägt und nicht erschlägt. Dazu das phantastische Liebespaar Brünnhild-Siegfried, denen Catherine Naglestad und Lance Ryan so wunderbar lyrischen Ausdruck geben, bei denen Spiel und Gesang völlig natürlich – und scheinbar mühelos – verschmelzen, so dass langjährige Wagnerianer mit glücklichem Lächeln hinausgehen „So gesungen und nicht gestemmt oder geschrieen hat man die Schlussszene schon lange nicht mehr gehört!“.

Fazit: Wenn man von einigen szenischen Überflüssigkeiten absieht, ist dieser Siegfried gut anschaubar. Wer sich allerdings z.B. einen Bezug vom nibelungischen Streben nach Gold zur zeitgenössischen Gier nach Geld erwartet hatte, wird enttäuscht sein. Doch solch fehlende tagespolitische Ansätze müssen bei einer Operninszenierung kein Nachteil sein, soll diese doch etwas länger überleben als eine Quartalsbilanz.

Verdienter großer Jubel und unbedingt sehens- und hörens(!)wert!

Jakobine Kempkens | 01.06.2012

Der Standard

Von Menschenbildern und Leichenbäumen

An der Bayerischen Staatsoper in München geht es zügig – innerhalb einer Spielzeit (!) – auf das Ring-Finale zu. Pünktlich zu den traditionellen Opernfestspielen kann Nikolaus Bachler seinen Ring, mit dem sich Kent Nagano sozusagen aus München verabschiedet (um, wie gemunkelt wird, nach Hamburg zu wechseln), komplett präsentieren. Dabei: Die ganz wörtlich zu verstehenden Menschenbilder, die Regisseur Andreas Kriegenburg im Rheingold mit Überraschungseffekt eingeführt hat, sind zum ästhetisch beherrschenden Thema mit Variationen geworden. Mit allem, was das an szenischen Gefahren und Möglichkeiten so bietet.

In der Walküre überschreitet ihr Einsatz als dienstbare Wasserglas-Träger zwischen Siegmund und Sieglinde die Grenze des Plausiblen allzu deutlich. Auch die minutenlange Stampfpantomime der Rösser vor dem Walkürenritt ist vor allem unfreiwillig komisch. Auch im Siegfried verkauft er sich unter Wert, wenn er die in der Wissenswette verpackten Rückblenden oder gar Siegfrieds Geburt eins zu eins bebildert.

In der Walküre gelang das Aufladen von groß gedachten Räumen und starken Einzelbildern (wie dem Leichenbaum, unter dem sich die Zwillinge finden), durch den überstrapazierten Bewegungschor nur partiell. Im Siegfried hat Kriegenburg damit mehr Glück. So hat es poetischen Charme, wenn plötzlich artistisch aufragende Menschenbäume Waldatmosphäre imaginieren. Oder wenn als Eingang zur Neidhöhle lauter Menschen in einem riesigen Gitterportal hängen und an den Schlund einer fleischfressenden Pflanze erinnern.

Beim Schwerteschmieden wird der lodernde Übermut der Musik sogar zu einer Art Happening auf der Bühne: Da hält ein Club von Jungwagnerianern im (Shakespeare’schen) Mittsommernachts-Camp einen Nothung-Workshop ab. Mit Riesenblasebalg, Konfettifunkenflug bei jedem Hammerschlag und vielen anderen theatralischen Als-ob-Schmankerln. So kollektiv und ansteckend lustig dürfte das Wunderschwert noch nie geschmiedet worden sein. Von einer gelungenen Melange aus szenischem Witz und Kammerspiel profitiert dann auch das große Liebesduett am Ende.

Die schlafende Maid
Nachdem sich Siegfried durch eine Menschenwaberlohe unter Plastikfolie gedrängelt, die schlafende Maid gefunden und erkannt hat, bedeckt ein wallendes Tuch Bühne und Rückwand. Hier bieten Siegfried und Brünnhilde auf und neben einem Riesenbett ein hinreißendes Spiel des Erwachens und der Verführung. Andreas Kriegenburg und sein Team (Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad) bleiben also dabei, auf Menschenbilder zu setzten, statt nach brisanten Anknüpfungspunkten zu suchen, mit denen man dies Werk an der Welt von heute andocken könnte.

Und doch hinterlässt das Siegfried-Finale einen starken Eindruck. Wohl auch, da es Kent Nagano am Pult, Lance Ryan als Siegfried und Catherine Naglestad als Brünnhilde zu einem musikalischen Höhepunkt machen. Als Tiefpunkt bleibt ausgerechnet der erste Walküre-Akt in Erinnerung, den Nagano überdehnte und den weder die wunderbare Anja Kampe als Sieglinde noch der als Siegmund etwas deplatziert wirkende Klaus Florian Vogt retten konnten. Thomas J. Meyer als hervorragender noch junger Wotan (und im Siegfried als vom Orchester bedrängter Wanderer), Sophie Koch (Fricka) und Katarina Dalayman (Brünnhilde) sicherten den vokalen Standard der Walküre.

Ein regelrechter Glücksfall ist Lance Ryan. Der für Bayreuth 2013 gebuchte Siegfried ist nicht nur ein erstklassiger Strahlemann – er hat auch Spielwitz. Die Überraschung ist die Brünnhilde von Catherine Naglestad. “Brünnhilde bin ich nicht mehr”, hat sie bei der Abwehr von Siegfrieds Avancen zu singen. Doch sie ist genau die Brünnhilde, die man hören und sehen will. Mühelos aufstrahlend, ohne Schärfe, verführerisch schön in jeder Beziehung.

Obgleich nicht durchgängig auf gleich hohem Niveau und mit erkennbarer Deutungslust am Werke, findet auch Kent Nagano im Graben immer wieder zu einem sinnlichen Wagnerklang, der in seinen besten Momenten die Sänger trägt und nicht bedrängt.

Joachim Lange | 31.5.2012

Neue Zürcher Zeitung

Erzähler mit Lust und Laune

Die Figuren selbst, allerdings, sind, wenn überhaupt, ausgesprochen konventionell gezeichnet – Kriegenburgs Theater arbeitet zwar mit Menschen, im Grunde aber doch eher mit Menschenmaterial anstelle von Requisiten. Mime ist so, wie er bei dem gewandten Wolfgang Ablinger-Sperrhacke eben ist: ein Disqualifizierter mit unablässig herunterrutschender Brille. Auch Wotan, in «Siegfried» zum Wanderer geworden, stapft so, wie Wotan nun einmal stapft, doch immerhin singt Thomas J. Mayer seine Partie ebenso nobel wie in der «Walküre» – der Moment, da ihm der Junge den Speer zerbricht und die Macht nimmt, gerät ihm wahrhaft berührend. Wolfgang Koch gibt einen faserig nervösen Alberich und ist dabei, auch stimmlich, hinreissend präsent. Unauffällig bleiben Rafal Siwek (Fafner) und Jill Grove (Erda), während Anna Virovlansky als Waldvogel mit einem leuchtkräftigen Timbre auf sich aufmerksam macht.

Musikalische Exzellenz
Nun aber: Siegfried – und da darf von einem Glücksfall berichtet werden, denn Lance Ryan ist nicht nur genau der Richtige für diese absolut mörderische Partie, der Kanadier englischer Muttersprache ist auch derzeit einer der Besten dafür. Seit seinem Auftritt als Siegfried bei den Osterfestspielen Salzburg 2009 hat sich seine Aussprache des Deutschen prächtig verbessert, seine Stimme hat ihre drahtige Geschmeidigkeit bewahrt, und wie er die Kraft zu dosieren, wie er bis zum dritten Aufzug, wo ihm eine ausgeruhte Brünnhilde begegnet, präsent zu bleiben weiss, ist imposant. Zumal mit Catherine Naglestad eine zur Frau werdende Walküre neben ihm steht, die es an glanzvoller Ausstrahlung nicht fehlen lässt. Die Annäherung der beiden ist dem Regisseur etwas linkisch, wenn nicht kindisch geraten; Siegfried trägt in seinem Drang, zur Sache zu kommen, ziemlich dick auf.

Umso überzeugender wird das Warmwerden zwischen Mann und Frau vom Bayerischen Staatsorchester ausgeformt. Der Dirigent Kent Nagano setzt auch hier auf das Durchleuchten der Partitur, und auch hier bekommt man Dinge zu hören, die anderswo im Getöse untergehen. Zudem hält er die Dynamik blendend im Griff, lässt er das Orchester aktiv am Geschehen teilhaben, ohne die Sänger zu bedrängen. Besonders schön gelingen ihm in «Siegfried» die Abmischungen der Farben; die samtene Diskretion, mit der die Kontrabasstuba für Grundierung sorgt, ist da ein Beispiel unter vielen. Und vom Geraschel auf der Bühne lässt er sich nicht stören, er sucht gleichwohl immer wieder überraschende Momente des Leisen auf. Musikalisch wenigstens entwickelt sich der Münchner «Ring» prächtig.

Peter Hagmann | 30.05.2012

seenandheard-international.com

His Funny Bone Exposed

Kriegenburg’s concept of using bodies as the basic building blocks for Wagner’s world continues. But where he puts them to more metaphorical use in the first installment (depicting with them the Rhine, forces of earth, Valhalla), Siegfried sees them employed more literally, with up to 50 extras populating the stage. These little helpers, spirited trolls of childlike disposition and whim, spell out and underline the actions and interactions of Mime and Siegfried and the humor therein. In little brigades they melt down Notung via paper shredder, pump oversized bellows, rummage about in large tubes to symbolize the forge’s ventilation, and rhythmically pump (actual) air into the tinsel-filled anvil every time Siegfried re-strikes his sword. The happy sparks fly high and wide: glitter and be gay, indeed!

Act 1 becomes their playground and Siegfried – the most truly humorous of Wagner’s operas—attains a droll, exuberant air. It’s terribly good of Kriegenburg to let it out, to strip away the pathos, the awfully serious layers and layers of Wagnerian self-importance in this Ring. Elsewhere the artistic-acrobatic use of suspended extras—as trees for the forest bird to fly about or as a looming, oversized-dentures-wielding Fafner-as-worm—looked more like La Fura dels Baus, but with Kriegenburg this was part of a concept and a touchingly personal way to tell a story, not the-thing-itself, as is the case with La Fura dels Baus’ spectacular, maddeningly vapid Valencia Ring. A particularly neat touch: visual references to Das Rheingold, timed to the relevant leitmotifs during the elaborate Six-Questions scene of act 1. Only the magic fire around the rock was a visual disappointment: 30 yards of illuminated cling-film looked more like the Rhine at sundown than an imposing fire.

I had never seen a Siegfried where the most lasting impression was made by the little woodbird—until now. And that’s not damnation of the major roles by way of praising a lesser part. In fact Lance Ryan’s Siegfried—powerful, enthused, believably youthful and untiring—headed a fab-four along with Wolfgang Ablinger-Sperrhacke’s stupendous greasy Mime, Catherine Naglestad’s gravely ravishing Brünnhilde, and Wolfgang Koch’s regal Alberich. But Anna Virovlansky and her physical manifestation Anna Ressel (who danced along in unison with a little self-balancing birdie on a stick) were so charmingly staged (and well sung) that it, she, or they absolutely made the second act. Jill Grove and Rafal Siwek (Erda, Fafner) had less opportunity to show off and while Thomas J. Mayer as Wanderer/Wotan had that opportunity, he didn’t make use of it. He performed well enough, but the voice—even as it opened up in the third act—was underpowered next to his commendable colleagues. Kent Nagano led a seamless, gorgeous account of the score that lends itself less to the elegant-Italianate style he had displayed Das Rheingold. Free of actual or artificial highlighting, Nagano reigned over an orchestra that exuded perfection even more than it did enthusiasm.

Not every Wagnerian will appreciate Kriegenburg for turning the Ring into entertainment, toying at the edge of naïve and goofy. But most attendees seemed reasonably happy and since it wasn’t opening night, and the cast was in superb form, there was only cheering, no jeering after five and a half hours.

Jens F. Laurson | 12/06/2012

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 556 MiB (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Andreas Kriegenburg (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.