Siegfried
Daniel Barenboim | ||||||
Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Siegfried | Lance Ryan |
Mime | Peter Bronder |
Wotan | Terje Stensvold |
Alberich | Johannes Martin Kränzle | Fafner | Mikhail Petrenko |
Erda | Anna Larsson |
Brünnhilde | Iréne Theorin |
Waldvogel | Rinnet Moriah |
Kletterpartie auf dem Walkürefelsen
12 Jahre ließ Richard Wagner seine Siegfried-Partitur nach Vollendung des zweiten Aufzuges liegen, um sich “leichter” zu realisierenden Werken wie Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg zu widmen, bevor er auf Bitten seines größten Förderers, des bayerischen Königs Ludwig II., die Arbeit an der Tetralogie wieder aufnahm und schließlich 1869 mit der Kompositionsskizze des dritten Aufzuges begann. Auch in Guy Cassiers’ Ring-Inszenierung liegt zwischen dem “ersten” und dem “zweiten Tag des Bühnenfestspiels” eine größere Zeitspanne als zwischen den restlichen Teilen. So gab es nach den Premieren vom Rheingold und der Walküre, die in der Spielzeit 2010 / 2011 stattfanden, die Fortsetzung der Tetralogie erst im Herbst 2012. Ob dieser längeren Pause aber ähnlich wie bei Wagner einer Schaffenskrise zugrunde lag, dürfte mit Blick auf die szenische Umsetzung bezweifelt werden, da Cassiers seinem in den ersten beiden Teilen begonnenen Konzept treu bleibt, was erneut sowohl Licht- als auch Schattenseiten hat.
Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Teilen setzen Cassiers und Enrico Bagnoli wesentlich mehr Bühnenbildelemente ein, auch wenn die Video- und Lichtprojektionen dabei weiter ein entscheidender Bestandteil bleiben. So wird Mimes Hütte von zwei Pfeilern eingerahmt, die bei genauerer Betrachtung aus Schwertern bestehen. Damit wird deutlich, wie viele Versuche der Zwerg bereits unternommen hat, um für seinen Ziehsohn Siegfried das Schwert zu schmieden, mit dem er den Drachen Fafner erlegen und ihn zum Ring führen soll. Die Hütte selbst erinnert mit den unterschiedlich hohen Podesten an die Walkürenszene zu Beginn des dritten Aufzugs der Walküre. Eine naturalistische Ausstattung einer Schmiede findet man hier allerdings nicht. Alles ist sehr abstrakt gehalten. Einige Stäbe ragen von diesen Podesten senkrecht nach oben, wobei sich deren Bedeutung allerdings erst später erschließt. Mit dem Auftritt des Wanderers beginnt dieses Podest nach vorne zu kippen, bis es schließlich eine senkrechte Rückwand zu Mimes Behausung bildet. Der Wanderer befindet sich bei seinen Fragen auf einem Podest in dieser Wand oberhalb von Mime, um die Überlegenheit des Gottes gegenüber dem Zwerg anzudeuten.
Auch Siegfried klettert nach seiner Rückkehr aus dem Wald munter auf dieser Wand herum. Die Stäbe fungieren nun als Lichtquellen für den Herd. Einen weiteren Stab benutzt Siegfried als Blasebalg. Ansonsten sieht man von der Schmiedeszene allerdings nicht viel. Siegfried öffnet eine Klappe bei einem Podest und scheint dahinter zu arbeiten. Unklar bleibt auch, wieso er während der Szene immer wieder durch eine Luke hinter der Wand verschwindet. Nutzt Siegfried-Darsteller Lance Ryan vielleicht die kurzen Gesangspausen, um etwas zu trinken und seine Stimme geschmeidig zu halten? Was Ryan nämlich stimmlich in diesem ersten Aufzug leistet, ist atemberaubend. Sein Tenor strotzt vor Strahlkraft und prädestiniert ihn für einen Jung-Siegfried, dem er auch darstellerisch und optisch im Kostüm von Tim Van Steenbergen mehr als gerecht wird. Die schwarze Mähne verleiht ihm dabei etwas Ungestümes. Terje Stensvold glänzt als Wanderer in der Frageszene mit fundiertem Bass-Bariton und hervorragender Textverständlichkeit. Auch Peter Bronder begeistert als Mime mit kräftigem Tenor und liefert am Ende des ersten Aufzuges eine Turneinlage an der Stange, die zwar vielleicht nicht gerade inhaltlich motiviert ist, die aber dennoch großen Respekt verdient. Auch die Staatskapelle Berlin wächst unter der Leitung von Daniel Barenboim wieder einmal über sich hinaus und lässt dem Zuhörer bei dem dunklen düsteren Vorspiel das Blut in den Adern gefrieren.
Im zweiten Aufzug entwerfen Cassiers und Bagnoli einen Wald, der unheimlicher kaum sein kann. An zahlreichen Scheinwerfern sind Fädenvorhänge säulenförmig herabgelassen, die zum einen durch den jeweiligen Scheinwerfer von innen silbrig leuchten, zum anderen mit Licht- und Videoprojektionen von außen die Gefahren, die dieser Wald birgt, regelrecht spürbar machen. Johannes Martin Kränzle hat erneut einen großartigen Auftritt als Alberich. Mikhail Petrenko singt als Fafner zunächst durch Lautsprecher verstärkt aus dem Off, wobei Lichtspiele auf der hinteren Bühnenwand seine Präsenz andeuten. Im Kampf mit Siegfried taucht er dann zunächst in Form von fünf Tänzern auf, die mit einem großen Tuch die Bewegungen des Schlangenkörpers imitieren. Hier übernimmt Cassiers den Einsatz des Tarnhelms aus dem Rheingold. Wie die Tänzer bereits im Vorabend als Helm fungierten und die Verwandlungen dargestellt haben, so ist es nur konsequent, Fafners Verwandlung in den Riesenwurm, die ja ebenfalls durch den Tarnhelm erfolgte, durch die Tänzer darstellen zu lassen. Erst als Siegfried Fafner das Schwert ins Herz stößt, tritt Petrenko persönlich auf, wird aber noch von dem Tuch wie einem Schlangenkörper umgeben.
Während bis zu diesem Punkt das Regiekonzept stimmig und nachvollziehbar ist, bleibt die Waldvogelszene größtenteils ein Rätsel. Cassiers lässt Rinnat Moriah den Waldvogel aus dem Off singen und stattdessen eine Frau in weißem Gewand über die Bühne schreiten. Handelt es sich hierbei um eine Tänzerin oder Statistin? Im Programmheft wird sie namentlich nicht erwähnt. Auch ist ihr Spiel keineswegs so fordernd, dass Moriah nicht selbst in der Rolle hätte auftreten können. Des Weiteren wirkt es etwas unglaubwürdig, dass Ryan zunächst ständig an dieser Frau vorbeiläuft, ohne sie wahrzunehmen. Die flatternde Lichtprojektion wiederum, die den Waldvogel bei seinem Gesang unterstützt, ist gelungen. Vielleicht hätte man sich mit dieser Projektion begnügen sollen, wenn man den Waldvogel wirklich aus dem Off singen lassen wollte, um eine gewisse Distanz zu Siegfried zu wahren. Unklar bleibt auch das Spiel mit den Schwertern, das die Tänzer vollziehen, nachdem Siegfried den Tarnhelm und den Ring – immer noch ein Handschuh – aus der Höhle geholt hat. In Siegfrieds Gespräch mit Mime bilden die fünf Tänzer mit ihren Schwertern unterschiedliche Formen, zu Beginn auch einen Judenstern. Was soll das?
Der dritte Aufzug beginnt mit einer beeindruckenden Erda-Szene. Der Wanderer holt die Urwala gewissermaßen aus den Tiefen der Erde. Dazu wird eine große Platte, unter der ein riesiges Tuch befestigt ist, Richtung Schnürboden gezogen und offenbart unter diesem Tuch Erda. Anna Larsson begeistert erneut mit sattem Mezzo und eindringlichem Spiel. Auch die folgende Szene zwischen Wanderer und Siegfried wird szenisch und gesanglich von Stensvold und Ryan großartig umgesetzt. Aus dem Schnürboden hängen nun angespitzte Stäbe herab, die im Feuerschein leuchten und die Siegfried durchschreitet, um zum Brünnhilde-Felsen zu gelangen. Dieser ist ein hohes Podest mit zahlreichen Auf- und Abgängen, so dass die Erweckungsszene der Walküre zu einer reinen Kletterpartie wird. Bemerkenswert ist, dass die Lichtstimmung gerade in dieser letzten Szene äußerst kalt gehalten wird. Lance Ryan zeigt auch im letzten Aufzug noch keinerlei Ermüdungserscheinungen und kann mit der frisch erweckten Iréne Theorin als Brünnhilde problemlos mithalten. Theorin gestaltet die Partie sehr differenziert und setzt die Töne auch in den Höhen sauber an, ohne dabei zu schreien. Wie in der Schmiedeszene verschwindet Ryan allerdings auch bisweilen recht unmotiviert hinter dem Felsen, während man bei Theorin aufgrund des langen Gewandes immer Sorge hat, dass sie beim Klettern auf dem Felsen eventuell stolpern könnte. Aber alles geht gut und Siegfried und Brünnhilde vereinen sich zu “leuchtender Liebe” und “lachendem Tod”. Es folgt ein riesiger Applaus für die Solisten und die Staatskapelle Berlin mit ihrem Generalmusikdirektor Daniel Barenboim.
FAZIT
Guy Cassiers gelingen großartige Bilder, die nicht in jeder Hinsicht überzeugend umgesetzt werden. Die musikalische Gestaltung des Abends lässt allerdings erneut keine Wünsche offen.
Thomas Molke | Staatsoper im Schiller Theater am 27. März 2013
And so, the Berlin State Opera’s Ring nears completion. Nothing has changed with respect to the bafflingly vacuous production served up by Guy Cassiers and his colleagues from the Antwerp Toneelhuis. It is not that ideas are banal or underdeveloped; rather, there seem to be no ideas at all, a truly extraordinary state of affairs when it comes to Wagner, of all dramatists. The production apparently aspires to the condition of something one might see or have seen at New York’s Metropolitan Opera, whether Otto Schenk or the still worse Robert Lepage, albeit with refined visual taste. Quite why anyone would think tasteful Wagner desirable is quite beyond me. There are pretty stage effects, sometimes from video, sometimes not, but effects without cause they remain. Oddly, given the plentiful use of video, the dragon is conjured up by the Eastman Company – yes, I am afraid the dancers are back – and some sheets. It starts off rather well, viewed with disinterested æsthetic contemplation, only to degenerate into a vision more akin to a group laundry activity. There is doubtless some enjoyment to be derived from the lithe dancers, choreographed well enough in the abstract, but what any of it might have to say about the Ring is not even obscure. If Cassiers presents, as is claimed, a Ring for the twenty-first century, may God have mercy upon our culture-industry-enfeebled souls. Politics, religion, any variety of thought, even any variety of drama, have been banished to the nineteenth and twentieth centuries; it is enough to have one wish to embark upon a spot of time travel.
Daniel Barenboim and the Staatskapelle Berlin came to the rescue. I have not heard a better conducted, better played Siegfried, even from the Royal Opera and Bernard Haitink. The Berlin Philharmonic and Sir Simon Rattle may have offered breathtaking orchestral virtuosity in Aix-en-Provence, but there was something of virtuosity for its own sake in that case, partly, I think, because Rattle’s reading failed to dig anything like so deep. This was Barenboim at his more than estimable best. The great paragraphs of Wagner’s imagination unfolded with unforced, unexaggerated inevitability, not monumental in, say, the Knappertsbusch mode, but teeming with dramatic life born of the musico-dramatic material. Scenes, dialogues, phrases were sharply, colourfully characterised, playful yet steely Beethoven to the fore in the final scene of the first act, a grinding sense of peripeteia possessing us at the opening of the third. There was none of the reluctance one encounters from lesser conductors to let the orchestra speak as Greek chorus, no alleged ‘consideration’ for vocal fallibility. This was above all orchestral drama, as fully achieved in a Furtwänglerian sense as I have heard from Barenboim in Wagner.
Lance Ryan had his moments as Siegfried, especially during the second act. Up until the scene with Brünnhilde, I should have said that at least he did not tire – quite an achievement in itself – but alas, a pattern of too much shouting and not enough singing took its toll. Iréne Theorin’s Brünnhilde, by contrast, was highly variegated in tone, at times almost too much, having one strain to hear the words. A rather wooden Wanderer from Terje Stensvold was shown up by Johannes Martin Kränzle’s vivid, detailed Alberich. Peter Bronder was very much the singing actor as Mime, stronger in tone than one often hears, but sometimes edging too much, against Wagner’s urgings, toward caricature. Mikhail Petrenko’s voice seemed to have lost some of its darkness, but there could be few real complaints about his Fafner. Anna Larsson’s otherworldly depth of tone reminded us why she is very much the Erda de nos jours. Rinnat Moriah navigated the Woodbird’s lines with admirable ease. It remained, however, Barenboim’s and the Staatskapelle’s show.
Mark Berry | 21 April 2013
A production by Guy Cassiers (2012)
This recording is part of a complete Ring cycle.