Siegfried
Felix Bender | ||||||
Robert-Schumann-Philharmonie | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Daniel Kirch |
Mime | Arnold Bezuyen |
Wotan | Ralf Lukas |
Alberich | Bjørn Waag | Fafner | Avtandil Kaspeli |
Erda | Simone Schröder |
Brünnhilde | Christiane Kohl |
Waldvogel | Guibee Yang |
Unter Mördern
Richard Wagners Ring an der Oper Chemnitz erreicht den dritten Teil, und nach dem geglückten „Rheingold“ von Verena Stoiber und der etwas uninspiriert wirkenden „Walküre“ von Monique Wagemakers empfiehlt sich Sabine Hartmannshenns „Siegfried“ als spannendes Unterfangen. Möglicherweise hat die Besucherin weiter ein Unbehagen gegen das Grundkonzept, einen gemischten Ring bewusst vier Frauen inszenieren zu lassen, während sonst unbewusst vier Männer engagiert werden – und dem „Normalen“ also das „andere Geschlecht“ gegenüberzustellen und Frauen als Frauen einzusetzen, während Männer unbestaunt als Individuen Dings und Bums tätig werden. Andererseits ist es nicht der Fehler des Chemnitzer Hauses, dass das Theater nicht die Beste aller möglichen Welten ist. Und es gibt Grund, neugierig zu sein. Siegfried, Wagners heikelster Held.
„Siegfried“ ist lang und neigt zum Disparaten. Vor dem lachenden Tod im tristanischen Liebesduett soll eventuell auch das Publikum lächeln über Siegfrieds kernige Späße und Mimes glücklose Schurkereien, aber das Publikum kann darüber ebenso gut in Verlegenheit geraten. Nicht nur, weil der wohlgestaltete junge Mann intellektuell untere Schublade ist. Er muss außerdem auch singen wie ein Gott, dabei aber Actionszenen absolvieren, mehrere Morde begehen und herumpöbeln. Seiner handwerklichen ad-hoc-Glanzleistung steht Sachbeschädigung gegenüber. So dauert es, wie gesagt, eine Weile, bis er den Fels erklimmt und feststellt, dass die ihm bereits mehrfach angekündigte Frau tatsächlich eine Frau ist. Damit hat er nicht gerechnet, das wirft ihn um.
Vielfältig die Versuche, dem Szenischen durch Abstraktionen beizukommen. Bemerkenswert, wie unmittelbar Hartmannshenn in den Kern des Geschehens vorstößt und ihn unverdrossen bebildert, ohne dass man sich zu sehr genieren müsste. Eigentlich geniert man sich gar nicht. Eigentlich erlebt man mit, wie „Siegfried“ als romantische Oper funktionieren kann, wozu in Chemnitz die Robert-Schumann-Philharmonie beträchtlich beiträgt.
Dirigiert von Felix Bender, entwickelt sie einen empfindsamen, detailreichen, dabei üppigen Gesamtklang, eine nicht schüchtern vorgetragene Wohltat für die Sänger, die sich – phänomenal schon in den ersten beiden Teilen – fast durchweg glänzend präsentieren können. Lieb ist das jedoch nie, sondern nicht nur durch die fulminante Tuba pechschwarz grundiert. Auch die Regisseurin verharmlost nichts, gerade weil sie direkt erzählt und eben auch zu Ende erzählt. Diese Männer sind Mörder, erzählt sie. Frauen haben unter Umständen eine zivilisierende Wirkung, erzählt sie.
Vor dem ersten Ton sieht man bereits, dass Mime Sieglinde umgebracht, ihr das Kind Siegfried aus dem lebendigen Leib geschnitten hat (hui, wie besonders scharf und böse klingt es darum nachher, wenn der prächtige Arnold Bezuyen dem Waisen seine Version der Geschichte erzählt). Siegfried selbst ist kein Bärenzähmer, sondern ein Bärentöter. Riesig dazu die Bärenpuppe zwischen den waldartig angeordneten rechteckigen Säulen des schlichten, etwas engen, aber gut zu benutzenden Bühnenbildes von Lukas Kretschmer. Wanderer Wotan, der indianisierend ausgestattete, markant singende Ralf Lukas, wird sich später nicht damit begnügen, das goldige Waldvögelein, Guibee Yang, von seinen Raben jagen zu lassen. Er selbst erwürgt es beiläufig. Jene irritierende Einigkeit unter Schurken verbindet Wotan und Mime in der (nicht zuletzt dank eines Tischlein-deck-Dichs von oben) großartig gespielten Wissenswette und ebenso Wotan und Alberich, den Stimmriesen Bjørn Waag. Letzterer vergewaltigt im Vorübergehen eine Statistin und hat seinen Sohn Hagen dabei, der als Kind sehen und hören kann und soll, was ihm in der „Götterdämmerung“ noch nutzen wird (keine neue Idee, aber immer wieder schön).
Hartmannshenn greift vor und auch zurück, überhaupt tummeln sich im Säulenwald mehr Figuren als vorgesehen. Teils ist das sinnig, teils wirkt es, was die Statistenschar betrifft, optisch etwas ungeschickt. Das könnte auch an den irgendwie beliebigen Kapuzenpullis der sonst klassischen und bekömmlichen Kostüme von Susana Mendoza liegen. Dass der schmucke Siegfried partout sein Jäckchen überm Bäuchlein nicht zuknöpfen mag, ändert sich erst, als er die feenhaft gekleidete Brünnhilde kennenlernt. Auch Wotan wird zivil, wenn er sich zu Erda gesellt, der breit und warm aussingenden Altistin Simone Schröder. Sie wird übrigens lapidar abgehen, als sie begreift, wie Wotan die gemeinsame Tochter behandelt hat. Recht hat sie.
In der Chemnitzer Akustik, von diesem hypersensiblen Orchester getragen entwickelt sich geradezu ein Sängerfest, angeführt vom Titelhelden Daniel Kirch, der einen sympathischen Simpel zeigt und ein grandios kraftvolles, dabei mit zarten Tönen versehenes, schier unerschöpfliches Rollendebüt bietet. Überraschend und gewagt allein der Einsatz von Christiane Kohl als Brünnhilde, der alles Hochdramatische stimmlich (bisher) abgeht. Als Sieglinde bezauberte noch die Jugendlichkeit ihres Soprans, jetzt aber wünscht man sich, wer hätte das gedacht, alte Schlachtrösser herbei.
Judith von Sternburg | 24.10.2018
„Männertaten umdämmern mir den Mut.“ – „Siegfried“ in Chemnitz
Nur noch fünfeinhalb Wochen sind es bis zur Premiere von „Götterdämmerung“, mit der sich Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an der Oper Chemnitz zum 875-Jahre-Stadtjubiläum rundet. Vier Regisseurinnen widmen sich den vier Werken. Auf das Lauf- und Versandhaus Nibelheim im „Rheingold“ und eine „Walküre“ ohne Schwert und Speer zeigt Sabine Hartmannshenn in „Siegfried“ jetzt Extrembrutalitäten gegen Frauen: Intelligenter Feinschliff und flaches Fresko im ständigen Wechsel, auch musikalisch.
Von den tiefgrünen Stämmen hinter der nicht vorhandenen Schmiede lasse man sich nicht täuschen. Diese viereckigen Säulen werden nach hinten immer undurchdringlicher: Wald als Ort der Bewährung, von Initiationsriten, von Kämpfen mit sich selbst und dem Sein ist hier der Schauplatz von Richard Wagners „Siegfried“. Dieses immer arg düstere Raumgebilde belebt Lukas Kretschmer in bemerkenswerter Personalunion von Bühnenbild und Choreographie durch eine Gruppe stummer Mitakteure unter Kapuzenmänteln. Später sind sie der Schweif des Drachen Fafner, der hier einen Nibelungenhort aus Goldmasken, mit denen sich alle Wesen tarnen, hütet. Diese Schar steht starr und stramm, wenn sich der „hehrste Held der Welt“ an die symbolisch nackte Brünnhilde heranmacht wie ein Lausbub an die Kirschen in Nachbars Garten.
Immer wieder zeigt die Regisseurin Sabine Hartmannshenn mit Lukas Kretschmer pantomimisch das Handicap von Wotans in „Die Walküre“ gefasstem großen Plan, dieser hier schreiend zugespitzten Lieblosigkeit ohne Triebverzicht. Das ideale Paar eine schöne Illusion: Deshalb wird zum emotionalen Höhepunkt, wenn sich Brünnhilde unter Aufbietung aller psychischen Energien vormacht, dass der so erfrischend naive und dabei dreiste Jungspund Siegfried ein nur gutgemeintes Göttergeschenk ist. Diese Szene treibt vor „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ aus einer glutvollen Erregungskurve in die befeuerte Endspurtphase.
Poetisch Bezwingendes wie die letzte Begegnung des Göttervaters mit der Weisen Erda (und Simone Schröders vital-dramatischem Mezzosopran) steht neben einem zu wenig durchdachten Umgang mit dem Bühnenraum. Einige offene Verwandlungen wirken wie Notlösungen und zwangen offenbar zu Brüchen, etwa wenn der von Wotan abgemurkste Waldvogel schleunigst von der Bildfläche muss. Sabine Hartmannshenn will sehr, sehr viel: Sie macht die Persönlichkeitsentwicklung des elternlosen und seine Identität suchenden jungen Siegfried vom Einzel- zum Musterfall. Gleichzeitig bringt sie, wie bei der großen Feuerzauber-Reminiszenz am Walkürenfelsen, zu der Wotan Brünnhilde hier nochmals in Schlaf versenkt, in starken Ergänzungen zu Wagners sinfonischen Entwicklungen Einst, Jetzt und Dereinst zum Verfließen. Stellenweise mit Poesie, die sie allerdings mit extremen Gewaltattacken gegen Frauen überformt.
Schon im stummen Prolog rammt der Schmied Mime Sieglinde den Hirschfänger in den hochschwangeren Leib, auf den gequälten Schrei des Säuglings Siegfried erklingen die ersten tiefen Streichertöne. Der Wut-Zwerg Alberich zeigt später seinem kleinen Sohn die Gräueltaten der Gegner. Natürlich ohne sachliche Zusammenhänge und so nährt er im Nachkommen abgrundtiefen Hass. Ist es Hagens Mutter Grimhild, die Alberich erst an einem Baum penetriert und die der kleine Hagen dann mit Fußtritten zermatscht? Solche Reizmomente unterbrechen Dialogszenen. Siegfried mümmelt zwischen den Pranken des von ihm erlegten Riesenbären und bei der Wissenswette zieht Mime ein Netz aus magischen Fäden um sich. Wotan zwingt diesen Gegner am Tischlein-deck-dich mit Kandelaber und prallen Prachtschinken darnieder.
Susana Mendoza uniformiert die omnipräsente Riege alter Männer als tätowierte Schamanen mit Wallehaaren und Tätowierungen – oder Nerds aus der Arbeitswelt: Beim Wanderer und Fafner grüßt Tolkien, bei Alberich und Mime grüßt Brecht. Dieser „Siegfried“ spart in der Düsternis nicht an Kontrasten: Spröder Gedankenreichtum und aufgeputschter Aktionismus wechseln.
Felix Bender, der in diesen Wochen seine neuen Aufgaben als ständiger Gastdirigent der Oper Leipzig beginnt, und die Robert-Schumann-Philharmonie besinnen sich trotzdem wie schon in „Die Walküre“ auf ihr Gütesiegel: einen dramatisch affinen und dabei sinnig-schönen Wagner-Klang, der in der Mitte des Abends auch zu Sattmachern greift. Denn das so sicher nicht geplante vokale Kräftemessen setzt sich im Graben fort, wird von dort leider nicht gebremst. Sportliche Dynamik zeigen Arnold Bezuyen (Mime) mit Intensität und Ralf Lukas (Wanderer) mit Schönklang. Das ist bei der Transparenz der Robert-Schumann-Philharmonie und dem von beiden Sängern oft bewiesenen Differenzierungsvermögen allerdings unverständlich. Diesen Leistungspaketen eifert der Rollen-Frischling Daniel Kirch als Siegfried mit spendablem Frohsinn und Freude an Wagners unendlicher Melodie nach. Daniel Kirch muss sich weder vor Erschöpfung noch vor Verausgabung fürchten. Mit immer geschmeidiger und nicht versiegender Stimmpotenz durchmisst er diese Riesenpartie. Wie sich Wagner die Synthese von Wort und Ton eigentlich vorstellte, hört man an diesem Abend deshalb vor allem von den Episoden-Partien: Björn Waag ist ein eiskalter Alberich, Avtandil Kaspeli der bewegend sterbende Fafner und Guibee Yang ein Waldvogel mit Federboa und Liebreiz, der mit Siegfried ein zauberhaftes Paar abgeben würde wie Papagena mit Papageno.
Starker Applaus, Begeisterung und der hohe Anteil angereister Besucher bestätigen die Anziehungskraft dieses „Rings“ in den Inszenierungen von vier Regisseurinnen, denen das Fürchten vor den inneren Widersprüchen in Wagners Tetralogie fremd ist. Das ist spannender und sinnvoller als ein vor Ehrfurcht starrer Blick.
Roland H. Dippel | 24.10.2018
Schwerter zu Vorhängen
Nach verheißungsvollem „Rheingold“ enttäuscht die Fortsetzung „Walküre“ mit allzu viel Statik und Gestenkonvention
Man kann es auch übertreiben mit der Abrüstung. Wenn Wotan und seine kampfeslustigen Töchter ohne Waffen aufkreuzen, dann haben die immerhin noch die göttliche Herkunft auf ihrer Seite. Bei Wotan reicht ein wütendes „Geh!“ – und ein Mannsbild wie Hunding kippt aus den Latschen. Aber wenn die eigentlich von Wotan für seinen Sohn in Hundings Hausbaum (für den Notfall) deponierte Wunderwaffe per Dramaturgen-Fingerschnips verschwindet, dann hat Siegmund nicht nur keine Überlebens-Chance (hätte er auch mit Waffe nicht), sonders es fehlen auch die für den nächsten Teil unerlässlichen Schwert-Trümmer. Wenn Wotan ohne seinen Speer auf Wanderschaft geht, dann fehlt der Szene, in der er seinem Enkel Siegfried das einzige Mal begegnen wird, das Werkzeug ihrer Kommunikation.
Eine Enttäuschung in Sachen Personenregie
Sicher, man kann das Schwert als ein Hilfs-Versprechen Wotans nehmen, das er dann nicht hält oder halten kann. Aber weglassen kann man diese tragenden Symbole halt nur, wenn man die Geschichte nicht weitererzählen muss. Die niederländische Regisseurin Monique Wagemakers und ihr Team (Bühne: Claudia Weinhart, Kostüme: Erika Landertinger) schließen (nicht) an den „Rheingold“-Wurf von Verena Stoiber und Ausstatterin Sophia Schneider an. Auf Feinheiten kommt es hier nicht an. Was hier unter der monströsen Gewölbekonstruktion unter 13 Pfeilern passiert, ist vor allem in Sachen Personenregie eine Enttäuschung. Das Spiel mit dem Vorhangschleier, der sich immer wieder bedeutungsschwanger öffnet und schließt und zum Davor-, Dahinter- oder Hindurchsingen herhalten muss, ändert nichts an der zelebrierten Statik, Rampe und Gestenkonvention.
Der erste Aufzug, in dem das Wälsungenblut aufblühen soll, und der sich eigentlich wie von selbst spielt, leidet darunter besonders. Zumal er auch musikalisch kaum Profil gewinnt. Die Sturmmusik hebt bei Felix Bender noch verheißungsvoll an, doch dann verkühlen sich die Zwillinge nicht nur im übertragenen Sinne, weil sie sich in der riesigen Halle geradezu verlieren. Daran ändert auch der martialische Aufzug des Hausherrn Hunding (mit solider Wucht: Magnus Piontek) mit freier Brust unterm Pelz nichts. Felix Bender enthält ihnen die Beglaubigung der Leidenschaft im Graben weitgehend vor, bleibt zu kleinteilig und vorsichtig. Hinzu kommt, dass Zoltán Nyári als Siegmund und Christiane Kohl als Sieglinde ein Geschwisterpaar mit mäßiger (im Falle Sieglinde hausbackener) Ausstrahlung sind. Beide kalkulieren obendrein allzu spürbar mit ihren vokalen Mitteln.
Die vokale Showeinlage der Wälse-Rufe lässt sich der lyrisch hell timbrierte Ungar natürlich ebenso wenig entgehen, wie sie eine fulminante Steigerung bei ihrem Abschied von Brünnhilde. Im Finale des ersten Aufzugs versteht man schon, dass die beim anbrechenden Wonnemond auftauchenden Kinder-Double der Wotansprößlinge dem Kindheitstrauma dieses verlorenen Paares nachspüren sollen. Die Zweifel am Gelingen dieser szenischen Verdeutlichung mit den Videogesichtern im Hintergrund und den Kindern freilich, die weichen (anders als die Winterstürme) nicht! Dazu kommen Nebensächlichkeiten wie der betont abgewandte Blick Sieglindes, wenn sie von Siegmunds Adern Geäst singt. Kurzum: der erste Aufzug dieser „Walküre“ ist szenisch missglückt und musikalisch zu schaumgebremst.
Zum Glück ändern sich wenigstens das vokale und darstellerische Format und auch die musikalische Gangart nach der ersten Pause. Was zunächst am Charisma von Aris Argiris als höchst vitalem Wotan und der schon im „Rheingold“ bewährten Fricka von Monika Bohinec liegt. Vor allem aber an Dara Hobbs, die vom Scheitel bis zur Sohle, vom ersten Hjotoho bis zum langen Abschied von ihrem Vater, eine echte Brünnhilden-Entdeckung ist. Da kommt dann auch im Graben bei der Robert-Schumann-Philharmonie dramatische Leidenschaft auf – bei der Todesverkündigung auch das berührende Innehalten. Hier liefert das Gewölbe einen etwas glaubwürdigeren Rahmen für das Geschehen. Auch wenn es seltsam bleibt, mitzuerleben, wie ein unbewaffneter Siegmund von Hundings Schwert durchbohrt wird, und Wotan und Brünnhilde wie erstarrt zusehen.
Wenn der dritte Aufzug mit dem (von Bender maßvoll entfesselten) Hit der Oper beginnt, versammeln sich die Walküren mit ihren eher wie Busen- denn wie Brustpanzer angelegten Oberteilen und ihren transparenten Röcken über den Stiefelhosen wie zur Selbsthilfegruppe zum Gesprächskreis. Zum „Schwerter zu Vorhängen“ kommt hier noch ein „Speere zu Stühlen“. Erhebliche vokale Power und obendrein Wortverständlichkeit bieten die Damen aber allesamt auf. Dass es hier keinen Feuerzauber sondern nur ein Vorhang-Wallen zum Schluss gibt, überrascht keinen mehr.
Wotan begegnet auf seinem Weg in die Weite des Bühnenraums einem Jung-Siegfried und streicht ihm mit der Hand über den Kopf. Nimmt man die „Walküre“ als Ringteil für sich, ist das sogar logisch. Das Premierenpublikum ermutigte die Sänger und sein fabelhaftes Orchester und den Dirigenten gleichermaßen. Bender tritt auch im „Siegfried“ wieder an. Beim dann dritten Regieteam heißt es wieder: Alles auf Anfang.
Joachim Lange | 27. März 2018
Bärentöters Furcht vor einer Frau
Das gab es noch an keinem deutschen Bühnenhaus: Richard Wagners vierteiliges Musikdrama „Der Ring des Nibelungen“ wird von vier Regisseurinnen in Szene gesetzt. Das ermöglicht eine spezifisch weibliche Sicht. Bei all dem Männerwahn um Macht und Mord keine schlechte Idee. Die Oper Chemnitz hat das Wagnis gepackt. Am Wochenende stand nach „Rheingold“ und „Walküre“ mit „Siegfried“ der dritte Streich auf dem Programm. Im Grunde eine glatte Männer-Chose. Die Frauen kommen erst im dritten und letzten Akt zum Zuge.
Regisseurin Sabine Hartmannshenn, international erprobt, macht aus der Not eine Tugend. Sie offeriert ihren kritischen, spöttischen und entlarvenden Blick auf das vermeintlich starke Geschlecht. Der erste Akt gerät zur reinsten Komödie. Jung-Siegfried, strotzend vor Kraft und Übermut, hat einen riesigen Bären erlegt, wirft ihm seinen Ziehvater Mime vor die Füße. Er beschimpft ihn als Stümper und Zwerg, weil der nicht imstande ist, ihm ein ordentliches Schwert zu schmieden. Dann betritt Göttervater Wotan, getarnt als Wanderer, die Bühne. Zerhaut den mühsam von Mime um seine Hütte gebastelten Schutzzaun mit einem einzigen Speerhieb. Köstlich, wie er und Mime in Günther Jauchs Manier um die Wette quizzen. Jeder fühlt sich in Dünkel und Besserwisserei dem anderen überlegen.
Im zweiten Akt werden die Männer in ihrer Brutalität, Triebhaftigkeit und Machtlust gezeigt. In schwere, militärische Mäntel von Kostümbildnerin Susana Mendoza gehüllt, zeigen sie stolzgeschwellt die kriegsbemalte nackte Brust vor. Wotan trägt den Hut tief ins Gesicht gezogen wie Udo Lindenberg. Der Riese Fafner hat die Gestalt eines Drachen angenommen und hütet den Nibelungenschatz in seiner Höhle. Mimes Bruder Alberich schnappt sich eine junge Frau, vergewaltigt sie und wirft sie wie ein Stück Dreck weg. Dann beginnt das Schlachten: Erst bezwingt Siegfried, der keine Furcht kennt, den Drachen. Anschließend meuchelt er Mime, der ihn mit einem Gifttrunk töten wollte. Das Waldvögelein öffnet dem Drachtentöter die Augen und weist ihm den Weg zu Brünnhilde, dem „herrlichsten Weib“.
Der dritte und intimste Akt, von Wagner nach zwölfjähriger Pause komponiert und von „Tristan und Isolde“ beeinflusst, wird für den Naturburschen Siegfried zum Akt der Befreiung, der Übergang zum Menschsein. Die Begegnung mit Brünnhilde, die er aus tiefem Schlaf mit einem scheuen Kuss erweckt, erschüttert und verwandelt ihn. Wunderbar zeigt der grandiose Heldentenor Daniel Kirch mit seinem Spiel, welche Angst ihn befällt, als er zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau erkennt. Unbeholfen, die Hosenträger lockernd, will er sich, überwältigt von Gefühl und Gier, auf Brünnhilde stürzen. Nicht so stürmisch, mein Freund, wehrt sie ab, ergreift selbst die Initiative. Das passt ins Regiekonzept.
Gespielt wird auf der naturhaft ausgestatteten Bühne von Lukas Kretschmer. Hohe, eckige, grün getünchte Säulen täuschen einen dunklen Wald vor, der hin und wieder rötlich eingefärbt wird, Schmiede, Gefahr und Töten assoziierend. Erst im Schlussduett verschwindet der Zauber, die Bühne gehört allein dem Liebespaar.
Starke Gesangsleistungen
Zunächst irritierend wirkt die Vielzahl von Komparsen, die als geknebelte Menge das erwachende Volk verkörpern. Grau gekleidet und mit Kapuzen vermummt, greifen sie in die Handlung ein. Tragen Goldmasken, stellen so den eigentlichen Schatz dar. Als Fackelträger einer humaneren Zukunft helfen sie Siegfried, Brünnhilde aus ihrem Feuerbann zu erlösen.
Musikalisch lässt der gut fünfstündige und doch sehr spannungsvolle Abend kaum Wünsche offen. Dirigent Felix Bender bringt mit der auch solistisch überzeugenden Robert-Schumann-Philharmonie Wagners Waldbeben zum romantischen Klingen, betont neben den burlesken Tönen die Tragik und Dramatik des Werkes. Durchweg stark die Gesangsleistungen. Fabelhaft in Stimme und Spiel der vielschichtige niederländische Tenor Arnold Bezuyen, sein Mime wurde zu Recht bejubelt. Das gilt in gleichem Maße für Daniel Kirchs Interpretation des naiven Helden Siegfried. Unglaublich, wie er diese Mordspartie stimmlich bis zum Schluss durchsteht. Der Wanderer von Ralf Lukas drehte im dritten Akt noch mal voll auf. Die Damen hatten weniger zu singen, aber viel zu sagen, das gilt für Simone Schröders Erda wie für Christiane Kohls Brünnhilde.
Unverständlich einige Buhs für das Regieteam. Sollten sich manche Herren durch den überzeugenden weiblichen Blick auf den Schlips getreten fühlen?
Rainer Kasselt | 02.10.2018