Siegfried

Erik Nielsen
Orchester der Tiroler Festspiele Erl
Date/Location
8 July 2024
Passionsspielhaus Erl
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegfriedVincent Wolfsteiner
MimePeter Marsh
WotanSimon Bailey
AlberichThomas de Vries
FafnerAnthony Robin Schneider
ErdaZanda Švēde
BrünnhildeChristiane Libor
WaldvogelIlia Staple
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Reviews
deropernfreund.de

„Auf ein Glas Schampus mit Erda“ könnte diese Besprechung auch überschrieben sein, denn das bezöge sich auf einen der wunderbaren Einfälle des Siegfried als dritter Ring-Abend am 8. Juli 2024 im Festspielhaus Erl, der – das darf bereits zu Beginn gesagt werden – eine Steigerung der beiden großartigen vorigen Teile darstellte.

Man hat ja schon den einen oder anderen Siegfried erlebt, aber so kurzweilig, ideenreich und vor allem im ersten Aufzug wirklich witzig wie in der Inszenierung von Brigitte Fassbaender mit ihrer einfühlsamen und aufmerksamen Personenregie und Liebe zum Libretto, vor allem zur Kongruenz von Wort, Ton und Tun, dürfte dieser Teil der Tetralogie selten aufgeführt worden sein.

Mit einem schwer erziehbaren Kind kommt man ja mitunter an seine pädagogischen Grenzen: Schon der dem Laufstall entwachsene Bub entwindet Mime das Holzschwert und wenn der großgewordene Rabauke aus dem Wald kommt, bringt er schon mal einen Bären mit – hier genügt, entsprechend den anderen Tiersymbolen in der Produktion, eine Maske, um den garstigen Schmied gehörig zu erschrecken.

Wenn aber der Pflegevater dem Nibelungen-Prekariat entstammt, durch die vorgeblich liebevolle Erziehung nur ganz groß abkassieren und den Zögling sogar ermorden will, dann ist es Zeit für das Eingreifen eines göttlichen Jugendamtes. Das muß aber in diesem Falle dem Sproß nur auf die eigenen Beine helfen, um sich vom bewußt kenntnislos gehaltenen Naivling zum Helden zu entwickeln und so leitet der Wanderer Wotan eine Entwicklung ein, an deren Ende seine eigene Entmachtung steht.

Zu der braucht er jemanden, der keine Furcht kennt und sich über bisherige Gesetze anarchistisch hinwegsetzt. „Wie ist´s mit dem Fürchten?“, fragt einer, der tatsächlich erst mit dem Entdecken des anderen Geschlechts an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit kommt.

Vincent Wolfsteiner ist ein Siegfried, der bubenhaft polternd durch Welt und Schmiede stapft, sein markiger Tenor hat die nötige Stimmkraft, um die Heldenfigur glaubhaft zu vermitteln. Daß er auch zu zarten Tönen in der Lage ist, wird er am Schluß beweisen.

Ziehvater Mime ist Peter Marsh und seine Gestaltung der Rolle bringt doppelten Spaß: Er quetscht, näselt und falsettiert, um diesem Part höchsten Facettenreichtum zu verleihen – immer wieder köstlich imitiert von Siegfried. Seine Bewegungen entsprechen dem Gesang, der zuweilen ins Parlando fällt; mit größter Agilität schleicht er, tänzelt und schwingt sich am Ende sogar an der Kette, die den Gußtiegel über dem Feuer hält, durch die ganze Werkstatt.

Eine der gelungensten Szenen, in denen sich Handlung, Wort und Klang zweifach verbinden, ist das Schmieden des Schwerts, wo zu den Takten von Siegfrieds Hammer im Hintergrund Mime mit dem Hackmesser das Gemüse für den Gifttrank häckselt. Ja, es wird hier tatsächlich geschmiedet, und sogar in doppelter Weise: Auf der Bühne von Kaspar Glarner entsteht durch technisch gekonnt gestaltete Requisiten aus gelber Glut mit wuchtigen Schlägen ein starkes Schwert, das schließlich auch den Amboß zerteilt. Gelangt man nach den begeisterten Bravo-Rufen dann in die Pause, trifft auf dem Vorplatz des Passionsspielhauses dort der Hammer von Hans Neuschmied den glühenden Stahl. Der Mann heißt tatsächlich so; er ist Schmied in neunter Generation und seit Jahrhunderten fügt seine Familie das spröde Erz zu kunstvollem Zierrat. Man erfährt von ihm, daß ein gutes Schwert eine Woche Arbeit bedeutet, aber so viel Zeit hat nicht mal eine Wagner-Oper.

Viel Zeit wendet auch Alberich auf, der in einem schäbigen Unterstand aus Plastikfolie darauf wartet, endlich wieder an „seinen“ Schatz zu kommen; mit Energy-Drinks und Butterkeksen hält er sich am trostlosen Leben, das vor allem die Gier nährt. Thomas De Vries ist kein lächerlicher Zwerg, sondern ein gefährlicher Gegner, was seine Stimmfülle machtvoll und kernig verdeutlicht.

Gefahrvoll den Drachen zu bilden, das ist eine große Aufgabe in jedem Siegfried. Hier gelingt es durch eine der einfallsreichen Video-Einblendungen von Bibi Abel, die auf den ganzen Bühnenhintergrund einen massigen Reptilienrücken projiziert hat, der sich beim Erheben der Stimme des Riesenwurms unheilverkündend bewegt; die ganze Szenerie wird ein weiteres Mal durch die Lichttechnik von Jan Hartmann belebt. Das Untier selbst ist ein waffenstarrender Höllen-Samurai mit zwei unangenehm blendenden Scheinwerfern auf der Brünne; auch die Kostüme stammen von Kaspar Glarner.

Anthony Robin Schneider als Fafner läßt seinen mächtigen Baß drohend rollen, was jeden zittern macht – außer den jungen Herausforderer. Wie Kapitalbesitz und Kriegsmaschinerie sich aufs Gräßlichste ergänzen, zeigt diese Allegorie der Unmenschlichkeit, gegen die nur furchtlose Aufrichtigkeit wirkt.

Fast einträchtig liegen sie schließlich nebeneinander, der Bezwinger und der tödlich Getroffene. Und ein zweites Mal schneidet Siegfrieds Schwert, um Trug und Lüge Mimes zu enden. Das Waldvögelein wies ihm den Weg zu all seinem Tun; hier ist es ein Mädchen mit knallrotem Haar und bunten Kleidern, das auch einen Gefährten mit grünen Haaren und rosa Anzug hat. Beim übermütigen Tanzen stören allerdings etwas die von dessen Schuhen verursachten Quietschgeräusche. Ilia Staple erzeigt sich als talentierte Kunstpfeiferin und beherrscht Vogel- wie Menschensprache.

Doch was war jetzt mit dem Schampus? Den schenkt der Göttervater sich selbst und Erda erstmal ein, bevor er sie, die mit Schlafmaske in einem würdigen Bett mit Seidenzeug ruht, weckt – die Stimmung könnte ja kippen. Simon Bailey beweist auch an diesem Abend das ganze Spektrum seiner Sanges- und Darstellungskunst, von machtvoll-würdig bis zärtlich-liebevoll. Wie ein altes Ehepaar, das weiß, was es verbindet, pflegen die beiden ein zugewandtes Miteinander, sie kosen sich mit den Händen und es gibt sanfte, innige Küsse. Geküßt wird ohnehin viel in diesem „Ring“, Beziehungen werden auch durch diese zärtlichen bis leidenschaftlichen Begegnungen mit Hingabe und Klarheit deutlich.

Zanda Švēde als sehr weibliche Erda erinnert in der noblen Aufmachung ein bißchen an Renée Fleming; sie ist dem Wanderer gesanglich ebenbürtig und so formt sie mit mütterlich-sanfter, aber dann auch energischer Stimme das Bild einer Ur-Wala, die letztendlich von Wotan ausgebremst wird.

Der trifft dann auf den, der seine Macht verlacht; allerdings ist auch die Großvater-Enkel-Szene vielschichtig und voller Verweise. Allein der Moment, als sich die Zeigefinger der beiden berühren, erweist die Intelligenz der Produktion. Natürlich wird hier die Erschaffung Adams aus Michelangelos Gemälde in der Sixtinischen Kapelle zitiert, aber die Geschichte geht ja weiter. Wotan hat einen Helden erzeugt, der ihn, den Gott abschafft. „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“, so Nietzsche und damit ist der philosophische Kreis geschlossen und die Brücke von der nebeldurchwaberten Mythologie zur abgeklärten Moderne gebaut.

Doch nun gilt es, das Fürchten zu lernen und das geschieht dem Helden auf dem harten Felsen mit minniglicher Maid. Einer der vielen sensibel-genialen Einfälle ist, daß Siegfried sich erstmal nicht traut, die Göttertochter auf den Mund zu küssen – nein, er küßt ihre Füße und erweckt sie dadurch. Christiane Libor als Brünnhilde ist an diesem Abend deutlich besser in Form als zwei Tage zuvor, kraftvoll singt sie die bei ihr ohnehin starken Höhen und auch gestisch-mimisch läßt sie in ihr Innenleben blicken, mit all der Zerrissenheit, Angst, Hoffnung und Liebe.

Das Orchester der Tiroler Festspiele Erl unter dem Dirigat von Erik Nielsen erglänzt in wuchtiger Fülle. Die Harfen sind ohnehin die ganze Zeit hindurch zauberhaft und entlassen tönende Perlenschnüre in den Saal, aber auch das gesamte Orchester, zumal im Blech, bringt vollen Wagnerklang.

Den echten Kuß gibt es erst beim letzten Ton, alles inhaltlich exakt auf den Punkt gebracht. Licht aus, Beifall an, jubelnd und langanhaltend. Einzigartig!

Andreas Ströbl | 9. Juli 2024

onlinemerker.com

SIEGFRIED – erfreut sich des Siegs!

Ich kann mich kaum – trotz unzähliger „Ring“-Erlebnisse – an eine von allen Sängern so problemlos perfekt gesungene und dargestellte „Siegfried“-Aufführung erinnern. Da muss ich schon an Karajans Wiener „Ringe“- – mit Hotter, Nilsson und Windgassen und Wieland Wagners ähnlich besetzte Bayreuther „Ringe“ denken. – Gründe? Das in der Wiener Staatsoper im Vordergrund befindliche Orchester sorgte stets für eine bezwingende musikalische Wiedergabe, der Bayreuther Orchestergraben unterhalb der Vorderbühne bot den Sängern fast immer eine feste Stütze, regte das Publikum aber wohl wenigr zu hintergründigem Sinnen an. Die großräumige, sich weit nach hinten erstreckende Bühne des Erler Passionsspielhauses lässt das umfangreiche Orchester, auf steil ansteigenden Stufen im dunklen Bühnenhintergrund platziert, zu geheimnisvoller Aussagekraft mutieren, die einen ständig zum Sinnen und möglichem Deuten hintergründiger Geschehnisse anregen.

So hatte bereits das „Rheingold“ begonnen – im Wasser und mit all den geheimnisvollen, aber auch amusanten Geschehnissen, wo aber auch alle Figuren bereits ihre persönlichen Eigenschaften zur Schau stellen durften. Und die großen Sängerpersönlichkeiten in der „Walküre“ ließen ja dann auch keine Wünsche offen. Die Theater- und Musik-erfahrene Regisseurin Brigitte Fassbaender sorgte im gesamten „Ring“ stets für Verständiches, ebenso wie für Überraschendes.

Dirigent Erik Nielsen ließ aus dem großartigen Orchester Ernst und Heiterkeit, Lebenslust und göttliche Ansprüche heraushören. Keinen Augenblick ließ die Spannung nach. Und gerade die Tatsache, dass man den Musikern im halbdunklen Bühnenhintergrund nicht beim Spielen zuzuschauen vermochte, ließ das gesamte Helden-und Götterdrama überdimensional erscheinen.

Einmal mehr ist Wagners Titelheld göttlichen Ursprungs. Doch der muss sich sein Dasein teuer erkaufen. Weder die Zwerge noch die Riesen sind ihm wohlwollend. Zwei Akte lang weiß er noch nicht so recht, was er will. Und selbst die kluge Erda verweist ihn letztlich auf die Nornen. Doch schließlich kommt dem wandernden Gott die Idee: „Dem ewig Jungen weicht in Wonne der Gott!“ Aber das dauert noch… Erst nachdem der „Ewig Junge“ seinen Speer zerschmettert hat, kann dieser Siegfried die ihm ebenbürtige Wotanstochter erwecken. Und so groß wird die Liebe der beiden, dass nur „leuchtende Liebe“ und „lachender Tod!“ die beiden standesgemäß zu vereinen vermag.

Realistisch denkend, können wir gar nicht erfassen, dass es so etwas geben kann und zwei Sänger diese Rollen bewältigen können. Wenn das erfolgreich geschehen ist, dann ist der Höhepunkt des „Ringes“ erreicht. Und er war es! Gesanglich, von orchestraler Seite und dank dem wunderbar ausgeleuchteten Bühnenbild mit dem gewaltigen Felsenrund auf höchster Höhe.

Das 160-seitige Programmheft umfasst neben den Namen aller Mitwirkenden und kurzen Lebensläufen neben Zitaten von Richard Wagner kluge Sätze und Abhandlungen von Dichtern, Philosophen, Musikern und fürstlichen Förderern des Dichterkomponisten, bei deren Lektüre ich wähnte, Neues erfahren zu haben…Ebenso wie bei der Aufführung.

Im ersten Bühnenbild wird klein Siegfried als Knäblein im Gitterbett gezeigt, vermag aber schon zu zerstören, was sein Ziehvater ihm auferlegen möchte. Nachdem er dann die Treppen hochgelaufen ist, kommt er als der tenorale Held wieder herunter und bleibt ab nun im Kampf mit Mime. Ich habe Vincent Wolfsteiner bereits bei seinem Nürnberger Siegfried-Debut gehört und (etwas schlanker) gesehen und ihn für die Rolle sehr geeignet gefunden. Inzwischen hat sich die Stimme gefestigt und ist allen Anforderungen problemlos gewachsen. Und wie er alle Facetten des nicht durchwegs glücklichen „Helden“ auslebt, verdient alle Bewunderung. Man sieht und hört ihm stets an, dass er alles, was sich ihm anbietet, durchschaut. Er zeigt alle Emotionen, die Wagner seinem Helden auf den Lebensweg gegeben hat, vokal, mimisch und ganzkörperlich, wo nötig. Es gab keine Ermüdungserscheinungen, weder physisch noch vokal. Wie im Programmheft, verdient es auch Christiane Libor, als gleichwertige göttliche Primadonna genannt zu werden. In Spiel und Gesang ist sie die kluge ebenso wie emotional überzeugende Wotanstochter. Ihr sicher beherrschtes Stimmvolumen ist beeindruckend! Und nicht minder ist es Simon Bailey als wandernder Wotan, der ja, wie von Wagner recht intelligent gestaltet, nach der eigentlichen Abdankung des obersten Gottes, dort und da sich als Wissender aufspielt, sich aber auch dort wie da ein Quäntchen Humor nicht nehmen lässt. Der sehr schönen Stimme, eindeutig ein voluminöser Bariton, kann er sehr viel Aussagekraft abgewinnen. Er gehört bereits in die erste Reihe der Wagner-Götter.

Alberich – Thomas de Vries – eindeutig ein abstoßender Kerl mit schwarzem, verschmiertem Gesicht und dunklem Bassbariton eindringlichst argumentierend für den ihm zustehenden Goldbesitz. Und Peter Marsh als Mime – ständig unterwegs mit festem, sicher eingesetztem, wortdeutlichem Tenor und seine Argumente so richtig genießend… Fafner, der wilde Wurm, wie normalerweise alle hintergründigen Figuren im „Ring“, brauchte sich in Erl nicht in einer Ecke versteckt zu halten, sondern Anthony Robin Schneider hat offenbar seit langem sein Zuhause in einer grässlichen schwarz-silbernen Rüstung gefunden, die ihm Sicherheit zu gewähren schien. Doch sein kraftvoller Bass konnte nicht verhindern, dass der junge Siegfried mit Nothung „Neides Zoll“ zahlte und für den Riesen eine ganze Welt nebst ihm selber zusammenbrach.

Ein singendes und ein umhertanzendes Waldvöglein – Ilia Stapel /Chris Wang bezaubern Siegfried in der schönen Waldszene, wofür Wagner seine Naturbezogenheit wieder einmal ausleben konnte, ehe der Wanderer sich zu einer weiteren belkantesken Szene mit der hübschen und schönstimmigen Erda, Zanda Svede, wieder trifft, ist nicht minder beeindruckend!. Die beiden miteinander Wein trinken zu lassen, muss einem auch erst einfallen – wie es einmal mehr bei der Meisterregisseurin der Fall war. Und dass Brigitte Fassbaender die Brünnhilde nicht auf einem fernen Fels, sondern ziemlich weit vorne an der Rampe zuerst schlafen und nun erwachen lässt, nachdem Siegfried ihr die Füße geküßt hat. Christiane Libor, ebenso groß und kräftig gebaut, wie sie ihre Stimme problemlos in allen Lagen und dem Wissen, was sie singt, zum Einsatz bringt, singt und spielt sich auch Vincent Wolfsteiner klug, einfallsreich und souverän singend in Siegfrieds großes Lebensglück hinein!

Einmal mehr bejubelt das den Saal voll füllende, begeisterte Publikum im Tiroler Dörfchen Erl alle Mitwirkenden. Viel zu kurz zeigt sich Maestro Erik Nielsen, vom Orchester sieht man auch jetzt nicht viel, und die bescheidene Regisseurin zeigt sich gar nicht…

Sieglinde Pfabigan | 10.07.2024

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
128 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 162 MiB (MP3)
Last scene of act 3 (Siegfried/Brünnhilde) is missing.
Remarks
In-house recording
A production by Brigitte Fassbaender (2023)
This recording is part of a complete Ring cycle.