Siegfried

Gianandrea Noseda
Philharmonia Zürich
Date/Location
26 March 2023
Oper Zürich
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegfriedKlaus Florian Vogt
MimeWolfgang Ablinger-Sperrhacke
WotanTomasz Konieczny
AlberichChristopher Purves
FafnerDavid Leigh
ErdaAnna Danik
BrünnhildeCamilla Nylund
WaldvogelRebeca Olvera
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Tagesanzeiger

Das Zürcher Opernhaus bebt

Der «Ring»-Zyklus an der Oper Zürich geht wuchtig weiter: In «Siegfried» loten Sänger und Orchester klangliche Extreme aus. Trotz vieler zauberhafter Momente bleibt eine verstörende Frage.

Andreas Homoki will mit einem Missverständnis aufräumen. Oder zumindest mit dem, was der Zürcher Opernintendant und Regisseur für ein Missverständnis hält: Siegfried, der Titelheld im dritten Teil von Richard Wagners «Ring»-Tetralogie, sei gar nicht der Grobian und Haudrauf, für den er gemeinhin gehalten werde.

«Natürlich gibt es gewaltige emotionale Ausbrüche, aber denen stehen mindestens ebenso viele, wenn nicht mehr Passagen von berührender Zartheit gegenüber», lässt Homoki im Programmheft wissen. Siegfried könne einem ans Herz wachsen. «Ja, ich mag ihn.»

Minimalistische Inszenierung
Ob der Regisseur auch das Publikum im Opernhaus Zürich davon überzeugen kann? Bei der Premiere am Sonntag herrscht zunächst Ernüchterung: Zu sehen ist die minimalistisch gestaltete, aus den früheren «Ring»-Teilen bekannte Drehbühne (Ausstattung: Christian Schmidt). Die Inszenierung kommt optisch derart zurückhaltend daher, dass man sich mitunter in einer konzertanten Aufführung, dann wieder in einem Kammerspiel wähnt. Es liegt an den Figuren, den dunklen Raum zu füllen. Singend, streitend, kämpfend, lachend. Die Dramaturgen Werner Hintze und Beate Breidenbach helfen dabei.

Man wird nicht enttäuscht. Allen voran der deutsche Tenor Klaus Florian Vogt in der Rolle des Siegfried verblüfft durch seine reiche Ausdruckspalette: Im intimen Wechsel mit seinem verlogenen Adoptivvater Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) lässt der Naturbursche Unsicherheiten erkennen, im Austausch mit einem Vöglein (Rebeca Olvera) den Hunger nach Liebe.

Der Tenor bewegt sich stimmlich bisweilen nah am Sprechgesang und scheut angesichts seiner angebeteten Brünnhilde nicht vor entrückten, feminin wirkenden Tönen zurück: «Im Schlaf liegt eine Frau», haucht er derart fein in den Raum, als träume er selbst.

Die Sopranistin Camilla Nylund reisst das Publikum in einem leidenschaftlichen Ritt zum finalen Höhepunkt.

Neben solch lyrischen Momenten nimmt man umso erstaunter die Kraft wahr, mit der Siegfried sein «neidliches Schwert» namens Notung schmiedet und es mit seinen Widersachern aufnimmt.

Leider hat ihm Ablinger-Sperrhacke als Mime punkto Klangvolumen nicht viel entgegenzusetzen. Tomasz Konieczny in der Rolle des Wanderers stellt sich dem «kühnen Spross» dafür mit raumfüllendem, vereinzelt forciertem Bassbariton in den Weg – und muss dem Emporkömmling doch weichen.

Nur Brünnhilde kann dem Helden, auf dem die Hoffnungen auf ein Ende der lügenhaften Götterordnung ruhen, das Fürchten lehren. Die finnische Sopranistin Camilla Nylund lässt in dieser Walkürenrolle das Herz Siegfrieds erglühen und reisst das Publikum in einem leidenschaftlichen Ritt zum finalen Höhepunkt: Siegfried und Brünnhilde, tollend im Bett, angefeuert von einer dröhnenden Kontrabasstuba im Orchestergraben. Das Opernhaus bebt.

Hat man als Zuschauer Siegfried nun lieb gewonnen? Die Regie lässt dem Helden viel Raum zur emotionalen Entfaltung, die Dialoge sprühen vor Witz und fördern das Verständnis für die Handlungsmotive.

Hinzu kommt die märchenhafte, verspielte Seite der Oper. Sie wird in Zürich verschiedentlich betont: Die Figuren kraxeln auf und zwischen überdimensionierten Möbelstücken, der Drache Fafner scheint einem Disney-Film entsprungen (wobei der optische Effekt auf Kosten der stimmlichen Wirkung des Basses David Leigh geht). Nicht zuletzt die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Gianandrea Noseda lotet die klanglichen Extreme von Wagners Musik genüsslich aus, inklusive meisterhaftem Hornsolo im zweiten Akt. Im Eifer des Gefechts nimmt man auch den einen oder anderen verwackelten Bläserakkord in Kauf.

Keine Gnade für Schwache
Selbst Siegfrieds böse Widersacher erscheinen in dieser Märchenoptik auf ihre Weise liebenswürdig. Man fragt sich dann umso mehr, warum der kauzige Mime und der drollige Drachen Siegfrieds Schwert zum Opfer fallen müssen. Nun, sie müssen; in Wagners Weltbild können schwache Figuren wie diese kaum je mit Gnade rechnen. Über diesen brutalen Umstand vermag auch die zauberhafte Zürcher Inszenierung nicht hinwegzutäuschen.

Gerechtigkeit verspricht der vierte und letzte Teil des «Ring des Nibelungen». Dann geht es der Walhalla-Götterbande an den Kragen.

Simon Bordier | 06.03.2023

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
923 kbit/s VBR, 48.0 kHz, 1.3 GByte (flac)
Remarks
In-house recording
A production by Andreas Homoki (2023)
This recording is part of a complete Ring cycle.