Siegfried
Pietari Inkinen | ||||||
Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Siegfried | Andreas Schager |
Mime | Arnold Bezuyen |
Wotan | Tomasz Konieczny |
Alberich | Ólafur Kjartan Sigurðarson | Fafner | Tobias Kehrer |
Erda | Okka von der Damerau |
Brünnhilde | Daniela Köhler |
Waldvogel | Alexandra Steiner |
Vielseitigkeit einer Krücke
Nachdem in Valentin Schwarz’ Inszenierung von Wagners Ring zwischen dem Rheingold und der Walküre gerade mal ein Tag vergangen ist, räumt er der Geschichte beim Übergang zum Siegfried dann doch mindestens zwei Jahrzehnte ein. Immerhin muss der am Ende der Walküre geborene Held ja erwachsen werden. Das ist aber auch nahezu alles, was mit dem Libretto übereinstimmt. Ansonsten geht Schwarz weiterhin sehr frei mit der Vorlage um, die er als “Familiendrama der Gegenwart” interpretiert, und versucht der Geschichte seine Deutung überzustülpen, was an einigen Stellen an seine Grenzen stößt. Mimes Höhle dabei in Hundings Haus zu verlegen, ist dabei noch ein kleineres Problem. Man fragt sich natürlich, wo Hunding abgeblieben ist, nachdem er ja in der Walküre am Ende des zweiten Aufzugs nicht getötet worden ist, und wieso er sein Heim dem Nibelungen überlassen hat. Aber vielleicht ist Siegfried ja wirklich sein Sohn. Immerhin war Sieglinde bereits zu Beginn der Walküre hochschwanger. Da ist es vielleicht konsequent, dass Siegfried in dieser Umgebung aufgewachsen ist.
Die Zerstörung der linken Wand durch den in der Walküre eingestürzten Baum ist mehr oder weniger notdürftig durch einen Holzverschlag repariert worden. Ansonsten hat Mime hier eine recht kinderfreundliche Umgebung mit zahlreichen Puppen und einem Kasperletheater in der rechten Seitenwand geschaffen. Im Hintergrund sieht man eine Zielscheibe, die wohl dazu dient, den jungen Siegfried auch kämpferisch auszubilden. In der oberen Etage hat Siegfried ein bunt ausgestattetes Kinderzimmer, so dass man das Gefühl hat, dass es dem Jungen hier an nichts fehlt. “Happy Birthday” hängt in großen Lettern über der Tür und deutet wie Mimes Zaubererkostüm an, dass Siegfried Geburtstag hat. Während der Schmiedeszene im musikalischen Vorspiel trifft Mime die letzten Vorbereitungen für die Feier. Geschmiedet wird da zwar nicht. Vielmehr scheint es der Kuchen zu sein, der dem Nibelungen nicht so recht gelingt. Wenn Siegfried auftritt, scheint er ziemlich alkoholisiert zu sein, was die erste Auseinandersetzung mit dem ungeliebten Ziehvater begründet. Immerhin bekommt er als Geschenk ein leuchtendes Spielzeugschwert, welches er jedoch mit unbändiger Kraft zerschlägt. Wieso Mime beim Auftritt Siegfrieds zur Krücke greift und einen greisen Alten mimt, erklärt sich genauso wenig wie der Treppenlift, der in die erste Etage führt und mit dem Siegfried stecken bleibt.
Wotan kommt als Wanderer mit zwei stummen Gefährten – sollen das seine beiden Raben sein? – zur Geburtstagsparty und hat ein riesiges Geschenk in einem schwarzen Karton mitgebracht. Darin befindet sich eine weitere Krücke. Man fragt sich natürlich, wieso der Wanderer Siegfried eine Gehhilfe zum Geburtstag schenkt. Aber diese Gehhilfe kann noch viel mehr. Als Siegfried mit Mime um diese Gehhilfe kämpft und den unteren Teil abreißt, hat er plötzlich ein Schwert, oder vielmehr einen langen Spieß, in der Hand. Das soll dann wohl Nothung sein. Geschmiedet werden muss hier jetzt folglich nichts mehr. Dass Siegfried dann doch im hinteren Zimmer etwas schweißt und die Funken sprühen, ist dabei schon nahezu anachronistisch. Immerhin besitzt es eine gewisse Komik, wenn Siegfried das Schwert zur Abkühlung in ein Aquarium hält, das heftig zu blubbern beginnt. Unnötig hingegen ist es, Siegfrieds erwachende Sexualität an einem riesigen zusammengeklebten Poster eines Pin-up Girls zu zeigen, das er sich anzüglich vor den Schritt hält. Dass Siegfried Mimes Kopf in die Mikrowelle steckt, hätte man ebenfalls nicht gebraucht, um zu verstehen, dass Siegfried Mime nicht leiden kann. Pietari Inkinen legt mit dem Festspielorchester den ersten Aufzug sehr rasant und dabei nicht gerade sängerfreundlich an. Andreas Schager kann in der Titelpartie mit kraftvollem Tenor zwar mithalten, muss aber gewaltig pressen, um gegen das Orchester anzukommen. Arnold Bezuyen zieht als Mime im Bezug auf die Textverständlichkeit dabei manchmal den Kürzeren und kommt auch nicht immer in der Schmiedeszene gegen das Orchester durch. Im Fragespiel mit dem Wanderer kann er sich stimmlich gut behaupten, und auch Tomasz Konieczny überzeugt als Wanderer mit voluminösem Bariton und guter Textverständlichkeit.
Der zweite Aufzug spielt dann in einem Krankenzimmer, das in der Struktur ein weiterer Raum des Göttersitzes sein könnte. Fafner ist hier kein träger Riesenwurm, der den Hort hütet, sondern ein sterbenskranker alter Mann, der in seinem Bett liegt und vom Waldvogel als Krankenschwester gepflegt wird. Auch das mittlerweile herangewachsene Kind aus dem Rheingold wacht an seinem Bett. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass es sich um den jungen Hagen handelt, der zwar nicht gerade liebevoll, aber immerhin pflichtbewusst am Bett wacht. Alberich und der Wanderer erscheinen nun zu einem Krankenbesuch. Während Alberich mit einem mickrigen Blumenstrauß ankommt, tritt der Wanderer mit einem großen Blumenkorb auf. Beide müssen durch eine Sicherheitskontrolle, um überhaupt zu Fafner vorgelassen zu werden. Alberich sucht den Blickkontakt zu dem geraubten Kind. Der junge Hagen begegnet ihm jedoch absolut ablehnend. Musikalisch lässt die Szene keine Wünsche offen. Konieczny und Ólafur Sigurdarson liefern sich als Wanderer und Alberich einen wunderbaren Schlagabtausch mit kraftvoll dunklen Stimmen, und auch Tobias Kehrer punktet als Riese Fafner mit schwarzem Bass.
Dass Siegfried sich nach seiner erwachten Sexualität für den Waldvogel in Form der adretten Krankenschwester interessiert, verwundert nicht. Witzig gelingt die Umsetzung der erfolglosen Balz. Zu dem wunderbar schrägen Spiel aus dem Orchester macht Siegfried plumpe Annäherungsversuche, die der Waldvogel verständlicher Weise von sich weist. Als es Siegfried mit chinesischer Junk-Food doch gelingt, den Waldvogel für sich zu interessieren, erwacht Fafner in seinem Bett, dem es natürlich überhaupt nicht gefällt, dass jemand mit seiner Krankenschwester flirtet. Der Kampf mit einem geschwächten alten Mann kann natürlich nicht das halten, was die Musik in dieser Szene vorgibt. Fafner bewegt sich mit einem Rollator auf Siegfried zu, den dieser wegschiebt, so dass Fafner stürzt und damit schon besiegt ist. Natürlich bedarf es hier nicht des Blutes, um den Gesang des Waldvogels im Anschluss zu verstehen. Die Krankenschwester ist froh, von ihrem Peiniger erlöst zu sein, und hilft Siegfried nur zu gerne. Alexandra Steiner punktet mit strahlendem Sopran und großer Textverständlichkeit. Sie entnimmt auch Fafners Mantel einen Ring, vielmehr eine Art Schlagring, den interessanter Weise jedoch der junge Hagen an sich nimmt. Mime hat den Gifttrank für Siegfried nicht aus seiner Schmiede mitgebracht, sondern mischt ihn an der Bar in Fafners Apartment. Nach der Ermordung Mimes bricht Siegfried mit seinem neuen Freund Hagen in Richtung Walkürefelsen auf.
Der scheint sich direkt im Nebenzimmer zu befinden. Wenn sich der Vorhang zum dritten Akt hebt, sieht man auf der rechten Seite aus einer anderen Perspektive noch das Krankenzimmer Fafners. Auf der linken Seite steht die Pyramide, die die Burg Walhall darstellen soll. Die Bepflanzung in der Mitte kennt man schon aus dem Götter-Apartment in der Walküre. Die ganze Geschichte scheint also in einem einzigen Haus zu spielen. Erda tritt mit dem Kind auf, das sie am Ende des Rheingolds zu sich genommen hat. Hierbei hat es sich also nicht um Brünnhilde gehandelt, wie man vielleicht zuerst noch vermutet hatte. Wieso dieses Kind mit einem golden schimmernden Cape bedeckt ist, wird nicht klar. Schließlich handelt es sich bei dem Kind doch nur um den Ersatz für den Schatz. Der Wanderer spricht auch zunächst dieses Kind an, wenn er Erda aufweckt, und erkennt erst später, dass es sich dabei gar nicht um die Urwala handelt, die dann sichtlich gealtert mit dem Modell der Burg Walhall hervortritt. Okka von der Damerau begeistert als Erda wie schon bereits im Rheingold mit sattem Mezzosopran und einer klaren Diktion. Konieczny punktet erneut mit kraftvollem Bariton.
Es folgt das Zusammentreffen des Wanderers mit Siegfried und dem jungen Hagen. Hier merkt man bereits, dass Schager sich in den ersten beiden Aufzügen ein wenig übernommen hat. Bei den Höhen muss er jetzt noch mehr pressen, und es gelingt nicht mehr alles so heldenhaft strahlend und sauber wie in den ersten beiden Aufzügen. Den Wanderer entwaffnet er dann gemeinsam mit dem jungen Hagen. Der Speer ist eine Pistole, die Siegfried dem Wanderer aus der Hand schlägt. Als Hagen die Pistole ergreift und auf den Wanderer richtet, merkt er, dass sie gar nicht geladen ist. Der Wanderer hatte das Magazin zuvor herausgenommen. Er hatte also gar nicht die Absicht gehabt, ernsthaft gegen Siegfried zu kämpfen.
Wenn Siegfried den Walkürenfelsen besteigt, hat die Regie keine Verwendung mehr für den jungen Hagen und muss ihn irgendwie loswerden. Aber wie? Dazu ist Schwarz nicht viel eingefallen. Der junge Freund scheint zu merken, dass er mit dem Auftritt Brünnhildes abgemeldet ist, und zieht sich ein wenig frustriert zurück. Wieso ihn das nicht bereits beim Waldvogel gestört hat, bleibt unklar. Aber das ist nicht das einzige Problem der Schlussszene. Die schlafende Maid schläft nämlich keineswegs, sondern schreitet als eine Art Mumie in Begleitung ihres Rosses Grane auf die Bühne. Ihr Kopf ist verbunden, weil sie sich wahrscheinlich zahlreichen Schönheitsoperationen unterziehen musste, um in den Jahrzehnten nicht zu altern und für Siegfried immer noch eine attraktive junge Frau darzustellen. Anstelle des Brustpanzers löst Siegfried dann ihren Gesichtsverband. Dass ihn die erblickte Schönheit das Fürchten lehren soll, wirkt unglaubwürdig, da er ja mit dem Waldvogel durchaus schon eine leibhaftige Frau kennengelernt hat. Daniela Köhler gestaltet die Partie der Brünnhilde mit frischem, hellem Sopran, den sie beim Erwachen regelrecht zart mit einer wunderbaren Diktion einsetzt. Schager wirkt mehr und mehr erschöpft und muss forcieren. Dabei setzt Köhler in dieser Szene alles daran, ihren Partner nicht zu übertönen. Aber irgendwie ist man dann doch froh, wenn er es bis zum “lachenden Tod” geschafft hat. Dass dann nach Fallen des Vorhangs einige Unmutsbekundungen zu hören sind, ist mit Blick auf die absolut fordernde Partie ein wenig ungnädig.
FAZIT
Schwarz’ Deutung des Rings geht szenisch relativ unerfreulich weiter, aber immerhin gibt es im Siegfried ein Schwert und vielleicht auch einen Ring.
Thomas Molke | Festspielhaus Bayreuth am 29. Juli 2023
Bilderbogen mit Problemen
Wenigstens gibt es viel zu schmunzeln beim Bayreuther „Siegfried“ in der Inszenierung von Valentin Schwarz. Doch auch in der Wiederaufnahme des dritten „Ring“-Teils stellt sich der Regisseur selbst ein Bein.
Richard Wagner und der Humor, das ist so eine Sache. Darf man bei den Werken des Bayreuther Meisters lachen? Und das ausgerechnet auf dem Grünen Hügel? Für Regisseur Valentin Schwarz sind diese Fragen in seiner „Ring“-Inszenierung offenbar mit einem klaren Ja zu beantworten. Beim „Siegfried“ gibt es für das Festspiel-Publikum viel zu schmunzeln. Selbst wenn die Deutung sich auch im zweiten Jahr noch immer nicht wirklich runden will.
Der assoziationsreiche Bilderbogen bietet zwar viele interessante Denkanstöße, stellt sich aber oft selbst ein Bein. So sorgt etwa der Hyperaktionismus der Schmiedeszene – in der natürlich weder Schwert noch sonst etwas geschmiedet wird – mehr als einmal für Koordinationsprobleme zwischen Bühne und Orchestergraben. Deutlich konzentrierter dagegen der zweite Aufzug, der nun in der luxuriösen Residenz des im Sterben liegenden Fafner spielt. Wobei Tobias Kehrer den alternden Riesen mit jugendlichem Bass ausstattet.
Andreas Schager darf sein komisches Talent ausspielen.
Mehr als üblich hat ebenfalls Alexandra Steiner in der Rolle des sonst gern aus dem Off gesungenen Waldvogels zu tun. Als Fafners geschundene Pflegerin darf sie Siegfried von Angesicht zu Angesicht mit silbrigem Sopran bezirzen. Eine Szene, die dank der natürlichen Präsenz des Duos unmittelbar berührt. Auch Andreas Schager darf hier sein komisches Talent ausspielen und dem sich sonst laut und aggressiv durchs Leben schlägernden Titel-„Helden“ plötzlich menschliche Züge abtrotzen. Und solche lyrisch unbeschwerten Momente würde man sich von ihm gerne öfter wünschen – so bewundernswert es auch sein mag, wie mühelos Schager die gefürchtete Partie durchsteht und mit welchen Reserven er am Ende des langen Abends den Walkürenfelsen erreicht.
Denn durch seine permanente Kraftmeierei bleibt fürs ekstatische Finalduett mit Brünnhilde nicht mehr allzu viel Steigerungspotenzial übrig. Gerade, weil auch Daniela Köhler ihr Pulver schon früh verschießt. Ihre Spitzentöne haben zwar die nötige Strahlkraft und Volumen, lassen aber oft eine leichte Nervosität spüren. Routiniert der Wotan von Tomasz Konieczny, den das Publikum mit ähnlichen Ovationen aus dem „Ring“ verabschiedet.
Auch er protzt mit seinem ausladenden Bariton, irritiert aber immer wieder durch unschöne Vokalverfärbungen, die ihn eher für den Alberich zu prädestinieren scheinen, dem sein Kollege Olafur Sigurdarson mit angerautem Bariton und wilden Übertreibungen beizukommen versucht. Wobei diese Ähnlichkeiten dem Regiekonzept entgegenkommen, das beide als rivalisierendes Zwillingspaar deutet.
Pietari Inkinen legt immer wieder delikate Details frei
Dass daneben Alberichs anderer Bruder nicht untergeht, dafür sorgt Arnold Bezuyen, dessen Mime ohne grelles Zetern und Keifen auskommt und den neiderfüllten Nibelung mit süßlich einschmeichelnder Stimme umso gefährlicher wirken lässt. Okka von der Damerau bereitet als Erde mit ebenmäßig geführtem Mezzosopran ein weiteres Mal wahre Wagner-Wonnen.
Bleibt Dirigent Pietari Inkinen, der gerade im sensiblen Umgang mit den Holzbläsern immer wieder delikate Details der Partitur freilegt. Allerdings scheint er sich auf der dritten „Ring“-Etappe meist dann am wohlsten zu fühlen, wenn er mit dem Orchester allein ist und nicht von der Regie gestört wird. Etwa in den unheilvoll grummelnden Vorspielen oder im zart flirrenden „Waldweben“. Vor allem aber in den langen kontemplativen Passagen des dritten Aufzugs, wo sich nach einem anfangs noch zögerlich heraufziehenden Gewitter im zweiten „Feuerzauber“ die volle Wucht des Festspiel-Klangkörpers entlädt.
Tobias Hell | 31.07.2023
A production by Valentin Schwarz (2022)
This recording is part of a complete Ring cycle.