Tannhäuser
Christian Thielemann | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Hermann | Kwangchul Youn |
Tannhäuser | Glenn Winslade |
Wolfram von Eschenbach | Roman Trekel |
Walther von der Vogelweide | Clemens Bieber |
Biterolf | John Wegner |
Heinrich der Schreiber | Arnold Bezuyen |
Reinmar von Zweter | Alejandro Marco-Buhrmester |
Elisabeth | Ricarda Merbeth |
Venus | Barbara Schneider-Hofstetter |
Ein junger Hirt | Robin Johannsen |
Warten auf Tannhäuser
Der Tannhäuser in der Inszenierung von Philippe Arlaud erlebte in diesem Jahr seine erste Wiederaufnahme. Dabei blieben – sehnlichst erhoffte – positive Überraschungen leider weitgehend aus. Arlauds Inszenierung fällt weiterhin ausschließlich durch seine opulente und farbenfrohe Ausstattung auf, besonders durch die von Carin Bartels phantasiereich gestalteten Kostüme der “Wartburggesellschaft”.
Der kalten und kantigen Welt der Venus, die eindrucksvoll auf ihrem roten, fliegenden Tablett entschwebt, steht die in schwungvollen Bögen von grünem Modelllandschftsrasen und Hunderten von roten Blumen umgebene Märchenlandschaft der Wartburggesellschaft gegenüber, deren Festsaal einer riesigen Trinkschüssel gleicht, die – mit einem Strohhalm – schon fast bis auf den Grund leergetrunken ist. Viele Assoziationen stellen sich ein: von den an der Liebe nur nippenden Sangesgenossen Heinrichs und dessen vehementer Preis des völligen Trinkrausches, bis zu der Utopie und Suche nach der “blauen Blume” von Novalis’ Heinrich von Ofterdingen. Immerhin erscheint die Farbe Blau nur hier und nur bei Heinrich und dem “Liebe schlürfenden Strohalm”, der sich am Ende des Aufzuges kurzzeitig orange färbt, als die erlösende Pilgerfahrt nach Rom beschlossene Sache ist (Orange, bzw. Hellbraun sind dann auch die Gewänder der entsündigten Pilger).
Ansonsten kann man an den dreifarbigen Patchworkkostümen der “erlesenen” Wartburggesellschaft (Chor) schön erkennen, dass diese nicht nur “unschuldig” und “rein” (Weiß = Elisabeth), sondern auch den sinnlichen Genüssen zugetan ist (Rot = Venus), obwohl dieses meist durch ein schwarzes “Schutzmäntelchen” mehr oder weniger erfolgreich kaschiert wird. Wolfram und Biterolf werden mit ihren ausschließlich schwarzen Kostümen dagegen ohne Makel gezeigt und setzen sich – ohne falsche Frömmigtuerei – für ihre hehren Ideale ein.
Die sich noch weiter aufschlüsseln lassende Farbsymbolik und -ästhetik Arlauds (der Beginn des 2. Aufzuges gemahnt dabei sehr an die Trikolore) verselbständigt sich allerdings und erhält zu sehr repräsentativem Charakter. Da ihr in der Personenführung weiter nichts entgegengesetzt wird und weder ein Künstlerschicksal, noch politische oder religiöse Ansätze thematisiert werden, läuft die Inszenierung letztendlich ins Leere. Die nur sporadisch erkennbare Personenführung distanziert dabei die Personen eher (Ausnahme: Wolfram), als dass sie Beziehungen oder gar spannende Personenkonstellationen schafft.
Eine für spannende Augenblicke sorgende, durchdachte und mit Leben erfüllte Interpretation konnte somit nur aus der Musik heraus entstehen. Dieses gelang Christian Thielemann mit dem bestens aufgelegten Festspielorchesters zum Glück vorzüglich. Seine schon im Vorjahr bewiesene souveräne Disposition der musikalischen Entwicklungen, die Transparenz des Orchestersatzes und die atmenden Phrasierungen zeugen nicht nur von der überragenden Kenntnis der musikalischen Substanz der Partitur, sondern auch von der noch gewachseneren Sicherheit beim Umgang mit der Bayreuther Akustik. Gerade die Balance zwischen Streichern und Bläsern (vor allem im Zusammenspiel mit den Hörnern) stimmte jetzt noch besser, als im vorigen Jahr.
Von der oratorischen Anlage der Chorszenen profitierte natürlich der von Eberhard Friedrich präzis einstudierte Festspielchor. Klangvoll, aber nie lärmend oder dröhnend, servierte er stimmlich außerordentlich eindrucksvoll, dem davon begeisterten Publikum sowohl die Pilgergesänge, als auch die – kaum dramatisch ausgearbeiteten – Wartburgszenen.
Während sich Chor und Orchester – die tatsächlichen “Stars” der Bayreuther Festspiele – damit wieder einmal von ihrer Glanzseite präsentierten, muss man sich bei der Besetzung der Solisten zum Teil doch fragen, ob diese wirklich zu den über das “normale” Stadttheaterniveau hinausreichenden und internationalen Ansprüchen gerecht werdenden Sängerdarstellern gehören, die diese Festspiele eigentlich auszeichnen sollten.
Der größte Ausfall ist dabei Glenn Winslade in der Titelpartie, der zwar über einen warmen, vollen und überwiegend höhensicheren Tenor verfügt, aber außer den zum Schluss hin hörbaren Ermüdungserscheinungen vor allem als Darsteller völlig überfordert scheint. Was nur bewegt die – nicht unattraktive – Venus dazu, diesem etwas untersetzten, mit dem Temperament einer Schlaftablette agierenden ältlichen Herrn hinterher zujammern. Den Außenseiter nimmt man ihm zwar ab, aber keinen Revolutionär bzw. gefährlichen geistigen oder sittlichen Aufrührer, von dem sich die “obere Bildungsschicht” bedroht sehen könnte. Zusammen mit der emotionslosen und hauptsächlich dekorativen Regie, bedeutet dieses das völlige Scheitern dieser Produktion. Dabei könnte man, selbst in diesen Bühnenbildern, durch eine engagierte und Spannung erzeugende Personenregie eine packende Geschichte erzählen.
Durch so einen schlappen Helden nicht gerade inspiriert, ist es kein Wunder, dass sich Barbara Schneider-Hofstetter nicht zu einer atemberaubenden Venus entwickelt. Sie versucht zwar darstellerisch einiges davon zu kaschieren, agiert aber an exponierten Stellen – auch stimmlich – sehr vorsichtig und zurückhaltend.
Mit entschieden mehr Verve geht Ricarda Merbeth ihre Partie als Elisabeth an. Mit sichtlichem Elan und erfreulich frischer Stimme, macht sie die Wandlung von der erwartungsvollen, jugendlichen Frau zur selbstlos sich opfernden Märtyrerin deutlich. Warum sie diesen Weg nimmt, bleibt – angesichts des schon erwähnten Nicht-Tannhäusers – allerdings ein völliges Rätsel.
Einen sehr positiven Eindruck hinterließ – auch in diesem Jahr wieder – Kwanchoul Youn als sonorer und klangschön – allerdings eher emotionslos – singender Landgraf Hermann. Für die im nächsten Jahr vorgesehene Partie des Titurel wird er sicherlich die rechten, salbungsvollen Worte finden.
Die mit Abstand überzeugendste Leistung dieses Solistenensembles gelang erneut Roman Trekel in der zwar wichtigen, allerdings nicht alleinig Stückentscheidenden Partie des Wolfram. Nicht nur sein unter die Haut gehendes “Lied an den Abendstern” füllte er mit stimmlichen Glanz und innerer Ausdrucksstärke. Überhaupt war er derjenige unter den Akteuren, dem man wirkliche Anteilnahme und bewusstes Kommunizieren mit der Umwelt abnahm. Ansätze davon konnte man auch bei seinen Sangesbrüdern Biterolf (John Wegner), Walther von der Vogelweide (Clemens Bieber), Heinrich der Schreiber (Arnold Bezuyen) und Reinmar von Zweter (Alexander Marco-Buhrmester) vernehmen, was die traurige Gesamtbilanz dieses Tannhäusers jedoch nicht übersehen und überhören lassen macht. Auch der “neue” junge Hirt von Robin Johannsen ist da nur ein kleiner Lichtblick.
FAZIT
Ohne einen “richtigen” Tannhäuser und eine Spannung und Dramatik aufbauende und entwickelnde Personenregie, ist diese – dann durchaus sehenswerte – Produktion nicht zu retten.
Gerhard Menzel | Rezensierte Aufführung: 3. August 2003