Tannhäuser
Jun Märkl | ||||||
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hermann | Hans-Peter König |
Tannhäuser | Peter Seiffert |
Wolfram von Eschenbach | Markus Brück |
Walther von der Vogelweide | Clemens Bieber |
Biterolf | Harold Wilson |
Heinrich der Schreiber | Jörg Schörner |
Reinmar von Zweter | Roland Schubert |
Elisabeth | Petra-Maria Schnitzer |
Venus | Brigitte Pinter |
Ein junger Hirt | Ditte Andersen |
Schuld und Sühne
15 Jahre Tannhäuser in der Inszenierung von Götz Friedrich an der Deutschen Oper
Seit nunmehr fast 15 Jahren steht Götz Friedrichs mittlerweile legendäre Tannhäuser-Inszenierung auf dem Spielplan der Deutschen Oper Berlin. Für die Spielzeit 2006/2007 waren lediglich zwei Vorstellungen geplant – am 13.12. und 17.12.2006 – und die Deutsche Oper konnte für beide Abende das derzeitige Tannhäuser „Dream Team“ engagieren: Peter Seiffert als Tannhäuser und Petra-Maria Schnitzer als Elisabeth. Beide Künstler gehören zur Elite der Wagner-Interpreten, singen diese Rollen seit Jahren gemeinsam an den führenden Häusern der Welt, und so war es nur selbstverständlich, dass die Deutsche Oper am 17.12. ausverkauft und die Erwartungshaltung des Publikums groß war. Unmittelbar vor der Vorstellung informierte die Abendspielleiterin das Publikum, dass Peter Seiffert – der die Vorstellung am 13.12. aufgrund einer Erkrankung absagen musste – singen würde, aber sich noch nicht wieder im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte befände. Frau Schnitzer sei ebenfalls indisponiert gewesen am 13.12., hätte sich aber wieder erholt und würde an diesem Abend ebenfalls singen – das Publikum atmete spürbar auf, denn was ist eine große Oper ohne ihre Stars?
Richard Wagner bezeichnet Tannhäuser als „große romantische Oper“, und die Entstehungsgeschichte des Werkes ist ausführlich dokumentiert. Wagner konzipierte die Handlung der Oper nach Vorlage eines altdeutschen Versepos sowie Erzählungen von E.T.A. Hoffmann und den Deutschen Sagen der Bruder Grimm; er nahm bekannterweise Handlungselemente der Meistersinger von Nürnberg vorweg, und die Oper wurde im Jahre 1845 erfolgreich in Dresden uraufgeführt. Nach seiner Odyssee durch Europa im Zuge seiner Teilnahme an den Aufständen von 1848 in Dresden und des darauffolgend erlassenen Haftbefehls beschloss Wagner 1861, Tannhäuser zu überarbeiten und in Paris zur Aufführung zu bringen – allerdings wurde der Tannhäuser vom Pariser Publikum und Künstlerkreisen negativ aufgenommen. Wagner überarbeitete die Oper dann bis ca. 1875, und im Programmheft der Deutschen Oper wird Cosima Wagner mit den Worten zitiert „Er [Wagner] sagt, er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig“ – ein Zitat, das Götz Friedrich zum Leitmotiv seiner Inszenierung macht.
Die Tatsache, dass Wagner selbst Tannhäuser als unvollendet betrachtete, sowie die Vielfalt der Quellen der Geschichte erklären vielleicht die dramaturgischen Eigentümlichkeiten der Handlung. Tannhäuser, der einst Erfüllung im Genuss suchte, ist des Lebens im Venusberg überdrüssig geworden und drängt seine Göttin Venus, ihn zum weltlichen Leben zurückkehren zu lassen. Nach einigem Hin und Her gewährt Venus seinen Wunsch, nicht ohne ihn vor den Konsequenzen seines Handelns zu warnen. Tannhäuser kehrt nach Thüringen zurück, wo er an einem Sängerwettstreit an der Wartburg teilnimmt, dessen Hauptpreis von Elisabeth, der Tochter des Landgrafen Hermann, die er einst verließ und die ihn innig und keusch liebt, übergeben werden soll. Während des Sängerwettstreits, dessen Thema die wahre Natur der Liebe ist, kommt es zur Auseinandersetzung mit Tannhäusers Rivalen Wolfram von Eschenbach. Dieser liebt Elisabeth ebenfalls, preist jedoch das spirituelle Element der Liebe, während Tannhäuser den sinnlichen Genuss besingt. Tannhäuser gibt zu, im Venusberg gelebt zu haben; die keusche und gläubige Elisabeth ist entsetzt, Tannhäuser erkennt in der Auseinandersetzung die Liebe Elisabeths und beschließt, den Bußgang nach Rom anzutreten. Wie sich in Akt 3 herausstellt, wird ihm jedoch in Rom nicht vergeben; während seiner Abwesenheit ist Elisabeth, die seine Rückkehr sehnsüchtig herbeisehnt, an gebrochenem Herzen verstorben. Für einen Moment ist der bitter enttäuschte Tannhäuser versucht, in den Venusberg zurückzukehren; sein treuer Freund und Rivale Wolfram bewahrt ihn jedoch vor der Rückkehr. Tannhäuser erkennt Elisabeths Opfer und stirbt.
Man hat oft versucht, Tannhäuser als “alter ego“ Richard Wagners zur Entstehungszeit der Oper zu interpretieren, und die Vergebung und das Opfer Elisabeths als Danksagung an seine Frau Minna, die Wagner trotz aller Eskapaden stets treu blieb und ein Heim bot. Die für das 21. Jahrhundert etwas absurde und zu gottesfürchtige Handlung für ein modernes Publikum abstrakt, packend und frei von billigen Moralisierungen zu machen, ist das Verdienst von Götz Friedrichs Inszenierung sowie von Solisten, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin. Die Produktion transponiert die Handlung in die Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Entstehungszeit der Oper. Peter Seifferts Tannhäuser ist ein Außenseiter nicht aufgrund seiner Lasterhaftigkeit, sondern aufgrund seines Anspruchs, sein Leben in all seiner Komplexität leben zu wollen. Seine „Dreidimensionalität“, seine Zweifel machen ihn in den Augen der Wartburg-Hofherren verdächtig. Gegen Ende des 1. Aktes, als Tannhäuser wieder in den Kreis seiner ehemaligen Kameraden aufgenommen werden soll, geht Tannhäuser auf diese zu: obwohl die Herren ihn in ihren Gesängen willkommen heissen, verweigern sie ihm doch in Einheitsfront die Willkommensgeste, die Tannhäuser mit offenen Armen einfordert. Die Charakterisierung Elisabeths ist ähnlich angenehm frei von religiösen Opferklischees. Schnitzers Elisabeth ist eine junge, selbstbestimmte, lebensfrohe Frau, die sich mutig dem Mob entgegenstellt, der Tannhäuser wegen seiner lasterhaften Ausführungen beim Sängerwettstreit zum Kampf herausfordert. Die Vernunft Elisabeths macht ihr Leiden in Akt 3 um so bewegender.
Den Solisten des Abends waren stimmliche oder gesundheitliche Probleme so gut wie nicht anzuhören. Peter Seifferts Tenor ist ein wunderbar strahlendes Instrument, wenn auch etwas nasal in der Höhe; er hatte keine Mühe, sich über die gewaltigen Orchesterkräfte hinwegzusetzen. Man bezeichnet Seiffert, der sich seine Sporen als Ensemblemitglied der Deutschen Oper von 1984-1992 verdiente, nicht umsonst als den zur Zeit besten Charakterdarsteller der Oper: Er versteht Friedrichs Interpretation des Tannhäuser instinktiv, und ist fähig, die Lebenslust und den Zorn Tannhäusers darstellerisch überzeugend umzusetzen. Von einigen überraschenden Textunsicherheiten abgesehen war Seifferts Darstellung an dem Abend überzeugend. Ähnliches lässt sich über Petra-Maria Schnitzer als Elisabeth und Markus Brück als Wolfram von Eschenbach berichten. Schnitzers Sopran ist jugendlich und relativ klein, der Rolle der Elisabeth angemessen und ihre Stimme transportiert gut in das große Auditorium der Deutschen Oper. Markus Brücks lyrischer Bariton erfüllt die Anforderungen der Rolle sängerisch und darstellerisch mühelos; sein „O du, mein holder Abendstern“ war einer der musikalischen Glanzpunkte des Abends. Lediglich Brigitte Pinter als Venus konnte nicht ganz mit ihren Kollegen mithalten. Ihr Porträt der Venus blieb – trotz aufwändiger und aufsehenerregender Kostüme – blass, und musikalisch schien sie mit den tiefen Tönen ihrer Partie in Akt 1 zu kämpfen.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin wurde unter dem Dirigat von Jun Märkl den Anforderungen der Partitur gerecht und spielte routiniert, von einigen dynamischen Unsauberheiten im Vorspiel abgesehen. Der Erfolg einer Tannhäuser-Aufführung steht und fällt mit den Chören, und der Chor der Deutschen Oper enttäuschte nicht. Alles in allem ein Abend, der vor allen Dingen dank Götz Friedrichs präziser Inszenierung überzeugt. Es ist nicht einfach, sich einen anderen Tannhäuser an der Deutschen Oper vorzustellen, und solange das Haus gute Solisten auf der Höhe ihrer Kunst engagieren kann, ist der Erfolg dieses Abends so gut wie garantiert.
Andrej Hüsener | 17. Dezember 2006