Tannhäuser

Ádám Fischer
Hungarian Radio Symphony Choir and Orchestra
Date/Location
3 June 2012
Béla Bartók National Concert Hall Budapest
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Gábor Bretz
Tannhäuser Robert Dean Smith
Wolfram von Eschenbach Lauri Vasar
Walther von der Vogelweide Tibor Szappanos
Biterolf Tamás Szüle
Heinrich der Schreiber Tivadar Kiss
Reinmar von Zweter Krisztián Cser
Elisabeth Tünde Szabóki
Venus Elena Zhidkova
Ein junger Hirt Ábel Rozmán/András Tóth
Gallery
Reviews
kurwenal.blog.de

Eine Art, Kriterien für eine gelungene Opernregie zu benennen, könnte wie folgt lauten: Die Regie muss 1) die Relevanz der Themen, für die sich das Stück interessiert, am Bewusstseinsstand ihrer jeweiligen Gegenwart überprüfen und 2) das Stück optisch in Bilder fassen, in denen es sich wohlfühlt und in denen sich zugleich die modernen Zuschauer wiederfinden. Noch kürzer könnte man davon sprechen, dass ein Regisseur eine Oper „heutig“ machen muss, ohne ihr Gewalt anzutun.

Wenn man die bisherigen Inszenierungen bei den Budapester Wagnertagen nach diesen Maßstäben misst, dann erfüllen Ring und Parsifal beide Anforderungen. Lohengrin ist stark beim zweiten Punkt unter Verzicht auf den ersten. Tristan ist nach beiden Betrachtungsweisen gescheitert.

Und nun ging am 3. Juni 2012 Wagners frühe Oper Tannhäuser in der Inszenierung des deutschen Regisseurs Matthias Oldag erstmals über die Bühne des Bartók-Saals im Palast der Künste und steht zur Beurteilung an.

Im zweiten Akt des Tannhäuser findet das statt, was der Oper ihren Untertitel gab: Der Sängerkrieg auf der Wartburg. Dort zeigt sich der ganze Glanz dieser Arbeit, aber auch ein beträchtliches Stück Schieflage. Der Sängersaal der Wartburg ist eine event location, vier perfekt herausgeputzte Hostessen legen nervös letzte Hand an die Deko, Landgraf Hermann als event manager inspiziert eilig nochmals alles persönlich – und schon kommen in schicker Abendrobe die Gäste, zumeist paarweise. Man kennt sich, man grüßt sich, vermutlich macht man Geschäfte miteinander. Die zukünftig heilige Elisabeth grüßt eher reserviert, der Landgraf dagegen äußerst lebhaft. Manchmal kündigt er, indem er den Daumen der rechten Hand ans Ohr hält und den kleinen Finger an den Mund, einem der Gäste seinen baldigen Anruf auf dem Mobiltelefon an.

Sodann kommen die Gladiatoren des Schaukampfes, die sechs Sänger, die bei der anstehenden casting show um den Sieg kämpfen. Jeder ist in Kleidung und Haltung klar profiliert, insbesondere welcher der Sänger Biterolf ist, erkennt man sofort. Die Mitglieder der versammelten Gesellschaft jubeln ihrem jeweiligen Favoriten frenetisch zu.

Soweit ist alles geradezu genial und wie im wirklichen Leben – falls man RTL für das wirkliche Leben hält und sich nicht daran stört, dass der hiesige Jurypräsident, der den Wettbewerb anmoderiert, indem er Text von quer gehaltenen A5-Blättern abliest, viel besser singt als Dieter Bohlen. Aber etwas zu kurz greift diese Idee im weiteren Verlauf dann doch. Denn so, wie die Wartburggäste bei ihrem Einzug charakterisiert wurden, haben sie Tannhäusers sinnenfrohe Position längst rechts überholt. Niemals würden sie auf seine Beiträge im Sängerstreit entsetzt reagieren und sich hinter den körperlosen Wolfram oder gar den reaktionären Biterolf stellen. Genau das aber schreibt ihnen der Fortgang des Stücks vor.

Und damit entsteht der fatale Eindruck, dass der Regisseur zugunsten des schönen Bildeffektes das ernsthafte Räsonieren des Stücks desavouiert. Dieses breitet (in allgemeinen Begriffen, die durch konkretere theologische Begriffe ersetzt werden könnten) die Problematik einer aufgeklärten Position aus, die ein konservatives Umfeld zunächst zum Tabubruch treibt. Dieser muss korrigiert werden, und die Schlusspointe besteht darin, dass die Korrektur entgegen dem ersten Anschein gelungen ist.

Das Fernsehen hatte schon der erste Akt als Referenzpunkt für zeitgenössische Befindlichkeit herangezogen – und fruchtbar gemacht: Der Venusberg ist ein Fernsehstudio mit einem sündigen roten Sofa als einzigem Requisit. Die Wände des Studios bildet ein Metallrahmen, in den nach allen vier Seiten eine Gaze-Leinwand eingespannt ist. Die Leinwand erlaubt einen Durchblick auf den Innenraum, aber zugleich nimmt eine Kamera das Geschehen zwischen Venus und Tannhäuser auf und überträgt es von vorne auf die vordere Leinwand. Somit hat der Zuschauer zwei Sehmöglichkeiten: Die Totale hinter der Leinwand und den Ausschnitt auf der Leinwand. So und so erleben wir reality tv.

Tannhäusers Ausbruch aus dem Venusberg beginnt so, dass er am vorderen rechten Eck die Leinwand aus dem Rahmen reißt. Was matt war an Farbe wird strahlend, was verschwommen war, bekommt scharfe Kontur. Dieses Spiel erleben wir davor und danach noch mit anderen Mitteln. Die Hintergrundprojektion ist eine Waldsilhouette. Sie ist die Konstante in allen Akten. Der Wald ist kahl, aber je nach Stimmung erstrahlt er in tiefem Blau und warmem Goldgelb – oder er ist grau, und dieses Grau geht dann öfter über in ein Flimmern, das man im Schwarzweiß-Zeitalter des Fernsehens Grieseln nannte. Die Fernsehwelt erzeugt, bedient und enttäuscht Sehnsüchte. Man tut gut daran, dieser Welt schnellstmöglich zu entkommen. Klare Farben, authentisches Leben – die Inszenierung macht für den Zuschauer den Wunsch danach so stark, wie Tannhäuser ihn hat und beschreibt. Auch dies ein großer Pluspunkt dieser Regiearbeit.

Der dritte Akt schließlich spielt zwischen Särgen. Dieses Bild entfaltet ebenfalls eine große Wirkung, obwohl die Erwartung eines weiteren Abarbeitens an der Fernsehmatrix hier enttäuscht wird. Und es kommt noch schlimmer: Elisabeth muss vor ihrer Arie eine Handvoll im Mantel mitgebrachte Tabletten schlucken, um ihren Tod realistisch zu motivieren. Und Tannhäuser versetzt sich bei Anrufung der Venus per Spritze in ein Drogendelirium. Ist es denkbar, dass die Regie es ernst meint, wenn sie hier so weit unter ihr Niveau geht? Oder ist hier Ironie am Werk bezüglich eines dann doch wieder vom Fernsehen inspiriertes Realitätsverständnisses? Man kann es nicht entscheiden.

Dass Oldag grundsätzlich viel subtilere Mittel zur Verfügung stehen und er das Stück und sich selbst sehr entschieden gegen ein Realismusdiktat abgrenzt, zeigt sich an anderer Stelle eindrucksvoll: Tannhäuser liegt nach seinem Ausbruch aus dem Venusberg schlafend an der Rampe. Wolfram findet ihn dort und entgegen aller Plausibilität sieht er auch das rote Bett, in dem Tannhäuser und Venus ihren Geschäften nachkamen. Schnell reißt er ein rückwärtiges Stück der Leinwand aus dem Rahmen und deckt damit das Bett ab, damit der eintreffende Landgraf und die anderen Sängerkollegen es nicht sehen. Wunderbar! Was erst ganz am Ende in Worte gefasst wird (Tannhäuser: […] Wolfram? Bist du denn nicht mein Feind? Wolfram: Nie war ich es […]), ist so von allem Anfang an in ein schönes Bild von Schutz und Zuneigung gefasst. Mehr noch: Im zweiten Akt steht Wolfram einmal hinter Tannhäuser und streckt die Hand aus, um ihn zu berühren. Doch dann zuckt er zurück und blickt irritiert auf seine Hand, als habe diese auf eigene Rechnung gehandelt. Diese knappen Aktionen geben dem Verhältnis eine bisher nicht gekannte Tiefe. Möglich, dass Wolfram vor allem deshalb ein so vehementer Vertreter der platonischen Liebe und des Verzichts auf ein Trinken aus dem Brunnen der Sinnlichkeit ist, weil der Brunnen, aus dem er gerne trinken würde, erst recht ein Tabu ist.

Lauri Vasar in der Rolle des Wolfram war als indisponiert angekündigt. An seiner Leistung war davon bis zum Ende des Abends nichts zu merken. Bei Vasar, aber auch bei Elena Zhidkova als Venus und Gábor Bretz als Landgraf Hermann haben wir es mit Gesamtkunstwerken auf zwei Beinen zu tun. Sie singen und spielen perfekt und sind zudem groß, schlank und sportlich. Immer mehr scheinen wir die Epoche hinter uns zu lassen, in der man bei Sängern optische Ansprüche auf dem Altar einer guten Stimme opfern musste. Tünde Szaboki als Elisabeth singt das Gebet im dritten Akt mit überwältigender Intensität und Innigkeit. Zuvor schon war es in Erwartung der Hallenarie eine Freude eigener Art zu sehen, mit welcher Gelassenheit und spürbaren Ruhe sie auf ihren Einsatz wartete. Und tatsächlich, der heikle Einstieg und die hohe Tessitur stellen sie vor keinerlei Problem. Problemlosigkeit kann man Robert Dean Smith in der Titelrolle für diesen Abend nicht bescheinigen. Als größter Name der Besetzungsliste angetreten, errang er nur einen Arbeitssieg. Der Klang seiner Stimme war von Anfang an strapaziert und verschliss sich im Verlauf der umfänglichen Rolle immer mehr. Spielerisch und vom Typ her war allerdings auch er vorbildlich.

Zuletzt sind noch die Vielgelobten ein weiteres Mal in den Himmel zu heben: Chor, Orchester und Dirigent. Die vorsätzlich schlanke, differenzierte Einstellung der Klangkörper ist optimal auf den Raum und seine Akustik abgestimmt. Bei zügigen Tempi entsteht ein Klangbild aus frischen Farben mit tiefer Kontur. Geradezu magisch die Streicher, sehr vollmundig die Harfe, scharf und fröhlich die Flöten. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem eigenständigen, typischen Budapester Klang. Am Ende: Einhelliger und ungewohnt langer Jubel. Schade nur, dass diese Produktion in diesem Jahr nur ein weiteres Mal und nächstes Jahr gar nicht auf dem Spielplan steht.

Der Neue Merker

Zu Beginn der Budapester Wagner-Tage 2012 im immer noch recht neuen, imposanten Palast der Künste am Ufer der Donau unterhalb des alten Stadtzentrums inszenierte der deutsche Opernregisseur Matthias Oldag Wagners „Tannhäuser“ und blieb zumindest dem zahlreich erschienen Publikum nichts schuldig. Oldag war bis vor kurzem Generalintendant der Theater & Philharmonie Thüringen in Gera/Altenburg und machte sich mit der „Ausgrabung“ selten gespielter Werke vor allem der jüngeren Opernliteratur einen Namen. Seine somit große Erfahrung im unkonventionellen und von traditionellen Inszenierungsstilen unbelastetes Herangehen an neue und alte Opernstoffe wurde auch in Budapest deutlich, begünstigt durch die Bedingungen der Aufführungsstätte: Der von Architekt Gábor Zoboki konzipierte MÜPA ist ein großer Konzertsaal mit exzellenter Akustik, eignet sich aber auch für szenische Operninszenierungen. Das hat bereits der „Ring“ gezeigt, der wie auch der „Tannhäuser“ mit wenigen Requisiten auskommen muss.

Aus einer nicht wirklichen Not machten Oldag und sein Bühnen- und Kostümbildner Thomas Gruber jedoch eine Tugend. Sie zeigen die Hin- und Hergerissenheit Tannhäusers zwischen zwei starken Frauen in einfachen, aber aussagekräftigen Bildern, welche auf die menschlichen Konflikte der Protagonisten fokussieren, mit wohl dosiertem Einsatz von Videos und einer exzellenten Lichtregie. Dieser „Tannhäuser“ wird nicht nur zum finalen Drama für den Ruhelosen und Elisabeth, sondern auch für Venus, die dramaturgisch weitaus geschickter als bei Sebastian Baumgarten in Bayreuth auch im 2. Akt unter der Wartburg-Gesellschaft erscheint, als roter Kontrastpunkt zum allgemeinen Schwarz und Grau und unterschwellige, da nur von Tannhäuser wahrgenommene Bedrohung. Im Finale der auch hier gespielten Zweiten Pariser Fassung bricht auch sie an der Chancenlosigkeit einer wohl großen Liebe zusammen.

Der charismatische und in der Mittellage überzeugende, aber bei den Höhen schwächelnde Robert Dean Smith bemüht sich als Tannhäuser im energiegeladenen Spannungsfeld zweier starker Frauen um eine Lösung seines Konflikts. Er meistert das zum Scheitern verurteilte Unterfangen darstellerisch beeindruckend. Tünde Szabóki, seit 2000 Stimmbildnerin im Domchor St. Stephan in Wien, überrascht mit einem höhensicheren kräftigen und hell timbrierten Sopran und perfekter Diktion. Die russische Mezzosopranistin Elena Zhidkova, dem Rezensenten bereits im Essener Neuenfels-„Tannhäuser“ sowie als hervorragende Kundry im März in Lyon aufgefallen, singt die Venus kraftvoll und total höhensicher mit ihrem ausdrucksstarken Mezzo-Timbre, gepaart mit großer Bühnenpräsenz und einer auch aufgrund ihrer Attraktivität beeindruckenden Laszivität. Lauri Vasar singt trotz einer Ansage den Wolfram klangvoll und mit viel Empathie, offenbar ein neues junges Talent aus Estland. Der ebenfalls junge Gábor Bretz verleiht dem Landgrafen seine Stimme, die über beachtliches Volumen verfügt, aber an der er technisch noch arbeiten sollte. Tibor Szappanos empfiehlt sich als Walther mit einem wohl timbrierten Tenor für das Mozart-Fach.

Adam Fischer, der nach seiner Bayreuther Zeit das künstlerische Konzept der Budapester Wagner-Tage begründete und ihr ständiger Dirigent ist, erzielt mit dem Sinfonieorchester und Chor des Ungarischen Rundfunks sowie dem kraftvoll und mit betörenden Piani singenden, sowie bestens choreografierten Chor der Ungarischen Staatsoper (Leitung Máté Szabó Sipos) einen wunderbaren Wagnerklang im auf die besonderen Bedingungen des „Tannhäuser“ angepassten Bela Bartok Konzertsaal, der über eine veränderbare Raumakustik verfügt. Zeitweise schien der Klang gewissermaßen zu schweben, und man meinte, im Bayreuther Festspielhaus zu sitzen… So gut hat der Rezensent Wagner im MÜPA noch nie gehört.

Mit dieser Produktion und musikalischen Leistung hatten die Budapester Wagner-Tage einen exzellenten Start in das Festival 2012.

Klaus Billand | (MÜPA) Budapest – 3. Juni 2012

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
HO, PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 406 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (Bartók Radio)
A production by Matthas Oldag
The date given for this recording by HO is June 20 2014. There was a Tannhäuser performed at this day in Budapest however with a completely different cast. So if the date is correct then the cast is not, if the cast is correct then the date is not.
In 2012 there were two Tannhäuser performances at the Müpa in Budapest: June 3 with Tünde Szaboki as Elisabeth and June 19 with Petra-Maria Schnitzer.