Tannhäuser

Axel Kober
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
1 August 2013
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Günther Groissböck
Tannhäuser Torsten Kerl
Wolfram von Eschenbach Michael Nagy
Walther von der Vogelweide Lothar Odinius
Biterolf Thomas Jesatko
Heinrich der Schreiber Stefan Heibach
Reinmar von Zweter Martin Snell
Elisabeth Camilla Nylund
Venus Michelle Breedt
Ein junger Hirt Katja Stuber
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Online Musik Magazin

Erlösung im Venusberg

Er sei der Welt noch einen Tannhäuser schuldig. Diese im Schlussbild der Inszenierung auf die Leinwand im Hintergrund projizierte Phrase, die Richard Wagner kurz vor seinem Tod Cosima gegenüber im Zusammenhang mit der Überlegung geäußert haben soll, auch den Tannhäuser festspieltauglich zu machen, haben wohl zahlreiche Regisseure in der letzten Zeit ausgenutzt, die scheinbar vom Meister selbst festgestellte “Unvollständigkeit” des Werkes mit immer abstruseren Deutungen zu überfrachten, was beispielsweise unlängst im beschaulichen Düsseldorf für einen regelrechten Theaterskandal sorgte, so dass Kosminskis Inszenierung direkt nach der Premiere abgesetzt wurde (siehe auch unsere Rezension). Ganz so hoch sind bei Sebastian Baumgartens Neuproduktion in Bayreuth vor zwei Jahren die Wogen zwar nicht geschlagen, aber Baumgartens Deutung, die auch im dritten Jahr das Publikum szenisch nicht begeistern kann, soll nun auch vorzeitig abgesetzt werden, und zwar bereits 2015 nach nur vier Jahren anstelle des Lohengrin in der Inszenierung von Hans Neuenfels, der dann eigentlich fällig wäre.

Woran liegt es, dass Baumgartens Konzept trotz der Weiterentwicklung der Inszenierung nach dem “Werkstatt-Charakter” Bayreuth und weiterer Erklärungsversuche des Dramaturgen Carl Hegemann im Programmbuch, in dem ein Videogespräch im Rahmen des Projekts Wagner 2013. Künstlerpositionen aus der Akademie der Künste, Berlin, vom September 2012 zum Thema “Der Tannhäuser-Konflikt” wiedergegeben wird, nicht zur steigenden Akzeptanz der Inszenierung beiträgt und die Produktion in der Nachfrage der Festspielkarten in Bayreuth abgeschlagen auf dem letzten Platz rangiert? Vielleicht daran, dass auch im dritten Jahr noch nicht deutlich wird, was die erzählte Geschichte eigentlich mit einer Biogasanlage und dem Wiederverwertungskreislauf zu tun haben soll. Der Konflikt zwischen Dionysischem (verkörpert durch Venus) und Apollinischem (verkörpert durch Elisabeth), in den Tannhäuser gerät, wird auch ohne die diversen Apparaturen in Blau, Grün und Rot, die die Bühne verschandeln (Bühnenbild: Joep van Lieshout), deutlich. Auch den Venusberg als Teil der Wartburg zu zeigen, der als eine Art Käfig unter der “teuren Halle” den vornehmen Herren die Möglichkeit zum Ausleben ihrer Triebe bietet, funktioniert ohne das restliche Bühnenbrimborium. Vielleicht sollte im nächsten Jahr einfach auf einen Großteil des Bühnenbildes verzichtet werden. Dann könnte die Inszenierung vielleicht doch noch Zuspruch beim Publikum finden.

Denn auch wenn Baumgarten bereits vor Beginn der einzelnen Akte jede Menge Aktion auf der Bühne zeigt, die mit dem eigentlichen Stück in keinem Zusammenhang steht und die vor dem dritten Akt sogar zu lautstarken Zuschauerprotesten führt, verzichtet er im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren während der wunderschönen Ouvertüre und den Vorspielen zum zweiten und dritten Akt auf eine szenische Bebilderung und lässt die Musik einfach wirken. Als einzige Beeinträchtigung mag man vielleicht das schäbige Bühnenbild betrachten, dass aber, da die Bühne relativ dunkel ist, kaum die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht. Die Videoprojektionen (Christopher Kondek) im Hintergrund stören dabei ebenfalls nicht weiter, weil sie einerseits größtenteils diffus und unverständlich bleiben und wie beliebige Lichteffekte wirken, andererseits durch die davor befindlichen Stege sowieso von keinem Platz im Publikum in Gänze wahrgenommen werden können, Bei den beiden Videoleinwänden, die im Vordergrund herabgelassen werden können, fragt man sich sowieso, ob Joep von Lieshout eventuell mit falschen Bühnenmaßen gearbeitet hat, weil selbst auf den Mittelplätzen nicht beide Leinwände vollständig zu sehen sind. Oder ist das ein Versuch, die Randplätze, die ja häufig unter Sichteinschränkung leiden, attraktiver zu gestalten, da man von dort jeweils eine Leinwand vollständig erkennen kann? Da die ständigen Wortspielereien mit “Kunst werde Tat” oder “Kunsttat” oder “Kunst Arbeit” in ihrer Intention sowieso nebulös bleiben, ist es jedoch auch nicht schlimm, wenn man sie nicht richtig erkennen kann. Vielleicht sollte man auf diese Einspielungen bei der Weiterentwicklung der Inszenierung ebenfalls verzichten.

Allein eine Projektion im Hintergrund kann bewegen. Es ist das Bild einer Frau, deren Haupt wie eine Ikone mit einem Kranz umstrahlt wird. Mit den entblößten Brüsten wirkt sie wie eine Kombination aus Heiliger und Hure und scheint damit einen Bezug zu Venus und Elisabeth herstellen zu wollen. Da diese beiden Frauen die Antipoden sind, zwischen denen Tannhäuser hin- und hergerissen ist, wäre es schön, wenn dieses Bild im Hintergrund für alle sichtbar ohne Störung durch den Steg vollständig erkennbar wäre. Diese Projektion mit dem Venuskäfig unter der Bühne würde vollkommen reichen, aus Baumgartens Inszenierung ein akzeptables Konzept herauszuschälen. Auch die Kostüme (Nina von Mechow) würden dabei nicht weiter stören. Dass die Wartburger Gesellschaft durchnummerierte T-Shirts trägt und in bunten Hosen auftritt, würde dabei auch noch einleuchtend sein, da in einer bürokratisierten Gesellschaft jeder durch eine Nummer identifiziert wird. Die anderen Protagonisten hat von Mechow sowieso nahezu klassisch eingekleidet, was besonders beim Kostüm der verführerischen Venus auffällt. Selbst die Kaulquappen – einige Zuschauer halten die vier Gestalten auch für übergroße Spermien – und das andere Getier, das sich im Venusberg vergnügt, müsste keinesfalls als Provokation betrachtet werden.

Würde man dann auch noch auf die unnötigen Szenen in den Pausen verzichten, gäbe es eigentlich nur noch in der Personenregie einiges zu hinterfragen. Ob Elisabeth beispielsweise im ersten Akt bereits in einer roten Kutte wie ein Geist aus einem Stummfilm über den oberen Steg schlurfen muss, wenn Wolfram von Eschenbach sie erwähnt, um Tannhäuser zurückzuholen, ist diskutabel. Überhaupt neigt Baumgarten dazu, Elisabeth als reinen Charakter stark zu karikieren. Ihren Auftritt in der “teuren Halle” zu Beginn des zweiten Aktes lässt er Camilla Nylund ebenfalls mit sehr übertriebenen und albernen Gesten ausführen. Auch Elisabeths Abschied von Wolfram im dritten Akt, nachdem sie verzweifelt auf Tannhäusers Rückkehr aus Rom gewartet hat, entbehrt jeglicher Tragik. Während Baumgarten einen kleinen Moment der Rührung erreicht, wenn Elisabeth in ihrer Trauer zwar Trost bei Wolfram sucht, diesen aber sofort von sich weist, wenn sie merkt, dass er mehr für sie empfindet, ist ihr anschließender Gang in die Biogasanlage nicht nur sinn-, sondern auch geschmacklos, da Wolfram sie auch noch gewaltsam daran hindert, dem Kessel wieder zu entsteigen. Dennoch lässt sich der von großen Teilen des Publikums geäußerte Unmut, darin eine Vergasung zu sehen, nicht halten, da Elisabeth später zwischen den Sängern wieder auftritt. Auch Wolframs Selbstlosigkeit misstraut Baumgarten. So lässt er ihn beim ersten Treffen zwischen Tannhäuser und Elisabeth sogar zum Messer greifen, mit dem er zunächst sicherlich etwas anderes vorhat, als nur eine Kartoffel zu schälen. Beim Gesang Wolframs an den Abendstern Venus auftreten zu lassen, die ja eigentlich für den Abendstern steht, ist als Regieeinfall gar nicht so schlecht, vor allem da Venus während des Gesangs erkennt, dass das Lied nicht ihr gewidmet ist, und sie sich enttäuscht zurückzieht. Auf die alberne Tanzeinlage zwischen Wolfram und Venus könnte dabei allerdings verzichtet werden.

Wenn Baumgarten sich auf derartige Änderungen einließe, könnte man vielleicht auch mit einer schwangeren Venus leben und akzeptieren, dass Tannhäusers Erlösung nicht durch den besungenen blühenden Stab, sondern durch das von Venus geborene Kind herbeigeführt wird. Die musikalische Umsetzung lässt nämlich nach den Neubesetzungen im zweiten Jahr auch im dritten Jahr keine Wünsche offen. Torsten Kerl glänzt in der Titelpartie mit einem strahlenden Tenor, der über genügend Potenzial verfügt, auch die Romerzählung im dritten Akt noch mit frischer und scheinbar unverbrauchter Stimme zu präsentieren. Michael Nagy setzt mit warmem und weichem Bariton einen Wolfram dagegen, der stimmlich als Gutmensch absolut glaubhaft wirkt. Seine Interpretation des “Abendsterns” ist, wenn man von der albernen Personenregie absieht, ein musikalischer Hochgenuss. Günther Groissböck begeistert als Landgraf Hermann mit markantem Bass, und auch die anderen Wartburger Sänger sind mit Lothar Odinius als Walther von der Vogelweide, Thomas Jesatko als Biterolf, Stefan Heibach als Heinrich der Schreiber und Martin Snell als Reinmar von Zweter hochkarätig besetzt. Camilla Nylund ist optisch und stimmlich eine Idealbesetzung für die Elisabeth. Mit leuchtendem Sopran schafft sie es, trotz der unvorteilhaften Personenregie in ihren großen Szenen zu bewegen. Michelle Breedt gibt mit dramatischem Mezzo und laszivem Spiel einen hervorragenden Gegenpart ab. Katja Stuber rundet als Hirt mit glockenklarem Sopran das großartige Solistenensemble festspielwürdig ab. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor lässt wie das Festspielorchester unter der Leitung von Axel Kober, der nach Düsseldorf ja bereits Erfahrung mit dem Dirigat eines Skandal-Tannhäusers hat, ebenfalls keine Wünsche offen, so dass es nach dem anfänglichen Buh-Orchester für die Inszenierung frenetischen Applaus für die Musiker gibt.

FAZIT

Baumgarten wird wahrscheinlich auch im nächsten Jahr nichts an den Schwachpunkten der Inszenierung ändern wollen, was dann wirklich rechtfertigt, dass diese Produktion trotz hervorragender musikalischer Besetzung bereits 2015 aus dem Programm genommen wird.

Thomas Molke | Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 07.08.2013

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Media Type/Label
Premiere, PO
Technical Specifications
224 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 295 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Sebastian Baumgarten (2011)