Tannhäuser

Kent Nagano
Chor der Staatsoper Hamburg
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Date/Location
24 April 2022
Staatsoper Hamburg
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
HermannGeorg Zeppenfeld
TannhäuserKlaus Florian Vogt
Wolfram von EschenbachChristoph Pohl
Walther von der VogelweideDaniel Kluge
BiterolfLevente Páll
Heinrich der SchreiberJürgen Sacher
Reinmar von ZweterMartin Summer
ElisabethJennifer Holloway
VenusTanja Ariane Baumgartner
Ein junger HirtFlorian Markus
Gallery
Reviews
nmz.de

Nichts Neues über Tannhäuser

Das erste Bild war vielversprechend. Keine dauersinnliche Venus, bei der Sänger zum Dauerbesuch da sind, sondern eine Aussteigerfamilie, die in den Schönheiten des Dschungels einerseits alternativ, andererseits vollkommen bürgerlich lebt: die Kinder turnen auf Papa Tannhäuser herum und von Venus erhält er erst einmal eine schallende Ohrfeige, als er bekennt, dass er gehen will, dass er es satthat und dass dieses Leben ihm auch nicht das gebracht hat, was er sich vorstellte. Schon in der Ouvertüre ist Tannhäuser schlafend zu sehen: Träume und vergangene Wirklichkeiten ziehen an ihm vorbei. Die Erinnerung an seine Hochzeit, sein Gefühl, zu ertrinken…

Nun ist die Interpretation, dass der Venusberg nicht gerade ewige Sinnlichkeit, sondern die Sehnsucht des Aussteigens generell zeigt, nicht neu, aber es ist hier ein überzeugendes Bild, in dem Tannhäuser seine ehemalige Anbetung nur noch zaghaft und halbherzig singt. Man durfte gespannt sein, wie Mundruczó, der in seinen Filmen durch psychologische Genauigkeiten aufgefallen ist, die Gegenwelt in der 1845 entstandenen Oper gestalten wird. Und das hatte leider wenig Konturen. Und vor allem war das, was er von der Aufeinanderprallung der beiden Welten so klug im Programmheft ausführt, gar nicht zu sehen. Es war nicht erkennbar, um was für ein Konzept es sich bei der Gegenwelt, nach der sich Tannhäuser sich so sehr zurücksehnt, eigentlich handelt. Die Halle des Sängerwettbewerbes: wohl so eine Art Galerie, in der Elisabeth arbeitet, in die dann die feine Gesellschaft einstürmt und mit einigen Slapsticks Schmunzeln hervorruft (Bühne von Monika Pormale). Andererseits war das alles ungenau und vor allem undeutlich in der Personenführung: das widerständige Benehmen Tannhäusers wirkte sehr stark dem wunderbaren Sänger Klaus Florian Vogt überlassen. Es gab kein kritisches Bild darüber, dass Elisabeth selbst der Preis fürs schöne Singen war und so emanzipiert und gerechtigkeitssuchend, wie sie von Jennifer Holloway mit einem reichlich kräftigen Vibrato angelegt war, hätte sie das wohl auch gar nicht mitgemacht. Und ganz schwer erträglich: das affirmative Schlussbild mit seinen grünen Leuchtkreuzen und der überdimensionalen Leuchtröhre als Sinnbild der Begrünung des Wanderstabes.

Ereignis des Abends, das die über dreißigjährige Inszenierung von Harry Kupfer ablöst, waren insgesamt die SängerInnen, allen voran Vogt, der nun schon seit Jahren auf den Tannhäuser hinarbeitet. Seine glockenreine, etwas metallene und geradezu filigrane Stimme kann er fabelhaft inhaltlich einsetzen. Später vermeidet er jegliche Forcierung, er singt auch seinen großen Ausbruch geradezu leicht und mit phänomenal wirkender Kontrolle über seine Stimme. Darüber hinaus ist bei Vogt die Aussprache zu bewundern: man versteht wirklich alles: „Deklamation als Gesang und Gesang als Deklamation“, wie Wagner es 1852 für den Tannhäuser verlangte. Und großartig auch seine karikierende Ratzinger-Imitation im Papstzitat. Tanja Ariane Baumgärtner als kämpferische Aussteigerin Venus: auch gesanglich eine Augenweide. Groß auch Georg Zeppenfeld als Hermann und schlicht und unendlich ergreifend Christoph Pohl als Wolfram von Eschenbach. Der Chor prächtig, die Orchesterwiedergabe unter Kent Nagano riss in ihrer zeitweisen Behäbigkeit nicht vom Stuhl, war aber insgesamt okay. In den starken Beifall mischten sich viele Buhs.

Ute Schalz-Laurenze | 26.04.2022

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wie ein Schrei nach Erlösung

Kunstvoll und klug: Den Ton der Entzückung wie den der Zerknirschung trifft Klaus Florian Vogt für die Titelpartie von Richard Wagners „Tannhäuser“. Dadurch rettet er die Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper.

Nur zu gut verständlich, dass Tannhäuser erschöpft ist nach dem wüsten Treiben, das in der Pornophonie des Bacchanals ausgemalt wird und das er zuvor als einen auf den Vorhang projizierten Traum und Albtraum miterleben muss; dass der Hochleistungserotiker auf die Lockfrage der Venus also ermattet erwidert: „Zu viel! Zu viel.“ In der Hamburger Neuinszenierung des ungarischen Filmregisseurs Kornél Mundruczó ist Tannhäuser ein Mann, der mit Venus in der Idylle eines Dschungels lebt mitsamt Kindern, die wohl nicht zum ersten Mal alteheliches Gezänk erleben. Erst in der zweiten Strophe der Hymne an Venus zeigen sie sich bekümmert darüber, dass ihr Vater Sehnsucht hat nach des „Himmels klarem Blau“. Zwei Kinder setzen sich auf seinen Rücken und erleben eine Mutter, die ihn, in einen Morgenmantel gewandet, nicht mehr in die Liebesgrotte zu bitten vermag.

Während er – mit der Devise „Mein Heil liegt in Maria!“ – die Göttin der Wonne und Lust verlässt, verwandelt sich die Szene. Von einem zerklüfteten Bergfelsen herab begrüßt ein Hirt – zartlautend: Florian Markus aus dem Tölzer Knabenchor – den Mai, bevor die Vertreter der Wartburg-Gesellschaft den lang vermissten Sänger wieder aufnehmen. Seltsame Umkehrung: Die Welt der Venus ist eine üppige grüne Idylle, die Wartburg hingegen türmt sich hoch als karger, brauner Steinhaufen; und die von Elisabeth jauchzend begrüßte Halle wird sich als Ort für rituelle spießbürgerliche Frömmeleien erweisen. Nun, da Tannhäuser sich auf den Weg der Läuterung begibt, beginnt er die erhoffte Selbstheilung durch Zerstörung.

Beim Sängerstreit auf der Wartburg, bei dem durch „Liedes Kunst der Liebe Wesen“ enthüllt werden soll, stimmt er gegenüber den in „edler Entrüstung“ aufbegehrenden Tugendbolden eine weitere Strophe der Venus-Hymne zum Preis der Sinnenlust an. In der szenischen Einrichtung (Bühnenbild: Monika Pormale) wird der Kampf von zwei Prinzipien – „des Fleisches mit dem Geiste, der Hölle mit dem Himmel“ (Charles Baudelaire) – zum Krach zwischen den Vertretern der bunt-zeremoniell kostümierten und moralisch entrüsteten Wartburg-Gesellschaft und dem Außenseiter. Schauplatz des dritten Aktes für Elisabeths Gebet, Wolframs Lied und Tannhäusers Rom-Erzählung ist wieder jener öde Bergfelsen; und wenn in der Finalszene mit Tannhäusers Erlösungsbitte „Heilige Elisabeth, bitte für mich!“ eine unio mystica mit der heiligen Jungfrau beschworen wird, geht die Inszenierung über in einen chorisch fortissimo besungenen Sakralkitsch – die Chorsänger sind im Parkett positioniert.

Dass die bieder-mutlose Inszenierung an Spannung gewinnt, verdankt sie der Darstellung des Titelhelden durch Klaus Florian Vogt. Sie verlangt, so Wagner, die „höchste Energie des Entzückens wie der Zerknirschung“. Beispielhaft dafür ist zum einen das „Wunder der Entzauberung des Venusbergs“ am Ende des ersten Aktes, ausgedrückt in dem Ausruf: „Mein Heil ruht in Maria“; zum anderen jene Szene am Endes des zweiten Aktes, in der dem Sänger für die vier Mal auf das hohe A führende Phrase „Erbarm dich mein“ alle „Energie des Schmerzes und der Verzweiflung“ abverlangt wird: für einen Ausdruck, der „wie ein Schrei nach Erlösung hervorzubrechen scheint“. Wagner erwartete, dass „der aus der schauerlichsten Tiefe eines furchtbar leidenden Herzens“ der Ton, ein hohes A, „mit allen Nerven der Brust herausgeschleudert“ werden soll; und er wusste wohl, dass ein „bloßes Befassen mit der Aufgabe schon hinreichen“ könne, „den Sänger über sich in Unruhe zu versetzen“.

Vogt war so klug, diese Phrasen – und weitere zwanzig mit dem hohen A – nicht mit der Bruststimme zu singen, sondern mit geschickter Beimischung der Kopfstimme. Das „Dämonische in Wonne und Schmerz“ (Wagner) findet seinen Gipfel in der Rom-Erzählung, wenn Tannhäuser vom Scheitern seiner Pilgerreise berichtet: voller Verwirrung und Zorn, Hoffnungslosigkeit und Wahnsinn. Dieses Wechselfieber muss in kontrastreichen Klanggestalten abgebildet werden. Für die Passage, in der ihm der Papst – „Hast du so böse Lust geteilt“ – die Gnade der Erlösung verweigert, fand Vogt einen suggestiv modulierten Klang, zugespitzt in dem Ausruf: „Da ekelte mich der holde Sang!“ So wie er auch den Ton grauenhafter Begeisterung fand, wenn er noch einmal zu Venus in das „Zauberreich der Minne“ zurückkehren will: „mein Heil hab ich verloren, nun sei der Hölle Lust erkoren“.

Die von Wagner verlangte „Einheit von Deklamation als Gesang und Gesang als Deklamation“ wurde (annähernd) auch von Christoph Pohl als Wolfram und von Georg Zeppenfeld als Landgraf erreicht. Der Bariton führte sich mit rhetorischer Eloquenz und sehr klangschön in die „edlen Kreise“ der Sänger ein und fand für den Gesang einer hoffnungslosen Liebe eine Fülle von Kontrasten: für den improvisatorischen Beginn, für den Lyrismus von „Die Seele, die nach jenen Höh’n verlangt“, für die dynamischen Nuancen von „O du mein holder Abendstern“. Georg Zeppenfeld sang den Landgrafen mit kernigem Klang und jener prägnanten Artikulation, die bei Jennifer Holloway als Elisabeth zu vermissen war. In der Wartburg-Arie wurde die auf das hohe A von „Halle“ folgende Phrase „grüß’ ich“ zu „grüßich“ verschliffen. Dem hohen B am Ende der Arie fehlte der Sitz, dem Lento „Allmächt’ge Jungfrau“ die lyrische klangliche Rundung. Als Venus konnte Tanja Ariane Baumgartner zwar mit Forte-Furor imponieren, nicht aber durch den Sirenenzauber einer „Teufelin“.

Auch wenn die Aufführung von Kent Nagano sorgsam vorbereitet war, der Zauber der magischen Momente wollte sich nicht einstellen: der reizharmonischen Schärfung des Bacchanals, des Englischhorn-Solos im Kontrast zum Chor der nahenden Pilger oder der stürmischen Einleitung der Hallen-Arie mit ihren heftigen triolischen Figurationen. Aber vielleicht ist es auch die spröde Akustik des Hamburger Hauses, in der viele Klangfarben verfließen.

JÜRGEN KESTING | 26.04.2022

concerti.de

Der Penis aus der Palme

Der ungarische Film- und Schauspielregisseur Kornél Mundruczó hat zwar gute Ideen für Wagners romantische Oper, setzt sie aber nicht um. GMD Kent Nagano trifft im Graben auf demotivierte Philharmoniker.

Harry Kupfers Hamburger Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ war legendär. Da trafen Versatzstücke der griechischen Antike auf zeitgenössischen Strip, als im Venusberg ein wild wuselnder Bewegungschor mit seinen Mythos und Sadomaso vereinenden Kostümen eindeutig zweideutig nahelegte: Die hohe Geistlichkeit und die strammen Militärs, die im Sängerkrieg des zweiten Aufzugs entrüstet auf Anstand und reine Liebe pochen und den fleischeslustigen Herrn Tannhäuser verdammen, all diese doppelmoraligen Spießer also, sind des nachts doch allzu gern im Puff der Liebesgöttin weilende Gäste. Kupfer dachte Wagners heute doch allzu weit hergeholten Dualismus zweier Liebes- und Gesellschaftskonzepte konsequent dialektisch. Wie die Titelfigur in den grauschwarzen Wänden von Hans Schavernoch nachgerade zermalmt wird, war ein packendes wie zeitlos gültiges Bild. Dazu sang zur Premiere anno 1990 der große Heldentenor René Kollo die Titelpartie und der baritonbalsamische Andreas Schmidt den Wolfram. GMD Gerd Albrecht dirigierte. Auch auf internationalen Gastspielen der Staatsoper war die Erfolgsproduktion mehrfach zu sehen und trug das gute Image des Hauses an der Dammtorstraße in die Welt.

Heinrich Tannhäuser: ein neurotischer, ausgebrannter, depressiver Mann in der Midlife-Crisis
Nun diese Referenzinterpretation eines Kernwerks des Repertoires durch eine Neuinszenierung zu ersetzen, ist mutig. Der Anspruch musste sein, wirklich Neues zu sagen und dabei das gedankliche wie handwerkliche Niveau der Vorgängerproduktion tunlichst nicht zu unterschreiten. Zumindest die konzeptionelle Vorarbeit, die Kornél Mundruczó und sein Team geleistet haben, ist eindrucksvoll. Der Regisseur charakterisiert Tannhäuser treffend aus der Gegenwart heraus: Er sei „ein neurotischer, ausgebrannter, depressiver Mann“ in der Midlife-Crisis, der sich den Traumata seiner Vergangenheit stellt und sich einem Selbstheilungsprozess stellt. Am Ende sieht der Ungar für die Titelfigur gar die Chance eines Neuanfangs. Soweit sein Statement im Programmheft.

Wagner in der Dschungel-Kommune
Wo Schavernoch und Kupfer einst die heimlichen Verbindungen von Venus- und Wartburgwelt enthüllten, schärft nun Monika Pormale in ihrem Bühnenbild die Gegensätze wieder und stellt eine südlich enthemmte Hippie-Kommune dem nordisch-aristokratischen Kosmos der High Society entgegen. Die reinen Schauwerte dieser Setzungen sind beträchtlich. Denn immerhin wird Wagners romantische Oper damit erstmals in den Dschungel entführt. Im üppigem Grün von Palmen raucht also Frau Venus tiefenentspannt ihre Joints, und Herr Tannhäuser lagert angesichts des deutlichen sexuellen Überangebots, zu dem hier auch Minderjährige gehören (das Thema „Pädophilie und Richard Wagner“ ist in der Tat neu), merklich ermattet und gelangweilt wie ein Tarzan in der Frührente inmitten von Lianen. Synästhetisch imaginiert man dazu die schwüle Wärme der afrikanischen Regenzeit. Ja, so stellen sich fantasievolle Norddeutsche wohl die Freiheit des Aussteigertums und Rebellendaseins vor. Ein süßlicher Hauch von 1968 weht durch die Hamburgische Staatsoper.

Die Chorregie hat einigen Witz
Der Sektempfang bei Landgraf Hermann, auf dem die Kleiderordnung „Black Tie“, will sagen: Frack oder Smoking für die Herren, lange Kleider für die Damen, gilt, steht in seinem klinisch hellen Weiß der Venuswelt krass entgegen. Nur der nicht wirklich reuige Rückkehrer in diese Halle der Konventionen kommt im T-Shirt auf die Party der Schönen und Reichen. Klar, Tannhäuser ist Rebell. Die Frackjacke, die ihm daher übergestülpt wird, behält er nur so lange an, wie er seine „Sünde“ – die Reise in den Venusberg – für sich behalten kann. Die Chorregie hat hier einigen Witz, wenn die arg reaktionären Sprüche der Minnesänger mal beklatscht, mal belacht werden. Wenn sich Tannhäuser dann offenbart und den Seinen den Besuch bei Venus ausdrücklich empfiehlt, platzen die Palmen der Gegenwelt durch die Rückwand in die heil’ge Halle: Die Konfrontation der beiden Welten ist unausweichlich. Es bleibt indes ein Geheimnis von Regisseur und Bühnenbildnerin, welche Botschaft sie mit dem Schlussbild in die Wagnerwelt senden wollen: Denn da löst sich aus riesigen Palmenblättern ein ebenso imposanter Phallus. Ob der Penis, der sich aus der Palme gen Himmel streckt, ein Lobpreis der sinnlichen Liebe sein soll?

Geschmackssache: Klaus Florian Vogt in der Titelpartie
Schade bei alledem, dass Kornél Mundruczó das Handwerk der Personenregie fehlt, seine mitunter gar nicht schlechten Ideen in die musiktheatralische Realität umzusetzen. Die Szenen einer Ehe in der Endphase zwischen Venus und Tannhäuser bleibt Rampensingsang, den auch die fulminant mezzodramatische Tanja Ariane Baumgartner nicht retten kann. Der Sängerkrieg ist zwar unfallfrei arrangiert, der Sprengstoff dieser bigotten Klasse wird freilich kaum ansatzweise gezündet. Auch den finalen Wiederbegegnungen von Elisabeth und Wolfram, respektive Wolfram und Tannhäuser gewinnt der Regisseur nur wenige interessante Facetten ab, sodass es den darstellerischen Qualitäten der einzelnen Sänger überlasse bleibt, was sie aus ihren Figuren machen. Wirklich durchgeformt als Charakter ist nur die überzeugend suizidale Elisabeth der sopranleuchtenden Jennifer Holloway. Die tiefen Männerstimmen sind exzellent besetzt, Georg Zeppenfelds Landgraf ist purer Bassluxus. Christoph Pohl setzt mit seinem Wolfram auf seinen schönen klaren Kavaliersbariton, die edle Phrasierungskunst der Fischer-Dieskau-Schule ist weniger seine Sache. Eindeutig Geschmackssache ist der umjubelte Klaus Florian Vogt in der Titelpartie. Der weltweit führende Lohengrin wird nicht einfach zu einem tollen Tannhäuser. Man bewundert zwar die Mühelosigkeit des hellstimmigen Heldentenors, doch die Intonation seiner flach und gerade geführten Stimme leidet erheblich.

Die Partitur hat mehr Magie, als die Philharmoniker uns glauben machen
Der musikalische Hausherr erlebt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg keinen Glanztag. Trotz einiger Wackler und Schmisse hat Kent Nagano zwar den Laden insgesamt im Griff, doch nach dem warmtönenden Vorspiel gehen die Philharmoniker ohne jede postpandemische Wonne am Wagnerwogen zu Werke. Sie klingen pauschal, undifferenziert, laut. In dieser Partitur des Aufbruchs zwischen romantischer Oper und Musikdrama steckt so viel mehr Magie, als an diesem lauen Abend zu vernehmen ist.

Peter Krause | 25. April 2022

Frankfurter Rundschau

Lohengrin im Dschungel

Eindrucksvolle 30 Jahre lang hielt die Staatsoper Hamburg an Harry Kupfers „Tannhäuser“ fest, Kornél Mundruczós Neuinszenierung löst sie nun ab und zeigt bei der Premiere einen erschütternd kurzen Atem. Ein Lehrstück über die Schwierigkeit, Opern zu inszenieren.

Der Ungar Mundruczó, mit Caroline Staunton als Co-Regisseurin engagiert, ist ein versierter Filme- und Sprechtheatermacher, war mit seinem Proton-Theater im Frankfurter Mousonturm zu Gast, hat in Hamburg am Thalia inszeniert und arbeitet seit einigen Jahren auch für das Musiktheater. Und mit Interesse wird man seiner ersten Grundidee zu Richard Wagners Oper folgen. Völlig einleuchtend sieht er das Fundament für eine Interpretation in der Frage, was für ein Ort der Venusberg ist, Ausgangspunkt von Tannhäusers erfüllten und im bürgerlichen Sinne skandalösen Sehnsüchten, aber auch seines Ennui und seiner Schuldgefühle. Jedenfalls ist das die Gegenwelt zur Wartburgsphäre, in der die Frau seiner anderen Träume auf ihn wartet, die fromme Elisabeth.

Bei Kupfer erregte das entsprechende Sex-Shop- und Amüsier-Betrieb-Ambiente manches Gemüt, Mundruczó hingegen lässt im imaginären Berginneren einen Dschungel gedeihen (Bühne: Monika Pormale), in dem es viel zu schwül für lebhaftere Aktion ist. Man dämmert hochsommerlich bekleidet (Kostüme: Sophie Klenk-Wulff) in Liegestühlen vor sich hin oder liest ein Buch. Die friedfertig herumstreifenden Kinder und Teenager, ein Mädchen hochschwanger, sind wie aus Peter Pans Neverland, gehören aber zu Venus und Tannhäuser.

So arglos ist dieses sogenannte wilde Familienleben, dass man ernsthaft fragen muss, warum dieser Mann sein Heil in Maria suchen sollte, wo er doch mit der zivilen und verlässlichen Althippiefrau Venus zusammen ist. Draußen erwarten ihn ein uninteressanter künstlicher Steinberg und ein vorzüglich singendes Mitglied des Tölzer Knabenchors.

Schon zur Ouvertüre schaut man dem Tenor Klaus Florian Vogt auf einer Vorhangprojektion beim Schlafen zu, er hat unbehagliche Träume (Video: Rudolfs Baltins). Das dauert eine Weile, wie sich auch die Venusberg-Szene in die Länge zieht, da an dieser Stelle die Pariser Fassung gespielt wird. Der herrlich reifen, üppigen Venusstimme von Tanja Ariane Baumgartner kommt immerhin das Isoldehafte dieser Überarbeitung entgegen. Vogts lichte, knaben-, gar engelhafte Stimme ist indes zunächst weniger dafür geeignet, einen laut Regisseur nicht mehr jungen, missmutigen Tannhäuser hören zu lassen. Ein Lohengrin, der in der Midlife Crisis steckt und nach Rom pilgern soll?

Die Gegenwelt, die daraus und damit nun etwas machen müsste, begibt sich jetzt aber auf dekorativ-konventionelle Pfade. Eine Upper-Class-Jagdgesellschaft unter der milden Führung des gediegen singenden Georg Zeppenfeld als Landgraf. Auch Tannhäuser wird bereitwillig einen der bereithängenden kapitalen Hirsche ausbluten lassen. Elisabeth ist bei der US-Amerikanerin Jennifer Holloway (dem Frankfurter Publikum aus „Der ferne Klang“ bekannt, als Grete Graumann) eine junge, verletzliche, verletzte Frau von Heute. Die feinen Leute feiern derweil nach ihren eigenen Spielregeln. Tomaten werden verteilt, aufwendig gestaltete Hirschköpfe spielen beim Wettstreit eine kleine Rolle. Zu einem spannenden Gegenentwurf zu Venus’ Tropenglück trägt es nicht bei.

Ab jetzt wird auch eher brav absolviert. Zum Finale auf und um den Steinberg singt Christoph Pohl als Wolfram von Eschenbach sehr schön vom Abendstern, muss als Typus aber doch blass bleiben. Wie auch die traurige, suizidale Elisabeth, wobei der sanfte Sopran Holloways noch der interessanteste Kontrast zu Baumgartners Venus ist. Dass Tannhäuser in Rom gescheitert ist, erzählt Vogt aber nun in aller Ruhe und mit verschwenderisch einsetzbarer Kraft, jetzt der perfekte Tannhäuser, der die Stimme des herzlosen Papstes grandios nachäfft. Und er könnte es vermutlich gleich noch einmal singen. Die Personenführung ist unterdessen endgültig auf einem praktikablen Allerweltstannhäuserniveau angelangt.

Ganz am Ende gibt die Regie dem Affen Zucker. Der verstorbene Tannhäuser liegt unter einer Palme, die sich ausklappt und den Blick auf eine, äh, raketen- oder phallusförmige leuchtende Riesenfrucht freigibt. Während Wagner dem Papst zeigt, was eine Harke ist, schlüpfen die Herren des Chores (Leitung: Eberhard Friedrich) ins Parkett, um uns den Schluss in verschärftem Stereo zu präsentieren. Natürlich klingt es imposant.

Dabei tun sich Graben, wo Kent Nagano das exzellente Philharmonische Staatsorchester mit flotten Tempi und ohne besondere Subtilitäten leitet, und Bühne in der Koordination nicht immer leicht. Musikalisch gewinnt der Abend gleichwohl zunehmend an Sicherheit und wird weitgehend bejubelt (ein paar Buhs gegen Nagano). Wie man der vom Premierenpublikum indessen recht kräftig ausgebuhten Inszenierung Mundruczós aus ihrer fatalen Position zwischen halbgaren Einfällen und lahmender Konvention helfen soll, bleibt unklar.

Judith von Sternburg | 25. April 2022

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Media Type/Label
Technical Specifications
128 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 170 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (NDR Kultur)
A production by Kornél Mundruczó (premiere)