Tannhäuser
Nathalie Stutzmann | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Hermann | Günther Groissböck |
Tannhäuser | Klaus Florian Vogt |
Wolfram von Eschenbach | Markus Eiche |
Walther von der Vogelweide | Siyabonga Maqungo |
Biterolf | Ólafur Kjartan Sigurðarson |
Heinrich der Schreiber | Jorge Rodríguez-Norton |
Reinmar von Zweter | Jens-Erik Aasbø |
Elisabeth | Elisabeth Teige |
Venus | Ekaterina Gubanova |
Ein junger Hirt | Julia Grüter |
Bleibenswert
Tobias Kratzers „Tannhäuser“ begeistert bei den Bayreuther Festspielen erneut als totales Theater mit Tiefgang – mit etlichen neuen Interpreten und mit Hügel-Debütantin Nathalie Stutzmann am Pult!
Tobias Kratzers „Tannhäuser“ ist auch in seinem vierten Jahr wieder der Hit auf dem Grünen Hügel. Es ist der seltene Glücksfall einer Inszenierung, die die Neugierigen begeistert und auch bei Traditionalisten durchgeht. Eine, die Theater total bietet und das Stück auf dem Weg von einem Überraschungseffekt zum nächsten nicht einfach links liegen lässt. Eine, die etliche selbstreferenzielle Pointen zündet und sich auf die Abgründe des Stückes einlässt. Dabei gibt es Videos en masse, zusätzliches Personal, jede Menge Gegenwart, sogar einen von der Festspielchefin veranlassten fingierten Polizeieinsatz auf der Bühne. Alles Zutaten, mit denen man in Bayreuth die Zuschauer früher auf die Palme gebracht hätte. Aber Kunst kommt halt von Können – und hier können sie es einfach.
Zudem hat sich Kratzer mit den Videos selbst eine ziemlich clevere Möglichkeit eingebaut, das Ganze bei jeder Wiederaufnahme sichtbar aufzufrischen. Diesmal taucht er zusammen mit Manuel Braun (Videos) und seinem Ausstatter Rainer Sellmaier selbst kurz auf. Mit gepackten Koffern, in zünftigem Matrosenlook und mit einem Tschüss Richtung Hamburg (wo Kratzer ja Intendant wird). Aber auch mit dem Aufkleber, der verrät, dass sie 2024 wieder zurückkommen … Dazu gibt’s eine Anspielung auf die AR-Brillen im Parsifal. Auf der Bühne schützen sich die ins Festspielhaus strömenden Gäste mit dem Programmheft über den Köpfen vorm aktuellen Dauerregen. In der ersten Pause dann, in der die echten Gäste im Saal zu einer Zusatzshow an den Teich unten im Park geladen sind, wurde so viel Echtzeit-Zugewandtheit dann sogar höheren Ortes belohnt und der Regen pausierte genau zur richtigen Zeit!
So wie die Inszenierung insgesamt den Hügel erobert hat, so macht es die reisende Off-Theatertruppe um die flippige Venus unter dem Motto „FREI IM WOLLEN / FREI M THUN / FREI IM GENIESSEN“ (stammt natürlich von Richard selbst!) in der Inszenierung mit dem Festspielhaus. Mit einer Leiter über den Balkon. Im Video hatte man gesehen, dass die bunte Truppe um die flippige Venus, mit Trommler Oskar (Manni Laudenbach), der sich selbst spielenden Drag Queen Le Gateau Chocolat und einem Tannhäuser im Clownskostüm von der Wartburg Richtung Bayreuth aufbrechen. Wie sie unterwegs Benzin klauen und das fastfood nicht bezahlen. Als Venus auch noch eiskalt einen Wachmann überfährt wird es Tannhäuser zu viel. Er will zurück ins Festspielhaus zu seinen Sängerkollegen und vor allem zu der einen Kollegin, Elisabeth, und sich wieder in die laufende (ziemlich historisch wirkende) Tannhäuser-Produktion einklinken. Beim Sängerwettstreit kann er aber von der anderen Welt nicht lassen, die eingedrungene Venus und ihre Begleiter tun ein übriges – der Eklat ist perfekt und Katharina lässt die Polizei anrollen und den Rebellen abführen …
Klaus Florian Vogt gehört in Bayreuth zum Stammpersonal. Mit seinem Tannhäuser gelang es ihm sogar noch zu überraschen. Selbst wie er mimisch (in Video-Großaufnahme) den Auftritt von Wolfram kommentiert ist das eine Klasse für sich. Erst recht aber sein Gesang: Frei und strahlend, durchdacht und in der Romerzählung als fabelhaft gestaltetes, dramatisches Kabinettstück! (Und das kurz nach seinem Siegmund!) Elisabeth Teige setzt mehr als ihre Rollenvorgängerin Lise Davidsen vor allem auf den feinen lyrischen, mitunter flirrenden Ton und überzeugt. Als Gegenspielerin ist Ekatarina Gubanova wieder die in jeder Hinsicht fulminante Venus. Günther Groissböck führt als markiger Landgraf die fabelhafte Sängertruppe an, in der Siyanbonga Maqungo als neuer Walther auffällt. Markus Eiche ist wieder der vital-markante aber auch mitfühlende Konkurrent um Elisabeths Liebe. Wenn er Elisabeth auf deren Wunsch im Clownskostüm Heinrichs in den Theaterwagen folgt, ist das eine tief traurige und exemplarisch erschütternde Szene.
Dazu kommen als glockenklarer junger Hirte Julia Grüter und der vorzügliche Chor des Hauses, der als Pilgertruppe von Festspielbesuchern auftritt, als Festgesellschaft beim Sängerwettstreit mitwirkt und sich schließlich am Ende in eine Truppe von gründlich Gescheiterten verwandelt.
Bei der Premiere stand noch der Valery Gergiev am Pult, der seinerzeit noch (nur) künstlerisch enttäuschte. Wie sehr die Festspiele – entgegen allem Untergangsgeraune – mit der Zeit gehen, belegt nicht zuletzt das Festspieldebüt von Nathalie Stutzmann als bereits zweiter Dirigentin im verdeckten Graben. Das Publikum feierte sie mit Standing Ovations für eine Lesart, bei der man die Sensibilität der Sängerin am Pult (die sie ja auch ist) durchweg zu spüren meinte und die auf die innere Erzählung der Musik setzte, ohne der (wirklich großartigen) Show auf der Bühne eine im Graben entgegenzusetzen. Wie schön, dass dieser „Tannhäuser“ erstmal bleibt.
Joachim Lange | 29.07.2023
Anarchie versus Tradition
“Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Geniessen”: Dieses Zitat aus Richard Wagners Schrift Die Revolution aus dem Jahr 1849 scheint als Idee über der Inszenierung von Tobias Kratzers Tannhäuser zu stehen, die 2019 auf dem Grünen Hügel Premiere feierte und von der man im vierten Jahr – 2020 konnte die Produktion wegen der Corona-Pandemie bekanntlich nicht gespielt werden – wahrscheinlich Abschied nehmen muss. Leider, denn nach der letzten missglückten Produktion von Sebastian Baumgarten aus dem Jahr 2011, die in einer Biogasanlage spielte, findet Kratzer mit seinem Team Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüme) und Manuel Braun (Video) einen Ansatz, der auf ganzer Linie begeistert und den man gerne auch noch im kommenden Jahr auf dem Spielplan gesehen hätte. Kratzer legt dabei weniger den Schwerpunkt auf den Konflikt zwischen “Hure und Heiliger”, der in zahlreichen Inszenierungen bei den beiden Figuren Venus und Elisabeth im Mittelpunkt steht, sondern präsentiert zwei unterschiedliche sich widersprechende Lebenskonzepte, die man vielleicht mit Anarchie auf der einen Seite und Tradition auf der anderen überschreiben könnte. Damit nähert sich Kratzer der Geschichte absolut spannend und hat tatsächlich etwas Neues zu erzählen, was sich durchaus aus dem Libretto herauslesen lässt.
Der Venusberg, in dem sich Tannhäuser zu Beginn der Oper befindet, ist bei Kratzer kein spezieller Ort, sondern eine Gruppe von Grenzgängern, die aufgrund von körperlicher oder sexueller Andersartigkeit nicht in ein Lebenskonzept passen, das durch Tradition reglementiert wird. Dazu führt Kratzer zwei Figuren ein, die im Libretto zwar nicht vorkommen, aber zu einem elementaren Bestandteil der Geschichte werden: den kleinwüchsigen Oskar (Manni Laudenbach) als Kunstfigur aus Günter Grass’ Die Blechtrommel, der beschlossen hat, auf ewig Kind zu bleiben und nicht mehr zu wachsen, dabei aber durchaus die Sexualität eines Erwachsenen entwickelt, und Le Gateau Chocolat, einen dunkelhäutigen Drag Artist. Diese beiden verkörpern anschaulich eine Welt, die mit konventionellen Traditionen bricht und in einer heutigen “Wartburg-Gesellschaft” mehr Empörung und Ablehnung auslösen kann, als das mit sexueller Freizügigkeit möglich ist. Venus ist an die Performance-Künstlerin Marina Abramović angelehnt, die in ihrer Kunst Grenzbereiche austestet und dabei auch häufig überschritten hat. In Anlehnung an Abramović lässt Kratzer Venus gemeinsam mit ihren Gefährten in einem alten Citroën-Van durch die Gegend fahren und findet dabei zur Ouvertüre großartige Bilder.
Zunächst sieht man zu den hehren Klängen, die die traditionelle Wartburg beschreiben, in einem Video von Manuel Braun pittoreske Luftaufnahmen von der Wartburg. Die Kamera schwenkt weiter über den Thüringer Wald und das Publikum wähnt sich in einem nahezu paradiesischen Zustand. In diesem Ambiente wollte man die Geschichte immer schon einmal erleben. Dann bricht das Venus-Motiv in die Musik ein, und der Van wird sichtbar, der durch den Thüringer Wald fährt. Venus sitzt am Steuer und Tannhäuser auf dem Beifahrersitz. Er ist als Clown verkleidet, was ihn zu einem Grenzgänger zwischen Komik und Tragik macht. Er muss sich folglich ein wenig verstellen, um in diese andere Welt hineinzupassen. Zunächst genießt Tannhäuser das freie Leben an Venus’ Seite. Das Video geht in Live-Bilder auf der Bühne über. Man sieht den Van auf der Bühne, der über eine dahinter projizierte Straße fährt. Le Gateau Chocolat steigt während der Fahrt aus, um neben dem Fahrzeug herzulaufen. Nach diesem kleinen Einschub folgt eine weitere Filmsequenz. Man braucht Benzin und etwas zu Essen. Während Venus an einem Drive-In von Burger King anhält und für horrende Summen Essen und Getränke ordert, schleichen sich Manni und Le Gateau Chocolat in ein Parkhaus, um aus dem Tank eines Autos Benzin zu stehlen. Dabei werden sie von einem Wachmann überrascht und fliehen zurück zum Bus. Venus beschließt gerade, die Zeche zu prellen und mit den Einkäufen abzuhauen, als sich der Polizist dem Van in den Weg stellt. Nun kommt der Moment, der Tannhäuser mit seinem Leben in dieser Gemeinschaft hadern lässt. Venus überfährt den Polizisten. Das ist für Tannhäuser zu viel. Enttäuscht zieht er sich ins Hintere des Vans zurück und nimmt neben dem Venusbild von Botticelli Platz, was wohl die Sehnsucht nach der alten Tradition darstellen soll.
Am Ende der Ouvertüre ist man dann in einem Märchenwald angekommen. Auf der Bühne sieht man in einem pittoresken kleinen Häuschen Frau Holle, die ein Kissen aus dem Fenster ausschüttelt. Davor stehen in einem Garten Schneewittchens Zwerge. Le Gateau Chocolat lässt es sich nicht nehmen, ins Haus einzudringen und im Schneewittchen-Kostüm wieder herauszukommen. Während sich Venus an einen Tisch zum Essen begibt, bleibt Tannhäuser am Van zurück. Er ist dieses Lebens überdrüssig und will wieder in sein bürgerliches Leben zurück. Es kommt zum Streit zwischen ihm und Venus, an dessen Ende er aus dem fahrenden Auto springt. Man ist nämlich mittlerweile weitergefahren, nicht ohne auch im Märchenwald ein enormes Chaos zu hinterlassen. Wenn er dann auf der Straße aufwacht, befindet er sich in Bayreuth vor dem Festspielhaus. Der junge Hirt (Julia Grüter mit hellem Sopran), dem er begegnet, ist ein “blaues Mädchen”, das Tannhäuser als Sänger aus der gleichnamigen Inszenierung kennt. Der Pilgerchor ist dann nicht auf dem Weg nach Rom, sondern pilgert ins Festspielhaus zu einer Aufführung des Tannhäuser, wie man an den Programmheften erkennen kann, die die Besucher*innen mit sich führen. Die übrigen Sänger sind ebenfalls froh, Tannhäuser wiederzutreffen. Schließlich fehlt ihnen für die Aufführung ja noch ein Tenor. Damit endet der erste Akt. Auch musikalisch bleiben hier keine Wünsche offen. Nachdem Klaus Florian Vogt am Tag zuvor noch als Siegmund in der Walküre begeisterte, punktet er auch als Tannhäuser mit hellem, klarem Tenor und einer wunderbar deutlichen Diktion. Ekaterina Gubanova stattet die Venus mit kraftvollem Mezzosopran aus und begeistert durch wunderbar anarchisches Spiel.
In der Pause bietet sie dann gemeinsam mit Laudenbach und Le Gateau Chocolat am See im Festspielpark ein kleines Programm der besonderen Art. Während Laudenbach in einem Schlauchboot trommelnd über den See rudert, heizt Le Gateau Chocolat dem Publikum gehörig ein und präsentiert musikalische Leckerbissen aus Musical und Pop-Musik. Mit profunder Tiefe glänzt er bei “Ol’ Man River” und beendet seine Performance mit der Hallen-Arie aus dem Tannhäuser. Dazwischen macht Venus zu einem deutschen Schlager ihrem Frust darüber Luft, dass Tannhäuser sie verlassen hat. Im weiteren Verlauf fertigt sie dann das Plakat mit dem Wagner-Zitat “Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Geniessen” auf der Wiese an. Am See erscheinen auch einige als Festspielgäste getarnte Statist*innen, die sich auf Luftmatratzen in den See schmeißen oder am Rand des Ufers mit einem Picknickkorb Sekt trinken. So unterhaltsam hat man am Festspielhügel die einstündige Pause selten verbringen können.
Im zweiten Akt wird die Bühne dann geteilt. Für den Sängerkrieg hat Sellmaier eine absolut traditionelle Halle entworfen, die einer Mischung aus dem Festsaal und dem Sängersaal der konkreten Wartburg und damit auch historischen Inszenierungen nachempfunden ist. Darüber bietet eine Live-Kamera Blicke hinter die Kulissen und zeigt, was hinter der Bühne während der Aufführung geschieht. Man sieht den Inspizienten, der alles überwacht, und die Sängerinnen und Sänger, die sich von ihren Kabinen zum Auftritt begeben. So verfolgt man auch Elisabeth Teige als Elisabeth auf die Bühne, wo sie dann mit strahlendem Sopran die berühmte Hallen-Arie zum Besten gibt. Doch bei Kratzer ist es nicht Tannhäuser allein, der beim Sängerwettstreit den Eklat auslöst. Venus ist ihm mit dem Van bis zum Festspielhaus gefolgt und steigt über den Balkon mit Manni und Le Gateau Chocolat ins Haus ein. Zuvor befestigt sie aber noch das in der Pause angefertigte Plakat am Eingangsportal, das man dann zur zweiten Pause mit der Leiter dort vorfindet. Mit großartiger Komik dringen die drei in die Vorstellung ein. Venus überwältigt einen Edelknaben auf der Toilette und klaut das Kostüm. So stolpert sie auf die Bühne, ohne zu wissen, was sie in der Aufführung jetzt eigentlich machen muss. Gubanova entfaltet dabei eine großartige Komik, die auch in ihrer Mimik durch Nahaufnahmen der Kamera zum Ausdruck kommt. Als dann alles auf der Bühne aus dem Ruder läuft, informiert der Inspizient die Festspielleitung, und Katharina Wagner greift zum Hörer und wählt die 110. Kurz darauf sieht man Polizeiwagen den Hügel herauffahren. Nachdem die Polizisten einen Moment lang über das aufgehängte Plakat sinniert haben, stürmen sie den Saal und landen auf der Bühne. Tannhäuser wird abgeführt, während sich Venus, Manni und Le Gateau Chocolat in der allgemeinen Verwirrung aus dem Haus stehlen.
Auch der zweite Akt lässt musikalisch keine Wünsche offen. Markus Eiche punktet als Wolfram mit warmem Bariton, der seine Gefühle für Elisabeth deutlich macht. Man nimmt ihm zu jedem Zeitpunkt auch darstellerisch ab, wie sehr er darunter leidet, dass Elisabeth sich nur für Tannhäuser interessiert. Günther Groissböck, der schon in der letzten Produktion am Hügel als Landgraf Hermann zu erleben war, stattet den Landgrafen mit kraftvollen Tiefen aus und besticht durch eine klare Diktion. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor begeistert nicht nur in den großen Chorszenen durch homogenen Klang, sondern zeigt auch in den Nahaufnahmen der Live-Kamera großes komödiantisches Talent. Gleiches gilt für Vogt, der sich sichtlich genervt zeigt, wenn ihm diverse Chordamen bei seinem Abgang um den Hals fallen wollen. Auch die mimische Kommentierung von Wolframs Beitrag zum Sängerkrieg, der er hinter der Bühne mit den anderen Kollegen lauscht, zeigt großes darstellerisches Potenzial. Siyabonga Maqungo punktet als Walther von der Vogelweide mit weichem, hellem Tenor, und auch Ólafur Sigurdarson, Jorge Rodríguez-Norton und Jens-Erik Aasbø lassen als Biterolf, Heinrich der Schreiber und Reinmar von Zweter keine Wünsche offen.
Einen absoluten Bruch gibt es dann im dritten Akt. Hier ist dann im wahrsten Sinne des Wortes “Schluss mit lustig”. Kratzer lässt diesen Akt absolut düster auf einer Müllhalde spielen. Oskar fristet hier ein trauriges Dasein in dem nicht mehr funktionstüchtigen Van. Seine Trommel dient nur noch als Suppentopf, um sich ein karges Süppchen zu kochen. Das Plakat mit den revolutionären Tönen dient nur noch dazu, sich nach dem Stuhlgang den Hintern abzuwischen. Im Gegensatz zu ihm hat Le Gateau Chocolat den Absprung geschafft und lächelt von einem strahlenden Plakat als Werbeikone für die eigens kreierte Uhrmarke herab. Elisabeth findet sich auf dieser Müllhalde in der leisen Hoffnung ein, Tannhäuser hier zu finden. Die aus Rom zurückkehrenden Pilger sind jetzt keine Festspielbesucher*innen mehr sondern Müllsammler, die Oskar auch noch sein letztes Hab und Gut rauben. Verzweifelt muss Elisabeth erkennen, dass Tannhäuser nicht zurückgekehrt ist, und sehnt sich nur noch nach dem Tod. Auch Wolfram kann sie nicht trösten. Kurz vor ihrem Selbstmord gibt sie sich ihm hin, allerdings erst, als er das Clown-Kostüm Tannhäusers übergezogen hat. So traurig und verzweifelt hat man Wolframs anschließenden Gesang an den Abendstern wohl selten gehört. Eiches Interpretation geht dabei unter die Haut. Es folgt die Rückkehr Tannhäusers mit der Rom-Erzählung. Auch hier begeistert Vogt mit klarer Diktion und hellem Timbre. An den erlösenden Schluss glaubt das Regie-Team nicht wirklich. Wolfram legt dem verzweifelten Tannhäuser, dessen Versuch, erneut zu Venus zu gelangen, keine Alternative mehr ist, die tote Elisabeth in den Schoß. In einem Schlussbild sieht man Tannhäuser dann mit Elisabeth in dem Van in den Sonnenuntergang fahren. Das ist das einzig Versöhnliche an diesem Ende. Nathalie Stutzmann arbeitet mit dem Festspielorchester die Finessen der Partitur klar strukturiert und differenziert heraus und erntet wie die übrigen Solistinnen und Solisten und das Regie-Team tosenden Applaus.
FAZIT
Das Regie-Team um Tobias Kratzer findet einen in jeder Hinsicht packenden Zugang zum Werk, und auch die Video-Einspielungen von Manuel Braun geben der Inszenierung eine eigene und ganz besondere Note.
Joachim Lange | 29.07.2023