Tannhäuser

Nathalie Stutzmann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2024
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
HermannGünther Groissböck
TannhäuserKlaus Florian Vogt
Wolfram von EschenbachMarkus Eiche
Walther von der VogelweideSiyabonga Maqungo
BiterolfÓlafur Kjartan Sigurðarson
Heinrich der SchreiberMartin Koch
Reinmar von ZweterJens-Erik Aasbø
ElisabethElisabeth Teige
VenusIrene Roberts
Ein junger HirtFlurina Stucki
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Reviews
Online Musik Magazin

Bayreuths selbstironischer Blick in den Spiegel bietet großes Theater

Ein bisschen queerer soll es hier zugehen, fordert Le Gateau Chocolat, Travestiekünstler und Teil von Tobias Kratzers immer noch erfrischend frecher Tannhäuser-Inszenierung aus dem Jahr 2019. Und das Publikum der Pausenshow am Teich im Festspielpark, die zum Regiekonzept gehört, applaudiert fröhlich. Kratzer, der mit seinem Team (Ausstattung: Rainer Sellmaier, Video: Manuel Braun) bei dieser Wiederaufnahme anwesend ist und tosenden Applaus (und ein paar vereinzelte, vehemente Protestbekundungen) entgegennimmt, hat die Inszenierung an ein paar wenigen Stellen aktualisiert, am einschneidendsten in der Videosequenz, die die Ouvertüre bebildert. Da sieht man Tannhäuser als Clown in einem Kleinbus über die Landstraße fahren, Teil eines schillernden Quartetts: Venus im Schlagersängerinnenoutfit, dem kleinwüchsigen Grass’schen Blechtrommler Oscar (Manni Laudenbach) und eben Le Gateau Chocolat als sich selbst spielende Kunstfigur. Sie propagieren ein alternatives Lebensmodell (das freilich, das sieht man im Video, einen Polizisten das Leben gekostet hat). Irgendwann streift die Kamera beim Schwenk durch den Bus ein Foto des im vorigen Jahr an einer Krebserkrankung verstorbenen Heldentenors Stephen Gould, der bis 2022 die Titelpartie gesungen hat. Und in die Musik hinein brandet Beifall auf: Gould, eine großartige Sängerpersönlichkeit, wirkt nach.

Mit Klaus Florian Vogt hat bereits 2023 ein anderer Publikumsliebling die Partie übernommen, und er macht das großartig. Die sehr viel hellere (allerdings Jahr für Jahr “nachdunkelnde”) und leichtere Stimme passt hervorragend zu dieser Figur. Er macht die Zerrissenheit zwischen der anarchischen Kleingruppe, die sich explizit auf den frühen, “revolutionären” Wagner beruft, und der bürgerlichen Welt der Wartburg-Gesellschaft (in der sich die ehrwürdigen Bayreuther Festspiele samt Publikum spiegeln), glaubhaft. (Eine ausführliche Darstellung der Inszenierung kann man in unseren Besprechungen aus dem Premierenjahr 2019 und – in teilweise neuer Besetzung – aus dem Jahr 2023 nachlesen). Mit seiner vokalen Beweglichkeit gestaltet Vogt die Rolle ausgesprochen nuanciert. Die “Romerzählung” gerät zwischen beißendem Spott und resignativem Selbstmitleid zu einem Kunststück für sich. Strahlkraft und Glanz in der hohen Lage besitzt die Stimme ohnehin, und szenisch gibt Vogt in beiden Welten eine blendende Figur ab.

Auch Elisabeth Teige hat die Partie der Elisabeth bereits im Vorjahr übernommen. Ihre mädchenhaft zarte Gestalt unterstreicht die Verletzlichkeit der Figur, der sie vokal aber erst im dritten Aufzug gerecht wird. Zuvor wird ihr voller und leuchtkräftiger, mit starkem Vibrato allerdings ziemlich ungenau flackernder Sopran von allerlei merkwürdigen Vokalfärbungen getrübt, und die Textverständlichkeit lässt sehr zu wünschen übrig. Sehr viel besser gelingt ihr das Gebet “Allmächt’ge Jungfrau, hör’ mein Flehen!” im dritten Aufzug, bei dem sie zu einem sehr intensiven, tragfähigen Piano findet und der Trostlosigkeit dieses bitteren Endes angemessenen Klang verleiht. Sie wird sich auf dem Schrottplatz, auf dem der Bus der illustren Außenseiter-Truppe gestrandet ist, umbringen. Und trauriger kann man einvernehmlichen Sex auf der Opernbühne wohl nicht darstellen als hier in der kurzen Begegnung von Elisabeth und Wolfram, den Markus Eiche mit heldenbaritonalem Glanz in der Stimme und dennoch anrührender Melancholie gestaltet.

Irene Roberts singt bei ihrem Bayreuth-Debut die Venus mit glutvollem, nicht übermäßig großem Sopran, den sie manchmal allzu sehr unter Druck setzt und dadurch recht pauschal im Ausdruck bleibt. In der oben erwähnten Pausen-Performance bewährt sie sich zudem als Schlager-Diva und stürzt sich szenisch mit großer Agilität in die Partie. Günther Groissböck gibt einen noblen, in der Höhe ganz leicht angestrengten Landgrafen Herrmann, Siyabonga Maqungo mit leichtem Tenor einen klangschönen Walther von der Vogelweide, Olafur Sigurdarson einen donnernden Biterolf. Flurina Stucki verleiht dem Hirten, der hier zur besorgten Mitarbeiterin der Festspiele auf dem Fahrrad umgedeutet wird, vokal wie szenisch viel Charme mit einer angemessenen Prise Komik.

Auch für Nathalie Stutzmann ist es das zweite Jahr als Dirigentin dieser Produktion. Mit dem einmal mehr ganz ausgezeichneten Festspielorchester gestaltet sie einen luftig-leichten, in der durchhörbaren Transparenz eher an Mendelssohn als am Wagner’schen Spätwerk orientierten Tannhäuser (gespielt wird die frühe Dresdner Fassung). Phrasierungen sind sorgfältig ausgestaltet, was mitunter fast allzu kontrolliert erscheint. Das betrifft vor allem die Szenen mit dem großartigen, ungemein sauber und klar intonierenden Festspielchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich), der mit außerordentlicher Präzision und in der Lautstärke sehr zurückgenommen singt. Selbst für Bayreuther Verhältnisse klingt das Pianissimo hier besonders entrückt und behält doch rhythmische Kontur. Auch im Forte und Fortissimo bleibt der Klang edel und wird nie “dick”. Der Einzug der Gäste in die Halle gerät im federnd-pulsierenden Gestus allerdings ein wenig marschartig. Und der Sängerkrieg könnte eine stärkere dramatische Entwicklung vertragen, auch wenn die Regie dem dynamischen Leben der Tannhäuser-Gang im ersten Aufzug eine bourgeoise-statische Gegenwelt auf der Wartburg respektive dem Festspielhaus entgegensetzt. Aber Musik und Szene greifen insgesamt sehr gut ineinander. So wird ausgerechnet die ironische Selbstreflexion des Festspielbetriebs zum Musterbeispiel für das Wagner’sche Gesamtkunstwerk. Weil ja zuverlässig wie jedes Jahr die Frage aufploppt, wie man neues (junges) Publikum für die Festspiele gewinnt: Indem man so kluge, spannende und musikalisch “runde” Produktionen wie diese spielt.

FAZIT
Tobias Kratzers Tannhäuser bietet zwei Akte lang spannendes und oft sehr lustiges Musiktheater und einen in seiner Tragik und Ernüchterung bewegenden dritten Aufzug – eine der Produktionen, die in der Geschichte der Bayreuther Festspiele das Adjektiv “legendär” beanspruchen dürfen. In Nathalie Stutzmann hat die auch musikalisch mitreißende Produktion eine kongeniale Dirigentin gefunden.

Stefan Schmöe | Festspielhaus Bayreuth am 26. Juli 2024

bachtrack.com

Wiederaufnahme mit Premierencharakter

Was kann man über die Wiederaufnahme einer Operninszenierung schreiben, die bereits 2019 herausgekommen ist? Beim Bayreuther Tannhäuser scheint alles bereits gesagt. Auf Bachtrack haben Zoltán Szabó über die Premiere und Michael Vieth über die Aufführungen des letzten Sommers geschrieben. In der Beurteilung aber waren sich die zwei Kritiker uneins. Beide haben bemerkt, dass Tobias Kratzer den üblicherweise betonten Konflikt zwischen erotischer und sublimierter Liebe durch das Aufeinanderprallen zweier sozialer Gruppen ersetzt: Hier die befreite Aussteigertruppe um Venus – dort die in Konventionen gefangene Gesellschaft der Wartburg. Doch gerät dieser Ansatz mit Wagners Libretto und Musik in Konflikt, oder begeistert die originelle und unkonventionelle Inszenierung?

Das Ärgernis der Kratzer-Inszenierung bildet tatsächlich diese schräge Outlaw-Gruppe um Venus, die Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier mit einem Citroën-Kleinbus auf die Reise schickt. Zur Truppe gehören nicht nur der als Clown verkleidete Tannhäuser, sondern auch zwei Gestalten, die Wagner nicht vorgesehen hat: Es sind der Show-Künstler Le Gateau Chocolat, der als Drag-Queen auftaucht, und der Schauspieler Manni Laudenbach, der den kleingewachsenen Oskar aus Günter Grass’ Blechtrommel mimt. Die Truppe lebt nach dem Motto „Frei im Wollen, frei im Tun, frei im Geniessen, sollt ihr den Wert des Lebens erkennen” (Wagner, Die Revolution) und steht für den revolutionären Wagner der 1840er Jahre. Gespielt wird denn auch die Dresdener Fassung des Tannhäusers von 1845.

Gerade der zweite Akt erhält durch die Mitwirkung der Truppe am Sängerwettstreit eine erfrischend neue Deutung. Venus schleicht nämlich als Edelknabe in die Wartburg und bringt die sowieso schon aufgeheizte Stimmung unter den Kandidaten – als Preis winkt die Ehe mit Elisabeth, der Nichte des Landgrafen – noch zusätzlich zum Kochen. Dass dann Le Gateau Chocolat nach geschlagener Schlacht auch noch die Regenbogenfahne hisst, ist jedoch geschmacklos. Kratzers Regieansatz funktioniert grundsätzlich trefflich und ermöglicht etliche erfrischende und neue Lesarten. Manchmal wird jedoch zu dick aufgetragen; manchmal muss auch die Handlung gar stark zurechtgebogen werden. Dass Elisabeth im dritten Akt, nachdem sie vergeblich auf den Rom-Heimkehrer Tannhäuser gewartet hat, sich auf die sexuellen Avancen Wolframs einlässt, bevor sie sich die Pulsadern aufschneidet, steht nirgends im Libretto.

Das zweite Standbein der Inszenierung bildet die von Manuel Braun verantwortete Ergänzung der Bühnenhandlung durch Videos und Live-Cams. Während der Ouvertüre scheint man über die Wartburg zu fliegen, sichtet den Citroën der Aussteiger-Truppe und beobachtet Oskar, der vor dem Bild des 2023 verstorbenen Tenors Stephen Gould einen Shot trinkt. Sehr anregend ist im zweiten Akt die Doppelbödigkeit des Geschehens: Während sich auf der Bühne der inszenierte Sängerwettstreit abspielt, lässt eine darüber aufgehängte Leinwand in die Backstage-Räume blicken, wo wir, etwas voyeuristisch, das Verhalten der Protagonisten vor und nach ihren Auftritten beobachten können. So attraktiv solche Anreicherungen für das Auge sind, so lenken sie doch manchmal von der Musik ab.

Musikalisch handelt es sich beim heurigen Tannhäuser keineswegs um eine Wiederaufnahme. Denn hier ist, im Vergleich zu 2019, einiges neu. Nathalie Stutzmann ist, nach dem glücklosen Valery Gergiev des Premieren-Sommers und dem Nachfolger Axel Kobe, bereits die dritte Dirigentin der Produktion und darüber hinaus erst die zweite Frau, die an den Bayreuther Festspielen dirigieren darf. Wie schon letztes Jahr überzeugt sie auch diesmal mit einer ausgereiften Interpretation. Als Orchesterdirigentin, die gerne die romantischen Riesenwerke leitet, ist sie für den Umgang mit dem Festspielorchester bestens gerüstet. Die Ouvertüren und der Einzug der Gäste auf der Wartburg lassen eine vielschichtige und dramatisch orientierte Gestaltung der instrumentalen Schicht erkennen. Als ehemaliger Sängerin gelingt es Stutzmann zudem, die Klänge aus dem Graben bestens mit dem Gesang auf der Bühne zu koordinieren, die Sänger zu führen und ihnen doch ihre Freiheiten zu lassen.

Ebenso erst seit letztem Jahr dabei ist Klaus Florian Vogt in der Titelrolle. 2023 sprang er für den erkrankten Stephen Gould ein, und nach dessen überraschendem Tod ist er nun für 2024 regulär engagiert worden. In die Fussstapfen des Wagner-Urgesteins und Publikumslieblings Gould zu treten, bedeutete für Vogt eine echte Herausforderung. Nach dem Schlussapplaus der Wiederaufnahme-Premiere kann man feststellen: Er hat es geschafft! Stimmlich mit einem fabelhaften Tenor gesegnet, schlüpft er spielerisch in die verschiedensten Rollen: den Clown der Venus, den Konkurrenten der minnesingenden Kollegen, den scheinbar reumütigen Rompilger.

Elisabeth Teige als Elisabeth ist auf dem Grünen Hügel keine Unbekannte. Für einen Sopran klingt ihre Stimme relativ dunkel und warm timbriert. Die eigentlich passive Rolle der leidenden und sich aufopfernden Frau verwandelt sie – natürlich im Sinne der Regie – in eine selbstbewusste und sinnliche Figur. Ganz neu in der Produktion und überhaupt in Bayreuth ist Irene Roberts, die vier der sechs Vorstellungen singt. Ihr Mezzosopran – man hört es gleich in der eröffnenden Venusbergszene – klingt sehr modulationsfähig, kann ebenso verführen wie verfluchen. Darstellerisch ist die Amerikanerin, als Blondine im Glitzerkleid aufgemacht, für jeden Klamauk zu haben. Und sie ist sich nicht zu schade, auch in der schrägen Show nach dem ersten Akt unten am Teich beim Aufgang zum Festspielhaus mitzumachen.

Markus Eiche als Wolfram ist schon von Anfang an dabei. Im Sinne der Regie mimt er nicht nur den platonischen Liebhaber Elisabeths, sondern ergreift seine Chance, nachdem Tannhäuser das Interesse an ihr verloren hat. Ein sicherer Wert ist Günther Groissböck als Landgraf Hermann, der die Rolle mit stimmlicher Fülle und charakterlicher Noblesse realisiert. Zum Schluss sei noch der hervorragende Festspielchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich) erwähnt, der musikalisch und szenisch starke Akzente setzt. Als Pilgerchor im ersten Akt stecken die Choristen mitnichten in braunen Kutten, sondern in glamouröser Konzertkleidung und parodieren derart genüsslich das Festspielpublikum.

Thomas Schacher | 28 Juli 2024

klassik-begeistert.de

Wagners “Tannhäuser” zieht in in Bayreuth mehr denn je – auch im fünften Jahr

„Tannhäuser“ in Bayreuth – das ist die Oper der Zukunft! Die Inszenierung von Tobias Kratzer (neuer Intendant der Staatsoper Hamburg) ist intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Das ist cool, emotional, sexy und berührend. Es singen in ihren Rollen die überwiegend besten Sänger der Welt. Das Orchester ist eine Wucht, und die Französin Nathalie Stutzmann (Beifall 8 / 10) zeigt mit ihrem einfühlsamen wie energetischen Dirigat, dass man in Bayreuth auch getrost auf „den großen Thiele“ verzichten könnte.

Und dann diese Musik: Jedem der knapp 2000 Menschen im Festspielhaus schlägt das Herz, brennt vor Sehnsucht die Seele, wenn die besten Musiker aus ganz Europa und dieser fulminante Chor (Leitung: Eberhard Friedrich) alles geben und diese göttlichen Noten spielen und singen.

Richard would have been happy!

Ja, and the very best of the best ist der Klang. Für ihn sollte jeder, der Wagner liebt, einmal im Leben nach Bayreuth pilgern. Wer seinen Focus auf Stimmen richtet, wer die optische Imagination eines Puppentheaters sucht, dem hat Richard Wagner das absolute Wunderland auf den Grünen Hügel gezaubert. Zu einer Zeit, als der Rundfunk noch in seinen Kinderschuhen steckte, als Thomas Alva Edison gerade erst dabei gewesen war, die ersten Tonaufzeichnungsverfahren zu entwickeln, schuf Richard Wagner bereits den Vorreiter des heutigen Dolby Surround Sounds.

Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?

Die Mezzosopranistin Irene Roberts, USA, als Venus meistert die Anforderungen bravourös – aber an Elena Zhidkova vor fünf Jahren reicht sie nicht heran. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin (mit etwas zu viel Vibrato) und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte, auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab.

Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Der Tenor Klaus Florian Vogt singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll und sicher, ohne Ermüdungserscheinungen. Im 1. Aufzug fängt er etwas zu verhalten an. Im Sängerkrieg ist er der Hämische, Besserwisserische, sich über die „Romantiker“ Stellende. Die Titelrolle verlangt vom Dithmarscher ein Äußerstes an Stimmtechnik – KFV verfügt über eine exzellente, sodass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen.

Vogt ist der strahlende Tannhäuser unserer Zeit, einen solchen hörte ich zuletzt 2016 in Berlin an der Deutschen Oper. Der Sänger damals: Stephen Gould, der viel zu früh verstorbene US-Amerikaner, bester Freund der Prinzipalin Katharina Wagner.

Vogt ist ein gestandener Heldentenor mit einem besonders hellen Timbre, seine Kraftreserven bis zum Schluss sind beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe herausragend. Er beschert den 2000 Menschen MAGISCHE MOMENTE.

Der Bariton Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach berührt durch eine hervorragende Leistung und lässt im dritten Aufzug einen hochemotionalen und berührenden „Abendstern“ strahlen. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroën für ein Schäferstündchen zurück. Lieber Markus Eiche, Ihr Wolfram berührt, Sie sind ein Bariton, der sich auf die hohe, verloren gehende Kunst des Legatosingens versteht und sein Lied an den Abendstern wunderbar leise, lyrisch und zärtlich gestaltet.

Seit 2007 ist Markus Eiche regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen zu Gast und war dort als Kothner in „Die Meistersinger von Nürnberg“, Donner im „Rheingold“, Gunther in der „Götterdämmerung“ und Wolfram in „Tannhäuser“ zu erleben. Seit 2019 gestaltet der Künstler dort die Partie des Wolfram in der aktuellen Inszenierung des „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer. Dieser Weltklassebariton gehörte auch als Wolfram wieder zu den Besten, sein Timbre hat einen Wiedererkennungswert der Extraklasse. Er möge bitte auch größere Partien in Bayreuth singen.

Die norwegische Sopranistin Elisabeth Teige verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung. Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend.

Elisabeth Teige bekommt zurecht den drittmeisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel wie bei Vogt und Stutzmann. Es ist – auch – der Elisabeth-Teige-Tag in Bayreuth. Als „Farben“ zu ihrem phantastischen Gesang passen Sonnenblumen, Bernstein, Gold und Kardamom.

Der Landgraf Hermann wird vom Niederösterreicher Günther Groissböck (Bass) gesungen. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann. Groissböcks Kernkompetenz ist der mittlere und tiefere Bereich – kernig und volltönend! Sehr entspannend. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, eine absolute Wohlfühlstimme. Ganz selten hatte er im höchsten Register leichte Probleme beim richtigen Ansingen des Tones.

Bewegend schön, stilvoll mit einem Klaus-Florian-Voigt-Timbre gestaltet der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo seine kleine Rolle als Walther von der Vogelweide. Yes he can, von diesem Spietzensänger möchte ich gerne mehr hören.

Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Flurina Stucki hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „Da strahlte warm die Sonnen – der Mai war ’kommen“ ist die wärmende wohlige Sonne förmlich zu spüren.

Insgesamt war die Textverständlichkeit vieler Sängerinnen und Sänger ausbaufähig (gehört in Reihe 29, Platz 12, Parkett links) – nur Groissböck, Voigt und Eiche – in dieser Reihefolge – überzeugten auch sprachlich.

Andreas Schmidt | 28. Juli 2023

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User Rating
(4.3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 425 MiB (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Tobias Kratzer (2019)