Tristan und Isolde
Marc Albrecht | ||||||
Chor und Orchester des Hessischen Staatstheaters Darmstadt | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Raimo Sirkiä |
Isolde | Susan Owen |
Brangäne | Michaela Schuster |
Kurwenal | Anton Keremidtchiev |
König Marke | Peter Klaveness |
Melot | Peter Bording |
Ein junger Seemann | Andreas Wagner |
Ein Hirt | Dan Karlström |
Steuermann | Thomas Fleischmann |
Spiel in der Puppenstube
Friedrich Meyer-Oertel überhebt sich in Darmstadt an Wagners “Tristan und Isolde”
Es ist ein Trend , dasss kleine Häuser mit der großen Oper ganz groß herauskommen wollen. Sicher: Karlsruhe und Bern haben es vorgemacht und in ihren Tristan-Versionen innovativen Werkstattcharakter bewiesen. Dem Meininger Theater soll der Ring in einem Rutsch bald ebenfalls Prestige bescheren – ein Unternehmen, das in Mannheim gerade schief gegangen ist. Und auch in Darmstadt ist Tristan jetzt Chefsache geworden. Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel will das Mammutstück stemmen und – überhebt sich dabei gemeinsam mit seinem Ensemble.
Die allgegenwärtige Wagnermanie wird zum Grundsatzproblem: Stadttheater können die gesanglichen Ansprüche mit eigenen Sängern kaum noch bewältigen (vorbei die Zeit, als deutsche Theater ein Wagnerensemble wie selbsverständlich am Haus hatten), und auch die stimmstarken “Wagner-Toruisten” sind rar. Überdies stehen Regisseure vor einer derart aufgeblähten Rezeptionsgeschichte, dass sie sich gut überlegen sollten, welche Botschaft eine Wagneroper heute noch transportieren soll, außer jener, der lokalen Eventkultur zu frönen und die Leistungsfähigkeit ihres Hauses effektiv in Szene zu setzen. Genau dieses aber scheint Ansinnen in Darmstadt – und kein anderes.
Zweifel schon bei der Sängerbesetzung, die um Hausdiva Susan Owen (die lokale Claque lässt sie auch jetzt nicht im Stich) herumgebastelt ist. Ein kräftiger, aber äußerst ungenauer Sopran, der heldisch zuweilen gern mit laut verwechselt. Eine Stimme ohne einheitlichen Klang und Phrasierungslust. “Mild und leise” ist da wenig, wenn sich Owen fast im Freistil (mit mächtigem Primadonnengehabe) durch die Partie hangelt. Sie bleibt eben ‘die Owen’ und wird keine Isolde. Ihr zur Seite steht der diesjährige Bayreuth-Debütant Raimo Sirkiä. Doch auch der finnische Tenor leidet in seiner Gastrolle unter der anspruchsvollen Tristan-Tortur, schont sich im zweiten Aufzug bewußt, ohne im dritten Kraft und Höhe zu finden: Temposchwierigkeiten, Sprachschwierigkeiten, Präzisionsschwierigkeiten. Besonders in den Duetten (“Süsseste Maid! – Trautester Mann!”) ist von “höchster Lust” nur wenig zu spüren – zwei Sänger sind über ihren Grenzen gefordert; selten gab es mehr falsche Tristan-Töne als hier. Solide dagegen die akkurat und durchdacht auftretende Brangäne, die Michaela Schuster als servile Dienerin interpretiert. Anton Keremidtchiev kann seine große Stimme als Kurwenal nicht immer in geordnete Bahnen lenken, und Peter Klaveness’ Bass ist für die mächtige Rolle etwas zu hell, nicht durchschlagend genug timbriert.
Im Graben bemüht sich Marc Albrecht um Schadensbegrenzung für diese abenteuerlichen Disposition. Er streicht wo es möglich ist, und sorgt mit dem vortrefflich abgestimmten Orchester für süffige Präzision, balanciert gewieft zwischen Ensembles und Soli, haut gern mal auf die Pauke und leitet dann wieder volltönende Piani. Allein das Vorspiel, das sich mit gigantischen, stets spannungsgeladenen Generalpausen aus dem a-Moll-Murmeln erhebt, zeigt die Klasse des Orchesters. Doch Albrecht nimmt – und das zeichnet ihn aus – Rücksicht auf das Ensemble, hält sein Orchester immer wieder zurück, passt sich an, gerät in Koordinationsschwierigkeiten, verschlurt so die anfangs angelegte Tiefenschärfe und motivische Stringenz.
Auf der Bühne bleibt Regisseur Meyer-Oertel zwei Aufzüge lang passiv. Die Bühnen-Box von Hans-Martin Scholder, ein weißer Raum samt Ottomane, Schrank und Stehtisch, nutzt er nicht, um Tristan etwa ins Barock (oder ins Fin de siècle wie die Kostüme von Eva Dessecker es andeuten) zu übersetzen. Er setzt auf eine private Liaison, erinnert uns an Wagners Eskapaden im Zürcher Exil, als er Mathilde Wesendonk verführte und die ursprünglich kleine Oper zum “Ehebruch unter Pauken und Trompeten” aufblies. Von Novalis’ Romantik, dem Paar der Dunkelheit, bleibt außer knallend fallender Farbprospekte und der obligaten Fackel keine Spur.
Meyer-Oertel veranstaltet ein Rampensingen, lässt seine Charaktere an der Wand entlang leiden, findet keine griffige Personenführung, um das Drama der “inneren Handlung” zu erklären. Erst im letzten Aufzug, zum Liebestod, schiebt sich die Szene mit lautem Quietschen auf die Hinterbühne: Der Guckkastenrahmen fällt, nackte Scheinwerfer auf der Bühne, und statt dionysischem Tod folgt ein Abgesang. Alles nur ein Spiel in der Puppenstube. Doch ein Tristan wie dieser bleibt letztlich, wenn das kleine Haus die große Oper auf die leichte Schulter nimmt, ein Spiel mit dem Feuer – bleibt Wagnermanie ohne Wonne.
Axel Brüggemann | 04.10.2000