Tristan und Isolde
Tristan | Stefano Algieri |
Isolde | Hedwig Fassbender |
Brangäne | Maria Pawlus |
Kurwenal | Max Wittges |
König Marke | Hiroshi Matsui |
Melot | Rupprecht Braun |
Ein junger Seemann | Algirdas Drevinskas |
Ein Hirt | Algirdas Drevinskas |
Steuermann | Manfred Bertram |
Liebesutopie in geometrischer Landschaft
Eine Neuinszenierung von Tristan und Isolde ist für ein Opernhaus ein die Normalität überschreitendes Ereignis. Die beiden Hauptpartien stellen nicht nur extreme sängerische Anforderungen, es sind nicht nur viereinhalb Stunden technisch anspruchsvoller Orchesterpart zu bewältigen: Es ist die außergewöhnliche Stellung der Oper in der Musikgeschichte, die dem entsprechende Rezeption nicht nur durch Komponisten und Musikwissenschaftler, sondern auch durch Literatur, Philosophie, die Geisteswissenschaften allgemein, die ein komplexes Feld aus Erwartungen, Verheißungen und potenziellen Erfahrungen geschaffen haben, welchem es gerecht zu werden gilt.
Adorno und Schopenhauer, Heiner Müller, Stefan George und Nike Wagner stecken im Programmheft der Saarbrücker Inszenierung dieses Feld um Wagners Oper über die nicht einzulösende Liebesutopie ab, die im “zweimal einsamen Tod” (Nike Wagner) endet, die die Frage nach der Verheißung des “weiten Reiches der Weltennacht” aufwirft, die mit den endlos fließenden Klängen, ihrem rauschhaften Gestus, den Zuhörer fesselt – oder als Äußerung übersteigerter individueller Ekstase eines selbstsüchtigen Komponisten befremdet.
Die Unerfüllbarkeit der Liebe wird von Christian Pöppelreiter – in einer insgesamt zurückhaltenden, aber schlüssigen Regie – akzentuiert. Dies geschieht über die physische Präsenz der Liebesverheißung, über die Konzentration auch leiblich erfahrenen Schicksals im Spiel von Hedwig Fassbender und Stefano Algieri in den Hauptpartien und dem Verstummen der Körperlichkeit in den Momenten der – annähernden – Erfüllung des ersehnten. Auf dem Höhepunkt der Liebesszene im zweiten Akt versiegt die großartige Interaktion der beiden in einem statischen Nebeneinanderstehen, den Blick in unbekannte Weiten gewandt – der Leib Tristans ist mit dessen Sterben tote Materie, in nichts erkennt Isolde mehr den Geliebten. Das Bühnenbild Daniel Libeskinds, der auch die Kostüme entworfen hat, betont ebenfalls diesen Aspekt. Auf der fast leeren Bühne stehen im ersten Akt zwei monolithische weiße Blöcke, in sich – ein wenig im Stile der sechziger Jahre – geometrisch durchbrochen. Im zweiten Akt werden sie zu einem diagonalen Raumteiler zusammengeschoben, im dritten Akt bilden sie die klaustrophobische Enge suggerierenden Wände von Tristans Burg. Es ist kein bespielbares Bühnenbild, eher ein Fremdkörper, ein unpersönliches Etwas, welches das Liebespaar im jeweiligen Ich allmählich einschnürt, die Weite der sich im Dunkel verlierenden Bühne des zweiten Akts nach und nach begrenzt. Zudem ist es Projektionsfläche einer nuancierten Licht-Dramaturgie, die dem Szenischen, dem Text und der Musik eine weitere Sinnebene hinzufügt.
Das Orchester des Staatstheaters unter seinem scheidenden GMD Olaf Henzold hat dem angedeuteten Erwartungshorizont “Tristan” eine solide Basis verliehen, die konzentrierte und sich im Verlauf der drei Akte kontinuierlich steigernde Interpretation übertraf an Genauigkeit und Musikalität alles in letzter Zeit von diesem Orchester gehörte. Die Musiker deuteten ihr leider zu selten ausgeschöpftes Potenzial an, brachten ein Beispiel für die Möglichkeiten auch eines sogenannten Provinztheaters.
Während für die beiden Hauptpartien und den Kurwenal Gäste engagiert waren, zeigte sich die Qualität des Saarbrücker Ensembles in der Besetzung der Nebenrollen: Hiroshi Matsui als Marke hat einen raumfüllenden, schweren Baß; wie bei fast allen Sängern dieser Produktion ist die Textverständlichkeit für eine Wagner-Oper außerordentlich groß. Algirdas Drevinskas sang das diffizile Solo des Seemanns am Beginn sicher und deutlich, Maria Pawlus (Brangäne) hat nicht nur eine große Stimme, sondern spielt zudem beweglich und abwechselungsreich. Manfred Bertram als Steuermann und Rupprecht Braun als Melot vervollständigten in ihren eher kleinen Rollen die gelungene Produktion.
Für Tristan und Kurwenal waren Stefano Algieri und Max Wittges engagiert: Beiden Charakteren ist in der Saarbrücker Inszenierung eine gewisse Schwere nicht abzusprechen; Tristan trägt als sein “Erbe” augenscheinlich die Bilder seiner Eltern mit sich, welche den Liebestod in ihrem eigenen Schicksal vorzeichneten, in der Beziehung zu Isolde ist diese die Handelnde, Tristan ist latent der vom Drohenden schon Gebrochene. Kurwenal versucht ihm aus seiner “Diesseitigkeit” heraus zu helfen, verhält sich im ersten Akt den Frauen gegenüber sehr rüde, vielleicht das Unheil ahnend, folgt aber kompromisslos dem Willen seines Herren; im Schlußakt konzentriert sich der Widerspruch zwischen dem geistig schon entrückten Tristan und dem hilflosen Mühen Kurwenals in einer intensiven Szene der beiden Sänger.
Trotz des Lobes verblasste alles oben Genannte neben Hedwig Fassbender als Isolde. Stimmlich wie darstellerisch war ihre Rolle, ihre Isolde der Mittelpunkt der Inszenierung. Die technisch scheinbar mühelose Bewältigung der Partie, ihr wundervolles Mezzo-Timbre waren hierbei notwendige, aber letztlich marginale Randbedingungen einer eindrucksvollen Symbiose aus Musikalischem und Szene. Das wie selbstverständliche Ergänzen einer nuancierten Nachzeichnung des musikalischen Dramas mit der körperlichen Präsenz, ihr physischer Ausdruck, deckungsgleich mit sensibel balancierter Stimmfärbung, ließ nichts außer rückhaltloser Begeisterung zu.
FAZIT
Nicht nur Dank einer großartige Isolde eine gelungene Annäherung an das große Stück.
Sebastian Hanusa