Tristan und Isolde
Simon Rattle | ||||||
Koor van de Nederlandse Opera Rotterdams Philharmonisch Orkest | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | John Treleaven |
Isolde | Gabriele Schnaut |
Brangäne | Petra Lang |
Kurwenal | Alan Held |
König Marke | Robert Lloyd |
Melot | Richard Decker |
Ein junger Seemann | Marcel Reijans |
Ein Hirt | Eberhard Francesco Lorenz |
Steuermann | Roger Smeets |
Rattle lights up every bar in Amsterdam
Simon Rattle has never disguised his suspicion of opera, but gradually he seems to be coming to terms with the compromises any conductor has to make when working in a medium with so many variables beyond his control. He still chooses the opera houses in which he works with care, though: last summer he conducted Janacek at Aix-en-Provence, in May he will tackle Beethoven’s Fidelio at Glyndebourne, and just now he is in charge of Tristan und Isolde at the Netherlands Opera – his third show, following Pelleas et Melisande and Parsifal, at the Amsterdam Muziektheater. Though the cast and the production are serviceable enough, it is Rattle’s contribution that will be the main interest of this Tristan.
Without a resident orchestra of its own, the Netherlands Opera rotates the country’s leading bands in the pit; for this show it is the Rotterdam Philharmonic, and they play for Rattle with a clarity that suits his approach very well. In an ideal world, the strings could have more body (though the Muziektheater acoustic doesn’t help them) so that the longer phrases could blossom more expressively, but Rattle’s concern is less with the long, ecstatic paragraphs than with the passing details of the score; he makes every bar light up with inner intensity, delivers the climaxes with crushing definition. It is not the only way to present this strange work, but it is a compellingly immediate and theatrical one.
To some extent that theatricality is diffused by Alfred Kirchner’s staging of this everyday story of Cornish folk, which is routine in most of its details and its acting. It may not be as bland as the Ring cycle he mounted for Bayreuth in the 1990s, but what glosses it does provide are mostly unremarkable. Like a schoolgirl with a crush, Isolde keeps a photograph of Tristan in her locker, which she reveals to him at the climax of the first act confrontation – a reminder, presumably, that the love potion (which, Brangaene’s behaviour suggests, is administered by mistake) is only the catalyst for their passion and not the cause, while Tristan pulls himself onto Melot’s sword at the end of the second.
Annette Murschetz’s sets mix cold abstraction and cosier naturalism sometimes disconcertingly – there is an ever-changing seascape projected throughout the first act, a grassy knoll and a blazing tree strewn across the stage in the second; the rest is all steely walkways and panels, tellingly lit by Jean Kalman.
Gabriele Schnaut’s improbably blonde Isolde is a good deal more animated than her semaphoric characterisation for the Royal Opera last autumn, and generally better sung, too. Instead of the armour-piercing stridency of that performance, there is much more light and shade, even some warmth too. Her partner is the British tenor John Treleaven, hardly ever heard in his homeland nowadays, but a robust and convincing Tristan here. His is not a particularly seductive sound, but it is effective and well-sustained.
There is excellent support from Petra Lang’s ever-dependable Brangaene, Robert Lloyd’s rather sinister King Marke, and Alan Held’s relatively understated Kurwenal. All of them are attentively nurtured by Rattle, though whether his contribution is enough to raise the show above the ordinary remains another matter.
Andrew Clements | 5 february 2001
So oft und so hartnäckig ist versucht worden, den unlösbaren und das Drama symbolhaft enthaltenden Akkord zu Beginn des “Tristan” zu erklären, dass er nun bloß noch in seiner Idealität zu existieren scheint, die Töne zusammengeschrieben fürs Tonsatzseminar, zusammengezogen als unerreichbare Insel des Sinns, zum Anschlagen auf dem Klavier, Formel für Overheadprojektoren. Die Partitur geht aber anders. Das Violoncello wirft, wie in den Mustern der barocken Rhetorik, die klagende kleine Sexte nach oben auf, sinkt in Schritten kleiner Halbtöne wieder nach unten, ohne, wie die Tradition es wollte, in eine Harmonie wieder zurückzufinden. Und augenblicklich entfaltet sich der Tonsatz: Auf die “Exclamatio”, den rhetorisch aufgeladenen Ruf des Cello, folgt, wie im klassischen symphonischen Satz, eine Antwort durch die Holzbläser – sie setzen, in einer Figur emphatischer Steigerung, den chromatischen Gang der Klage nach oben fort. Sie versuchen auch, daraus eine Harmonie zu rekonstruieren, aber, in der Tat, die Harmonie gibt es nicht, nur als Wunsch gibt es sie. Die emphatischen Halbtonschritte und die Terzschichtungen, die es zerreißt, bevor sie zu einem Akkord sich setzen können, drücken ein Wünschen aus. Aber wo alles nur aus Halbtönen besteht, kann es eine stabile Harmonie nicht geben. Das ist das von jedem einsehbare Rätsel. Es formuliert sich aus Stimmen, die sich entfalten.”Entfaltung” ist dennoch ein merkwürdiger Leitbegriff für Wagners “Tristan”. Drängt das Stück nicht immer in die Extreme, ohne Richtung der Zeit, sucht es nicht die Vernichtung, dehnt es die musikalischen Mittel nicht bis zum Zerreißen? In diesem Sinn hat zuletzt, Mitte November, Daniel Barenboim in Berlin den “Tristan” eindrucksvoll dirigiert. Die Musiker der Staatskapelle spielten mit ungeheurem Druck, der Ton war von bedrohlicher Präsenz, der Klang schwer und fett; im Opernhaus Unter den Linden war für kaum etwas Anderes noch Platz als für diesen Klang, es reichte gerade noch zum Atmen. Jetzt hat Simon Rattle das Stück an der Niederländischen Oper in Amsterdam sich entfalten lassen. Er dirigierte im Vorspiel Stimmen, nicht den Tristan-Komplex. Eins kam zum andern, noch in den langen Pausen zwischen den ersten beladenen Äußerungen, die für das Nichts stehen mögen, in dem sich die beiden Helden orientieren, schlug Rattle ein Metrum leise durch, wie zur Orientierung, als Zeichen einer Vernunft, deren Existenzrecht die ersten Takte des “Tristan” nach allgemeiner Auffassung schon bezweifeln.Bereits in seinem Auftreten hatte Rattle das Zivile seines Ansatzes erkennen lassen. Er trat nicht auf als der Star, nicht als Verkörperung einer romantischen Subjektivität, und ließ sich nicht beklatschen. Rattle erschien vor den ersten beiden Akten gemeinsam mit seinen Musikern, war einfach da, und dann begann er gemeinsam mit den Musikern das Spiel. Das heißt es im sozialen Sinn, Stimmen zu dirigieren. Es gab im Vorspiel das Fortissimo schon und den großen Ton. Aber spät, als man sich an den feineren, vielgestaltigen Klang gewöhnt hatte – nicht als programmatische Überwältigungsgeste, sondern als Folge musikalischer Entwicklungen im Inneren des Stücks.Der “Tristan” hat, mit den Worten Wagners, “etwas Furchtbares”. Aber dieses Furchtbare hat sich Rattle nicht einfach, wie man derzeit sagt, zu Eigen gemacht, er ließ es, auf fast sanfte Weise, sein. Den ersten Akt ging das Orchester mit Kraft und großem Schwung an, doch immer war etwas von Rattles Orientierungssinn zu spüren, etwas von leisen Zeichen der Vernunft. Die Figur Isoldes war da, wohl im Einvernehmen mit Gabriele Schnaut, ihrer Sängerin, und dem Regisseur Alfred Kirchner, noch fast mit Ironie versehen. Ihr Selbstbewusstsein war ganz von dieser Welt, ihre teils über große Intervallsprünge manieristisch verdrehten Äußerungen in den Dialogen und den Erzählungen waren mit kraftvollem, der eigenen Mittel bewusstem Behagen gesungen, als wären sie vom späteren Richard Strauss.Vielleicht bezeichnet es nur den Gang der Selbsterfahrung beim Hören. Vermutlich aber hat Rattle, im Sinn der kommunikativen Ordnung, die sich schon in der Instrumentierung des Vorspiels zeigt, im ersten Akt noch am stärksten unterschieden: Zwischen Passagen, in denen das Orchester die Sänger begleitet, solchen, in denen es mit ihnen dialogisiert und jenen Strecken, in denen das Drama von den Stimmen des Orchesters vorangetrieben wird und die Sänger sehen müssen, wo sie bleiben. Ordnung zeigte sich auch in der Bewusstheit, mit der Rattle die kleinen Strecken voneinander unterschied, die Formteile der Sänger etwa, die durch leichte Drehungen der Tonalität voneinander abgehoben sind. Wie Rattle diese Formteile miteinander vermittelte, vom einen zum anderen überging, und wie er im Übergang den Charakter des jeweils Folgenden bestimmte, das war von seltener Liebe und Erlesenheit.Ginge das aber, “Tristan und Isolde” zu dirigieren, ohne sich in den geist- und gottlosen Sog des Werkes zu begeben und ohne die Paarprobleme der Helden für mehr zu halten als für den Ausdruck einer historischen, im Narzisstischen verlorenen Metaphysik? Ein Stück außerordentlichster Musik ist Rattles “Tristan” in jedem Fall. Und einen Sog gibt es auch: Die musikalische Dramaturgie dieser Aufführung läuft auf die alles verschlingenden Wunder des dritten Akts zu; wann hat man es einmal erlebt, dass sich der Sänger des Tristan im letzten Akt sogar noch steigert? Noch die überraschenden Studien etwa zum Piano und zum Vibrato der Geigen im Treibhaus-Vorspiel zum dritten Akt sind die Grundlegung für etwas, was folgt; hier für den mehrmaligen Vorschein der, wie Wagner sagte, Verklärung Isoldes. Rattle ist hier etwas nahe, was Claudio Abbado in seinen legendären Aufführungen mit den Philharmonikern, Spätherbst 1998 in Berlin, Ostern 1999 in Salzburg, verwirklicht hat: Dem unbändig luxurierenden Klang, der Form als Fülle der Erscheinungen. Rattle lässt dieses Wunder sich gewissermaßen im Freien ereignen, sein Klang ist kultivierter, ziviler, heller, es weht in ihm die Luft französischer Orchesterkultur. Es steht am Ende dann ja doch eine Harmonie, und Rattle hält, betrachtet, belebt diesen h-Dur-Akkord, als sei er ein eigenständiges Wesen.
Klaus Georg Koch | 03.02.01
Lichte Kammermusik
Simon Rattle dirigiert an der Amsterdamer Oper seinen ersten “Tristan”
Tristan und Isolde ist noch immer das magische Werk, bei dem die Operngemeinde kollektiv die Augen verdreht: betörender Klang-Suchtstoff, Komposition der totalen Grenzüberschreitung, wirkungsvollste aller Wagner-Drogen. “Unbewußt, höchste Lust!” – um den Tristan kommt kein Dirigent von Rang herum. Irgendwann muss sich jeder dem vermeintlich ultimativen Opernabenteuer stellen. Erst wer Wagners Nacht-Liebestod-Jenseits-Welt in der gebotenen Ekstase durchschritten hat, kann die Weihen allerhöchsten Künstlertums für sich reklamieren, so eine der romantischen Vorstellungen im Musikbetrieb, um die sich entsprechende Geschichten ranken. Der Dirigent Joseph Keilberth ist im zweiten Tristan-Akt tot am Pult zusammengebrochen.
Carlos Kleiber soll sich übergeben haben, wenn er das Stück zu dirigieren hatte. Claudio Abbado hat sich bis zum Herbst seiner Karriere Zeit gelassen, bevor er sich vor zwei Jahren zum ersten Mal an das Monsterwerk wagte (und es aufrüttelnd und abgeklärt zugleich auslotete). Andere Dirigenten, wie Christian Thielemann, haben die erstbeste Gelegenheit genutzt, um sich mit juvenilem Elan in den Tristan-Rausch zu stürzen.
In Amsterdam hat nun auch Simon Rattle seinen ersten Tristan dirigiert. Für ihn, den zukünftigen Chef der Berliner Philharmoniker, der sich in seinen 18 Jahren am Pult des City of Birmingham Orchestra dem 20. (und 18.) Jahrhundert viel eher verbunden fühlte als dem 19., der mehr Schönberg, Strawinsky, Messiaen und Stockhausen dirigiert hat als Brahms, Bruckner und Wagner, ist Tristan gar nicht, so darf man vermuten, das Höchste der Gefühle, sondern eine Expedition zurück zu den Wurzeln des 20. Jahrhunderts, zur letzten romantischen Station vor der Schussfahrt in die Moderne. Dementsprechend spürt man seine Reserve gegenüber dem permanenten Gefühlsüberschwang und der somnambulen Raserei, die andere in dem Stück vor allem hervorkehren.
Fragend, tastend, fast eine Spur zu zögerlich geht er das Vorspiel an und versinkt über die ganzen vier Aufführungsstunden hinweg nicht im Mahlstrom der dramatischen (Nicht-)Ereignisse. Kontrolliert und ungemein wach dirigiert Rattle, mit einem geschärften Blick für die Modernität der Partitur.
Souverän, seine Metierkenntnis. Das Rotterdams Philharmonisch Orkest spielt wunderbar elastisch und klangsinnlich. Das alle Normen Sprengende im Tristan, der radikale Bruch des Liebespaares mit Gesellschaft, Welt und irdischem Sein entwickelt sich bei ihm als ein hoch reflektierter Prozess, genau nachgezeichnet in den Erregungskurven, genau erspürt in allen Verschattungen, Durchbrüchen und utopisch leuchtenden Momenten.
Debussys Pelléas et Mélisande ist nicht weit, wenn Rattle an manchen Stellen, atmosphärisch zurückgenommen, nur das Immaterielle im Orchesterklang wirken lässt. Eine wahrhaft grell schmerzende Aufblende gelingt ihm, wenn König Marke am Ende des ersten Akts zu schneidenden Blechbläserklängen zwischen das berauschte Paar tritt. Das große Liebesduett im zweiten Akt gerät zum geradezu dialektisch ausdifferenzierten Diskurs mit wunderbaren Momenten dramatischen Innehaltens und Augenblicken eruptiver Leidenschaft, in denen Ekstase immer aus der genauen Phrasierungsgeste erwächst. Wie fragil plötzlich die Facetten der unbedingten Liebesleidenschaft erscheinen, fernab von der elefantösen Kraftentfaltung, in der sich der zweite Tristan-Akt sonst so oft erschöpft. Gabriele Schnaut als Isolde und John Treleaven als Tristan können da gar nicht anderes, als auf Rattles suggestive Pianissimo-Angebote aus dem Orchestergraben einzugehen. So sensibel abgetönt hat man die Schnaut lange nicht mehr phrasieren gehört, auch wenn ihre Stimme in der Höhe wiederum allzu schwer gestemmt klingt. Treleaven hingegen verließen im dritten Akt ein wenig die Kräfte. Rattle zeigt, wie viel lichte Kammermusik sich im Tristan verbirgt, fiebrig im Ausdruck und oft nah dran am traumverlorenen Schwung eines langsamen Walzers. Manchmal fühle er sich im Tristan an die Streichquartette von Schubert erinnert, hat er in einem Interview bekannt.
Und die Regie von Alfred Kirchner im Bühnenbild von Annette Murschetz? Hat von alldem nicht viel wahrgenommen, macht auf der großen Bühne des Amsterdamer Opernhauses, was man so macht, wenn man mit einem schwierigen Stück nicht wirklich etwas anfangen kann. Kirchner versucht sich an einer “realistischen” Figurendarstellung und bemüht großarchitektonische Lösungen zu Rattles Kammerspiel. Genietete Stahlwände, die sich hydraulisch hoch und herunter fahren lassen, ein naturechtes(!) Rasenquadrat in Schräglage für die Nacht der Liebe, kahle Bunkerwände in aseptischem Licht im dritten Akt. Alles kaum der Rede wert. Öder Tag statt Weltendunkel.
Claus Spahn | 8. Februar 2001