Tristan und Isolde
Roberto Paternostro | ||||||
Chor und Orchester des Staatstheaters Kassel | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Leonid Zakhozhaev |
Isolde | Adrienne Dugger |
Brangäne | Lona Culmer-Schellbach |
Kurwenal | Stefan Adam |
König Marke | Allan Evans |
Melot | Mark Bowman-Hester |
Ein junger Seemann | Young-Hoon Heo |
Ein Hirt | Young-Hoon Heo |
Steuermann | Jürgen Appel |
Liebesnacht mit Äpfeln
Es war zumindest mutig, das sanierte Kasseler Opernhaus mit einer derart kargen Inszenierung zu eröffnen. Viele hatten da wohl Opulenz erwartet. Der Regisseur und Bühnenbildner Johannes Schütz machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Seine Version von Richard Wagners Tristan und Isolde spielt auf der nackten, nach hinten offenen Bühne, die von einem Faden umspannt wird, der sich zunächst kaum merklich hebt, um sich ab der Mitte wieder zu senken. Ein Scheinwerfer unterstützt die Tag-Nacht-Symbolik des Musikdramas. Schlicht ist die Kleidung der Darsteller, Isolde trägt gar einen rosa Pulli. Eine unprätentiöse Regiearbeit mit genauer Personenführung? Leider durchkreuzen teils unbescheidene, teils platte Einfälle das Konzept.
Verbotene Liebe mag mit dem Verzehr verbotener Früchte verwandt sein, weshalb der Regisseur im großen Zwiegesang des zweiten Aufzugs Adam und Eva grüßen lässt. Als Requisit dient ein Apfel – oder besser gesagt eine Menge Obst, da Brangäne nicht nur die Liebenden warnt, sondern auch Apfelkörbe leert. Gemessenen Schritts betritt König Marke die Szene, mit einer Krone auf dem Kopf, wie man sie bei Kindergeburtstagen sieht. Melot schüttet Tristan rote Flüssigkeit aus einem bedeutungsschwer getragenen Becher über den Leib.
Am Beginn des dritten Aufzugs krümmt Tristan sich auf dem Boden, nur mit Unterhose be-kleidet und mit Kunstblut auf dem Bauch. So weit, so passend. Doch folgt eine ganz spezielle Idee. Mehrmals lässt Schütz die Akteure mit Tischen hantieren; in diesem Fall wird ein Kran-kenlager für den wunden Helden bereitet – eine szenische Verlegenheitslösung, die vor allem die Atmosphäre des Englischhorn-Solos abwürgt. Am Ende müssen Schütz und Kostümbild-nerin Claudia Billourou kräftige Buhs einstecken.
Die musikalische Umsetzung wird bejubelt. Zwei Gäste von internationalem Format geben die Titelpartien. Die Amerikanerin Adrienne Dugger, in Bayreuth als Senta und an der Met als Turandot hervorgetreten, macht aus ihrem Isolde-Debüt ein Fest der Nuancen. Sie verfügt nicht nur über Kraft, sondern auch über eine berückende Pianokultur und eine hochintelligen-te Phrasierungskunst. Und sie ist eine ganz starke Darstellerin. Der gleichfalls charismatische Russe Leonid Zakhozhaev, der im Sommer den Siegfried an der Met singen wird, imponiert durch die stimmliche Souveränität, mit der er die mörderische Tristan-Partie bewältigt. Allein sein Umgang mit der deutschen Sprache ist noch nicht völlig ausgereift.
Mit großem Engagement agieren die Kasseler Sänger Lona Culmer-Schellbach (Brangäne), Allan Evans (König Marke) und der leicht hervorzuhebende Stefan Adam (Kurwenal). Leistungsstark, wenngleich manchmal eine Spur zu laut musiziert das Staatsorchester Kassel unter der Leitung von Generalmusikdirektor Roberto Paternostro. Da Tristan ein Gipfelwerk ist, sei der Hinweis auf die nach wie vor maßstabsetzende Furtwängler-Aufnahme erlaubt: Gemessen daran ist Paternostros Interpretation eher durch eine schöne Oberfläche als durch lange, sehrende Spannungsbögen geprägt.
GEORG PEPL | 5. Februar 2006
Den Wagnerschen Rausch desillusionieren
Wagners Opern dauern lange. Der „Tristan” mit seiner Spieldauer von reichlich vier Stunden ist rekordverdächtig. Wenn dann noch das Protokoll einer Opernhaus-Wiedereröffnung mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), dem Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) und Intendant Thomas Bockelmann hinzukommt, braucht man schon ein wenig Geduld.Aber die lohnte sich. Nach den – nicht einmal langweiligen – Reden hatte mit dem Vorspiel zu „Tristan und Isolde” im abgedunkelten Zuschauerraum mit einem Schlag eine ganz neue Erlebnisdimension begonnen. Von Eile und Alltag entführen diese weit atmenden Klänge in ganz andere Sphären, ins Seeleninnere, in existenzielle Regionen, in denen angesichts der Fragen von Tod und Liebe alles andere zur Bedeutungslosigkeit schrumpft.Damit agiert Wagner virtuos – und erzielt eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Dies dürfte der Ansatz für Regisseur Johannes Schütz gewesen sein, gegenzusteuern, den Rausch zu desillusionieren, ganz im Wortsinn. Denn Schütz – zugleich Bühnenbilder – verzichtet auf Illustration, belässt den Bühnenraum nackt und karg, die Akteure treten in Alltagskleidung auf. Was geschieht, ereignet sich in der Fantasie des Zuschauers, nichts wird eins zu eins abgebildet.Das Ergebnis ist stellenweise erstaunlich: deshalb nämlich, weil Wagners Dramaturgie vielfach ihre verzaubernde Kraft auch in (oder trotz) dieser Nüchternheit zu bewahren vermag. Andererseits steht Schütz’ Ansatz quer zu gängigen Erwartungen, was ihm am Schluss auch Buhrufe einbrachte. Aber er konzentriert mit dieser Sicht konsequent den Blick aufs Wesentliche: auf die Unentrinnbarkeit des Liebestodes, der für Tristan und Isolde die einzig mögliche Erfüllung bedeutet.Ein hochkarätiges Solistenensemble hat Kassel für diese Inszenierung aufgeboten, allen voran Adrienne Dugger als Isolde: hochdramatisch und lyrisch, mit enormer Bühnenpräsenz, nicht minder enormer Stimmkraft bis in die höchsten Spitzentöne. Leonid Zakhozhaev ist ein metallisch timbrierter Tenor, der die Riesenpartie ohne äußere Zeichen von Anstrengung durchzustehen vermag. Ein paar leisere Töne möchte man allerdings auch gern von ihm hören.Mit nicht sonderlich großem Abstand von diesen sei Lona Culmer-Schellbach genannt, die stimmlich sehr kultiviert die Rolle der Brangäne meistert, manchmal vom Regisseur allein gelassen, wenn sie allzu lange mit aufgeregt rollenden Augen das Bühnengeschehen verfolgen muss. Als Kurwenal steuert Stefan Adams seinen prächtigen dunklen, stimmstarken Bass bei, dem sich der edle, mächtige Bass von Allan Evans als König Marke mit etwas älterem Ton beigesellt. Aufhorchen lässt der helle, geschmeidige Tenor von Young-Hoon Heo (Seemann/ Hirt); komplettiert wird das Ensemble durch Mark Bowman-Hester (Melot) und Jürgen Appel (Steuermann).Roberto Paternostro hatte sein Orchester gründlich vorbereitet. Allein die mit langer Hand vorbereitete Temposteigerung im ersten Vorspiel zeigte, wie gründlich er sich mit der musikalischen Dramaturgie befasst hatte. Am Ende – nach gut fünf Stunden samt zwei Pausen – brausender Beifall samt einigen Buhrufen für die Regie.
Michael Schäfer | 05.02.2007