Tristan und Isolde
![]() | Marcus R. Bosch | |||||
Opernchor des Staatstheaters Nürnberg Staatsphilharmonie Nürnberg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Vincent Wolfsteiner |
Isolde | Lioba Braun |
Brangäne | Alexandra Petersamer |
Kurwenal | Jochen Kupfer |
König Marke | Guido Jentjens |
Melot | Hans Kittelmann |
Ein junger Seemann | Martin Platz |
Ein Hirt | Martin Platz |
Steuermann | Sébastien Parotte |
Schwächelnde Solisten bei Nürnberger “Tristan”-Premiere
Die Neuproduktion von Richard Wagners “Tristan und Isolde” am Nürnberger Opernhaus gelang bei der Premiere nur im Orchestergraben überzeugend.
Wie agil eine Opernaufführung ist, zumal wenn ein Werk Richard Wagners auf dem Programm steht, war bei der jüngsten Premiere am Staatstheater Nürnberg zu erleben. Dass am Sonntag der Schlussbeifall für “Tristan und Isolde” geradezu stürmisch ausfiel, hatte eher damit zu tun, dass die Vorstellung live in fast fünfzig Kinos in Deutschland und Österreich übertragen wurde und zudem auf BR Klassik im Radio gesendet wurde. Für weniger lokalpatriotische Augen und Ohren war der Abend nicht ganz so bravourös.
Was in erster Linie an der Tagesform des Titelprotagonisten Vincent Wolfsteiner lag. Schon im 1. Akt zeichnete sich ab, dass der neue Heldentenor des Ensembles es ausgerechnet bei seinem Rollen- und Nürnberg-Debüt nicht leicht haben würde. Er sang in keiner Phase frei und kämpfte zunehmend mit der schweren Partie, die auch gesunden Tenören alles abverlangt und deshalb gerne gekürzt wird, was auch in Nürnberg der Fall ist.
Keiner zog die Reißleine
Bei einer normalen Vorstellung hätte der Hauptsolist bei der gegebenen, erst vor dem 3. Akt als leicht angesagten Indisposition vielleicht nur gespielt und den sängerischen Part einem Kollegen im Graben überlassen können. Da aber das Staatstheater mit der Premierenübertragung Neuland betrat – alle bisherigen Opern-Live-Events im Fernsehen oder Kino, ob aus der New Yorker Met oder aus Bayreuth, waren Repertoirevorstellungen und nicht Premieren -, wollte oder konnte wohl niemand diese Reißleine ziehen.
Vincent Wolfsteiner bleibt zu wünschen, dass seine Stimme den Parforceritt vom Sonntag gut überstanden hat. Denn seine Anlagen sind, soweit sich das beurteilen lässt, durchaus vielversprechend. Und er ist zweifellos ein begabter Darsteller, der sich mit vollem Einsatz in seine Rollen wirft. Dass seine “Tristan”-Verkörperung dennoch nur achtbar geriet, lag an der gegebenen Verunsicherung – und auch an den Vorgaben der Regie.
Wallende Hosen, nackte Heldenbrust
In der Inszenierung von Monique Wagemakers und im abstrakten Raumschiffbild von Dirk Becker wird viel gestanden, gekniet und unmotiviert hin- und hergelaufen. Allen männlichen Figuren hat Kostümbildnerin Gabriele Heimann außerdem lange und in viele Falten gelegte Hosenröcke verpasst, die zwar gut aussehen, in denen unfallfreies Agieren aber offenbar nicht möglich ist.
Dass Tristan im 3. Akt nurmehr die wallenden Hosen und kein Hemd mehr anhat, ist auch keine Offenbarung. Denn zwangsläufig schaut das Publikum gebannt auf die Heldenbrust in ihren unterschiedlichen muskulären Zuckungen. Ja, natürlich, der Mann ist schwer verletzt und reißt sich zuletzt den Wundverband ab. Aber die wahrscheinlich gewünschte drastischere Körperlichkeit kann auch vom Wesentlichen ablenken.
Liebevolle Dienerfiguren
Von dem, was die Regisseurin im Programmheft schreibt und meint, sieht und versteht der Zuschauer nur einen Bruchteil. Als Gewinn, als neue Variante ist zu verbuchen, dass die beiden Dienerfiguren Brangäne und Kurwenal ihre Herrin bzw. ihren Herrn mehr lieben, als es im Textbuch steht. Da gibt es anrührende Momente, auch weil sie nur andeutend, zurückhaltend inszeniert sind.
Wenn hingegen Tristan und Isolde gleich zu Beginn des 2. Akts förmlich übereinander herfallen, mag das zwar all jenen gefallen, die endlich wieder in “Tristan und Isolde” die romantische Liebesgeschichte sehen wollen. Aber das ist nur ein Klischee. Und die Schlusslösung mit dem gemeinsamen Liebestod überzeugt mich hier genauso wenig wie seinerzeit bei Jean-Pierre Ponnelle in Bayreuth
.Rauschhafte Steigerungen
“Ewig einig ohne End’, ohn Erwachen, ohne Erbangen, namenlos in Lieb’ umfangen” sind die beiden Liebenden ohnehin nur in ihren Köpfen, ihren Herzen und im Tod. Und natürlich in der Musik, die Marcus Bosch mit struktureller Klarheit und viel Gespür für die auffallend wortverständlichen Solisten dirigiert. Die Spannung, die er mit den präzisen und spielfreudigen Musikern der Staatsphilharmonie zwischen kontemplativer Zartheit und rauschhaft-rasanten Steigerungen erzeugt, ist das eigentliche Ereignis dieser Aufführung.
Lioba Braun als Isolde bestand ihr szenisches Rollendebüt weitaus glücklicher als ihr Bühnenpartner – eine starke, selbstbewusste Frau, die anders als Tristan sehr genau weiß, wer sie ist und was sie tut. Aber auch sie wird erst mit den kommenden Vorstellungen – und mit einem hoffentlich gut disponierten Partner – jene Sicherheit bekommen, die es braucht, um die Partie auch sängerisch mit jener Emphase zu füllen, die sie als Darstellerin schon hat. Die einzigen Hauptsolisten, die bei der Premiere rundherum überzeugten, waren Alexandra Petersamer und Jochen Kupfer: erstere als Brangäne mit einem nur etwas dunkleren Timbre als Isolde, letzterer als Kurwenal, der stimmlich die bei dieser Rolle gern praktizierte Raubeinigkeit souverän Lügen strafte.
Banale und poetische Bilder
Guido Jentjens war ein von der Regie zu blass geführter König Marke, der markant sang, sich aber allzu sehr auf die mitunter nervig mitlaufenden Filmkameras fokussierte. Darüber, warum er fünf Hemden übereinander trägt, sollte niemand ernstlich nachdenken. Das ist eine ebenso banale bildnerische Verrenkung wie der mit einer Reptilhaut gezierte Frackrücken von Melot, dem Hans Kittelmann ohnehin genug Schärfe gibt. Die von Tarmo Vaask einstudierten Chöre singen wirkungsmächtig, die Statisten sind zwar schön ausstaffiert, lassen es aber an Spannung und Haltung fehlen.
Fazit: Der neue Nürnberger “Tristan”-Inszenierung ist eher konventionell, tut niemandem weh und liefert hin und wieder poetische und starke Bilder, die niemandem etwas aufoktroyieren. Schon deshalb wird das ein Renner werden. Musikalisch hat die Produktion weitaus mehr zu bieten – vorausgesetzt die Titelprotagonisten sind gut bei Stimme.
MONIKA BEER | Dienstag, 23. Oktober 2012
Konturscharfe Klangräume für ein fabelhaftes Wagner-Ensemble: „Tristan und Isolde“ in Nürnberg
Der eigentliche Regisseur der Nürnberger „Tristan“-Produktion steht im Orchestergraben: Generalmusikdirektor Marcus Bosch schafft mit der überragend disponierten Staatsphilharmonie Klangräume, in denen Wagners Motivkonstellationen ihren Beziehungszauber entfalten können.
Diese Räume sind rhythmisch und in der Abmischung der Instrumentalfarben klar umrissen, die Tempi sind straff, vorwärtsdrängend, das exakte Herausarbeiten insbesondere der Holzbläser bei gleichzeitiger Genauigkeit in der Streicherartikulation gibt dem Zusammenspiel eine Klarheit der Konturen, die sich gleichwohl nie symphonisch verselbstständigt. Stets dient die Zuspitzung – besonders deutlich beim Hereinbrechen äußerer Handlung in die Sehnsuchtswelt des Liebespaars – dem Zweck des Musikdramas. Bezeichnend, dass trotz mitunter massiver Klangentwicklung die Sänger beinahe durchweg textverständlich bleiben.
Auch die Besetzung ist an diesem medial mehrfach ausgewerteten Premierenabend (Live-Übertragung im Radio und in zahlreiche Kinos) bemerkenswert. Lioba Braun hat die Isolde bisher nur konzertant gesungen, ihr szenisches Rollendebüt weist sie als eine technisch wie artikulatorisch ausgezeichnete Wagner-Interpretin aus. Ihr anfangs noch etwas scharfer, klanglich wenig flexibler Ton gewann im Laufe der Aufführung an Geschmeidigkeit, im Liebestod gelangen ihr betörende Pianopassagen.
Zur Seite stand ihr mit Ensemblemitglied Vincent Wolfsteiner ebenfalls ein Tristan-Neuling. Der Tenor entwickelte trotz leichter Erkältung ein packendes, die Zerrissenheit der Figur glaubhaft verkörperndes Rollenporträt. Aus einer kernigen, prägnant deklamierenden Mittellage heraus hatte er auch in der Höhe immer wieder intensive Momente, an der gesanglichen Linie wird er, bei besserer körperlicher Verfassung, noch feilen können.
Als innerlich gebrochener König Marke hatte Guido Jentjens mit fein abschattiertem Bass seinen besten Nürnberger Auftritt seit langem, Jochen Kupfers Kurwenal verströmte belcantesken Wohllaut, mit betörenden „Habet acht“-Rufen überstrahlte die reiche, perfekt geführte Mezzo-Stimme Alexandra Petersamers als Brangäne die Liebesnacht. Hans Kittelmann (Melot) und Martin Platz (Seemann/Hirt) komplettierten das exquisite Wagner-Ensemble.
Hatte sich die großartige musikalische Gestaltung bei der letztjährigen „Meistersinger“-Produktion mit einer intelligenten Regiearbeit zu einem geschlossenen Wagner-Höhepunkt verbunden, so schwächelt dieser „Tristan“ nun leider von der Bühnenseite her. Monique Wagemakers, die in ihrem Programmheft-Text überzeugende psychologische Schlaglichter auf die Personen und ihre Beziehungen zueinander geworfen hatte, blieb die szenische Umsetzung dieser Erkenntnisse schuldig.
In Dirk Beckers Einheitsbühnenraum, der mit einer Himmelskörperscheibe offenbar „des Welt-Atems wehendes All“ andeuten soll, vermag sie weder die sparsame äußere noch die stetig implodierende innere Handlung plausibel oder gar mitfühlbar zu machen. Dass Isolde am Ende ihren Tristan in Gedanken noch einmal ins Leben „zurücksingt“ – vereint stehen sie vor einem als Kometenschweif deutbaren Trümmerteil – bleibt dürftige Behauptung.
Die wenigen Buhrufe für die Regisseurin konnten den stürmischen Jubel für diesen musikalisch erneut denkwürdigen Nürnberger Wagner-Abend nicht eintrüben.
Juan Martin Koch | 24.10.2012
„Oper für Alle“ ist eher nur ein schöner Slogan. Doch diese anspruchsvolle, weil hochkomplexe und deshalb teuere Kunstgattung möglichst vielen zugänglich zu machen: das muss kulturdemokratisches Ziel sein. Neben der außergewöhnlichen Anspannung, Wagners „unmögliches“ Musikdrama mit größtenteils hauseigenen Kräften zu ermöglichen, stellte sich Bayerns viertes Staatstheater zusätzlichen Herausforderungen: in Zusammenarbeit mit BR-Klassik wurde die Premiere nicht nur live im Rundfunk übertragen. Der BR stellte auch den exzellenten 5.1-Ton für die schon mit Bayreuther Live-Übertragungen vertraute TV-Firma neoxfilm, und mit einem großen Sponsor-Zuschuss der Firma DATEV wurde die Premiere live in 43 Kinos zwischen Hamburg, Berlin und Wien übertragen. Oper für viele, wenn sie wollen…
Zu hören bekamen alle Premierenbesucher, dass die verstärkte Staatsphilharmonie Nürnberg unter GMD Marcus Bosch Wagners Liebesraserei – 1864 nach 77 Proben von den damaligen Wiener Philharmonikern als „unaufführbar“ abgelehnt – vielfältig gestalten kann. Da türmten sich Blechbläserdrohungen vor der ersten Wiederbegegnung der Liebenden. Nach dem vermeintlichen Todestrank kam das Liebesthema aus dem Nichts und wuchs zum rauschhaften Taumel. Zu Beginn der großen Liebesnacht im zweiten Aufzug rauschten Blätter und Quellwasser in täuschenden Klängen, ehe Tristan und Isolde dann zu den Klangwellen der berühmten „Tristan-Steigerungen“ wie Teenager übereinander herfielen. Wie gut Bosch disponieren kann, zeigte der betörend perfekte Zusammenklang der Orchesterwogen mit den berühmten Warnrufen Brangänes an die weltentrückten Liebenden – wofür Alexandra Petersamer zu Recht den größten Jubelsturm erntete.
Sie überragte damit ein gutes Ensemble, angeführt von dem gewollt „jugendlich unbedarft zupackenden“ Waffengesellen Kurwenal Jochen Kupfers bis zu Guido Jentjens solidem König Marke. Intendant Peter Theiler griff zu – und hat nun in Vincent Wolfsteiner einen ansehnlichen Tenor im Ensemble, der – nach nur einem Strich im Liebesduett – den dritten Aufzug mit seinen stimmmörderischen Schmerz-Wahn-Fluch-Verzweiflungsausbrüchen beeindruckend bewältigte, ein paar wegbrechende Töne mögen der kleinen Erkältung und der Premierenanspannung geschuldet sein. Die frühere Mezzosopranistin Lioba Braun, bislang eine Brangäne von Opern-Weltrang, wählte Nürnberg, um nach einer Babypause und veränderter Stimmlage nun ihre erste Isolde zu wagen. Sie bringt die ganze Wärme und Rundung der Mezzo-Lage in die Sopranpartie mit – eine anrührend Liebende. Doch für Isoldes hochdramatische Ausbrüche, die Todesflüche und Verwünschungen, für die Höhepunkte der Ekstase und den Liebestod fehlen ihren Spitzentönen das lodernde Leuchten oder der blanke Stahl – noch?
In Nürnberg eine Frau als “Tristan“–Regisseurin: Monique Wagemakers überzeugte mit viel psychologisch fundiertem Realismus in den ersten beiden Aufzügen. Auch die schwer gestaltbaren 50 Minuten von Tristans finalem Liebes- und Todeswahn gelangen – doch dann Stil-Wirrwarr: banaler Schwertkampf-Aktionismus beim Eintreffen von Marke, Brangäne und Isolde – dann Zurücktreten dieser Figuren – und zu Isoldes Liebestod-Entrückung erhebt sich Tristan, tritt, sie umarmend, hinter Isolde – und so verlöschen Licht und Musik – surreal? symbolistisch? Dabei hatte Bühnenbildner Dirk Becker visuell beeindruckend, ja „Wieland-Wagner-nah“ begonnen: schwarzer Bühnenraum, ein heller, ovaler Rahmen, dahinter drei spiralnebelartige Ringe als Spielscheibe mit drei eben solchen Ringe als Decke, im Hintergrund ein Lichtbalken – Milchstraßen-Galaktik oder Horizont. Dazu Gabriele Heimanns Kostümmischung aus asiatischem und „Krieg der Sterne“-Touch – ein Hauch von passender Science Fiction. Doch Wagemakers hielt diese „Welt-Entrückung“ eben leider nicht durch, auch Beckers Ring-Brüche am Ende samt verstreuter Lava waren verzichtbar. So blieb es bei der Überwältigung durch Wagners singulär rauschhafte Musik.
22.10.2012
Tobende Leidenschaften
Leidenschaftlich, schwelgerisch, schmachtend, drängend, anrührend, erschütternd, aufwühlend… Es gibt nicht genug Adjektive, die diese unbeschreibliche Musik beschreiben könnten – so wie sie Nürnbergs Generalmusikdirektor Marcus Bosch aus dem Orchestergraben hervorzaubert. Er stürzt das Publikum in einen rauschhaften Ozean von Klängen, in den man sich nur hineinreißen lassen und dem Erlebnis hingeben kann. Bosch schwelgt in der vollen Breite der Dynamik, greift mutig zu raschen Tempi und lässt Leidenschaften toben, wo Leidenschaften toben dürfen und sollen, lässt berühren und bewegen, wo emotionale Tiefen ausgelotet werden. Es gelingt ihm, die großen Bögen zu spannen, ohne dass etwas pauschal oder künstlich aufgebauscht klingt und er arbeitet auf anderen Ebenen wunderschöne Details heraus, lässt Orchesterstimmen aufblühen und führt alles zu einem großen Ganzen zusammen, bezwingend ehrlich, nie manieriert. Ganz einfach großartig. Das Orchester folgt seinem Dirigenten höchst engagiert, fast möchte man glauben mit sinnlicher Lust an diesen Klängen. Wagner selbst war sich des Potentials seiner Musik bewusst: „…nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen“. Das Publikum in Nürnberg war am Premierenabend besonders nach dem ersten Akt schier aus dem Häuschen…
Und das nicht nur wegen der musikalischen Seite dieser Produktion. Monique Wagemakers hat mit ihrer Inszenierung genauso ins Schwarze getroffen und so wirkt die ganze Produktion wie aus einem Guss – Szene und Musik arbeiten kongenial miteinander. Wagemakers hat den Mut, die Geschichte so zu erzählen, wie sie in Libretto und Partitur zu finden ist. Kein wilder Aktionismus, keine Textprojektionen und keine erfundenen Nebenhandlungen überlagern das Geschehen. Es gibt einen Liebestrank in einer Schale, Königsschmuck und Königsmantel usw. Wir sehen im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg Tristan und Isolde von Richard Wagner – „von“, nicht „nach“. Und alles erschließt sich und kommt an, auch ohne Aktualisierung ins Hier und Heute. Der Zuschauer ist mündig und wird als selbst denkender Mensch ernst genommen, der das alles ins wahre Leben übertragen kann. Dafür ist nicht genug zu danken.
Der Regisseurin große Kunst ist die Personenführung. Sie konzentriert sich ganz auf die Beziehungen der Personen zueinander, scheut keine Emotionalität und so wirkt das Geschehen bestechend echt und erschreckend lebensnah. Wenn Tristan und Isolde nach dem Liebestrank erst einmal ausgiebig die Leidenschaft besingen, ehe sie sich in die Arme fallen, kommt kurz die Befürchtung auf, es werde wieder einmal ein Tristan „ohne Anfassen“ (ein seit langen Jahren bestehendes Unterscheidungskriterium unter Wagner-Freunden). Doch keine Angst. Hier entsteht eine ganz starke Szene, denn in dem Moment, in dem beide aufeinander zustürmen wollen, werden sie von Brangäne und Kurwenal getrennt. Umso heftiger und leidenschaftlicher fallen die Umarmungen und Küsse im zweiten Akt aus. Nach dem großen Liebesduett kuscheln sie sich in Löffelchenstellung ganz nah aneinander und wirken so vertraut, so einig, so verletzlich. Dieses Bild prägt sich ein und findet im dritten Akt eine zutiefst bewegende, ja grausame Variation, wenn Isolde sich in gleicher Weise an den leblosen Tristan schmiegt und seinen toten Arm um ihre Schultern legt.
Ebenso berührt es, wenn Marke sich nach seiner Klage, die ihn als Verletzten, Wütenden, Traurigen, Verzweifelten, Nichtverstehenden… zeigt, mit einer majestätischen, aber zärtlichen Stirn-zu-Stirn-Berührung von Tristan verabschiedet. Tristans Wut, mit der er den Freundschafts-Verräter Melot ergreift und schüttelt, wirkt so lebendig und echt. Dass Melot im ersten Akt kurz vor dem König auf dem Schiff erscheint und die Liebe von Tristan und Isolde dort gewahr wird, erscheint als reizvoller, logischer Aspekt, der die Figur aufwertet und interessanter macht. Dass Tristan sich nicht selbst in Melots Schwert stürzt, sondern Melot aktiv den sich ihm präsentierenden Tristan angreift (harakiriähnlich bauchaufschlitzend) nimmt der Situation dagegen mehr als es ihr gibt.
Tristans psychische Dekompensation wird ebenso intensiv dargestellt wie Kurwenals verzweifeltes Mitleiden, wenn er sich in gleicher Haltung wie der Sieche selbst auf dessen Krankenlager zusammenkauert. Isoldes Liebestod bekommt auch virtuell Visionscharakter, wenn sich der tote Tristan erhebt und Isolde zärtlich an sich drückt während beide selig lächelnd in die gleiche Ferne blicken. So ausgiebig hatten sie von der glücklichen Vereinigung im Tode gesungen – hier wird’s Ereignis.
Dirk Becker hat abstrahierende, hochästhetische Bühnenbilder geschaffen, die sich unaufdringlich als dezente Kommentare der Handlung erschließen und aus drei Hauptelementen bestehen. Olaf Lundt hat sie sehr stimmungsvoll ausgeleuchtet.
Erster Akt: Eine mittig gelochte Scheibe aus drei weißen Ringen schwebt über der Szene und ihr gespiegeltes Pendant steht als Spielfläche auf der Bühne. Vor einem schwarzen Rundhorizont bewegt sich ein leuchtender bühnengroßer Ring und deutet das leichte Schwanken eines recht großen Schiffes an. Aus der Mittelöffnung ragt eine lange Stange. Ein umgeknickter Mast? Ein Steuerruder?
Zweiter Akt: Die untere Scheibe hat sich gedreht und bietet als eine Art Absatz eine zweite, etwas erhöhte Spielfläche. Eine kreisrunde Scheibe leuchtet zunächst als feurige Fackel und senkt sich nach deren Erlöschen als blauer Mond in die nächtlich blau ausgeleuchtete Szene. Eine senkrecht stehende leuchtende Leiste umkreist langsam als Warte mit Brangäne das Bühnenrund.
Dritter Akt: Die oberen Ringe haben sich verschoben, von den unteren Ringen ist nur ein zerbrochener übrig – ein Fragment ragt senkrecht in die Höhe. Auf dem Boden liegt Erde oder Laub, die Szene ist in herbstliches Licht getaucht. Am Schluss hebt sich der leuchtende Halbkreis aus dem ersten Akt langsam gleichmäßig, jetzt gelb leuchtend, in die Höhe.
Vieles erinnert hier – wie auch im Frankfurter Ring – stark an die fünfziger Jahre, aber es geht nicht darum, das Neubayreuth Wieland und Wolfgang Wagners wieder zu beleben. Es scheint eine Bewegung zu geben, die eine Weiterentwicklung jenes Inszenierungsstils auf einem anderen Weg versucht, als auf dem, der uns zum modernen Regietheater geführt hat. Das verspricht viel – und wird spannend!
Am musikalischen Sternenhimmel, den der Dirigent heraufbeschwört, leuchtet ein Stern ganz besonders hell: Alexandra Petersamer ist eine wundervolle Brangäne. Ihr klangschöner, gleichmäßig durchgeformter Mezzosopran verfügt über ein sattes stimmliches Fundament (man vermutet, dass sie nach oben und unten jeweils noch mindestens eine halbe Oktave zur Verfügung hätte) und eine ausgefeilte Technik, die ihren Gesang ganz selbstverständlich und unangestrengt klingen lässt. Auf dieser Basis kann sie interpretatorisch aus dem Vollen schöpfen und tut dies mit Leidenschaft. Die Stimme blüht üppig in unzähligen Farben und Schattierungen. Selten hört man die Wacht-Rufe so eindringlich gesungen – und so genau intoniert! Man kann die Brangäne anders singen – aber nicht besser.
Vincent Wolfsteiner ist ein jugendlich-stürmischer, szenisch und stimmlich draufgängerischer Tristan. Er stürzt sich in die Partie ohne Schonung, hat wunderschön strahlende Töne, aber auch immer wieder eine instabile Intonation. Im zweiten Akt des Premierenabends stellte sich dann doch die Frage, ob er sich nicht zu früh an den Tristan gewagt hat. Eine Ansage vor dem dritten Akt konnte einiges erklären: Er war durch eine Indisposition angeschlagen – sang dann aber dennoch einen fulminanten 3. Akt mit grandiosen Höhen, stabiler Tongebung und eindringlicher Interpretation. Das lässt hoffen und erwarten, dass er mit zunehmender Erfahrung in der Partie – und gesund – an seinen großen Erfolg als Siegmund in Hannover anknüpfen kann.
Lioba Braun hat ihre Karriere als Mezzosopran begonnen und steht in Nürnberg erstmals szenisch als Isolde auf der Bühne. Sie ist nicht die erste Mezzospranistin, die nach der Brangäne die Isolde singt. Für diese mörderische Partie sind das dunkle Timbre und die satte Tiefe und Mittellage gute Voraussetzungen und klingen auch bei ihr sehr schön. In der Höhe bedient sie sich eines starken Vibratos und die Spitzentöne im Liebesduett hat sie (vielleicht „noch“) nicht. Sie singt hochkonzentriert und stets gut kontrolliert, vielleicht springt deshalb der letzte Funke nicht über. Die wilden Leidenschaften überlässt sie Tristan. Ihrer Stimme liegt die Verdeutlichung des Leidens am Schicksal mehr als die rachelüsternen Wutausbrüche und die wild-sinnlichen Liebesschwüre. Mit schlankem, aber doch volltönendem Bariton macht Jochen Kupfer auch stimmlich sehr prägnant und stimmschön deutlich, dass Kurwenal seinem Herrn ein starker Halt mit sensiblem Kern ist. Guido Jentjens ist mit seinem kultivierten Bass ein anrührender Marke, der sowohl die verletzte Zuneigung als auch den verletzten Stolz des betrogenen Königs zum Klingen bringt. Hans Kittelmann überzeugt mit hellen, geradezu stechenden Tönen in der undankbaren Rolle des Melot und Martin Platz verströmt als junger Seemann und Hirt mit angenehm leichtem Tenor Wohlklang. Mit Sébastien Parotte als solidem Steuermann ist das Ensemble komplett, das vor allem in den Nebenrollen sehr gut aufeinander abgestimmt ist.
FAZIT
Eine ungeheuer spannungsreiche, lebendige Inszenierung, die die Geschichte librettogetreu in hochästhetischen abstrahierenden Bildern mit viel Leidenschaft erzählt, ein phänomenales, mitreißendes Dirigat, das die Leidenschaften kongenial zur Bühne toben lässt und eine Brangäne zum Niederknien. Nicht entgehen lassen!
Bernd Stopka | Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg am 21. Oktober 2012