Tristan und Isolde
Tristan | Paul McNamara |
Isolde | Melanie Maennl |
Brangäne | Linda Sommerhage |
Kurwenal | Peter Felix Bauer |
König Marke | Benjamin LeClair |
Melot | Paul Brady |
Ein junger Seemann | Michael Pegher |
Ein Hirt | Michael Pegher |
Steuermann | Alwin Kölblinger |
Helden in seelischen Untiefen
Wenn zu Beginn des dritten Aufzuges das Englischhorn die traurige Hirtenweise intoniert, ist keine Hoffnung mehr: Nicht nur ist die Liebe zwischen Tristan und Isolde aus vielfältigen Gründen zum Scheitern verurteilt, Tristan ist zudem todwund, an Leib wie an Seele. Trugen die Akteure zu Beginn noch Straßenkleidung, dominiert im dritten Akt der Anstaltskittel. Die Bühne kärglich ausgestattet, die Theatralik reduziert, nichts von äußeren Kämpfen, Melot und Kurwenal fallen ungeschlagen, Tristan und Isolde sowieso. Es geht um ein inneres Siechen, um etwas, was vom Anderen nicht erreicht, nicht berührt werden kann. Alexander Müller-Elmau lässt die Protagonisten bis zum Autistischen nebeneinander her singen, nichts lenkt ab von ihrer eigenen narzisstisch zur Schau gestellten Seelenpein.
Fuß verknackst
Die Musik agierte auf Höhe der Wagnerschen Vorstellungen und Anweisungen – vielleicht nicht ganz so ekstatisch und rauschhaft, aber eben durchaus angemessen drängend und bewegt.
Roger Epple am Pult ließ das Oldenburgische Staatsorchester das lange Lied als vielfach verzahnte Einheit wiedergeben, als Fluss, in dem glücklicherweise die Konturen nicht zerfließen.
Gesanglich überzeugten Isolde (Melanie Maennl) und Brangäne (Linda Sommerhage) ein wenig mehr als die männlichen Hauptakteure, vielleicht auch, weil sie so großartig durchhielten, obwohl die eine sich im zweiten Akt den Fuß verknackste und behandelt werden musste, und die andere als gesundheitlich angeschlagen angekündigt wurde.
Nirgends, auch in Bayreuth nicht, verlaufen Premieren dieses exorbitanten Werkes völlig reibungslos. Die üblichen kleinen Patzer hielten sich in Grenzen, Tristan (Christian Voigt) hielt bis zum bitteren Ende ausdrucksvoll durch, dagegen wirkte König Marke (Benjamin LeClair) stimmlich und vom Habitus her etwas blass, auch Kurwenal (Peter Felix Bauer) war nicht als virile Erscheinung angelegt. Aber das mag ja zum Konzept dieses „Tristan“ gehören, der in keine Ritterromantik, sondern in seelische Untiefen führte, und auf diesem Feld ist kein Platz für Helden, nicht einmal für gebrochene.
Haare fallen
Irgendwo oben, über der Bühne, lässt ein Mädchen in einem fort ausgerissene Haare herunterfallen. Wohnen wir wirklich einem wahnhaften Geschehen bei? Ist denn die große, unbedingte Liebe nur ein Gegenstand der Psychiatrie? Die großartig ernsthafte Musik von Richard Wagner erzählte viel mehr und erzählte es viel präziser als das, was auf der Bühne inszeniert wurde.
Nach dem letzten Vorhang gab es viel Applaus, aber der war nicht frenetisch, nicht überschwänglich. Das hätte auch zur Inszenierung nicht gepasst, die sich – vielleicht ungewollt – ein Stück weit in Richtung einer konzertanten Aufführung bewegte.
Andreas Schweiberer | 07.10.2013
So muss Wagner klingen
Nun ist das Wagnerjahr doch noch in der Nordwestregion zu spüren. Drei Wochen nach dem Bremer „Holländer“ kam nun in Oldenburg „Tristan und Isolde“ heraus: szenisch äußerlich reduziert, aber im Verlauf der Oper zunehmend packend, musikalisch unbedingt hörenswert.
„Tristan und Isolde“ ist Richard Wagners persönlichstes Bühnenwerk. Keine andere Oper trägt so starke biografische Züge und ist so schonungslos emotional. Und doch ist es sein „Schmerzenskind“, denn eine vier Stunden lange Oper, in der es primär um seelische Vorgänge geht und es fast keine äußere Handlung gibt, lässt sich nur schwer in Bilder setzen. So dauert es auch über einen Akt lang, bis Alexander Müller-Elmaus Inszenierung an Sogkraft gewinnt, bis sie am Ende gar mit starken Bildern schließt. Denn erst mit Isoldes Liebestod wird klar, wie wenig von dem, was das Publikum in den Stunden zuvor gesehen hat, Bühnenrealität, sondern vielmehr eine Vision – vermutlich – des sterbenden Tristan ist. Das Einheitsbühnenbild (ein klinisch toter, großer Raum) stellt denn auch nicht das Innere eines Schiffes oder einer mittelalterlichen Burg dar, sondern wohl einen Saal in einem heutigen Sanatorium. Da Alexander Müller-Elmau den Librettotext zunächst ohne Zwischentöne herunterspielen lässt, wird die beabsichtigte Vermischung von Realität und Traum im ersten Akt nicht erkennbar, zumal die Sänger schauspielerisch zeitweise unbeholfen wirken, was durch die wenig kleidsamen Kostüme (Werner Fritz) verstärkt wird.
Im zweiten Akt, wenn sich das Paar, das sich nicht lieben darf (Isolde ist König Marke versprochen), dann endlich trifft, beginnt die Inszenierung zu funktionieren. Isolde läuft zwar wie ein unbeholfener Nachtfalter über die Bühne, doch eine pendelnde Lampe verdeutlicht sehr schön Wagners Spiel mit Licht, Schatten, Tag und Nacht. Jetzt kommt Isolde ihrem Tristan endlich nahe – aber nur seelisch, nicht körperlich. Erst im Tod, den der Regisseur als ein Auflösen des Ichs deutet, können sie sich vereinen. Dass sie sich gegenseitig mit dem Messer ritzen und Tristan später wohl auch seine Augen zerstört hat, ist ein wesentlicher Baustein in der Darstellung der obsessiven Elemente, die diese unmögliche Liebe auszeichnet. Rund um die Figur des Melot bietet die Inszenierung Kennern des Werkes weitere interessante Ideen.
Alexander Müller-Elmau „füllt“ das von ihm entworfene Bühnenbild immer stärker mit einer doppelbödigen Atmosphäre und gibt Tristans Fiebervisionen im dritten Akt einen einfachen, aber idealen Hintergrund. Hier steigert sich Christian Voigt mit seinem leicht verhärteten (und im ersten Akt noch intonationsungenauen) Tenor in eine bestechende Form hinein. Er bleibt den ekstatischen Ausbrüchen kaum etwas schuldig und gestaltet die lyrischen Passagen eindringlich. Welch ein Unterschied zu den beiden letzten Oldenburger Produktionen, die mehrere Tenöre verschlissen haben.
Mit Melanie Maennl (früher einige Jahre in Bremerhaven engagiert) hat dieser Tristan eine Isolde an seiner Seite, die gekonnt und wortdeutlich gestaltet. Ihre Stimme hat sich zu einem kraftvollen hochdramatischen Sopran entwickelt, der jedes Orchesterforte übertönt und zwar nichts von seiner charakteristischen Stimmfarbe verloren, aber an Höhenschärfe und -vibrato gewonnen hat. Die oft als undankbar empfundene Rolle des Kurwenal wird durch Peter Felix Bauer und seinen kernigen, klangvollen Wagnerbariton aufgewertet. Auch Linda Sommerhage (Brangäne) kann sich behaupten, gleichwohl sie wegen der ähnlichen Stimmfarbe etwas im Schatten der Isolde steht. Mit großer Gestaltungskraft, aber vielen verquollenen und verfärbten Tönen zeichnete Benjamin LeClair das Portrait des am Ende zerbrochenen König Marke.
Das insgesamt überdurchschnittliche Niveau wurde in der umjubelten Premiere noch vom Oldenburgischen Staatsorchester gesteigert, das vor allem in den Bläsergruppen mit tollen Klangfarben (Klarinette) und sicherer Tongebung (Blechbläser) gefiel. GMD Roger Epple weiß, wie man Wagner dirigiert: wie man Höhepunkte setzt, wie man einen klanglichen Sog gestaltet, wie man beispielsweise vom ruhevollen Beginn aus große Steigerungen aufbaut, wie die einzelnen Instrumente ineinander überführt werden müssen. Zugunsten der Sänger drosselt Roger Epple gekonnt das Orchester, ohne dabei die Details der Partitur einzuebnen oder gar mit einem Weichzeichner zu musizieren. So muss Wagner klingen.
Markus Wilks | 07.10.2013