Tristan und Isolde
Tristan | Andreas Schager |
Isolde | Ursula Füri-Bernhard |
Brangäne | Christina Khosrowi |
Kurwenal | Dae-Hee Shin |
König Marke | Ernst Garstenauer |
Melot | Stan Meus |
Ein junger Seemann | Rodrigo Porras Garulo |
Ein Hirt | Rodrigo Porras Garulo |
Steuermann | Lars Kretzer |
Die Krone für Tristan
Kaum eine Stadt lebt in so enger Verbundenheit mit seinem Theater wie das südthüringische Meiningen. Themenbezogene Stadtführungen, Ausstellungen zu Theater- und musikbezogenen Themen und viele Museen bieten dem Theaterbesucher auch tagsüber vielfältige und ausgesprochen reizvolle Möglichkeiten, sich im Thema bleibend zu beschäftigen.
Musikalische, familiäre und freundschaftliche Bindungen haben seit 1831 viele Größen der Musik- und Theatergeschichte in das kleine, aber reizvolle Städtchen gelockt – insbesondere nachdem Herzog Georg II von Sachsen-Meiningen das Theater 1866 übernahm und dort, später zusammen mit seiner dritten Ehefrau Ellen, Maßstäbe setzte. Zunächst nur auf das Schauspiel beschränkt, dann jedoch auch wieder mit grandiosen Opernaufführungen. Er führte Regie und entwarf Bühnenbilder, die die Gebrüder Brückner als führende Theatermaler ihrer Zeit dann ausführten. Im Meininger Theatermuseum hängen derzeit in einem historischen Bühnenbild auch gemalte Prospekte, die aus dem Jahr 1876 stammen, dem Jahr, in dem Wagners Ring des Nibelungen in Bayreuth uraufgeführt wurde – in Bühnenbildern, die auch von den Gebrüdern Brückner gemalt worden waren. Familiäre und freundschaftliche Verbindungen hatten Wagner nach Meiningen geführt und daraus entstand auch musikalisch eine enge Bindung zwischen Meiningen und Bayreuth, so spielten bei den ersten Bayreuther Festspielen 26 Musiker der Meininger Hofkapelle im Festspielorchester.
Auch Meiningen legt zu Wagners 200. Geburtstag einen Schwerpunkt auf dessen Werke, neben zahlreichen Wagner-Konzerten finden sich Tannhäuser und das selten gespielte Frühwerk Das Liebesverbot auf dem Spielplan. Mit Wahnfried – Bilder einer Ehe von Reinhard Baumgart steht dieses in den 80er-Jahren eindrucksvoll verfilmte Stück erstmals als Schauspiel auf der Bühne. Eine Produktion, die sich vor allem an Wagner-Kenner richtet, die die Szenen aus seinem Leben einordnen können und sich mit den hier gezeigten Sichtweisen auseinandersetzen möchten. Besonderes Augenmerk liegt auf der Rolle Cosimas, ihr Beherrschtwerden von Wagner – und ihr Beherrschen Wagners… Über weite Strecken bleibt die Produktion eher spröde als spannungsreich, doch durch die Doppelung der Hauptfigur erreicht Regisseur Jan Steinbach sehr eindrucksvolle Momente, besonders, wenn die greise Cosima das Verhalten der jungen Cosima altersweise, abgeklärt und zuweilen auch verklärt kommentiert.
Tristan und Isolde ist die Neuinszenierung eines Wagnerwerkes dieser Spielzeit. Regisseur Gerd Heinz, Bühnenbildner Rudolf Rischer und Kostümbildnerin Gera Graf lassen in realistischen, romantischen Bildern wilde Leidenschaften toben. Ein Schiffsbug auf der Drehbühne bildet vor dem Hintergrundprospekt eines weiten Meeres die Szene des ersten Aktes. Der Beginn des zweiten Aktes zeigt eine verschleierte, blau-pastellfarbene Waldschneise, die in einen mondbeschienenen Meeresblick an einer Felsenküste überblendet wird. Zu Brangänes Wacht-Rufen schiebt sich langsam ein einfarbig blauer Vorhang vor die romantische Szene und wird mittels Projektion zu einem rasenden Sternenhimmel, in dem die Liebenden zu schweben scheinen. Zum Auftritt König Markes und seiner Jagdgesellschaft fällt der Vorhang brutal herunter und die Szene steht in blendendem, die Realität brutal ausleuchtendem Licht.
Vor einem Himmel, dessen Sonne eine große Wolke verdeckt, steht im dritten Akt ein riesiger archetypischer Baumstamm. Herbstlich gefärbtes Laub fällt zuweilen auf Tristans Krankenlager. Mit stufenartigen Absätzen des Bühnenbodens und einem stilisierten Brunnen im zweiten Akt mischen sich abstrahierende mit romantisch-realistischen Elementen. Es entstehen zuweilen wunderschöne Bilder, so etwa die vor dem Waldprospekt brennende Fackel, die Isolde – in wallendem Gewand – im Brunnen löscht und die Liebeszene, in der es für einen Moment ganz dunkel wird, so dass man sich durchaus vorstellen kann, dass hier Liebe nicht nur besungen, sondern auch vollzogen wird.
Doch irgendwie will sich ein harmonischer Gesamteindruck nicht einstellen. Das mag daran liegen, dass manches Stilmittel wie ein Fremdkörper wirkt (z. B. Tristans dämonischer erster Auftritt in Isoldes Schiffsgemach, wenn er von hinten mit deutlich sichtbaren, stark blendenden Scheinwerfern beleuchtet wird), vielleicht aber auch daran, dass manches einfach übertrieben wirkt. Der Mond scheint viel zu hell und die Sternenfahrt erinnert zu deutlich an die Reisen eines Fernsehserien-Raumschiffs in unendliche Weiten. Ähnliches gilt für die Personenregie. Einerseits ist man dankbar für ästhetische Bilder und ein Liebespaar, das sich mit wirklicher, wilder Leidenschaft begegnet, umarmt, küsst, neckt usw., andererseits wirkt die Personenführung – vor allem der Nebenfiguren – oft hölzern und unfertig. Zum Teil erscheinen die üppigen Kostüme archaisch, zum Teil archetypisch, gelegentlich befremdlich und manchmal auch sprechend: wenn Isolde im ersten Akt ein Kleid, nein, ein Gewand trägt, das der bevorzugten Mode der greisen Cosima entspricht und wenn Brangäne im zweiten Akt aussieht wie eine korsische Gouvernante.
Isolde ist im ersten Akt viel zu deutlich als wilde Furie gezeichnet, der das stilvoll Erhabene fehlt. Das raubt dieser wütenden Königstochter eine wichtige Dimension. Ganz konkrete Stellung bezieht der Regisseur zur Frage des versehentlichen oder absichtlichen Vertauschens von Liebes- und Todestrank: Brangäne lässt den Todestrank in ihrer Umhängetasche verschwinden und gießt den beiden… Wasser ein! Wer mit dem Tod vor Augen nichts mehr zu verlieren hat, kann sich für die (scheinbar) letzten Minuten seines Lebens ganz seinen urehrlichsten Gefühlen hingeben. Der Trank selbst enthemmt nicht, sondern allein die Vorstellung. König Marke könnte sich die eine und andere künstlich wirkende Operngeste sparen und dann ergreifender seine Klage singen. Viel bewegender ist da seine stille Geste im dritten Akt: Erschüttert sitzt er neben Tristans leerem Siechenbett, nimmt seine Krone ab und legt sie auf das Lager des soeben Verstorbenen. Mehr davon und eine durchweg intensive Personenregie hätten dieser Inszenierung gut getan.
Andreas Schager zählt zu den Hoffnungsträgern der Wagner-Tenöre dieser Tage. Und das mit allem Recht. Die Stimme hat jugendlich leuchtendes, strahlendes Metall in der Höhe und geht bruchlos in eine sichere Mittellage über. Besonders ausdrucksstark und vielfarbig klingt sein Tenor im Mezzoforte und Piano. Im ersten und zweiten Akt setzt er etwas zu oft auf seine Stimmkraft, was für größere Häuser sicher ein Vorteil ist, für das akustisch ganz exzellente Meininger Haus jedoch gar nicht nötig. Seine Gestaltung des dritten Aktes, mit sehr subtilem Einsatz der Stimmkraft ließ keine Wünsche offen. Ein toller Tristan!
Ursula Füri-Bernhard hinterlässt als Isolde einen zwiespältigen Eindruck. Sie ist mit vollem Körpereinsatz eine leidenschaftliche Darstellerin, die ihre Prioritäten unüberhörbar auf Ausdruck und Darstellung legt. Das wirkt zuweilen stark übertrieben und gleichfalls mutet sie ihrer Stimme oft mehr zu, als sie leisten kann, so dass ein unausgewogener Klangeindruck entsteht, mit immer wieder gestoßenen, übertrieben gebundenen, verschluckten oder wegbrechenden Tönen und scharfen Höhen. Mit viel Freiheit bezüglich Partitur und Intonation gestaltet sie die Partie vor allem im ersten Akt, erinnert sich im zweiten glücklicherweise daran, dass die Isolde nicht deklamiert, sondern gesungen sein will und lässt dann auch Phrasen und zuweilen recht schöne Töne hören.
Mit eher hellem Mezzosopran singt Christina Koshrowi die Brangäne tadellos, wirkt aber etwas hölzern, was jedoch der Sichtweise des Regisseurs geschuldet sein mag, der in der Brangäne eher die ordnende Gesellschafterin als die liebende, umsorgende Vertraute sieht. Dae-Hee Shin lässt als Kurwenal seinen markanten Bariton üppig strömen, Ernst Garstenauer singt eindrucksvoll einen greisen König Marke. Rodrigo Porras Garulo lässt als Steuermann und Hirt aufhorchen.
Meiningens GMD Philippe Bach verblüfft gleich zu Anfang mit einem eher verhaltenen, sehr langsamen, die Partitur geradezu buchstabierenden Beginn des Vorspiels, steigert sich dann fast unmerklich zu großer Intensität und zieht so den Hörer in den Bann dieser hochemotionalen Musik. Kongenial zum Liebesduett als szenischem Höhepunkt beschwört er aus dem Orchestergraben die musikalischen Wogen der Leidenschaft. Und immer wieder gelingt es ihm, Klänge höchst subtil zu gestalten ohne manieriert zu wirken. Das Orchester folgt ihm willig, wenn auch, besonders im ersten Akt, mit einigen deutlich hörbaren Ungenauigkeiten. Der Matrosen-Herrenchor wurde nicht nur seemännisch exakt navigiert.
FAZIT
Eine Produktion, die einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Das überzeugende Dirigat von Philippe Bach und Andreas Schager als Tristan sind die herausragenden Ereignisse des Abends.
Bernd Stopka | Premiere am 1. März 2013 im Großen Haus des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen
Meiningen liegt nicht gerade ums Eck, wenn man aus Wien kommt. Aber die 700 km Anfahrt in den Thüringer Wald war dieser Abend auf jeden Fall wert, denn einen Tristan wie Andreas Schager sieht man heute auf den europäischen Opernbühnen nicht jeden Tag. Bereits im Vorjahr zeigte der Niederösterreicher in Minden mit dieser Rolle, dass er auf dem besten Weg in die vorderste Reihe der Wagner-Interpreten ist. Diesmal hatte ich den Eindruck, dass er dort bereits angekommen ist. Das Südthüringische Staatstheater Meiningen bot ihm auch die ideale Bühne und mit dem Regisseur Gerd Heinz fand er einen alten Theaterhasen vor, der auf plakative Mätzchen verzichtete und mit konsequenter, präziser Personenführung eine „aufregend-altmodische“ Inszenierung auf die Bretter zauberte. Mit Richard Wagners Parsifal konnte der vom Schauspiel kommende 72-jährige (der u.a. das Züricher Schauspielhaus leitete) an diesem Theater bereits 2009 das Publikum begeistern.
Tristan und Isolde hatte Heinz aber in seiner über 50-jährigen Bühnenkarriere noch nie gemacht, das Team für Wagners größtes Liebespaar der Operngeschichte war das gleiche wie 2009: Bühnenbildner Rudolf Rischer und Kostümbildnerin Gera Graf (beide sind ebenso wie der Titelheld Österreicher) sorgten für Ästhetik und Wohlfühlen, keine Maschinengewehre, keine grauen Anzüge, sondern wunderbare Ausstattungen mit gutem Geschmack.
Für den ersten Akt wurde der Bug eines Schiffes imposant und Titanic-like in die Bühnenmitte gestellt und die Drehbühne intelligent zum Einsatz gebracht. So spielen die intimen Szenen in Isoldes Refugium, geschickt wechselt Heinz die Schauplätze, um schließlich im Finale des ersten Aktes den Chor auf den Außendeck Aufstellung nehmen lässt, um die Ankunft bei König Marke zu zelebrieren.
Isolde (Ursula Füri-Bernhard) ist dabei nicht eine weltentrückte Rächerin, sondern eher die verwöhnte Zicke vom Königshof. Ihre Darstellerin bringt dafür alle Voraussetzungen mit: Eine so behende und quirlige Isolde sieht man eher selten, und da kann es schon einmal passieren, dass die Töne nicht immer dort landen, wo Wagner sie hingesetzt hatte, insgesamt klingt ihr Gesang auch eher italienisch denn wagnerhaft-deutsch. Darüber gingen am Ende auch die Meinungen auseinander, für Furore sorgte die Schweizerin, die in Bern lange unter Vertrag stand und der Kinder wegen bisher auf internationale Engagements weitgehend verzichtete, allemal.
Über den Tristan von Andreas Schager kann man hingegen nur einer Meinung sein, und die kam beim Schlussapplaus auch lautstark aus dem Publikum: Jubel und große Anerkennung. Es ist schon erstaunlich wo dieses schlanke „Bürscherl“ all die Kraft hernimmt, eine der schwersten Partien der Opernliteratur ohne Rücksicht auf Verluste durchzusingen. Dass er alle zwei Tage (auch spätnachts) sein 6-Kilometer-Laufpensum absolviert, ist wohl nur eine unzureichende Erklärung für seinen Erfolg. Ebenso wichtig dürfte für ihn die seit einem Jahr andauernde Arbeit mit der Berliner Gesangslehrerin Heidrun Franz-Vetter sein. Die Stimme springt in jeder Sekunde richtig an und hat ein helles, klares Timbre. Ein fortissimo erschüttert auch die letzten Reihen, die zarten Töne schmelzen nur so dahin, was will man von einem Wagner-Tenor heute mehr. Dass er schon als „der neue Vogt“ gehandelt wird, wird dem sympathischen Sänger nicht gerecht: Er ist bereits DER SCHAGER.
Gerd Heinz zeichnet die Rolle Tristans auch in allen Facetten und lässt einen bereits von der ersten Sekunde an die schwierigen Verhältnisse spüren, aus denen er stammt und die erst im letzten Akt erzählt werden. Auch nach dem Liebestrank zweifelt er und steht sekundenlang an der Reling, wohl mit dem Gedanken ins Meer zu springen. Und wie Schager seinen Blick in die Ferne schweifen lässt. bevor er sein „O sink hernieder“ singt, das war großes Kino, das natürlich in einem Haus mit 730 Plätzen besonders effektvoll ankommt.
Apropos Liebestrank: Dass Richard Wagner zu seiner Cosima gesagt hat „sie könnten genauso gut ein Glas Wasser trinken“, setzt die Regie konsequent um. Brangäne versteckt den Todestrank und gießt lediglich Wasser in die Schale. Dass beim Trinken der Blitz in die Liebenden einschlägt bedarf keiner Utensilien. Christina Khosrowi meistert die relativ undankbare Partie der Brangäne auch mit allergrößter Bravour. Man kann gespannt sein, in welche Richtung es bei ihr weiter gehen wird und auch bei ihr fragt man sich immer wieder, wie eine so gertenschlanke Sängerin (die noch dazu blendend aussieht) diese Power hernimmt dem Orchester stimmlich derart Paroli bieten zu können.
Vielleicht wartet da demnächst gar eine Kundry?
Dass die Inszenierung im zweiten Akt einen kleinen Durchhänger hatte lag großteils an den (entbehrlichen) Videoeinspielungen während des großen Liebesduetts, der Sinn dieser „Wasserspiele“ erschloss sich mir jedenfalls nicht und die hektische Optik lenkte von der traumhaften Melodie doch zu sehr ab.
Neben den erwähnten Gastsängern behaupteten sich die hauseigenen Kräfte in den meisten Fällen: Ernst Garstenauer gab einen lautstark akklamierten König Marke, Dae-Hee Shin trotz seiner Herkunft einen wortdeutlichen Kurwenal und besonders angetan hatte es mir Rodrigo Porras Garulo, der sowohl den jungen Seemann als auch den Hirten mit lyrischem Tenor wunderschön intonierte. Nicht ganz so gut gefallen konnte der bewährte Stan Meus als Melot und Lars Kretzer als Steuermann.
GMD Philippe Bach brauchte mit der Meininger Hofkapelle (die ja einst auch von Bülow dirigiert wurde) vorerst einige Zeit um den idealen Spannungsbogen zu finden. Das Vorspiel wirkte daher noch ein wenig inhomogen und hätte auch eine exaktere Streichergruppe vertragen. Aber die Damen und Herren im Graben steigerten sich schon bald und Bach hatte das Heft bis zum Schluss fest in der Hand. Ein Bravo dem mit 39 Lenzen noch jungen Schweizer! Für den (gar nicht so kleinen) Chor (der sehr konventionell zum Einsatz kam) zeichnete Sierd Quarré verantwortlich, eine extra Erwähnung soll noch die Lichtregie von Beleuchtungschef Rolf Schreiber bekommen.
Der meiste Beifall galt natürlich am Ende Andreas Schager, aber auch seine Kolleginnen und Kollegen fanden ebenso vehementen Zuspruch wie das gesamte Regieteam – 13 Minuten Ovationen! Bis Ende Juni gibt es noch sieben Reprisen.
Ernst Kopica | Südthüringisches Staatstheater Meiningen, Tristan und Isolde – 1. März 2013
Bislang war es – zumal an kleinen Häusern – schwierig, eine adäquate Besetzung dieses im Ruf der Unbesetzbarkeit stehenden Werkes Richard Wagners zu finden. Da ist es besonders bemerkenswert, daß man in Meiningen in der Lage ist, die beiden Hauptrollen doppelt zu besetzen. Andreas Schager ist nach seinem Siegfried in Halle/Ludwigshafen keine Entdeckung mehr: Der ehemalige Operettentenor dreht auf und schafft einen voluminösen klangvollen Tristan. Er schont sich wenig und klingt dennoch am Ende genauso mühelos leicht wie am Anfang. Der große Strich im zweiten Akt hilft eher der Isolde Ursula Füri-Bernhard, die eigentlich nur über einen scharf klingenden Ton im dramatischen Forte verfügt, ansonsten vor allem im Piano mehr spricht als singt. Erst für den Liebestod kann sie deutlicher differenzieren. Dae-Hee Shin besitzt einen klangvollen Bariton mit klarem, fast tenoralem Klang, immer wortverständlich phrasierend. Im dritten Akt fehlt ihm ein wenig die Durchschlagskraft, er ergänzt sich jedoch hervorragend im Dialog Kurwenal-Tristan. Christina Khosrowi ist als Brangäne ein wenig überbesetzt, ihr technisch sauberer dramatischer Sopran mit sicherer Höhe und wortverständlicher Gestaltung in allen Lagen, wird sich sicherlich noch zur Isolde weiter entwickeln.
Ernst Gerstenauer ist ein Baßbariton mit sicherer Tiefe und kann die Rolle des König Marke technisch sicher gestalten. Er ist jedoch zu sehr zurückhaltend und ihm fehlt etwas Klangvolumen. Jedoch ist die Rolle – genauso wie die weiteren kleineren Rollen – für Meiningen adäquat besetzt.
Der von Sierd Quarre einstudierte Chor und Extrachor singt kraftvoll harmonisch und transparent.
Die Meininger Hofkapelle verfügt über eine langjährige Erfahrung mit Wagner und die ersten Bayreuther Festspiele wären ohne sie undenkbar gewesen. Philippe Bach läßt im Vorspiel sehr verhalten musizieren, entdeckt in der Partitur unendlich viele Details, die er in die Ekstase der Leidenschaft einbettet: Für ihn ist Tristan und Isolde ein Liebes-Drama von Anfang an.
Fazit
Sicherlich ist der Rückgriff auf historische Inszenierungsmittel etwas ungewöhnlich oder unzeitgemäß. Andererseits freut man sich, wenn sich Gerd Heinz auf das Liebesdrama zwischen Tristan und Isolde konzentriert, die Regieanweisungen des Komponisten umsetzt und nicht mit modernen Regieeinfällen ablenkt. Trotzdem gelingen ihm bei vielen Details und Gesten interessante Anmerkungen, z.B. gibt es keinen Liebestrank: Brangäne füllt das Gefäß mit Wasser aus einem Tonkrug. Die homogene und musikalisch ausgewogene Sängerleistung begeistert das von weither angereiste Wagner-Fach-Publikum Alle Beteiligten werden lange und enthusiastisch gefeiert.
Oliver Hohlbach | 1. März 2013 (Premiere)
“Tristan und Isolde” animiert zu Applaus und Bravo-Rufen
Die innige und dauerhafte Beziehung zwischen Richard Wagner und Meiningen begründete der legendäre Kapellmeister der Meininger Hofkapelle Hans von Bülow.
Der glühende Wagner-Verehrer, welcher die Meininger Hofkapelle zu einem europaweit gefeierten Elite-Instrument entwickelte, musste dennoch die ihm angetraute Liszt-Tochter Cosima an seinen Freund Richard “abtreten”. Über den Niederungen des Lebens aber schwebt die Kunst, die für Sänger mörderische, doch längst nicht mehr als unaufführbar geltende Oper “Tristan und Isolde”. Als Handlung in drei Aufzügen bezeichnete sie der Komponist und schrieb in einem Brief an Mathilde Wesendonck, dass “vollständig gute Aufführungen die Leute verrückt machen müssen”.
Verrücktheiten waren bei der Premiere am Theater Meiningen nicht auszumachen. Es wurde solide gearbeitet. Applaus und Bravorufe waren hoch verdient und verweisen auf vielfältige Erfahrungen im Umgang mit Wagners Werk samt der ehrgeizigen “Ring”-Realisierung anno 2001.
Derzeit, im Jubiläumsjahr, lockt Meiningen mit Opernaufführungen und dem Schauspiel “Wahnfried Bilder einer Ehe” sowie mit Vorträgen und Ausstellungen die Wagner-Freunde an. “Tristan”, das ist die Oper mit dem berühmten Akkord, eine zu Beginn des Werkes erklingende und leitmotivisch verwendete Tonfolge, welche die Musikwissenschaft intensiv beschäftigte und Wagner mit der schlichten Vortragsanweisung “schmachtend” versah.
Die Omnipotenz des Schmachtenden dominiert den “Tristan” bis an die Grenze zum Infantilen. Fast hyperdramatisch fällt sich das dem Tode geweihte Liebespaar in die Arme, ruft verzückt seine Namen und erzeugt eine – wie Nietzsche es nannte – “gefährliche Faszination”. Um die magere Handlung ist kein Regisseur zu beneiden.
Denn nichts passiert, als dass Isolde dem alten ehrwürdigen König Marke versprochen wurde, ihre auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe aber dessen Neffen Tristan gilt. Einen langen “ungeminnten” Lebensweg vor sich sehend, lechzt Isoldes glühendes Herz nach Freitod. Regisseur Gerd Heinz zieht sich ziemlich clever aus der romantischen Affäre. Für die Überfahrt nach Cornwall baut er einen Schiffsbug für den ansprechenden Chor der Seeleute, für Isolde und ihre Begleiterin Brangäne eine bieder wirkende Kajüte.
Gerd Heinz inszeniert pragmatisch, aber nicht unsympathisch. Er lässt Tristan und Isolde auf des Buges Spitze mit ausgebreiteten Armen like Titanic stehen; er taucht das Paar später über einer vereisten Waldlichtung per Scheinwerfer in diffuses Mondlicht. In Ermangelung akribischer Personenführung sowie aufgrund finanzieller Sparzwänge dürfen naive, wohl aber stimmungsvolle Theater-Elemente legitimen Urstand feiern.
Andreas Schager brilliert als Heldentenor
Andreas Schager, im Aufgebot des Meininger “Rienzi” und des Erfurter “Freischütz”, sorgt derzeit als Heldentenor für Furore. Hoffentlich, so klingt sein stählerner Gesang, halten Stimme und Körperfitness bei der Wanderschaft im dramatischen Fach noch lange durch.
Gegen Tristan konnte König Marke (Ernst Garstenauer) mit seinem altbackenen, mürben Bass nur ins Hintertreffen geraten. Auch die anderen blieben laut Partitur lediglich ehrenwerte Statisten: Melot (Stan Meus), der Hirt (Rodrigo Porras Garulo) und der Steuermann (Lars Kretzer).
Isolde (Ursula Füri-Bernhard) flüchtete sich trotz ihres voluminösen und auf Spitzentöne fixierten Soprans oft ins Reich sprachlicher Artikulation, was ihrer ungenügend ausgeprägten Mittellage geschuldet ist. Stimmliche Milde überkam sie aber bei der Aussicht auf erotische Erfüllung – “O sink hernieder, Nacht der Liebe”.
Über die Libido des treuen Kurwenal ist nichts bekannt. Aber Dae-Hee Shin lief in dieser Partie mit stressfreier Natürlichkeit zu großer Form auf. Eine Schwester im dramatischen Geist sowie von gesund klingendem Timbre hatte er in Brangäne (Christina Khosrowi). Mit größter Sorgfalt leitete Philippe Bach die Meininger Hofkapelle. Dirigent und Orchester atmeten bis in die Generalpausen hinein, versuchten den permanenten Schwebezustand durch federnde Mittelstimmen in harmonischer Spannung zu halten.
“Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!” sind Isoldes letzte Worte. Das allerletzte Wort, auch weil die Meininger Theaterstiftung die “Tristan”-Produktion finanziell großzügig unterstützte, gebührt dem Opernliebhaber Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot: “Die Oper ist sinnlos, teuer, aber ungemein schön!”
Ursula Miehlke | 03.03.13