Tristan und Isolde

Stefan Blunier
Herrenchor des Theaters Bonn
Orchester der Beethovenhalle Bonn
Date/Location
4 May 2013
Opernhaus Bonn
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
TristanRobert Gambill
IsoldeDarah Hobbs
BrangäneDaniela Denschlag
KurwenalMark Morouse
König MarkeMartin Tzonev
MelotGiorgios Kanaris
Ein junger SeemannJohannes Mertes
Ein HirtJohannes Mertes
SteuermannSven Bakin
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Reviews
Online Musik Magazin

Die Liebe, die es vielleicht nie gegeben hat

Worum geht es in Tristan und Isolde? Um Liebe als Grenzsituation, die sich dem rationalem Denken und den Umständen widersetzt, die wider alle Vernunft handeln lässt, die alles aufgeben lässt? Um Liebe als Schutzraum und zugleich als Katalysator für die Befreiung von Zwängen? Um Liebe als ungelebte Utopie, als unerfüllte Traumwelt, auch als ungenutzte Chance, gleichzeitig als Triebfeder für Kunst? Oder steckt darin von allem Genannten etwas? Wie zu allen großen Kunstwerken gehört die Uneindeutigkeit zu dieser Oper. Vera Nemirova, viel gelobt für ihren Frankfurter Ring, und Ausstatter Klaus W. Noack legen viele Spuren aus und Chiffren, die sich einer schnellen Deutung entziehen. Da gibt es beispielsweise eine Skulptur, die vom Bühnenhimmel herab hängt, ein riesiger Kristall, in den Lampen – Insignien der bürgerlichen Welt? Ausdruck der Hell-Dunkel-Thematik, der im zweiten Aufzug verlöschenden Fackel? – wie in einem Bernsteintropfen eingeschlossen sind. Da scheinen Bruchstücke einer einst gefestigten Welt wie nach einer Explosion davon zu schweben. Die seitliche Wand, die vielleicht den Lagerraum eines Transportschiffes begrenzt, ist wie von einem Meteoriten durchschlagen.

Das zentrale Bildmotiv des zweiten und dritten Aufzugs ist ein Treibhaus, dessen Verglasung an vielen Stellen eingefallen ist (und dessen Konturen eine Villa andeuten). Im Treibhaus heißt das dritte der Gedichte Mathilde Wesendocks, die Richard Wagner als Wesendonck-Lieder vertonte und dabei die Musik vorweg nahm, die später den dritten Tristan-Akt einleiten wird. Die Liebesbeziehung des Komponisten zu der Unternehmersgattin findet in Tristan und Isolde ihren künstlerischen Ausdruck; darüber ist viel geschrieben und manches inszeniert worden. Vera Nemirova greift das autobiographische Element auf, weniger um es erneut als Erklärungsmodell durchzuspielen, mehr um vielfältige Assoziationen daran anzuknüpfen. Tristan und Isolde sind „wie zwei fremde südliche Pflanzen, die in einem kalten Umfeld wachsen“, schreibt sie im Programmheft, das ähnlich collagenhaft offen gestaltet ist wie diese kluge und vielschichtige Inszenierung.

Die an sich ja ziemlich kitschige Frage, was das Werk uns heute noch zu sagen hat, geht sie offensiv an: Im Programmheft schreiben eine Reihe von Bonner Bürgern anonym kurze Geschichten über ihre Liebe und ihr Scheitern an der Liebe, über die Erfüllung und viel mehr über die Nichterfüllung. Dafür braucht es keinen Liebestrank. Vera Nemirova gibt den Protagonisten provokativ profan Wasser aus handelsüblichen PET-Flaschen in die Hand, und setzt an die Stelle des Wagnerschen Vergiftens mit dem vermeintlichen Todes-, tatsächlichen Liebesserums den gefühlt längsten Kuss der Operngeschichte: Ein tastendes Sich-Durchringen zu den eigenen Gefühlen. Fast jeder zeitgenössische Regisseur sieht den Trank als Symbol, aber das so einfach und so deutlich zu zeigen, das gelingt kaum einmal. Offen bleibt, was danach kommt: Das in der hernieder sinkende „Nacht der Liebe“ die sexuelle Vereinigung in der Luft liegt, daran lässt die Regie keinen Zweifel – aber sie lässt offen, ob es dazu kommt: Halb entkleidet schreiben sich die beiden ihre Namen auf die Haut. Ist das die symbolische Vereinigung, oder die künstlerische Ersatzhandlung eines Paares, das nicht zueinander kommen konnte (oder gar nicht wollte)? Richard und Mathilde wurden kein Paar, zumindest nicht dauerhaft – erst Cosima von Bühlow war die Frau, die alle Konventionen (einschließlich ihrer Ehe) abschüttelte und an der Seite des Komponisten blieb.

In der militärisch steifen und sehr grauen Welt Markes und Melots wird Isolde eingehen wie eine schlecht gepflegte Pflanze. Im Austarieren von symbolischer und realistischer Welt streift die Regie mitunter die Komödie, wenn Gärtner Kurwenal die Treibhauspflanzen abstaubt oder Gouvernante Brangäne und er das in offener Liebe entbrannte Paar vor Markes Erscheinen im ersten Aufzug immer wieder trennen müssen. Die sehr genaue, hervorragend auf die Musik abgestimmte Personenregie bringt immer wieder kleine Stiche, lässt von einer Ebene zur anderen wechseln – und sie schafft das Kunststück, das große Drama in den bürgerlichen Niederungen nicht klein werden zu lassen.

Tristan verblutet nicht, er stirbt an der Wunde Isolde, als Tattoo auf seinem Arm eingraviert. Oder stirbt er, alt geworden, nur für Isolde, die ihn nie hat erreichen können? Isolde stirbt keinen physischen Liebestod. Tristan lässt sie im Regen stehen – in einem Regen aus beschriebenen Papierblättern. Vielleicht hat Richard Wagner dereinst Mathilde Wesendock (die je eigentlich nicht Mathilde, sondern Agnes hieß, aber auf Wunsch ihres Gatten den Namen dessen verstorbener ersten Frau annahm) ähnlich im Regen stehen lassen, als er mit der Tristan-Partitur im Kopf zu neuen Ufern aufbrach. In Bonn geht Isoldes Blick zurück zu dem verfallenen Gewächshaus, das in der genialen Ausleuchtung von Max Karbe auf einmal zu einem Relikt aus der Vergangenheit wird. Es geht in Tristan und Isolde eben auch um die vielen Sehnsüchte, die unerfüllt bleiben.

Diese letzte Opernpremiere in der Amtszeit des scheidenden Intendanten Klaus Weise ist auch deshalb eine der besten, weil sie musikalisch großartig gelingt. Das Beethoven Orchester Bonn kann sich zwar, was Spielkultur und Klang betrifft, nicht mit den besten Orchestern des Landes messen – dazu „klappern“ die Einsätze zu oft, dazu fehlt ein homogener Klang, und wenn jemand ein Solo hat, dann spielt er es laut und mit viel Vibrato (das müsste sich ‘mal ein Essener Philharmoniker bei Stefan Soltesz erlauben!). Aber Chefdirigent Stefan Blunier befeuert das Orchester zu höchster Intensität, spitzt vor allem die schnellen Tempi bis an die Grenzen zu und dirigiert einen sehr spannungsgeladenen, hochdramatischen Tristan.

Sehr sängerfreundlich ist das nicht immer, und um so höher ist es Robert Gambill anzurechnen, dass er mit leicht baritonal eingedunkeltem, durchsetzungsfähigem Tenor die monströse Partie des Tristan nicht nur souverän durchsteht, sondern klangschön und mit sorgfältig ausgesungenen Linien und guter Legato-Kultur gestaltet. Dara Hobbs spielt mit großer Intensität, war am Premierenabend durch eine Allergie stimmlich außer Gefecht; für sie sang vom Bühnenrand aus Sabine Hogrefe die Isolde. Durch den exponierten Platz nahe der Rampe hat sie es natürlich einfacher als Gambill und imponiert aber mit einer klar fokussierten, strahlkräftigen und leuchtenden, dabei nicht zu hellen Stimme, nicht allzu wandlungsfähig im Timbre, aber nicht scharf und auch gegen geballte Orchestergewalt tragfähig. Mark Morouse ist ein imposant heldenbaritonaler Kurwenal, Daniela Denschlag eine schlanke und (entgegen ihrem gouvernantenhaften Outfit) jugendliche Brangäne, gelegentlich vom Orchester übertönt, aber nicht forcierend und mit angenehmem Tonfall. Draufgängerisch zupackend, dabei etwas unbestimmt im Ausdruck singt Martin Tzonev einen eher wütenden als enttäuschten König Marke, Johannes Mertes ist ein Hirt und junger Seemann mit großer Stimme, Sven Bakin ein sehr ordentlicher Steuermann und Giorgos Kanaris ein akzeptabler Melot.

FAZIT
Vera Nemirova gelingt hier eine der hintersinnigsten und vielschichtigsten Produktionen nicht nur im Wagner-Jubeljahr. Auch musikalisch stark.

Stefan Schmöe | Premiere im Opernhaus Bonn am 28. April 2013

General-Anzeiger

Mit “Tristan und Isolde” wird ein packender Beitrag zum Wagner-Jahr geboten

Langsam und schmachtend solle der Beginn des Vorspiels zu “Tristan und Isolde” klingen, notierte Richard Wagner über der Partitur zu “Tristan und Isolde”. Als Bonns Generalmusikdirektor Stefan Blunier den Cellisten bei der Premiere des Liebesdramas in der Oper den Einsatz zu dem sehnsüchtigen Sextsprung gab, der den wundersam-rätselhaften Tristan-Akkord vorbereitet, musste man genau dieses Begriffspaar wählen, um das Ergebnis zu beschreiben. Das langsame Tempo, die extrem gedehnten Generalpausen und der wunderbare Orchesterklang entfalteten einen musikalischen Zauber, der bis zum ergreifenden Liebestod Isoldes wirken sollte.

Man war vor der Premiere schon gespannt, wie die als großes Talent gehandelte amerikanische Sopranistin Dara Hobbs diese Szene singen würde. Leider war sie aber wegen einer heftigen Heuschnupfen-Attacke stimmlich derart außer Gefecht gesetzt, dass sie nur stumm spielen konnte und ihrer kurfristig eingesprungenen Kollegin Sabine Hogrefe das musikalische Feld überlassen musste. Ihr gelang das Kunststück, sich hinterm Notenpult in die musikalische Atmosphäre hineinzufühlen und die unglaublichen, oftmals dramatisch aufgeladenen Emotionen ihrer Partie mit tragender Stimmer Klang werden zu lassen.

Regisseurin Vera Nemirova fokussiert den Blick deutlich auf das Liebespaar. Im Zentrum der von Klaus W. Noack entworfenen Bühne steht ein riesiges Treibhaus; es wirkt ein bisschen heruntergekommen, die Scheiben sind zum Teil schon zerbrochen. “Im Treibhaus” heißt auch ein Gedicht von Wagners geliebter Muse Mathilde Wesendonck, deren Mann Otto Wesendonck der wichtigste Gönner des Komponisten während des Schweizer Exils war. Auch Isolde scheint in Nemirovas Inszenierung eine Dichterin zu sein. Die Bühne ist übersät mit weißen Blättern.

Nemirova will die Oper auch ein bisschen entmythisieren. Den Liebestrank (den beide zunächst für einen Todestrank halten) gibt es hier nicht wirklich. Weil das Paar seine Liebe schon sehr viel früher ahnt, braucht es Brangänes Zauber nicht, und eine banale Plastikwasserflasche leistet dann eben auch gute Dienste. Tristan fängt das Wasser mit der Hand auf und trinkt es gierig in einem Zug. Isolde, die sich betrogen fühlt, presst ihren Mund auf den seinen, als wolle sie sich ihren Teil holen. Dieser Kuss dauert so lange, wie Wagner das Mittel musikalisch wirken lässt. Nach diesem vielleicht längsten Kuss, den die Opernbühne je erlebt hat, fühlt sich das Paar vereint. Dass sie danach ihrer Liebe immer wieder mit Worten, die sie sich gegenseitig auf die Haut schreiben, versichern, wirkt hingegen reichlich gewollt.

Für Nemirova ist auch König Marke eine spannende Figur. In seinem Auftritt wurde deutlich, wie ambivalent die Gefühle dieses Mannes sind. Trauert er, weil Tristan ihm seine Braut Isolde oder weil Isolde ihm den geliebten Tristan genommen hat? Als er irgendwann zwischen dem Paar auf dem gleichsam als szenisches Leitmotiv verwendeten Bett sitzt, herrscht tief empfundene Ratlosigkeit. Martin Tzonev gestaltet die Seelenregungen mit ebenso machtvollem wie nuanciertem Bassbariton und bemerkenswertem schauspielerischem Können.

Den Tristan sang Robert Gambill. Zunächst noch arg kräfteschonend, legte er sich im dritten Akt mehr ins Zeug. Was umso erforderlicher war, als der Held hier weniger an der Wunde leidet, sondern vom Wahnsinn umnachtet ist. Der dritte Akt, eine einzige Wahnsinnsarie, für die Gambill letztlich aber nicht genügend Stimme mitbrachte. Dieser Opernakt gehörte freilich auch Mark Morouse, dessen Kurwenal gesanglich ebenso überzeugte wie seine Wortverständlichkeit.

Auch in den anderen tragenden Nebenrollen kann die Produktion punkten: Daniela Denschlag ist mit schönen Mezzofarben eine überragende Brangäne; Bariton Giorgos Kanaris überzeugt als Melot; selbst Hirt und Steuermann sind mit Johannes Mertes und Sven Bakin bestens besetzt. Der von Sibylle Wagner einstudierte Männerchor sang ebenfalls mit starker Präsenz. Für Bonns Beitrag zum Wagner-Jahr gab’s begeisterten Beifall.

Bernhard Hartmann | 29. April 2013

onlinemerker.com (I)

Wenn ich bedenke, dass mir die geniale Produktion von Richard Wagners absolutem Meisterwerk „Tristan und Isolde“ vor wenigen Monaten in Nürnberg, noch unvermindert detailliert im Gedächtnis haftet, hatte ich nach der besuchten Premiere im Theater Bonn bereits nach einer Nacht Erinnerungslücken. Was war geschehen? Vera Nemirova inszenierte dieses grandiose Epos, entgegen ihrer beachtlichen Ring-Umsetzung in Frankfurt, geradezu am Text vorbei, ihr blieb die eigentliche Materie des Dramas, so erschien es wenigstens dem Rezensenten gänzlich verwehrt. Bedingt durch das früher gehörte Wesendonck-Lied Treibhaus fühlte sich die Regisseurin inspiriert, die Handlung in ein solches Gewächshaus zu verlegen und die Affaire Mathilde und Richard näher zu exponieren, doch leider verlor sich die Dame dabei in plakativen Nebensächlichkeiten, schenkte den Personen zu wenig tiefenpsychologische Resonanz und das Ganze geriet mehr oder weniger zur Persiflage. Für die Bühne sowie die wenig kleidsamen Kostüme zeigte sich Klaus W. Noack verantwortlich, ein Bett spielte in allen drei Akten die Hauptrolle, die unerlässlichen Requisiten „Koffer“ durften keineswegs fehlen, der verhängnisvolle Trunk wurde (wie sinnig) aus einer Plastikflasche „geschüttet“, das Liebespaar erging sich in gegenseitigen Körperbeschriftungen, ein quietschfideler, keineswegs wunder Tristan turnte zu den Fieberträumen auf dem Bett, der dritte Akt uferte mangels Personenführung vollends aus dem Ruder – das Ganze es war halt eine Farce nur und weiter nix!

Bedingt durch dieses konfuse Spektakel konzentrierte sich meine Aufmerksamkeit mehr auf die musikalische Komponente, doch wurde ich auch hier (in meiner 98. Auff.) nur bedingt glücklich. Befremdlich erschien mir das Dirigat von GMD Stefan Blunier, detailverliebt sezierte der Dirigent die Partitur, formulierte Momente wie eine Rezitativ-Begleitungen, zerhackte, fügte wieder zusammen, überdimensionierte Forteeruptionen, wo Leidenschaft, Gefühl, Ekstase gefragt, manche Stellen im dritten Aufzug klangen zu sehr nach karikierten Meistersingern. Sehr konzentriert und sauber musizierte das Beethoven Orchester Bonn und dennoch fehlte dieser Instrumentierung, bedingt durch die eigenwillige Stabführung der symphonische Fluss, der optimal verzehrende Klangrausch, kurz um das prägnante Profil, dieser sonst so überwältigenden Musik. In früheren Begegnungen des Titelhelden Robert Gambill war ich bisher keineswegs zufrieden, auch heuer konnte mich der Tenor wenig überzeugen, war stets um vokale Linie bemüht, dachte ich noch im ersten Akt, der Sänger schone sich für die folgende, kräftezehrende Partie, doch weit gefehlt, immer mehr häuften sich die Dissonanzen, zudem störte mich die eigenwillige Intonation des Tenors.

Dara Hobbs, vielgepriesener neuer Stern am Isolden-Himmel, konnte bedingt durch eine Pollenallergie nur mimen und die kurzfristig engagierte Sabine Hogrefe sang am Bühnenrand vom Blatt, einer durchaus glücklichen Konstellation ohne Störungen, dank der ausgezeichneten, intensiven Formulierung der erkrankten Darstellerin. Frau Hogrefe gestaltete die irische Maid mit kraftvoller Sopranstimme, sehr dramatisch, in bester Textverständlichkeit, zügelte ihr scharfkantiges Höhenpotenzial besonders im zweiten Aufzug zu gefühlvollen Nuancen und farbigen Zwischentönen. Daniela Denschlag ließ den einst so fülligen, dunklen Mezzoklang vermissen, wirkte zuweilen kraftlos, eindimensional, dem Wachgesang der Brangäne fehlte der weite, strömende Atem. Mark Morouse gestaltete den Kurwenal, welcher mehr die Pflanzen als Tristan umsorgte. Mit markant geführtem Bariton verströmte er Wohlklang in nuancierten Couleurs. Trocken, verhärtet wirkte dagegen der voluminöse Bass Martin Tzonev (König Marke), mit dunkel gefärbtem Tenor verlieh Johannes Mertes den Kurzauftritten Junger Seemann und Hirte vordergründige Kontur, souverän fügten sich die Stimmen Sven Bakin (Steuermann), Giorgos Kanaris (Melot) ins Geschehen, grobschlächtige Agilität wurde regiebedingt dem Herrenchor (Sibylle Wagner) verordnet.

Ohne große Euphorie feierte man leistungsgerecht die Beteiligten, unter den Beifall für Blunier und Nemirova mischten sich zaghafte Buhrufe.

Gerhard Hoffmann | 28.04.2013

onlinemerker.com (II)

Am Theater Bonn herrscht Abschiedsstimmung. Generalintendant Klaus Weise, welcher das Haus (3 Spielstätten) ein Jahrzehnt lang überwiegend mit Erfolg geführt und sich mehr und mehr auch der Oper zugewandt hat, wurde mit Sparauflagen konfrontiert, die er wohl nicht mehr mitzutragen gewillt war. Sein designierter Nachfolger Bernhard Helmich (noch Chemnitz) hat aber offenbar ein probates Konzept. Man wird sehen. In den Kammerspielen Bad Godesberg gab’s als letzte Inszenierung Weises vor Ort Kleists „Zerbrochenen Krug“. Der lokale Generalanzeiger erwähnte in seiner Rezension etwas irritiert die überaus knappe Abschiedsgeste des Generalintendanten. Bei der „Tristan“-Premiere kam es dann aber doch zu einem weiteren Auftritt Weises vor dem Publikum, allerdings galt er der Ansage einer kurzfristigen Umbesetzung. Ähnliche Situation wie kürzlich beim Berliner „Rigoletto“: DARA HOBBS (Isolde) hatte es die Stimme verschlagen, spielte aber. SABINE HOGREFE doubelte von der Bühnenseite aus.

Die Sängerin ist nachgerade eine Entdeckung. Über das lyrische Fach hat sie sich ins hochdramatische hinein entwickelt, covert an großen Häusern und fand – als „Siegfried“-Brünnhilde einspringend – 2010 den sogar Weg nach Bayreuth. Dass sie auch eine temperamentvolle Darstellerin ist, lässt sich an 2 Youtube-Ausschnitten ablesen: „Götterdämmerung“ in Freiburg und „Elektra“, nicht weiter datiert. Die extremen Höhen bei diesen Partien wirken etwas souveräner als die bei der Bonner Isolde, was aber Tagesform sein mag und auch nur en passant erwähnt sei. Insgesamt bestach die angenehm weibliche, perlmuttartige und in der Tiefe ausgesprochen füllig warme Stimme.

Nach rund 30 Jahren (damals agierte Jean-Claude Riber als Opernintendant) war ein „Tristan“ in Bonn durchaus wieder fällig. Das Wagner-Jahr regte an, VERA NEMIROVA („Ring“ in Frankfurt und in Bonn schon mehrfach arbeitend – zuletzt mit „Liebestrank“ !!!) stand als Regisseurin zur Verfügung, STEFAN BLUNIER als Dirigent. Auf ihn ist zunächst zu kommen.

Als „klingendes Morphium“ bezeichnet der Dirigent die „Tristan“-Musik, sieht in ihr „Seelennot“ mit höchster Dringlichkeit zur Sprache gebracht. In den ersten Takten unterstreicht er das reichlich pausengedehnt, dann aber fließt die Musik narkotisch, das Vorspiel zum 3 Aufzug brennt sich geradezu in die Ohren der Zuhörer ein. Der ganze Abend: ein Klangereignis.

ROBERT GAMBILLs kraftvoller, doch immer noch angenehm lyrisch grundierter Tenor gibt dem Tristan Kontur. Man merkt ihm keine Schonung an, trotzdem klingt sein Organ auch in extatischen Momenten frisch und jugendlich. Dass er im 3. Aufzug von den Extasen des weitgehend blendend disponierten BEETHOVEN ORCHESTERs klanglich schon mal überrollt wird, kann freilich nicht ausbleiben. Brangäne ist mit grauer Knotenfrisur und Schlabberkleid zum Typ Heimchen am Herd gestempelt: DANIELA DENSCHLAG fängt diese Vereinseitigung der Figur mit ihrem relativ hellen, aber klangvollen Mezzo auf. MARTIN TZONEV, physiognomisch etwas jung für den greisen Marke, ist mit seinem mächtigen, differenziert geführten Bass eine Autorität und macht die Klage des Königs zu einer überaus bewegenden Szene. Auch die Inszenierung ergreift, wenn sich Isolde und Tristan danach zu ihm auf eine Bank setzen, ihn mitleidig flankieren, um sich nach Markes Weggang aber schon wieder in die Arme fallen. Einen flammend heldenbaritonalen Kurwenal gestaltet MARK MOROUSE, mit seinen 50 Jahren auf einem stimmlichen Gipfel. GIORGOS KANARIS ist zuverlässig Melot, JOHANNES MERTES (fast mit Tristan-Volumen) als Seemann/Hirt extrem gut besetzt wie auch SVEN BAKIN (Steuermann). Musikalisch in Bonn also ein Rundum-Sieg.

Doch auch die Inszenierung trägt zum Glück des Abends nachhaltig bei. Vera Nemirova hält sich von eitler, vordergründiger Deutung fern, spitzt aber eine Reihe von Szenen auf interessante Weise zu. Isoldes Verhöhnung durch das Schiffsvolk durchzieht den ganzen 1. Aufzug. Die Liebesszene entwickelt sich (mit einer ziemlich „aktiven“ Isolde) im einem langsamen Crescendo und mündet in den längsten wohl je gesehenen Opernkuss. Dass die Liebe zwischen Tristan und Isolde nicht nur geistig metaphysischer Art ist, unterstreicht verstärkt der Mittelakt, auch wenn Grenzen gewahrt bleiben. Briefblätter bedecken die Bühne (Anspielung auf den Versroman Gottfried von Strassburgs?), fallen zum Liebestod auch vom Himmel. Die Liebenden „tätowieren“ sich ihre Namen auf die Körper – schwärmerischer Rausch.

Das Finalbild spielt (bei prinzipiell gleichbleibender, einfallsreicher Drehbühnen-Ausstattung von KLAUS W.NOACK) in einem Treibhaus, das Klima des zweiten Wesendonck-Liedes umsetzend. Solche Liebe aber kann, wie auch die Biografie des Komponisten ernüchternd zeigt, in der Welt des Irdischen nicht Bestand haben, müsste im öden Tageslicht ersterben. Bleibt also nur Traum, Jenseits, Tod.

Christoph Zimmermann | Premiere am 28. April 2013

nmz.de

Kräftige Triebe im lädierten Treibhaus: Vera Nemirova inszeniert Wagners „Tristan und Isolde“ in Bonn

An Wagner-Aufführungen in den Opern- und Festspielhäusern ist heuer kein Mangel. Die Werke Richard Wagners werden landauf und landab „gedeutet“ und ausgebeutet – von den „Feen“ bis zum „Parsifal“. Also muss, wer immer im Überangebot Aufmerksamkeit erregen oder gar eine Spur hinterlassen möchte, markante marktgängige Ideen bieten.

Dies meint zuvorderst: einprägsame Bilder setzen und/oder möglichst auch musikalisch Alleinstellungmerkmale entwickeln. Um der ersten Anforderung Genüge zu tun, ließ Vera Nemirova ihren Bühnen- und Kostümbildner Klaus W. Noack für den zweiten und dritten Akt der 1865 in München uraufgeführten „Handlung“ ein Gewächshaus auf die Bühne bauen – in Anspielung auf ein Gedicht der Züricher Fabrikantengattin Mathilde Wesendonck, das Wagner beziehungsreich in Musik setzte.

Als optisch-musikalischen Leckerbissen wartete Opernbonn auf Dara Hobbs. Allerdings vergeblich. Der musikalische Leiter der Premiere, GMD Stefan Blunier hatte die lädierte Stimme der nordamerikanischen Protagonistin zu kompensieren, die auch schon in Minden, Mönchengladbach und am Main erfolgreich auftrat und vom hellwachen Feuilleton mit superlativistischem Vorschusslorbeer bedacht worden war. Die bedeutendste aus Bonn-Kessenich stammende Kritikerin aller Zeiten hatte mit ihrer Frankfurter Allgemeinen Werbetrommel die Sopranistin als die Sängerin angekündigt, „auf die wir lange gewartet haben: mit einer orgelnden Tiefe und einer satten Mittellage und einer mühelosen, engelstrompetengleichen Durchschlagkraft in der Höhe“.

In Bonn beschränkte sich die himmlische Trompetenpausbackenkraft auf den irdisch-handgreiflichen Umgang mit dem „hehrsten der Helden“. Sie rückt Tristan zunächst mit rachelüsternem Kussmund zu Leibe, dann mit dem stark verwässerten Wunsch eines gemeinsamen Suizids, der aber umschlägt in Begehren, Sehnen, Verlangen und all das andere, was rotgoldblonde Liebe richtig heiß macht. Hobbs musste sich darauf beschränken, ihre dominante Rolle zu mimen. Statt ihrer sang Sabine Hogrefe, sehr kurzfristig einspringend, von der Seite – kompetent, nobel, so gar nicht exzessiv und mit Anflügen von mütterlicher Wärme. Dergleichen Persönlichkeitsspaltung auf der Bühne sorgt für einen eigentümlichen Reiz.

Ziemlich zu Anfang fragt die irische Prinzessin Isolde, die aus politischen Gründen mit dem südwestenglischen Regionalkönig Marke verheiratet werden soll und von dessen erstem Offizier Tristan per Schiff nach Cornwall transportiert wird, ihre Kammerdame: „Brangäne, sag, wo sind wir?“ Daniela Denschlag, ausstaffiert mit Nickelbrille wie eine Gouvernante des Jahres 1865, könnte wahrheitsgemäß antworten: in einem niederrheinischen Stadttheater. Sie singt mit bestechend aufmerksamer Stimme, wie Wagner es vorschrieb: „Blaue Streifen stiegen im Westen auf“. Sie versucht ihre Chefin damit von der misslichen Situation, in der diese sich befindet, abzulenken. Was aber, wie rasch zu hören, nicht gelingt. Die hieb- und stichfeste Braut simuliert outrierend den wuchtigen Stimmeinsatz, an dem (wie der Intendant ankündigte) sie eine Pollenallergie hindert. Ihre Mimik scheint unmittelbar den Stummfilmen Friedrich Zelniks entsprungen. Sie reist offensichtlich mit robustem Mandat in die neue Heimat, residiert wie eine supergermanische Verheißung in und neben einem in weiser Voraussicht aufgestellten Krankenbett.

Die etwas konfuse Kulisse erinnert mit einem Mast an die Seefahrt früherer Zeiten und mit ramponierten seitwärtigen Gebäuden an Lagerhäuser im Stadium verwesender Rentabilität, zugleich irgendwie an „Verwundungen“, die ja Gebäuden wie Menschen zuteil werden können. Von den Fenstern der Stapelhäuser aus spenden die Choristen dem jungen Seemann, der mit Isoldes Brautkleid seinen Schabernack treibt, Beifall. Die Frage, wo sich die Akteure auf der Bühne und die Zuschauer be-finden, lässt sich also dahingehend beantworten: Noch auf dem Deck und schon im Hafen, also auf dem Weg und schon am Ziel.

Dass dies nicht eben handlungslogisch erscheint, darf man beim RegisseurInnen-Theater nicht kleinlich sehen. Denn irgendwie geht es ja exzessiv um „Inneres“ – und das schert sich bekanntlich um die Zeit, die hier zum Raum wird, einen Dreck. Das ist auch beim Wassereinsatz der Fall: der vermeintliche Todestrank, den sich Isolde und Tristan gemeinsam genehmigen, kommt aus einer Volvic-Flasche, wird aber zu mehr als 95 Prozent verschüttet – fraglich also, ob die vermutete toxische Wirkung für einen gemeinsamen Suizid ausgereicht hätte. Da es sich nun freilich um einen kalorienfreien Liebestrank handelte, demonstrierte die Regisseurin Nemirova lediglich, dass zwei gesunde Menschen in den besten Jahren sich notfalls auch ohne Psychopharmaka verlieben und Sex haben können. Wer hätte das gedacht.

Das vom Zahn der Zeit angenagte Treibhaus, das sich vom Beginn des zweiten Aufzugs an auf der Bühne dreht, begünstigt die Transparenz der eskalierenden Liebe: es erweist sich als günstig für das Triebleben der Seelen und Körper wie für die Triebkraft der Pflanzen und Klänge. Etliche Scheiben sind geborsten. Das Bett vom Schiff (die Royals müssen offensichtlich sparen!) ist mitgekommen und steht zu-nächst neben einem Weiden-Stummel, an den ein Dutzend Liebesbotschaften oder Erinnerungszettel geheftet wurden. Und die vielen Kerzen auf dem Boden erinnern an die Trauerkultur, die heutzutage überall dort organisiert spontan sich zeigt, wo der Tod erschreckend ins Wohlstandsleben tritt – auch hier entwickelt Nemirovas Bebilderung der Isolden-Geschichte, die so stark von Todesverbundenheit durchdrungen ist, eine dekorative Tiefe.

Erst recht beim Liebesakt: Da beschriften, nachdem sie die Scheiben mit den zentralen Stichworten Tag, Tod, nah, Mund, ewig, Herz, Du und Ich verziert haben, Tristan und Isolde sich gegenseitig die Arme und Beine, ihren Rücken und seine Brust mit ihren Namen (fürs Tätowieren war wohl in der Liebesglut noch keine Zeit). Mit der Filzstift-Orgie, die sich auf die schicklichsten Körperteile beschränkt, enthebt Vera Nemirova ihre beiden Hauptakteure der Peinlichkeit, sich in scheinerregender Weise auf dem Bett wälzen müssen. Ertappt und „gestellt“ wird das Paar, da die Regisseurin die Geschichte 1 : 1 erzählt, dennoch – und Tristan dann im Zweikampf schwer verwundet.

Das Gewächshaus mit seiner weitgehenden und gut zu besingenden Transparenz bleibt dem Publikum auch im dritten Akt erhalten. Eigentlich bietet die Burg von Tristans Vätern dem Rekonvaleszenten Schutz und er wartet fern von Cornwall auf die von dort so lange nicht kommende „Ärztin“ Isolde – aber man sollte auch hier nicht kleinlich sein und ein Einsehen haben, dass die große Versuchung der Weiternutzung des so schön Dekorativen eben allzu nah lag. Unter den geschickt gärtnernden Händen des getreuen Kurwenal, den Mark Morouse mit klarem sympathischen Bariton bestreitet, begrünt sich und erblüht das Glashaus prächtig. Aus langer Bewusstlosigkeit aufwachend, erinnert sich Robert Gambill an das gelöschte Liebes- und Lebenslicht, gerät gänzlich außer sich, singt und spielt den schwerkranken Patienten mit den Anfechtungen des Wahnsinns atemberaubend. Die Personenführung erreicht höchste Plausibilität und das zunächst unter sehr langsame Tempovorgaben gestellte Beethoven-Orchester nimmt zügige Fahrt auf und entwickelt hoch konzentriert die wünschenswerten Intensitäten.

Das unentrinnbare Ineinander von reichlich ideologiehaltiger Weltanschauung und tiefen Wahrheiten über die Beziehungsprobleme von Frauen und Männern, von Intimstem und jenem Staatstheater, das König Markes Schlussansprache markiert, bevor die bis in den Tod herrische Isolde das letzte Wort haben muss, diese seelenvoll-unselige Verquickung verdient das, was neuerdings von rechts als „Aufklapptheater“ denunziert wird (damit sind die analytischen Ansätze des „Regietheaters“ gemeint). Aus der Nähe betrachtet drängte sich der Wunsch auf, Vera Nemirova hätte das Werk und seine Protagonisten nicht nur in lichtem transparentem Ambiente beschriften und erblühen lassen sollen, sondern auf erkenntnisreiche Weise öffnen, „aufklappen“ mögen.

Frieder Reininghaus | 29.04.2013

Rating
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User Rating
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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1kHz, 508 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Vera Nemirova (2013)