Tristan und Isolde

Stefan Blunier
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern-und Museumsorchester
Date/Location
14 April 2014
Oper Frankfurt
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Tristan Lance Ryan
Isolde Jennifer Wilson
Brangäne Claudia Manhnke
Kurwenal Simon Neal
König Marke Andreas Bauer
Melot Dietrich Volle
Ein junger Seemann Simon Bode
Ein Hirt Michael McCown
Steuermann Iurii Samoilov
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deropernfreund.de

Die weiter entschärfte Wiederaufnahme stößt auf große Zustimmung

Wenn man sich der Mühe unterzieht, „Tristan“ von Gottfried von Straßburg zu lesen (ca. 1210), dann findet man ein riesiges Epos vor, in welchem Tristan und Isolde keine Mühen und Listen scheuen, den König Marke zu hintergehen und sogar bis zur Täuschung bei einem Gottesurteil gehen. Wagners Tristan-Geschichte ist darin unter anderem auch enthalten. Man kann selbst im Vergleich zu Dutzenden professioneller Libretto-Autoren nur als Meisterleistung bezeichnen, was Wagner da herausdestilliert hat: seine „Handlung“ in drei Akten, die kaum Handlung enthält und die durch seine Musik zu dem Psychodrama geworden ist, nach welchem die Welt der Oper nicht mehr die gleiche war. Der Regisseur Christof Nel erzählt das bisschen Handlung der Oper deutlich und klar in einem zeitlosen Rahmen. Man könnte seine Inszenierung, die vom Premierenpublikum 2003 zunächst nicht ohne Murren aufgenommen worden war, mittlerweile aber in etlichen Details „geglättet“ ist, als „Tristan für Einsteiger“ bezeichnen, so gut ist sie verständlich, oberflächlich gesehen mit ihren derben Charakterzeichnungen sogar konventionell.  Die drei spezifisch für die einzelnen Akte entworfenen Bühnenbilder von Jens Kilian verdeutlichen die Handlungsorte. 

Der erste Akt spielt im Passagierbereich eines modernen Fährschiffs. Isolde und Brangäne befinden sich mit Gepäck auf einem Flur.  Da man  natürlich die Besatzung nicht zu sehen bekommt, besteht der kleine Chor aus den anderen Passagieren des Schiffs, die bei ihrem letzten Auftritt auch ihre Koffer mit auf die Bühne bringen: fertig zum Aussteigen! Der zweite Aufzug spielt in einem eleganten klassizistisch anmutenden Schlosssaal mit hohen weiß getäfelten Wänden und einem großen Fenster nach hinten: Blick auf den Wald in welchem die von Melot bestellten „Beobachter“ stets präsent bleiben, während der Hörnerschall sich langsam verflüchtigt. Der dritte Akt spielt in der düsteren, dem Verfall preisgegebenen Lobby eines Hotels mit modernen teils umgestürzten Sitzmöbeln und einem riesigen Betonpfeiler an der Seite.  Von oben regnet es herein. Der Boden des breiten Spielkastens wurde vom ersten bis zum dritten Akt in  zwei Stufen von erhöhtem bis auf Normalniveau heruntergefahren. Sollte das heißen, dass Mord und Totschlag am Ende das Normalniveau sind?

Viel Mühe gibt sich die Regie bei der Charakterisierung der Protagonisten. Isolde nicht als resignierendes Opfer, sondern als impulsive zu Ausbrüchen neigende Frau. Im zweiten Aufzug wirft sie die etwas zarter dargestellte Brangäne kurzerhand aus dem Salon, in den alsbald Tristan eintreten sollte. Letzterer sitzt schon im ersten Aufzug wenige Meter von den Frauen entfernt in einem Gang des Schiffs, bekommt alles mit und erlaubt dem ziemlich forschen Kurwenal seinen Schmähgesang:  Kurwenal, ein derber Gesell, den zu erledigen es in der Schlussszene dreier Schwertstreiche bedurfte. Eigenes Profil gewinnt Tristan im großen Duett des zweiten Aufzugs, zu welchem er durch das Fenster zu Isolde einsteigt. König Marke ist in einen seltsam wirkenden gelb-schwarzen Mantel gehüllt und damit ebenso jagduntauglich eingekleidet wie Melot im schwarzen Anzug (natürlich sind die gar auf die Jagd gegangen, sondern haben bloß gelauert, der eine ungläubig, der andere verratsgeil.)  Melot schleicht im zweiten Aufzug schon von Beginn an auf und hinter der Szene herum. („Tückisch lauschend treff’ ich ihn oft“, sagt Brangäne) Die Kostüme von Margit Koppendörfer sind schlicht und zeitlos bis funktionell (Chor und Jäger).

Durch diese vollständig verschiedenen Bühnenbilder in den drei Aufzügen widersteht die Inszenierung dem Trend zur Einheitsszenographie und unterstreicht die Grunddramaturgie der Oper (drei Akte zu verschiedener Zeit an verschiedenen Orten), die für Wagner-Opern  nicht typisch ist. Im ersten Akt läuft die Inszenierung geradlinig. Im zweiten Akt bleiben die Darsteller der Titelrollen in merkwürdig kühler Distanz, das große Ehebett der Markes wird nicht bestimmungsgemäß benutzt. Der Raum ist mit etlichen großen Blumenvasen mit weißen Lilien drapiert; die Nähe der Gedanken zu Nacht und Tod wird so verstärkt. Die Lilien werden im Verlauf auf das große Bett geworfen, das damit den Charakter eines Sargs bei einer Beerdigung annimmt.  Dass hingegen selbst beim Verlöschen der vielen Lampen im Salon und auch der letzten „Zünde“  sich die Bühnenbeleuchtung nicht um ein Lux verringert, lässt das,  was sich anschließend textlich und musikalisch ereignet, als von der Realität völlig abgehoben erscheinen.  Im dritten Aufzug schließlich bringt Nel noch etliche Statisten auf die Bühne, die sich – nicht besonders gut gespielt – gegenseitig im Gemenge umbringen und den Worten Markes  „Tot denn alles! Alles tot!“ eine drastische bildliche Untermauerung geben. Für Ihren Rezensenten hat diese Regiearbeit (auch wegen der „Glättungen“) bei jedem neuen Besuch der Produktion noch gewonnen. Sie könnte noch mehr entrümpelt werden und würde noch weiter gewinnen; aber leider wird sie abgesetzt.

Stefan Blunier führte das Museumsorchester zu einem streckenweisen kultisch-ekstatischen Tristan-Klang. Zwei Drittel der etwa 75 Musiker im Graben waren Streicher, deren tiefere Fraktionen der Musik eine satte, sonore Grundierung gaben. Mit großen Bögen und ihren Crescendi wurde die Musikdramaturgie gestaltet, vollendet durch auch kleinteiliges An- und Abschwellen. Ganz groß gestaltet auch das Verschwinden der Musik im Nichts. Im zweiten Akt wurde sehr viel Farbe gemischt und dazu ein plastischer Klang erzeugt, der in der großen Steigerung des Duetts eine fast unerträgliche Wirkung erzielte, ehe er in sich zusammensank. Der Tristan-Zauber der Mischinstrumentierung war perfekt. Das Orchester spielte hochkonzentriert ohne Fehl und Tadel. Die Chor-„Interventionen“ im ersten Akt, die so einfach klingen, aber doch so komplex gesetzt sind, erfolgten mit großer Präzision des deklamatorischem Gesangs (Einstudierung Matthias Köhler).

  Bis auf die Titelpartien besetzte die Oper Frankfurt die Rollen aus dem eigenen Ensemble. Alle Sänger, auch die Nicht-Muttersprachler verfügten über eine gute akzentfreie Diktion. Das ist gerade bei Wagner-Opern eine Qualität, die oft neben den gesanglichen Fähigkeiten nicht genügend gewürdigt wird. An diesem Abend war auch bei den anglophonen Sängern bei den für sie schwierigen Vokalen ö und ü sowie bei den beiden ch’s kaum ein Unterschied zu Muttersprachlern zu hören. Jennifer Wilson gab eine Isolde des Extraklasse mit der ganzen Variationsbreite dieser Rolle. Im ersten Akt blieb sie als rachsüchtig aufbrausende Dramatische bis in die klaren Spitzentöne ohne jegliche Schärfe, formulierte ihre Erzählung in schönem rundem Deklamationston und kam im zweiten Aufzug mit einer sanfteren Intonation daher, aus der sie ihr Duett mit Brangäne schön aufbaute. Das große Duett mit Tristan gestaltete sie mit einer aufregenden ständigen Steigerung bis zum betroffenen Schweigen. Der Tristan von Lance Ryan fiel dagegen ab. Wie in der Programmbeilage bemerkt, gehört Ryan heute zu den gefragtesten Wagner-Helden, ist aber wegen seiner eindimensionalen Stimmgestaltung auch immer wieder umstritten. Leuchtkraft und Klarheit der Stimme oder jugendliche Bühnenerscheinung sind indes nicht sein Probleme, weshalb er vom Höreindruck auch unproblematisch ist und passagenweise auch elegant wirkt.  Aber die mangelnde Nunacierungsfähigkeit seines hellen, bissigen Tenors, die ihn auch immer heraushörbar macht, fiel an diesem Abend gerade in seinem Duett mit Isolde im zweiten Aufzug auf.  Beim langen Monologisieren im dritten Akt kam das dann nicht so zum Vorschein.

Simon Neal gab den Kurwenal als recht derben Genossen; urkräftig und jugendlich dementsprechend sein Stimmeindruck. Vom Publikum am meisten gefeiert wurde Claudia Mahnke als Brangäne. Frau Mahnke wirkte im Auftritt neben der Isolde besonders fein und elegant und übertrug diesen Eindruck mit auch auf ihre gesangliche Leistung. Sie überzeugte in ihrer „niederen“  Rolle als stets pragmatisch Vermittelnde und wusste in allen sanglichen Registern vom dunklen Parlando bis zu leuchtenden Höhen zu begeistern. Ihrem Wachtgesang indes  fehlte es an Zauber, weil sie auf offener Bühne vortragen musste, wodurch er sehr kraftvoll und direkt wirkte. Mit Andreas Bauer als König Marke gab es eine weitere Prachtbesetzung. In seinem Auftritt im zweiten Akt hatte ihn die Regie physisch  in den Bühnenmittelpunkt gestellt, um welchen er mit seinem voluminösen, etwas hell timbrierten Bass szenisch um Verständnis ringend herumirrte. Dietrich Volle sang den Melot mit dunklem hart ausgelegtem Bariton rollengerecht. Simon Bode gefiel mit schöner lyrischer Stimmführung als junger Seemann, und Michael McCown überzeugte als Hirte und hatte zudem darstellerisch einige Extraeinlagen zu bewältigen, da er zusätzlich zu den im Libretto vorgesehenen Aufgaben noch einen tanzenden und springenden zappeligen Faun abgeben musste. 

Das Publikum im wieder gut gefüllten Frankfurter Saal bedachte alle Mitwirkenden mit jubelndem Beifall. Tristan und Isolde kommt noch am 1. und 10. Mai. Eine weitere Wiederaufnahme der Produktion soll es nicht geben.

Manfred Langer | 22.04.2014

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Media Type/Label
Technical Specifications
192 kbit/s CBR, 44.1kHz, 319 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Christof Nel (2003)