Tristan und Isolde
Kent Nagano | ||||||
Chor der Staatsoper Hamburg Philharmoniker Hamburg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Stephen Gould |
Isolde | Ricarda Merbeth |
Brangäne | Lioba Braun |
Kurwenal | Werner van Mechelen |
König Marke | Wilhelm Schwinghammer |
Melot | Jürgen Sacher |
Ein junger Seemann | Daniel Todd |
Ein Hirt | Daniel Todd |
Steuermann | Zak Karithi |
Verfehlungen, kosmisch
Ruth Berghaus´ legendäre Hamburger Inszenierung von Wagners TRISTAN UND ISOLDE: unsterblich
Es ist außerordentlich verdienstvoll – und sicher von kulturgeschichtlicher Bedeutung, dass die Hamburgische Staatsoper ein epochales Kunstwerk wie die Tristan und Isolde-Produktion des Ruth Berghaus-Teams (mit dem Bühnenbildner Hans-Dieter Schaal) – eine seit Jahrzehnten und noch immer avantgardistische Inszenierung von ungebrochener Schärfe & Energie – im Repertoire hält und mit größter Gewissenhaftigkeit auf den Spielplan setzt. Nur so ist natürlich möglich, diese Arbeit in einer veränderten Welt auf ihre Gültigkeit und Funktionstüchtigkeit zu prüfen.
Nachdem die Produktion sogleich im November 1989 (unter Heinz Fricke) das Ziel meiner ersten Fahrt aus der DDR in den Westen war, besuchte ich sie 1995 wieder (unter Christian Thielemann). Fast zwanzig Jahre später, im Mai 2014, wagte ich – als einstiger Meisterschüler der Berghaus, vertraut mit ihrer Präzision in Gestik, Technik und Arrangement – noch einmal, mir eine Aufführung anzusehen. Skepsis: ich hatte ja erlebt, wie in Berlin der unverwüstlich frische und prägnante Barbier von Sevilla (von 1968 und noch immer jung!) u.a. durch den Wechsel ins Italienische und das Karusell der Sängerstars bisweilen arg verwischt wird, oder wie in Zürich 1997 ein ramponierter Fliegender Holländer nurmehr den Schatten der Regie warf (leider mit Gwyneth Jones). Würde Ruths Hamburger Tristan bestehen? Ich kam mit Freunden: von der Volksbühne und aus dem Proletariat.
Wenn das Stück und diese Inszenierung von irgendetwas erzählen, dann von dem Sich-Verfehlen der Liebenden, den Verwechslungen ihres Sich-aneinander-vorbei-Sehnens nach Etwas, das im Anderen etwas meint, das dieser nicht ist und nicht will: und sie alle sind die Liebenden: Brangäne, die Isolde liebt, Marke, der Tristan liebt, Kurwenal, der wohl am größten liebt – und auch den Tristan, der wieder aber in Isolde den Tod liebt. Inmitten der kosmischen Weite, suchen die Einzelnen eine Verschmelzung mit Etwas, das stets ein Anderes ist, wie Planeten ihren Bahnen folgen, sich anziehen, annähern, abstoßen und entfernen – oder unter Gefahr der Zerstörung kollidieren… Geht es denn um Liebe? Geht es nicht nur um Sehnsüchte und Unerfüllbarkeiten, um das Aneinander-vorbei-Sehnen? Lieben ist doch nicht Sterben, sein Ziel nicht Vergehen, Verlieren und Tod – sondern: Leben.
Die Grundidee der Aufführung, wie alle Motive und Einfälle genau aus dem Text, aus dem Sinn der dramatischen Vorgänge entwickelt, ist die, die Reise des Schiffs, das die Liebenden nach Cornwall zu König Marke bringt, als Raumschiff im Weltenraum zu visionieren. Diese Idee war, ist und bleibt genial, denn natürlich ist dem Sinn von Wagners Musikdrama weder durch eine naturalistische Illustration der äußeren Vorgänge noch durch aufgesetzte Pseudo-Aktualisierungen (also ebenfalls naturalistische Illustrationen) beizukommen. Es ging ja Wagner um die künstlerische Erfahrung einer philosophischen Weltsicht. Und zweifellos nie zuvor wurde dieses Prinzip theatralisch so konkret aufgegriffen und spielerisch umgesetzt. Berghaus´ an der Realität dialektisch aufgeladene Phantasie war mit dem antibürgerlich-kulturkritischen Handwerkszeug von Brecht und mit dem musik-dramaturgischen Bewegungsvokabular der Choreografin Gret Paluccas geradezu prädestiniert, auf geistiger Höhe der Schöpfungen Wagners einen Theaterkommentar zu erfinden, der das Publikum in das Zentrum der Partitur, wie auf eine Traumreise, mitnimmt – und aufweckt.
Im ersten Moment schon stehen Tristan und Isolde auf der Szene, schwanken nebeneinander, wie nie zu Deckungsgleicheit kommende Bilder… Es bleibt fesselnd, wie Berghaus die Figuren unablässig aneinander vorbei führt, wie Brangäne aus zwanghaftem Ordnungssinn immer alles wieder zurecht bringen will, was woanders hin drängt: Isolde einpacken, die Liegestühle im Winkel ausrichten, den Brautschleier an den Mann bringen… Auch die Liegestühle, so gedrillt sie scheinen, willfahren nicht dem Gefüge… Alles geht daneben, während das Raumschiff durch die ewige Nacht rast… So ein Moment, in dem der Erste Aufzug kulminiert, wenn der König auftritt (Kurwenal: „Der König!“ / Tristan: „Welcher König?“) und Isolde von Brangäne als Braut geschmückt, auf Marke zugeht, dieser aber, nur Augen für Tristan, an ihr vorbei, ihm zu eilt…
Immer wieder Berghaus´ Erotik, ihre Liebesszenen und ihre Sterbeszenen… Unübertroffen: „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ kann doch in keinem Garten solch eine universale Dimension erlangen wie hier, wenn die beiden Protagonisten entrückt die Turbine betreten, in das „Weltmeer“ hinaus singen, die Galaxie aufscheint und sich langsam entgegengesetzt die Schaufelräder zu drehen beginnen – welche Poesie in dieser „Technokratie“, wie viel Nähe in solcher Ferne, was für ein aufregender coup de theatre für diese räsonierend-assoziierende „Duett“-Szene von unendlicher Dauer! Und am Ende, im Dritten Aufzug, wo einer der Planeten mit dem Raumschiff kollidierte, wieder verfehlen sich die Liebenden, alle, – und da, fast unmerklich, im Nachen Tristans, dem Boot, in dem Isolde nun aus der Welt hinaus zu rudern versucht, setzt er sich hinter sie, winkt einmal mit dem Arm, wie dem Ufer zu, und sinkt zur Seite…
Da ist nichts „museal“ – das brennt in die Sinne und zwingt zum Mitgehen. Berghaus rückte gerne sonst nebensächliche Randfiguren in den Fokus: so den jungen Hirten im Dritten Aufzug. Als 2014 Jun-Sang Han dieser Figur mit quicklebendigem Körpereinsatz geradezu existentielle Präsenz gab, meinte man, Berghaus selbst habe noch tags zuvor die Proben geleitet und den Aktionen letzten Schliff gegeben. Meine Begleiter waren betroffen von Modernität und Eindringlichkeit der Szene, 2014 wie 2016.
Auch Schaals grandiose Bühnenlandschaft hat nichts von ihrer Schönheit und Größe eingebüßt – vielleicht bietet der Dritte Aufzug sogar das schönste Bühnenbild der Welt. Nein, diese Arbeit ist nach wie vor „modern“. Nicht nur, dass ein Lars von Trier sich von ihr inspirieren ließ (Melancholia): der Mond, der mit dem Raumschiff kollidierte, überwallt von Rauch, ist eine ergreifend-beeindruckende Metapher zum musikalischen und szenischen Geschehen, das sich unauslöschlich einprägt.
Diese seit 1988 nun 49. Vorstellung, leider, war musikalisch keine Anreise wert: sängerisch kaum hochkarätig [Namen s.u.] und orchestral enttäuschend. Noch nie habe ich Tristan und Isolde so langsam, dabei spannungsarm und undramatisch gehört. Nicht einmal Lortzing dürfte man so eindimensional dirigieren. Der Klang erreichte weder die Dichte, noch Tiefe der Tragödie – und vielleicht ist einfach diese Text-und-Noten-Partitur nicht für Kent Nagano komponiert. Vielleicht ist ihm das theatralische In-Eins mit der Bühne entglitten?
Ich musste ärgerliche Patzer im technischen Ablauf der Bühne beobachten, Lichtfehler, die atemberaubende Momente beeinträchtigen, wie das Vorbeisausen der Nebensonnen (sie kamen nur langsam, wie die Monde, und zuletzt ging ihr Licht schon aus); oder wenn im Schlussgesang, dem „Liebestod“ Isoldes, die Kurtine nicht korrekt schließt und die Schatten der aufstehenden Darsteller die Musik stören. Beachtet das niemand? Stört das den Maestro nicht einmal? Ich hoffe, eine 50. Vorstellung dieser denkwürdigen Wagner-Inszenierung wird sich bühnentechnisch und musikalisch wieder Konzentration und brennende Glut zurück erobern, wie wir es am Gänsemarkt lieben. – In diesem Sinne sollten auch der NDR und arte sich erinnern, einen solchen Schatz zu heben und zu retten. Es gibt nur zu wenige Berghaus-Dokumente (aus der Frankfurter Gielen-Ära, wie aus der Berliner Staatsoper – nicht einmal Pelléas und Melisande! – gar keine!).
Dieser Tristan ist Hamburgs Operngral!
Olaf Brühl | 11. Mai 2016