Tristan und Isolde
Guillermo García Calvo | ||||||
Chor der Oper Chemnitz Robert-Schumann-Philharmonie | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Daniel Kirch |
Isolde | Stéphanie Müther |
Brangäne | Sophia Maeno |
Kurwenal | Oddur Jónsson |
König Marke | Alexander Kiechle |
Melot | Till von Orlowsky |
Ein junger Seemann | Thomas Kiechle |
Ein Hirt | Martin Petzold |
Steuermann | Jacob Scharfman |
Wagner-Eldorado Chemnitz
Triumphal: Elisabeth Stöppler führt kriminologisch zugespitzte Wagner-Regie, Annika Hallers kreiert beredte Schauräume, Gesine Völlms Kostüme liefern ganze Romankapitel an Details, GMD Guillermo García Calvo holt Entfesselung aus klagenden, schmelzenden und vernichtenden Melodien.
Wieder ein Wagner-Triumph in der Kulturhauptstadt 2025! Elisabeth Stöppler hatte für ihre fulminante Inszenierung der „Götterdämmerung“ 2019 am Opernhaus des Theater Chemnitz den Theaterpreis DER FAUST erhalten. Auf gleicher Erfolgshöhe erobern sich Stéphanie Müther und Daniel Kirch in der Stadt der Moderne eine hochdramatische Partie nach der anderen.
Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo ist am Pult der phänomenalen Robert-Schumann-Philharmonie ein Meister der suggestiven, transparenten und dramatisch durchpulsten Klangrede. Auch diesmal überrascht Stöppler mit ganz anderen Einsichten als herkömmliche Imaginationen über das vermeintliche Liebespaar.Todessehnsucht ist nicht poetisch, sondern grausam. Das ändert nichts an der Rauschwirkung von Wagners 1865 in München uraufgeführter Handlung in drei Aufzügen. Ovationen.
Zugespitzte Folge von Erkenntnissen über Eros und Thanatos
Schon das Ende des ersten Aufzugs gerät faszinierend: Immer heftiger und quälender wird Isoldes Sicht auf die Begleitumstände, warum sie die Verheiratung mit Marke als demütigend empfinden muss. Bis Tristans undurchdringlicher Psycho-Panzer sich in einem Tränensee löst. Trotzdem reden beide ständig aneinander vorbei: Isolde ist wild entschlossen zum Seitensprung aus der Ehe mit dem schwulen Marke. Aber für Tristan bedeutet Vereinigung im Idealfall Doppelselbstmord. Zur hernieder sinkenden Nacht der Liebe packt er den sorgfältig in ein Taschentuch gehüllten Revolver aus. Seine Beziehung zur Waffe ist erotischer als die zu Isolde. Er fügt sich selbst den Schulterschuss zu, der fast verheilt und deshalb nicht Todesursache sein kann. Isolde singt den Liebestod für Marke quasi mit – ihr und sein erschütterndes Schluchzen breitet sich über Wagners seraphische Schlussakkorde. So liefert die Chemnitzer Aufführung eine ebenso unliebsame wie massive Auslotung Wagners, bei der das Orchester immer dicht dran bleibt an den physisch-psychotischen Prankenschlägen. Bei Stöppler und García Calvo stimmen alle Proportionen. Nichts wirkt aufgesetzt, übertrieben oder fehlinterpretiert – der lange Abend wird zur kriminologisch zugespitzten Folge von Erkenntnissen über Eros und Thanatos.
Nichts ist mild und leise
Annika Hallers Schauräume sind beredt: Ein U-Boot, bei dem Isoldes Koje fast immer offen steht und die Wachmannschaft zu viel vom Seelenkrimi der „irischen Maid“ mitbekommt. Im zweiten Akt ein Salon mit cremefarbenen Vorhanglasten, die Tristan und Isolde bei ihrer Liebesszene aufreißen. Tristans Heimatort: Ein Jungenzimmer mit Gammelmatratze und Rambo-Postern – für den emotional geschädigten Tristan kam nie etwas anderes als eine Militärkarriere in Frage. Gesine Völlms Kostüme liefern ganze Romankapitel an Details. Kurwenal und Brangäne haben Signalorange an sich, und Marke trägt am Ende Tristans Schal.
Die Dosierung des Liebestranks für zwei passt in einen Eierbecher. Im Mittelakt schärft Alkohol die Sinneswahrnehmung und illusionäre Einbildungskraft. Tristan und Isolde wirbeln durch die Fauteuil-Landschaft der Marke-Villa. Insgesamt vier Umarmungen gibt es: Drei zwischen Tristan und Isolde, nach denen das Paar immer heftigst auseinander stiebt, und einen gewaltsamen Kuss Markes an Tristan, der seine Lippen sofort mit Likör spült. Viele Härten zeigt die Chemnitzer Neuproduktion, nichts ist mild und leise.
Selbstzerstörungswerk
Aber Stöpplers Sicht bleibt immer synchron mit dem unwiderstehlichen Sehnsuchtssog der Musik. Das einzige, was fehlt, ist hier Brünnhildes Klage aus „Götterdämmerung“: „Dich verriet er, und mich verrietet ihr Alle!“ Das gilt in Chemnitz ebenso für Isolde. Tristan verstrickt sich in Verrat an Marke und Isolde. Kein Fall für Moraltribunale, sondern Blessuren an der Schwelle zum Unsagbaren. Dabei ist Tristan als Soldatenraubtier nicht einmal unsympathisch. Randfiguren der Katastrophe sind immer nur so präsent und vor allem sängerisch plastisch wie nötig. Jacob Scharfman beim Zweiminuten-Gemetzel als Steuermann, Martin Petzold als Hirt und Tillvon Orlowsky als unsichtbare Eifersuchtsfäden spinnender Melot. Packend Oddur Jonsson als Kurwenal mit steifem Bein. Hier wird Tristans Begleiter endlich nicht die sängerische Legitimation zur vokalen Grobheit, sondern ein ebenso fein gestaltetes Figurenporträt wie Sophia Maenos Brangäne: Diese tritt mit einer erstklassigen Gesangs- und Bühnenleistung aus dem Schatten von Isolde, entwickelt ein eigenes Drama aus misslungener Fürsorge und Scheitern. Selten hört man den Wachgesang mit so dramatischer Sinnhaftigkeit. Isolde und Tristan sperren alle aus, die sich ihrem krampfhaften und ständig misslingendem Liebesdelirium in den Weg stellen. Ein in seinem Gefühlshaushalt integrer Marke wie Alexander Kiechle kann gegen dieses Selbstzerstörungswerk nichts ausrichten.
Die Robert-Schumann-Philharmonie singt unter Guillermos García Calvos denkwürdiger Gestaltung schon den Tristan-Akkord am Beginn. Selten hört man so genau, was Wagner das Blech und die tiefen Streicher machen lässt. Die vielen Tremoli liefern ungesättigte Pastellfarben, die Spannung lässt keine Sekunde nach. Entfesselung holt García Calvo aus Melodien – klagenden, schmelzenden und vernichtenden.
Glaubhafte Gegenwartsrelevanz
Stéphanie Müther hat die physisch und stimmliche Statur einer Wagner-Heroine aus alten Zeiten, aber weitaus mehr psychische und szenische Beweglichkeit. Neben Trompetentönen agiert sie zutiefst anrührend in den vielen Momenten, wo Empathie wichtiger wird als Kondition. Ebenbürtig dazu ist der in Liebesdingen immer etwas jungenhafte Tristan von Daniel Kirch. Fragilität und Kondition sind auch bei ihm gleichermaßen stark ausgeprägt. Die drastischen Widerstände zwischen Isolde und Tristan sieht und hört man. Stöppler und García Calvo waren sich bereits bei „Götterdämmerung“ einig, wie sie aus Wagners fragwürdigen Geschlechteridealen emotional glaubhafte Gegenwartsrelevanz gewinnen. Das gelang ihnen und dem Ensemble bewegend, gerade weil die Liebe Tristans und Isoldes in Chemnitz keine Erlösung bringt. Dabei ist die von Stöppler sensibel diagnostizierte Daseinshölle für Männer noch größer als für Frauen.
Roland H. Dippel | 24. Oktober 2021
Tristan und Isolde contra Isolde und Tristan
Schon der Titel von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ dürfte für Elisabeth Stöppler der erste Stolperstein gewesen sein, denn Isolde ist zweifelsfrei die spannendere Figur des Bühnenwerks. Das Hauptmotiv ist mit ihr verbunden und mit ihrem Sehnsuchtsmotiv hat sie am Ende des ersten Aktes sowie am Ende des gesamten Dramas das letzte Wort.
Was war somit zu erwarten:
Das Mannschafts-Logis eines auf Tauchstation befindlichen Unterseebootes ist, solange keine Torpedos drohen, gleichzeitig ein sicherer Ort, als auch ein solides Gefängnis. Damit eignet es sich besonders für die gewaltsame Überstellung einer irischen Königstochter an einen Vasallen in Cornwall mit all ihren Konflikten und Auseinandersetzungen. An Bord herrschten Männer und überzogen die beiden Frauen mit verbaler und die Brangäne auch mit physischer Gewalt, dem insbesondere die Gefährtin Massives entgegenzusetzen wusste.
Die Handlungsführung im zweiten Akt verwundert zunächst, benehmen sich doch beide Titelhelden in der fast endlosen Zwiesprache höchst unterschiedlich. Tristan versuchte die Abgründe, die Rahmenbedingungen der skurrilen Situation des doppelten Wortbruchs, durch lockeres, flippiges Benehmen zu bewältigen und mit dem Hantieren mit seinem Revolver zu entschärfen, während Isolde immer wieder versuchte, eine gewisse Intimität herzustellen. Beide verfügten über die notwendige Souveränität, das aberwitzige Notenmaterial Wagners auch geistig zu durchdringen. Aber tiefes Endringen in Wagners emotionale Welten blieb schwierig. Da musste man sich schon entscheiden, ob man der Handlung folgen oder sich der Musik hingeben wollte. Letzteres konnte nach der Rückkehr der vermeintlichen Jagdgesellschaft in die herrschaftliche Villa keinesfalls gelingen, als die Regie die Situation, dem Zeitgeschmack entsprechend, zu wildverbalen und gewaltsamen Eskalation entgleiten ließ. Da konnte selbst ein fast naiver „König“ Marke keine Rettung bringen.
Mit dem dritten Aufzug legte Frau Stöppler noch eine Schippe nach: Annika Haller schickte uns nach dem Familiensitz Kariol in das Zimmer des jugendlichen Tristan mit Fanplakaten an den Wänden, einem Regal mit Sportpokal, Schiffsmodellen und einer Spargeldschatulle.
Der schwer verwundete Tristan erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit, richtete sich auf und berichtete von seinen Nahtot-Erfahrungen. Scheinbar zu Kräften gekommen, möchte er das Heft des Geschehens in die Hand nehmen, wird aber immer wieder in traumatische Verklärungen und zerstörerische Todessehnsucht hineingezogen. Visionen seiner verstorbenen Eltern, ein Kinderwagen, dem Tristan sein kindliches „Ich“ aufzunehmen scheinen, reihten sich mit den Auseinandersetzungen mit Kurvenal und führten zu nahezu unerträglichen Erlösungsphantasien. Das war hervorragend in Szene gesetzt. Als sich dann mit der Ankunft der beiden Schiffe die Szene mit nahezu dem gesamten „Zettel-Personal“ füllte, eskaliert die Situation, so dass binnen kurzen die Bühne voller Leichen in Shakespeare’scher Dimension lag. Nur der Brangäne, Marke und dem Hirten gelang, sich zu entfernen. Auch hat mir Frau Stöppler im Nach-Gespräch versichert, Isolde habe das Massaker überlebt. Die Isolde blieb zweifelsfrei die spannendere Person des Abends.
Die Chemnitzer „Wagner-Kompetenz“ erlaubte, dass das das anspruchsvolle Sujet der Damen mit handwerklicher Meisterschaft und hoher Kreativität auch auf der Bühne umgesetzt werden konnte.
Bereits Anton Richard Tauber, der Vater vom Tenor Carl-Richard, war ein umtriebiger, aber auch einflussreicher Mann. Anfang 1913, als in Bayreuth noch um die Verlängerung der Schutzrechte für den „Parsifal“ über das Jahr 1914 hinaus gerungen wurde, hatte er bei der Stadt Chemnitz einen Zuschuss von 30 000 Mark für eine Inszenierung des Bühnenweihfestspiels erreicht, so dass Chemnitz am 13. Februar 1913 die erste Aufführung außerhalb Bayreuths erlebte.
Seit dieser Zeit hat sich die Oper Chemnitz mit interessanten Projekten den Ruf eines „Bayreuth des Nordens“ erarbeitet und nicht zuletzt mit den Ring-Inszenierungen von 2018 gefestigt.
Die Robert-Schumann-Philharmonie hat sich zunehmend zu einem respektablen Wagner-Orchester entwickelt. Die Musiker folgen ihrem Generalmusikdirektor Guillermo Garcia Calvo bedingungslos. Der Spanier ist ein engagierter und oft ungeduldiger Orchesterleiter, wenn er wütet, das Geschehen vorantreibt oder einfühlsam agiert. Dabei leitet er sängerfreundlich, schont streckenweise und vermeidet eine Überbelastung der Solisten der Titelpartien.
Das Orchester zelebriert zarte Passagen und Übergänge ebenso souverän wie die eruptiven Ausbrüche der Partitur. Die von Stefan Bilz präzise einstudierten Chöre unterstreichen das Niveau der Chemnitzer Wagnerpflege.
Neben einer soliden wagneraffinen Sängergarde im Ensemble verfügt das Chemnitzer Opernhaus über eine stattliche Garde häufig gastierender Wagner-Sängerinnen und -Sänger. Für die Titelpartien der Tristan- Inszenierung waren die bereits in den Ring-Aufführungen im Haus bewährten Gäste Stéphanie Müther und Daniel Kirch nach Chemnitz gekommen. Von der hochdramatischen Sopranistin wurde ihr Rollendebüt als Isolde mit klarem, ausdrucksstarkem Gesang in den schier endlosen Opernlängen fantastisch gemeistert. Immer wieder fand sie vor allem in den leisen langsamen Stellen neue Stimmfarben. Sie konnte auch durchaus zynisch, bissig oder ironisch sein.
Daniel Kirch hatten wir bereits vor zwei Jahren als einen begrenzten Tristan in Leipzig erleben können. Inzwischen bewältigte er die monströse Partie präsent, strahlend mit ausdrucksstarker gesanglicher Tiefe und ob des originellen Inszenierungskonzepts auch mit Körpereinsatz. Seine Stimme hat seit den letzten Begegnungen durchaus Variationsreichtum und Wandlungsfähigkeit gewonnen.
Ihr Rollendebüt als Brangäne bewältigte die gebürtige Sächsin Sophia Maeno mit einem charaktervoll leuchtendem Mezzosopran und darstellerischer Qualität. Glaubhaft bot sie die Freundin, Warnerin und Unglücksbotin. Großartig waren auch ihre Warnrufe zu hören.
Mit dem aus Island stammen den Oddur Jónsson lernten wir als Kurwenal einen prägnant kräftigen Heldentenor mit darstellerischem Potential kennen, der eindringlich seine Anliegen vorzubringen wusste.
Der König Marke hat zwar nur zwei Auftritte. Das ermöglichte dem Bassisten des Hausensembles Alexander Kiechle seine in den unteren Lagen durchaus noch ausbaufähige Stimme auch wirksam einzusetzen.
Der leichte Bariton Till von Orlowsky als Bösewicht Melot hörte sich gut an, wirkte aber etwas zu sympathisch.
Martin Petzold überzeugte als junger Hirte mit einem sympathischen Tenor. Mit dem amerikanischen Bariton Jacob Schafman, seit Saisonbeginn im Ensemble, waren der Partie des Steuermannes und mit dem Tenor Thomas Kiechle, seit 2020 im Ensemble, der Stimme eines jungen Seemanns ausgesprochene Luxusbesetzungen zugekommen.
Langanhaltender, gewaltiger und zum Teil stehender Applaus für die gelungene Konfrontation der überhöhten Wagnerschen Deutung von Liebe und Tod mit einem klaren Realismus.
Ich halte die von Elisabeth Stöppler vorgestellte Regiearbeit für einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die weitere Entwicklung eines gesellschaftlich akzeptierten Musiktheaters.
Thomas Thielemann | 24.10.21