Tristan und Isolde
Tristan | Andreas Schager |
Isolde | Catherine Foster |
Brangäne | Khatuna Mikaberidze |
Kurwenal | Thomas de Vries |
König Marke | René Pape |
Melot | Simon Schnorr |
Ein junger Seemann | Julian Habermann |
Ein Hirt | Erik Biegel |
Steuermann | Erik Biegel |
„TOT DENN ALLES! ALLES TOT“
„Tristan und Isolde“ ist von Wagner eher musikdramatisch als szenisch gedacht, und umso spannender ist das Konzept der Inszenierung. Vor allem bei Zuschauern, die das Werk zum ersten Mal sehen, entsteht häufig der Eindruck, dass szenisch nicht viel passiert.
Umso wichtiger ist es, die Handlung zu bebildern, und dazu hat Uwe Eric Laufenberg mit seinem Bühnenbildner Rolf Glittenberg und den Kostümen von Andrea Schmidt-Futterer ein schlüssiges Konzept gefunden. Er geht zurück auf die zugrunde liegende Erzählung des Gottfried von Straßburg, die Wagner als Librettist in genialer Weise fokussiert, dramatisch verdichtet und musikalisch ausgedeutet hat. Die Bühne ist ganz karg ausgestattet, die Videogestaltung der Bühne von Gérard Naziri ist häufig einfach nur monochrom – blau im ersten Akt, fahlweiß mit schneebedeckten Boden im letzten Akt.
Im ersten Akt ersten Akt agieren Isolde, Brangäne, Tristan und Kurwenal in Isoldes Kabine auf dem Schiff, als Requisite eine Garderobe mit ganz vielen Kleidersäcken, aber auch das Kästchen mit den Zaubertränken und das Schwert Tristans, dessen fehlendes Stück sie in der Leiche ihres Verlobten gefunden hat, wird als Beweisstück für Tristans Schuld gezeigt.
Im Hintergrund werden Meereswogen angedeutet. Die temperamentvolle Isolde wirft aus Wut über den sich rarmachenden Tristan mit Kleidersäcken um sich, Brangäne zeigt die einzelnen Fläschchen vor, während sie die Bedeutung der Tränke erläutert. Bei Gottfried von Straßburg ist der Liebestrank der Todestrank, sein Genuss hat die Folge, dass die Liebe der beiden zueinander sie alle Konventionen über Bord werfen lässt und sie damit ihren Tod provozieren.
Die Verdichtung der Liebesbeziehung von Tristan und Isolde im 2. Akt mit der Entdeckung durch König Marke in einer überwältigenden Szene mit dramatischem Ausgang sagt alles durch Wagners Musik. Im zweiten Akt sind einige bettgroße Quader auf der Bühne, bedeckt mit zarten dunkelgrauen Tüchern. Hier tut der Regisseur des Guten zu viel, denn es werden nicht nur Filmsequenzen mit schönen Menschen an die Wand projiziert, sondern es agieren auch fünf in hautfarbene Trikots gekleidete Tanzpaare, die andeuten, dass es hier durchaus auch um körperliches Begehren und seine Erfüllung geht.
Der dritte Akt ist ganz in weiss gehalten, einziges Requisit ist ein Pflegebett, in dem der vom Tode gezeichnete Tristan von Kurwenal versorgt wird. Der Hirt wirkt zunächst wie ein Stein, denn er ist in eine dunkelgraue Decke gehüllt und erhebt sich von dem schneebedeckten Boden um die Melodien des Englischhorns zu spielen.
Der lange Todeskampf Tristans wird bebildert mit seiner Vorgeschichte: dem Tod seines Vaters vor seiner Geburt, dem Tod seiner Mutter bei seiner Geburt, das Dahinscheiden vieler Angehöriger, die seiner Mutter das letzte Geleit gaben. Alle sinken in ein in der Mitte der Bühne geöffnetes Grab. Dazu erhebt sich Tristan, ganz in weiß, von seinem Sterbebett, ein Double nimmt seinen Platz ein, und Tristan singt seine Fieberfantasien. Man erkennt den blutgetränkten Verband seiner tödlichen Wunde. Nur die Sehnsucht nach Isoldes Ankunft hält ihn am Leben. Am Ende, nach Isoldes Verklärung, schreiten Tristan und Isolde zusammen in ihr gemeinsames Grab. Sie finden Erlösung im Tod.
Andreas Schager als Tristan macht die Entwicklung des Charakters deutlich. Eigentlich als Kriegsheld und Gebildeter erzogen will er Isolde Gutes tun, indem er sie seinem König Marke vermählt. Laufenberg findet dafür ein wundervolles Bild: Tristan umhüllt sie mit einem Königsmantel und setzt ihr eine Krone auf. Als Isolde dafür, dass er ihren Verlobten Morold getötet hat, Vergeltung fordert, trinkt er mit ihr den Sühnetrank – nicht wissend, dass es ein Liebestrank ist. Im Grunde nimmt er seinen Tod billigend in Kauf, durchlebt aber noch alle Komplikationen eines Liebesverhältnisses, vor allem den Loyalitätsbruch zu seinem Ziehvater König Marke, die überbordende Liebes-Lust in der Nacht der Liebe, den Schock der Entdeckung durch Marke mit dem von ihm provozierten Todesstoß von Melot und das unerträgliche Sehnen nach der Geliebten im Todeskampf. Physisch ist Schager der attraktive Held, der auch mit freiem Oberkörper bella figura macht, und stimmlich hat er die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen eines strahlenden Heldentenors, der im Fieberwahn das erlittene Leid und die zehrende Sehnsucht mit den farbigsten Tönen besingt. Andreas Schager ist nicht umsonst der derzeit meistbeschäftigte Heldentenor. Seine Stimme ist unverbraucht und metallisch strahlend, er hat aber auch die gestalterische Tiefe, die brünstige Lust des entfesselten Liebhabers im zweiten Akt und die zehrende Sehnsucht des schwer versehrten Verbannten im dritten Akt auszudrücken.
Catherine Foster als Isolde ist einfach nur zum Niederknien. Mit ihrem wunderbar homogenen mädchenhaft schönen perfekt geführten lyrisch-dramatischen Sopran gestaltet sie die an- und abschwellenden Phrasen unfassbar differenziert. Sie macht die Entwicklung der Königstochter Isolde deutlich. Zunächst wütend auf Tristan, den sie zu sich zitiert, dann bei der Einnahme des Sühnetranks zu allem entschlossen, verliert auch sie den Boden der Konventionen unter ihren Füßen. Sie lebt nur noch für ihr Begehren, stellt jegliche Vorsicht hintenan und lebt nur noch ihre Liebe. Dass die dramatische Entdeckung des Treuebruchs unmittelbar auf die höchste Entrückung folgt gibt der Handlung zusätzlichen Drive. Isolde, die gekommen ist, Tristan zu pflegen, findet nur seine Leiche und löst sich in der Schlussszene „Mild und leise, wie er lächelt“, von der Welt. Hier zeigt Catherine Foster, dass sie auch die lyrische Tiefe hat, die Auflösung: „Ertrinken, versinken, unbewusst höchste Lust“, im „Liebestod“ zu feiern. Danach ist erst einmal Totenstille, dann lange anhaltender frenetischer Jubel mit stehenden Ovationen, die eine Viertelstunde anhalten.
König Marke, Tristans Ziehvater, ist der Hauptleidtragende. René Pape ist ein altersweiser Herrscher, kein Mann in den besten Jahren mehr, der zunächst an der tiefen Kränkung durch den Treuebruch Tristans, den er wie einen Sohn liebt, leidet, dann aber, nachdem ihn Brangäne von der Schuldlosigkeit Tristans überzeugt hat, großzügig dem jungen Paar seinen Segen geben will – zu spät! Er bleibt allein zurück, denn Melot und Kurwenal gehen Tristan und Isolde voran ins Grab. Wenn Pape mit fahler Stimme: „Tatest du´s wirklich?“ singt gefriert einem das Blut in den Adern. Mit Mut zum Pianissimo gibt er den Gefühlen des von seinem Ziehsohn verratenen und vor allen bloßgestellten König Marke ergreifenden Ausdruck.
Für Kathuna Mikaberidze ist die Brangäne eine ihrer Glanzrollen, in denen sie alle Facetten ihres strahlkräftigen Mezzosoprans leuchten lassen kann. Sie ist mehr als Isoldes Dienerin, sie ist ihre Vertraute.
Thomas de Vries ist ein gestandener Heldenbariton, der den Kurwenal als Tristans Freund auf Augenhöhe mit Hingabe gestaltet und der mit Tristan leidet. Die Stimme ist metallisch klar und beeindruckt durch ihre Farbigkeit.
Ihnen stehen mit Simon Schorr (Melot), Julian Habermann (junger Seemann) und Erik Briegel (Hirt) sehr gute Mitglieder des Ensembles zur Seite, die mehr sind als nur Stichwortgeber.
Dirigent Michael Güttler kostet die opulente Instrumentierung Richard Wagners mit großem Orchester, das zu sinfonischem Ausmaß ausgebaut ist und das die Gesangslinien nicht nur untermalt, sondern auch ausdeutet, voll aus. Vor allem das Englischhorn, das symbolisch das Gift verkörpert, das die Liebenden zueinander führt, und die Solo-Bläser beeindrucken auf der ganzen Linie. Güttler ist in den Vorstellungen, die er dieses Werk schon mit dem Hessischen Staatsorchester dirigiert hat, souverän geworden und hat die Zügel fest in der Hand.
Der von Albert Horne bestens einstudierte Chor singt aus der Seitenloge, ebenso die Stimme eines jungen Seemanns, was nicht ganz unproblematisch ist, wenn man als Zuschauer die Singenden nicht sieht.
Es ist eine Sternstunde, denn hier ist eine stimmige Inszenierung, in der im Rahmen der Maifestspiele drei Weltklassestars in einem sehr guten Ensemble auftreten.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer | 5. Juni 2022
Was für ein Ende! Was für ein Liebestod!
Diese Oper muss man von ihrem Ende her erzählen. Und vor allem bei dieser Vorstellung von Wagners Tristan und Isolde bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, bei diesem Liebestod und dieser Isolde muss man mit dem Ende beginnen.
Wohl keine Oper verlangt von den Hörern und Mitwirkenden so viel ab wie Tristan und Isolde. Diese welt- und zeitüberspannende Geschichte zweier Menschen, die in dieser Welt keine Erfüllung ihrer Liebe erleben können, berührt mit ihren Emotionen das Tiefste in der Seele. Die Handlung des Werks kulminiert im Liebestod Isoldes und die gesamte Spannung, die seit dem Vorspiel die Oper beherrscht, löst sich erst mit den Schlussakkorden auf. Trotz oftmaligen Hörens fasziniert immer wieder aufs Neue, dass Richard Wagner so etwas erschaffen hat.
Am Vorstellungstag waren ein hervorragend spielendes Staatsorchester, ein wachsamer Dirigent und eine renommierte Sängerriege für eine lange noch im Gedächtnis bleibende Aufführung verantwortlich. Über die Regie, die nicht gänzlich überzeugte, später noch ein paar Worte.
Zuvor noch einmal zum Ende des Werks. Wirklich erstaunlich, was die international gefeierte Catherine Foster als Isolde an diesem Abend gezeigt hat und vor allem, was sie nach fast fünf Stunden höchst-qualitätvoller Sängerdarstellung dann noch im Liebestod oben drauf gesetzt hat. Dieser Moment, als sie sitzend in der Bühnenmitte „Mild und leise“ angestimmt, nach ein paar Zeilen sich erhoben und langsam zur Rampe nach vorne gegangen ist, mit weit aufgerissenen Augen scheinbar in die Unendlichkeit blickend diese hochemotionale Stelle in bravouröser Weise gesungen hat – dieser Moment gehörte zum eindrücklichsten des Abends. Auch nach vielfachem Hören der Oper ist dies in dieser Intensität noch nie wahrgenommen worden. Catherine Foster merkt man an, dass sie die Partie der Isolde verinnerlicht hat. Sie singt souverän und ausdauernd diese Wahnsinnspartie. Dabei bleibt sie angenehm lyrisch in den leisen Stellen, immer in voller Kontrolle ihres Stimmmaterials, so vor allem bei „O sink hernieder Nacht der Liebe“. Und bei den Ausbrüchen im 1. Aufzug setzt sie ihren dramatischen Sopran nie forciert, sondern klug und melodiös ein. Darstellerisch schenkt sie der Isolde viele intensive Momente voll aussagekräftiger Mimik und Körpersprache. Chapeau für diese beeindruckende Leistung!
Mit Khatuna Mikaberidze steht ihr eine sorgende Brangäne zur Seite, die ihre Mezzosopranstimme warmherzig zur Geltung kommen lässt. In feinen Momenten nimmt man ihr eine selbstbewusste und gar nicht „törichte Magd“ ab. Ihr Wächterruf von der oberen Proszeniumsloge ist eindringlich, metallisch dunkel gelingen ihr die tiefen Stellen.
Die kraftraubende Partie des Tristan hat Andreas Schager hervorragend zu Gehör gebracht. Mit großer Ausdauer stürzte er sich von Beginn an in die Partie, blieb im ersten Akt angenehm zurückhaltend in der Lautstärke und steigerte sich dann über die große Liebesszene im zweiten Aufzug zu den Fieberträumen im letzten Teil. Der nimmermüde Heldentenor ließ das Metall seiner Stimme in allen Lagen leuchten und gab den Tristan erstaunlich viril. Nachhaltig bleiben seine Monologe im dritten Aufzug im Gedächtnis, die die große Verzweiflung über sein Schicksal überzeugend darstellten.
Als weiterer Star der internationalen Wagnerszene gab sich René Pape die Ehre in Wiesbaden und zeigte, dass er einer der ganz großen Darsteller des König Marke ist. In seinem langen Monolog zeigt er die große Enttäuschung, aber auch die Wärme gegenüber Tristan und die später erfolgende Vergebung wird bereits angedeutet durch eine unheimlich klug gestaltete Linie. Fest und intensiv im Ausdruck setzte der Bassist die profunde Stimme ein, die dem König eine royale Würde verleiht.
Kammersänger Thomas de Vries ist für Tristan der ideale, treue Gefährte. Der Bariton – der nicht nur als Sänger bei den Internationalen Maifestspielen, sondern auch als Dirigent der selten gespielten Oper L’Ormindo von Francesco Cavalli mit seinem Ensemble Mattiacis auftrat – zeigte seinen markanten Bariton in differenziertem Spiel. Er gestaltete die Rolle vor allem im dritten Aufzug facettenreich und untermalte die Stimmung mit überzeugenden Stimmfarben.
Die kleineren Männerrollen waren den Hauptpartien ebenbürtig besetzt und rundeten die insgesamt denkwürdige Sängerleistung ab. Der Bariton Simon Schnorr gab dem Melot in den kurzen Auftritten die nötige Unverfrorenheit und Arroganz. Klangschön gelang Julian Habermann die Stimme des jungen Seemanns, die von der Proszeniumsloge warm in den Saal strömte. Erik Biegel als Hirt und Steuermann nimmt mitsamt seiner kultivierten Tenorstimme und seinem sehr ausladenden Umhang großen Raum ein. Der Herrenchor des Hessischen Staatstheaters (Albert Horne) beglückte mit engagiertem und akkuratem Ensemblegesang.
Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden spielte unter dem Dirigat von Michael Güttler in beeindruckender Weise die Musik Wagners. Besonders gefielen die dynamische Gestaltung des Werks, die die Instrumentengruppen in feiner Balance austarierte. Güttler hielt das Orchester in den leisen Stellen zurück und gab den markanten forte-Stellen den notwendigen Raum. Vereinzelt geschah dies in der Lautstärke auch über die Stimmen hinweg, aber aus Sicht des Verfassers ist dies beim Tristan kein Vergehen. Das Orchester hielt die Spannungen der Harmonik immer aufrecht und die Chromatik der Melodielinien kamen zum Vorschein. Die Ekstase der „unendlichen Melodie“ und wogenden Musik kamen so unmittelbar im Zuschauerraum an und führten zu langen rauschhaften Momenten. Trotz mehrfacher kleiner Fehltritte bei den Celli (diese Anmerkung sei mir erlaubt), war es eine denkwürdige Leistung des Staatsorchesters.
Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg setzte vor allem auf eine nachvollziehbare Personenführung, sehenswert war die Bühne mit wenigen Ausstattungen vor weißer Leinwand (Rolf Glittenberg). Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer blieben einzig bei König Marke mit seinem leuchtend königsblauen Gewand in guter Erinnerung. Da gefiel die Lichtgestaltung (Andreas Frank) schon mehr, vor allem die vollständig düster dunkelblaue Nacht des zweiten Aufzugs. Während die Regie den ersten Aufzug noch weitgehend konventionell und nah am Text betrachtete, ist völlig unverständlich, warum im zweiten Akt die Liebesszene von kopulierenden Paaren in Nackt-Ganzkörperanzügen begleitet wird. Dieser intime Moment der Zweisamkeit von Tristan und Isolde wird dadurch und durch unnötige Videosequenzen (Gérard Naziri) auf der Leinwand im Hintergrund, die Liebesszenen aus alten Hollywoodfilmen zeigen, entwertet. Interessanter war die Deutung des dritten Aufzugs, als der Tod des Helden untermauert wird durch die Trauergemeinde von Kareol, die ihm ins Grab vorangeht. Tristan selber verlässt schon vorher seine Bettstatt, ein Nackter liegt derweil darin und somit singt die Seele Tristans weiter bis zu ihrem Tod. Die Inszenierung erfreut mit guten Aspekten, überzeugt aber nicht vollständig.
Das Wiesbadener Publikum jedenfalls feierte am Ende alle Beteiligten mit einem vulkanartigen Ausbruch, mit Standing Ovations und lauten und langanhaltenden Bravorufen. Vor allem die Sängerleistungen und die Orchesterklänge dieser Vorstellung werden in Erinnerung bleiben.
Fabian Kropf | 31.05.2022
Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung der Ekstase setzt auf das Theater, weniger auf Wagner
Als „Seelenzauberkünstler“ empfindet Thomas Mann den Komponisten Richard Wagner. Der Autor von Doktor Faustus sieht den Menschen Wagner kritisch, gesteht indes wiederholt seine Passion für des Meisters „zaubervolles Werk“. 1902 erlebt er im neuerbauten Münchner Prinzregentheater die „Sinnlichkeit“ von Tristan und Isolde, danach immer wieder. Den chromatischen Zauber und die betörende Sinnlichkeit der unendlichen Melodie entfaltet 120 Jahre später Michael Güttler am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden. Die Internationalen Maifestspiele 2022 in der hessischen Landeshauptstadt nähern sich ihrem Abschluss. Die Aufführung ist auch dank Besetzung auf Festivalniveau eines der Highlights nach einer zweijährigen Corona-bedingten Festivalpause.
Zum vollständigen Wagner-Glück fehlte eigentlich nur noch eine adäquate Inszenierung. Ob der Hausherr und Regisseur Uwe Eric Laufenberg diese dem frohgestimmten Publikum geschenkt hat, ist angesichts des hybriden Regiekonzepts nicht so einfach zu beantworten. Ein „Seelenzauberkünstler“ ist er eher nicht. Doch durchaus ein Theaterkünstler, der Wagners in Noten gehauenem Gedenkstein zu Ehren seiner Gönnerin und heimlichen Liebe Mathilde Wesendonck fast aufs Wort und jede Regieanweisung folgt. Der mit den Mitteln des Theaters ausdrückt und passagenweise weiterspinnt, was Wagner auf den Spuren von Schopenhauers Verneinung des Willens zum Leben als Erlösungsmodell erfasst. Maß und Vorstellung sprengend.
Kunst sei etwas Außerordentliches, notiert Laufenberg im Programmheft zu den Festspielen. „Denn Kunst kann Ordnungen außer Kraft setzen.“ Nun hat gerade Wagner mit seiner Dichtung in den Spuren Gottfried von Straßburgs und des Hans Sachs sowie seinem irrwitzigen Vorstoß in das Reich der Chromatik nichts weniger unternommen als eine Ordnung der Tonsprache zu verabschieden. Umso gespannter die Erwartung, die der ersten Tristan-Inszenierung Laufenbergs entgegendrängt.
Zwei unkonventionelle Inszenierungsauffassungen der Vergangenheit seien in Erinnerung gerufen. 1981 verwandelt Jean-Pierre Ponnelle in seiner Bayreuther Debüt-Inszenierung die Szenerie des dritten Aufzugs in eine Schattenwelt, in der die Grenzen zwischen realem und unbewusstem Sein aufgehoben erscheinen. In der Tristan die Ankunft Isoldes in der Bretagne im Fiebertraum erlebt. Tristans Erleben des „Lichts“, von dem er spricht, eine Phantasmagorie? 2011 richtet Willy Decker bei der Ruhr Triennale seine Inszenierung an der buddhistisch-spirituellen Sichtweise Wagners und ihrer Quellen aus. An der Idee der Aufhebung des Ich. An der Idee der „Einheit alles Lebenden“, vom Eins-sein und der Ganzheit. An der Idee von der Überwindung des Gegensatzes von Diesseits und Jenseits, wenigstens in der Kunst.
Liegt zwar die Verführung nahe, in die Metaebene dieses Paroxysmus der Leidenschaft einzutauchen, hat sich Laufenberg indes für eine weniger spiritistische Inszenierung entschieden. Unter dem Strich steht sein Entschluss, die Tragödie als packendes Theater spielen zu lassen. Von Aufzug zu Aufzug steigert sich der Einsatz von Mitteln des Theaters. Allen voran die herausragende Lichtkunst von Andreas Frank, gefolgt von den Videoeinspielungen von Gérard Naziri. Zusätzlich ist noch eine Tanzformation des Theaters mit von der Partie.
Wie es fassen…,stößt Tristan im Liebesduett des zweiten Aufzugs hervor. Laufenberg „fasst“ es im ersten Aufzug ziemlich unprätentiös. Eine überdimensionale Leinwand spannt sich wie ein großes Segel im Hintergrund der Bühne von Rolf Glittenberg, auf die allerlei Formen von Wasser projiziert werden. Wie Wasser korrespondierend erscheinen die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer. Zum ersten Mal ins Blaue changiert das Licht, als der Bann, in dem beide verfangen sind, nach dem Trank der Liebesglut weicht. Treuloser Holder! Seligste Frau!
Im zweiten Aufzug spielen elegant fließende Stoffe in Grau eine große Rolle. Unter einem solchen Tuch schmachtet das Liebespaar seiner Vereinigung entgegen. Eine Tanzformation in körperfarbenen Trikots, bestehend aus vier Paaren, führt eine umtriebige Choreographie rund um das Paar auf. Sie imitieren oder kommentieren Posen der Liebenden, wodurch – quer zu Wagners schmelzender, eh erotisch aufgeladener Musik – nach und nach eine irritierende Unruhe entsteht, die auch das beruhigende Blau der „Nacht-Geweihten“ nicht mildern kann, in dem Tristan sich gemeinsam mit Isolde verortet.
Es ist eines der Geheimnisse der Inszenierung, dass ungeachtet dieser Entfokussierung in O sink hernieder, Nacht der Liebe, in der darstellerischen und vokalen Verschmelzung, im Parkett wie auf den Rängen eine berückende Stille und atemlose Spannung entstehen. Wohl zum Teil ausgelöst durch die Intimität der Position, die Wagner beiden „Haupt an Haupt gelehnt“ bestimmt, der Laufenberg unmittelbar folgt.
Danach steigt der Puls in den Videoprojektionen, bis hin zu Schlachtenbildern mutmaßlich aus dem Zweiten Weltkrieg. Das ist aber nicht ganz plausibel. Kehrt doch Marke diesmal nicht in militärischer Absicht zurück. Jedenfalls agiert die Marke-Gefolgschaft inklusive Isolde jetzt in blauen Gewändern. Im dritten Akt, der bei Wagner im Garten von Burg Kareol spielt, ruht Tristan in einem Klinikbett von heute, anfänglich in einem Ambiente von himmlischen und ozeanischen Blautönen. Marke erscheint an der Spitze seiner trauernden Delegation. Alle in Schwarz, tiefschwarz wie der Sarg für Tristan, der wohl in Vorausschau auf der Bühne postiert ist und ihm Anlässe für herzzerreißende Ausbrüche eröffnet.
Um die Seelenpein des in Klinikstoff mit Blutspritzern auf der Brust durch die Szene wankenden Tristan nicht länger anschauen zu müssen, werfen sich Markes Begleiter in eine offene Gruft am hinteren Bühnenrand. Ein makabres Bild in unseren vom Schrecken des Krieges in der Ukraine überschatteten Tagen, wenn die Köpfe im Fallen zur Seite zucken, als seien die Höflinge just in time erschossen worden.
Ins Skurrile wechselt Laufenberg anschließend das Geschehen, indem ein nacktes Tristan-Double über die Bühne schreitet und sich in das Bett legt, wo es wie im Todesschlaf ruht. Später tauschen Tristan und das Double die Plätze, was im Wirbel der Tanzformation kaum bemerkt wird. Tristan zieht es in die Gruft. Er verlässt so die Welt. Isolde folgt ihm nach dem schönsten Abschied von allem Irdischen, der je komponiert wurde, wobei ihr Laufenberg entgegen Wagners Regieanweisung „das Heften des Auges mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche“ verwehrt. Die physische Entgrenzung beider ist perfekt, das Bühnenlicht logischerweise nun in mildes Sonnenlicht getaucht.Wagners „Handlung“, womit der Komponist an das griechische Drama anknüpft, ist Reduktion pur. Der Dramatiker Heiner Müller löst dies 1995 in seiner zusammen mit Erich Wonder entwickelten Bayreuther Inszenierung adäquat ein. In ihrem minimalistischen Konzept existieren ausschließlich Licht- und geometrische Strukturen. Ausstattung? Para-Handlungen? Mitnichten! Laufenberg geht einen anderen Weg, der ein Stück Zeitgeist aufnimmt. Sein Vexierspiel mit einem „echten“ und einem surrealen toten Tristan wird Wagner freilich nicht gerecht, weder seinem Werk, noch seiner Philosophie, arbeitet ihm gar entgegen So viele Instagram-gewohnte junge Menschen sind doch gar nicht im Publikum, als dass man ihnen Reverenz erweisen müsste.
Wer in den vorderen Reihen seinen Platz hat, erlebt Güttlers Wagner-Sound wohl eine Idee zu bombastisch. Entscheidend ist aber, dass die Kommunikation zwischen dem Orchestergraben und der Bühne, auch im Hinblick auf die Gäste im Ensemble, funktioniert. Zum Glanzstück gerät ihm mit dem Staatsorchester das Vorspiel zum dritten Aufzug mit der sonoren Grundierung durch die tiefen Streicher. Famos zu nennen ist die Leistung einzelner Orchestersolisten von der Ersten Violine über die Solo-Klarinette in all ihren Variationen bis hin zum Englischhorn. Zu Beginn des dritten Aufzugs schildert es in 41 solistischen Takten die Trostlosigkeit Tristans und Kurwenals, ergreifend. Der von Albert Horne einstudierte Chor präsentiert sich in guter Verfassung, auch wenn ihm durch wechselnde Positionen, darunter in der hohen Seitenloge, einiges zugemutet wird.
Thomas Manns Seelenzauberkünstler sind selbst in Wiesbaden zu erleben. Andreas Schager als Tristan, Siegfried auch in Laufenbergs Wiesbadener Ring, bestätigt seinen Ruf, einer der führenden Heldentenöre im deutschen Fach zu sein. Grandios seine stimmliche Kraft, auch die hochalpine Gesangstour im mörderischen Monolog des Schlussakts scheinbar anstrengungslos zu bewältigen und dabei in Diktion und Tonbildung präzise zu sein und zu bleiben. Famos seine Gabe, im Anschwellen der Stimme eine dramatische Höhe zu erreichen und zu halten. Zudem ein Tristan-Darsteller, der den zerrissenen Charakter der Gestalt emphatisch auszuspielen versteht. Eine weitere Tristan-Aufführung mit Andreas Schager im Wiesbadener Haus ist übrigens am 6. Juni geplant, dann mit Barbara Havemann als Isolde.
Die Isolde von Catherine Foster, alsbald auch Isolde im Wagner-Mammut Projekt der Oper Leipzig wiederum mit Schager, steht mit loderndem Sopran ihrem Antipoden in Nichts nach. Sie zieht alle Register vom tiefsten Schmerz bis zum ekstatischen Aufschrei, entwickelt bis zum großen Finale eine starke Bühnenpräsenz. Leider trübt sich dieser einzigartige Eindruck durch ihr Vibrato, das sich jenseits einer natürlichen Linie einstellt, das sich bis zum Versinken des Liebestod-Finales unbewußt, höchste Lust graduell steigert. René Pape ist ein großartiger Marke mit souverän geführtem Parlando. Stupend seine Fähigkeit, den Gesang aus dem erschütterten Inneren des leidenden Königs auf ein sehr eigenes Pianissimo herunter zu bringen. Ein höchster Ausdruck von Empathie.
In der Rolle der Brangäne kann ein beseelter dramatischer Mezzo nicht viel falsch machen. Die aus Georgien stammende Khatuna Mikaberidze setzt bei zurückhaltendem Spiel wesentliche Akzente und bringt mit ihrem Warnruf an die Liebenden Habet acht. Habet acht. Schon weicht dem Tag die Nacht jene von Melos getränkte Stimmung hervor, die die Gefühlswelt des Menschen streichelt. Thomas de Vries liefert in der Partie des Kurwenal eine famose Leistung. Sein samtig getönter Bariton ist mit großer Textverständlichkeit gepaart. Er gibt den Schildträger Tristans mit Hingabe, bringt die ritterlichen Werte einer versunkenen Welt anrührend zur Geltung.
Simon Schnorr ist mit markantem Bariton ein Melot, wie man sich wohl einen Ritter am Hofe Markes vorstellt. Aus Backstage-Regionen ertönt die Stimme des jungen Seemanns, die Julian Habermann mit seinem wie Wasser fließenden Tenor intoniert. Erik Biegel hat mit seinem Hirtengewand in Übergröße mehr Mühe als mit seinem Singen, in dem der „Spieltenor“, den Wagner vorschreibt, plastisch das Meer schildert, öd und leer.
Etwas von der Ekstase aus dem Bühnengeschehen hat sich offensichtlich auch auf das Publikum übertragen. Es vergehen kaum zwei Minuten, bis mindestens die Hälfte der Besucher ihre Begeisterung für die Sängerdarsteller, den Chor und insbesondere das Orchester und seinen Leiter artikuliert. Auf der Landkarte der Städte mit herausragender Affinität zu Richard Wagner ist Wiesbaden gewiss dokumentiert. Und sicher nicht in den kleinsten Buchstaben.
Ralf Siepmann | 29. Mai 2022
A production by Uwe Eric Laufenberg (2021)
Also available as video recording