Tristan und Isolde

Philippe Jordan
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
20 February 2023
Staatsoper Wien
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
TristanAndreas Schager
IsoldeNina Stemme
BrangäneChrista Mayer
KurwenalIain Paterson
König MarkeChristof Fischesser
MelotAttila Mokus
Ein junger SeemannHiroshi Amako
Ein HirtDaniel Jenz
SteuermannJaesung Gabriel Park
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Reviews
Der Standard

Philippe Jordan wird die Staatsoper verlassen. Der Musikdirektor hat keine Lust mehr auf Produktionen, die an “ästhetische Zumutung” grenzen, wie er im Herbst bekundete. Nun kann man über die Ästhetik von Calixto Bieitos Tristan und Isolde-Inszenierung streiten, solange dadurch neue Perspektiven entstehen oder, ganz banal, wenigstens die Geschichte erzählt wird. Doch während sich in der Musik überwältigende Seelendramen abspielen, geschieht auf der Bühne – nichts. Da können sich die Sänger noch so abmühen, der Funke will nicht überspringen.

Stimmlich perfekter Tristan
Andreas Schager braucht ein Weilchen, läuft aber dann zu Höchstform auf: ein stimmlich perfekter Tristan, der die strahlenden Höhen ebenso besingt wie die zarten Töne. Nina Stemmes Isolde ist szenisch eine Wucht, in den Höhen machen sich aber Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Emotionale oder gar körperliche Nähe ist den beiden regiebedingt ohnehin keine gegönnt. Die Liebesbekundungen finden entweder robbend, anteilnahmslos schaukelnd oder in Wohncontainern statt, die von den Protagonisten zerlegt werden, O sink hernieder, Nacht der Liebe singend.

Wenig Glück ist auch Brangäne beschert, die zum dramaturgischen Beiwerk degradiert wird. Dass sich Christa Mayer bei ihrem Hausdebüt mit leichten Defiziten in Sache Nuanciertheit und Wärme dennoch durchquält, ist ihr hoch anzurechnen. Tadellos sind die Herren, allen voran Christof Fischesser, der bei seinem Wiener Rollendebüt trotz mangelnder Personenregie einen stimmlich umwerfenden Marke gibt. Ähnlich Iain Paterson als Kurwenal. Den Liebestrank bekommt das Publikum von Jordan kredenzt, der dem Staatsopernorchester entlockt, was diese Inszenierung vermissen lässt: Sehnsucht, Erotik, betörende Sinnlichkeit. Jubel für Dirigent und Ensemble.

Miriam Damev | 23.2.2023

dermerker.com

Das Haus am Ring bietet Tristan und Isolde; — oder vielmehr, was man sich laut dessen Direktions-Etage darunter vorzustellen habe. Vieles, das bei der Première für Verwunderung (und Unmut auf den Rängen) sorgte, wirkt bei der Wiederbegegnung nur mehr lächerlich. Wir wohnen der Marginalisierung eines Schlüsselwerks des Kanons bei.

Philippe Jordan verantwortete eine langweilige musikalische Wiedergabe. Nicht zu laut. Langsam. Nahm Rücksicht auf die Sänger. Doch was nützen schön herausgearbeitete Details, wenn der Abend des großen Bogens ermangelt? Schon das Vorspiel plätscherte dahin; ohne innere Spannung. Ein Tristan-Akkord macht noch keine Vorstellung.

Ebenso der Großteil des zweiten Aufzuges: Nichts war von Isoldes Anspannung zu spüren. Ihrer Aufregung, das Licht möge endlich gelöscht werden. Kein erregter Wortwechsel mit Brangäne über Melots Rolle im ganzen tête-à-tête. Stattdessen: Kaffeekränzchen. (Oof die Terrasse nur Kännsche.)

Gewiß: Es ist schwer, die Raserei des Wiedersehens der Liebenden musikalisch umzusetzen, wenn die beiden auf der Bühne jeder für sich in an Zimmer gemahnenden Aufzügen auf und nieder fahren müssen. Doch Jordan wäre vor Ort gewesen, um solch szenischem Treiben vorzeitig den Garaus zu machen. Daß er es versäumte, macht ihn zum Komplizen. Auch weil die Sänger nicht miteinander, sondern nur nebeneinander spielen können, verebbt dieser musikalische Höhepunkt mehr, als daß man den Eindruck gewänne, der Dirigent nähme das Orchester willentlich zurück, um das Wiederaufflackern, den nächsten Höhepunkt, vorzubereiten.

Eine neue Erfahrung: Wie langweilig doch das zentrale Liebesduett sein kann. Und wieviel physische Kraft man darein zu investieren vermag. Entsinnt sich noch jemand Peter Schneiders leisem Wirken, nur mit Fingerzeigen und den Augen? Erst bei den letzten Takten erhob er sich, mitgerissen vom selbst entfachten orchestralen Feuer. (Nur um nach dem Zusammenbruch wieder zurückzusinken auf seinen Stuhl.) Und Jordan? Seine fortgesetzte Furcht vor dem vermeintlichen Verlust der totalen (ohnehin illusorischen) Kontrolle verhindert verläßlich jede, doch so notwendige musikalisch-emotionale Gestaltung. Stattdessen: schweizerisch-präzise Exekution; penibles Schlagen jedes Taktes, den Blick oft in die Partitur versenkt. Mühsam — das hinter den Kulissen gebrauchte Wort. Darüber täuschten auch einige gelungene Passagen wie der volksliedhafte Jubel im Finale des ersten Aufzuges oder die ebensolche Orchesterinstrumentierung am Ende des zweiten nicht hinweg.

Iain Paterson geizte als Kurwenal zu sehr mit stimmlichem Einsatz, als daß er Tristan ein treuer Begleiter sein konnte: Patersoms Stimme entwickelte kaum das notwendige Volumen; von sängerischen Vorzügen wie legato und Stetigkeit des Tons ganz zu schweigen.

Die Partie des König Marke verlangt nach einem Sänger mit gravitas: Die Szene im zweiten Aufzug bedarf des großen Tons und schwergewichtigen stimmlichen Ausdrucks. Gebricht es — wie Christof Fischesser — dem Sänger an diesen Vorzügen, verkommen die Enttäuschung, die Scham des Hahnreis und sein im Laufe seines Auftrittes unterschwellig sich bemerkbar machender Zorn zur uninteressanten Nebensächlichkeit. Ein beschwerdeführender » Singbeamter «: Denn Fischessers tiefen Tönen fehlt die Durchschlagskraft. Seine Stimme, von mittlerer Größe, vermag nicht zu fesseln, die Tongebung ist hie und da uneben. Attila Mokus bleibt als Melot ebenso blaß; — kein Vergleich zu Clemens Unterreiner bei der Première.

Christa Mayer als Brangäne überzeugt bei ihrem Haus-Debut vor allem im ersten Aufzug. Da klingt die Stimme frischer, kompakter und gesunder als jene ihrer Isolde. Die tiefe und die Mittellage resonieren (zumal für heutige Sängerleistungen) mehr als zufriedenstellend, die Höhe, wenngleich ein wenig abgesetzt vom Rest der Stimme, verheißt eine gediegene Leistung. Sogar die (eigentlich basale) Kunst des legato läßt sich zu ein paar Auftritten überreden. Doch ab dem zweiten Aufzug vermag Mayer die Erwartungen nicht mehr zu erfüllen: Immer mehr drängt sich jener helle, auf unsteten bzw. zu hohen Stimmsitz weisende Klang in den Vordergrund, die Wortdeutlichkeit leidet. Enttäuschend dann die Brangäne-Rufe aus dem Off (von der Seitenbühne?): gaumig und schwer verständlich (so eines nicht den Text kennt oder ohnehin den Opernabend in Untertitellesestunden verwandelt). Trotzdem Wagner die Brangäne-Rufe bequem in der Sopran-Mittellage, über dem passaggio, ansiedelte; der Erfolg leicht einzufahren wäre, gleich der prima ballerina, die mühelos mit ihren fouettés Furore zu machen versteht, sobald sie nur à pointe sicher zu stehen vermag …

Der erste Aufzug verrät, daß die Stimme von Nina Stemme (und ich weiß mich hiermit im Widerspruch nicht nur zu Opernfreunden, sondern auch zu sogenannten » Professionellen «) nicht für die Isolde taugt. Im Grunde niemals taugte. Der Vergleich mit Birgit Nilsson und Kirsten Flagstad macht sicher. Stemmes Isolde ist kaum wortdeutlich, die Spitzentöne klingen schrill, abgesondert von der restlichen Stimme. In der Mittellage fehlt die Unterstützung des tiefen Registers, das Fundament. Gewiß, der Eindruck bessert sich im Laufe des Abends. Im Liebesduett gelingen einige lyrische Momente, spricht die Mittellage endlich — endlich! — in jenem Maße an, welches heute ein Publikum zur Zustimmung bewegt. Bis einem der nächste Spitzenton, schrill und phrasenbrechend neu angesetzt, die stete Überforderung wieder in Erinnerung ruft.

Den » Liebestod « — zu diesem Zeitpunkt ist die ursprüngliche Inszenierungsidee des Calixto Bieito längst marginalisiert worden — absolviert die Schwedin mit der Routine einer jahrzehntelangen Karriere: Sie berührt nicht, doch weiß sie sich mit der Sammlung ihrer Kräfte und ihrer Erfahrung auf Wagners Orchestersatz zu verlassen. Das scheint den meisten für einen Schlußjubel ausreichend. Und ist doch so weit entfernt von dem, was Wagner in diese Partitur packte …

Der Tristan des Andreas Schager zeigt sich gegenüber der Première gesanglich verbessert. In der Lautstärke zurückhaltend, wird Schager — mißt man nach heutigen Maßstäben — als einziger den Anforderungen seiner Partie gerecht. Vergleiche mit großen Rollenvertretern der Vergangenheit verbieten sich, will man sich nicht eingestehen, daß Schagers Technik für eine umfassende, aus dem Gesang erwachsende Gestaltung dieser Partie nicht ausreicht. (Der Vergleich, nicht nur mit Lauritz Melchiors Tun, macht einen sicher. Und nein: Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist nicht einmal Vergangenheit, wie William Faulkner einmal feststellte.)

Schagers Kraftreserven scheinen unerschöpflich. Zwar fehlt es seiner Stimme an der Farbenvielfalt der für die aus dem Gesang dieser Partie notwendige Gestaltung, meidet der Österreicher pianissimi, wo immer möglich, doch gelingt auch ihm die eine oder andere Phrase, läßt sich hier und da eine Gesangslinie verfolgen. Allerdings ist bei länger zu haltenden Tönen ein langsames Vibrato nicht zu überhören: Zeichen stimmlicher Überforderung. Bei tief liegenden Phrasen fehlt es an der Resonanz, am Stimmkern.

Aber der Repertoire-Alltag ist eingekehrt, und der Verursacher dieser szenischen Verirrung weilt fern. Also wird niemand Einwände erheben, wenn dieser Tristan, nachdem er sich die tödliche Wunde beigebracht, anstatt sie im Kampf mit Melot zu empfahn, sich bärengleich aufrichtet, um Isolde aufzufordern, ihm in das Land, in dem der Sonne Licht nicht scheint, zu folgen. Desgleichen im dritten Aufzug, wo der dem Tode Nahe seinen duffle coat als Fahne schwenkt wie im Fan-Sektor » uff Schalke «, im Vollbesitz seiner Manneskraft: — nur um fünf Minuten später zu verscheiden …

Thomas Prochazka | 20. Februar 2023

Rating
(6/10)
User Rating
(4/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
564 kbit/s VBR, 44.1 kHz, 894 MByte (flac)
Remarks
In-house recording
A production by Calixto Bieito (2022)