Tristan und Isolde
Semyon Bychkov | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Andreas Schager |
Isolde | Camilla Nylund |
Brangäne | Christa Mayer |
Kurwenal | Ólafur Kjartan Sigurðarson |
König Marke | Günther Groissböck |
Melot | Birger Radde |
Ein junger Seemann | Matthew Newlin |
Ein Hirt | Daniel Jenz |
Steuermann | Lawson Anderson |
Im Müll der Erinnerungen
Dieser berühmte Bayreuther sah die Sache ganz positiv. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht getrieben werden können.“ Lange vor Richard Wagner fiel dieser Satz, er stammt vom Dichter Jean Paul. Doch manchmal wird das Hirn zur Hölle, zumindest aber zur Rumpelkammer. Hier ein Gedankenfetzen, dort ein Erlebnis, eine Erfahrung, ein Trauma. Dinge, die man mit sich schleppt, man schaue nur in diesen aufgebrochenen Schiffsrumpf: See-Gemälde, antike Statuen, ein Globus, ein Steuerrad, ein Skelett, eine verdorrte Pflanze, überall Zettel. Müsste mal aufgeräumt und geordnet werden. Das schaffen diese Leute aber nicht mehr, sie stehen und singen – und dabei bleibt es auch.
Der Mensch als Opfer seiner Vergangenheit, das liegt bei „Tristan und Isolde“ nah. Dort, wo das meiste vor Beginn des ersten Tons passiert ist und der Rest von steigenden Säften oder, wie Wagner es vorsah, von einem versehentlich verabreichten Liebestrank verursacht wird. Ein Elixier gibt es hier, in der Premiere für die Bayreuther Festspiele, schon auch. Doch tatsächlich, wie Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson zeigt, ist es ein Todestrank. Die eine Hälfte kippt Tristan am Ende von Akt zwei mit entsprechenden Siech-Folgen für Akt drei, den Rest genehmigt sich Isolde vor dem Liebestod.
Wie in Schlingensiefs „Parsifal“-Unordnung
Von ihrer übermächtigen Vorgeschichte können und wollen sich diese Figuren nicht befreien. So schlüssig bis binsenhaft die These sein mag, so wenig erfahren wir davon. Eigentlich bleibt sie reine Ausstattungsidee und damit delegiert an Bühnenbildner Vytautas Narbutas und Sibylle Wallum (Kostüme). Als da wären ein zugemüllter Mittelakt, bei dem man an Christof Schlingensiefs Assoziationswust seines Bayreuther „Parsifals“ denkt, ein etwas aufgeräumteres Finale. Und vorher, im Eröffnungs-Aufzug, Isolde mit weitem Rock und Schleppe, worauf es viel zu lesen gibt. Nur Insassen der vorderen Reihen kriegen das mit: Es ist Wagners Operntext.
Fast alle Beteiligten sind da schon auf der Bühne, irren in Zeitlupe durch ein Endspiel zwischen Schiffstauen. Doch diese Überfahrt nach Cornwall, so signalisiert Arnarsson, wird eine Reise ins Ich. Im Vorfeld hatte er betont, er wolle das Drama aus einer Psychologisierung der Figuren entwickeln. Das ist nicht neu, sogar selbstverständlich, hier aber nicht zu sehen. Viereinhalb Stunden lang gibt es Wagner auf der Standspur. Singsäulen sondern schwere Partien ab. Was sie miteinander zu tun haben, warum sie einander begegnen, aus dem Weg gehen, lieben, hassen, töten, man erfährt es nicht.
Auf eine eigentümliche Weise, das sei eingeräumt, bleibt man dran an der Generalberuhigung von Wagners hitzigstem Werk. Und wer will, kann es positiv sehen: Die musikalische Fraktion wird in Ruhe gelassen. Manche wie Camilla Nylund nutzen das. Eine sehr lyrische Isolde ist zu erleben, die ihre Stimme auf natürliche, nie forcierende Weise reckt und streckt. Metall und Durchschlagskraft mögen der Finnin fehlen. Doch dafür gibt es erfüllte und erfühlte Phrasen, Gehaltvolles auch ohne Breitband-Sopran, nur am Ende wirkt sie etwas nervös und kurzatmig.
Markus Thiel | 26.07.2024
Kunst aufräumen und Leiche schubsen
Sie sind wirklich „Aug‘ in Auge“ und „Mund an Mund“ während Brangänes in der Bayreuther Eröffnungspremiere recht diesseitig klingendem Nachtgesang – also in Mitte des Stücks und dessen rekordlangen Liebesduetts. Bei seiner ersten Bayreuther Regie langt Thorleifur Örn Arnarsson, früher Leiter der Volksbühne Berlin, ganz ohne Dialektik in die Vollen. Tristan und Isolde breiten ihre Arme aus wie zum Liebestodessprung, bevor Marke und Melot den Seelenorgasmus beider unterbrechen. Am Ende robbt Isolde wie eine Verdurstende zu Tristan, schüttelt und schubst dessen Leiche zum natürlich aussichtslosen Wiederbelebungsversuch. Auch Marke setzt seinem wie einen Sohn geliebten Rivalen bemerkenswert gewalttätig zu. Aber zur Realitätsflucht der beiden Menschen Isolde und Tristan, an denen Wagner neben deren drangvollem Zueinanderwollen einen ganzen Kosmos von Kommunikations- und Zivilisationshürden abarbeitete, bedarf es keiner äußeren Anlässe. Tristan selbst bringt sich mit einem Stoß seiner Faust durch Glas die tödliche Wunde bei. Ab da ist er ganz bei sich.
Bei aller Innerlichkeitsbemühung durch Regie und Dirigat gibt es im neuen Bayreuther „Tristan“, Wagners schwieriger und 1865 in München uraufgeführter „Handlung in drei Aufzügen“, doch hochdramatische Augenblicke in schwelgerischen Viertelstunden. Szene oder Musik überwältigen zuweilen, gehen aber im Vierstunden-Sprint vom „öden Tag“ ins „Wunderreich der Nacht“ noch nicht ganz oder vorerst nur beiläufig zusammen.
Schnellstart in die sanfte Lyrik
Den magischen Moment im verdunkelten Raum des Festspielhauses beim Warten auf den ersten Akkord aus dem unsichtbaren Orchester gab es diesmal nicht. Semyon Bychkov beginnt mit den drei Streichertönen zum revolutionären „Tristan-Akkord“, als einige Touchscreens noch leuchten und nicht alle Menschen im Saal sitzen. Der leichte Spannungsverlust beim Promenade- und Medien-Brimborium mit jedem Jahr gefühlt größerer Polizei-Obhut bleibt auch nach Premierenbeginn. Es bestand keinerlei Anlass zu existenziellem Hochdruck, weil alles stimmt: Vorstellungen ausverkauft mit Ausnahme des „Parsifal“ am 14. August. Festspielleiterin Katharina Wagner ist für weitere fünf Jahre als künstlerische Leiterin bestätigt. Das merkantile Erfolgserlebnis von 55 Prozent Eigeneinnahmen passt, auch die künstlerische Programmierung mit Ausgewogenheit von Dirigentinnen zu Tenor-Stars wie Michael Spyres und Piotr Beczała sowie dem Musical-Experten Matthias Davids als „Meistersinger“-Regisseur für 2025. Im besten Sinne ist das Bayreuther Profil bis zur Erstaufführung von Wagners großer Oper „Rienzi“ zum 150-Jahre-Jubiläum der Festspiele 2026 „smart“. Genie-Schübe und Provokationsspitzen sind eh nicht planbar. Sie ergeben sich von selbst – oder nicht.
Potenzial zu großer Verdichtung
Letzteres im Falle der „Tristan“-Premiere. Dabei haben Inszenierung und Interpretation das Potenzial zu großer Verdichtung. Die „Tristan“-Vision von Bychkov, der nach „Parsifal“ 2018 und 2019 kein Bayreuth-Neuling ist, setzt auf gelichtete Melodik, Lyrik und Filigranes. Die Holzbläser des Bayreuther Festspielorchesters agieren duftig. Dann gibt es immer wieder sehr konzentrierte Momente und lassen manchmal doch den dramatischen Nachdruck vermissen. Das bekommt vor allem der langen Marke-Klage im zweiten Akt sehr gut, die Günther Groissböck rund und kräftig ohne Pathos-Überdosis setzt. Der hartnäckige Buher gegen ihn war ungerecht. Christa Mayer ist eine intensive Brangäne, welche die Partie angemessen aus dem Schatten Isoldes holt. Olafur Sigurdarson zeichnet einen korrekten Kurwenal mit sicherer Stimme. Überdurchschnittlich und charakterstark erweisen sich alle Slim-Partien: Birger Radde als Melot, Matthew Newlin als junger Seemann, Daniel Jenz als Hirt und Lawson Anderson als Steuermann.
Ohne Psychodynamit
Camilla Nylund, als Isolde bereits in Zürich und Dresden umjubelt und bewundert, kommt im ersten Akt nur schwerlich gegen Bychkov an, als sie zeigt, dass Wagners Partitur neben chromatischer Wellness kräftigen Sarkasmus und Häme enthält. Solche Extreme will Bychkov nicht, sublimiert über weite Strecken das Bittere im Lieblichen und endet mit einem ekstatischen Liebestod. Wie immer in der Festspielhaus-Akustik sind Wagners Kolorit-Effekte wie der Sekunden-Männerchor, das Englischhorn und das A-cappella-Solo des jungen Seemanns unüberbietbar. Nach jedem Akt gibt es donnernden Jubel für das Sängerensemble. Am Ende wird der Widerspruch gegen das Regieteam angesichts der recht moderaten Gangart des Dramas ziemlich scharf. Was wurde da verübelt?
Isoldes „… er sah mir in die Augen“ wird zum Ausgangspunkt der Konzeptgedanken
Außer Thorleifur Örn Arnarssons in Relation zur Gesamtdauer doch recht kurzen Aggressionshärten bleibt seine Personenregie erklärend und fast ohne Psychodynamit. Man dachte noch weiter als Wagner in seiner Adaption der mittelalterlichen Tristan-Quellen. Arnarsson rekapitulierte die traurige Jugend des depressiven Tristan im Ritterepos des Gottfried von Straßburg, sinnierte über Wagners Mysterium als „langes Adagio“ (Ernst Bloch) und machte Isoldes „… er sah mir in die Augen“ aus der Erzählung im ersten Akt zum Ausgangspunkt der Konzeptgedanken. Diesen Satz signalisiert Camilla Nylund deutlichst, aber nicht Bychkov.
Eine Isolde der beeindruckend lyrischen Timbrierung
Sie hat nach ihren Brünnhilden in Zürich und dem Wechsel ins schwere Wagner-Fach noch immer eine beeindruckend lyrische Timbrierung. Mit Können und Sicherheitsdenken nimmt Nylund dramatische Attacken, wächst im zweiten und dritten Aufzug zu schwelgender Größe. Andreas Schager hat in der gefürchteten Tristan-Partie als derzeit strahlkräftigster Wagner-Tenor eine unerschütterliche Kondition. Alle hohen Töne schleudert Schager mit souveräner, ja jauchzender Energie heraus und ist dabei bestens durch die Manie der Partitur legitimiert. In den Fiebermonologen lässt Schager sich auf Bychkovs ruhig fließenden Gestus ein, schwenkt dann desto intensiver in die kantable Todeskurve. Schager setzt auf Glanz statt Morbidezza und unterscheidet sich dadurch imponierend von Kollegen, die Konditionsökonomie als Gestaltungswillen zurechtflunkern.
Großes Aufräumen im Kunst-Depot
Weniger Rätselhaftigkeit denn angemessene Realitätsflucht erhält dieser „Tristan“ durch die Ausstattung. Lange ist Isolde Gefangene eines mit Worten und Graphik-Ornamenten besetzten Schleiers. Diese Zwangsjacke als Symbol von Isoldes einzwängender Sozialisation ist Sibylle Wallums Premium-Objekt. Ihre noblen Kostüme bewegen sich zwischen schwarzem Krähenmantel für Marke und einer Brangäne wie aus „Mondbasis Alpha 1“. Der Bühnenraum besteht erst aus Seilen für das Schiff nach Cornwall. Vytautas Narbutas nötigt das Paar in der Liebesszene zur Promenade durch ein Kunst-Depot der Zivilisationsgeschichte, bei dem die Inventarisierungskräfte sehr lange Pause machten. Im dritten Akt ist dann alles säuberlich gestapelt, während die Planken eines Schiffsunterdecks auseinanderdriften. Die Entgrenzung des Paars wird deutlich: Tristan und Isolde wollen heraus aus der Geschichte, der Welt, dem normativen Sein. Der Raum erzählte bei der Premiere mehr als der lange, ruhige Fluss des Orchesters und die Suspense-Zacken der Regie. Das könnte zusammenwachsen und tiefere Bedeutung gewinnen. Das Publikum späterer Vorstellungen darf sich auf ganzheitliches Wagner-Wachstum freuen. Und auf Bayreuth-Abende ohne jene trockene Geschäftigkeit, welche diese Eröffnung fast zur Pflichtübung machte.
Roland H. Dippel | 26. Juli 2024
Nacht über Tristan und Isolde
Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit einer Neuinszenierung von Wagners Liebesdrama. Dabei gerät die szenische Einrichtung viel zu statisch, und auch musikalisch ist nicht alles gelungen.
Warum eigentlich, mag man sich fragen, ein neuer „Tristan“ in Bayreuth, wo die letzte Neuinszenierung doch vor gerade mal zwei Jahren aus der Taufe gehoben und überhaupt nur wenige Male gespielt wurde? Weil, so der lapidare Grund, der damalige, von Roland Schwab besorgte „Tristan“ von vornherein als Corona geschuldeter Spontangeburt gedacht war, während der jetzt aktuelle, von Thorleifur Örn Arnarsson szenisch eingerichtete, von langer Hand im Spielplan der Wagner-Festspiele eingepflegt war. Einer geht, ein anderer kommt, und wie so oft ist das Neuere nicht automatisch das Bessere.
Arnarsson, so hat er seiner Version von „Tristan und Isolde“ im Programmheft mit auf den Weg gegeben – allein szenografisch erschlösse es sich nicht -, Arnarsson entwirft Richard Wagners Musikdrama als Studie zweier Menschen, die sich entfremdet fühlen in ihrer Existenz. Tristan ist tief innerlich kein Held; Isolde will kein fremdbestimmtes Prinzessinnenleben führen. Jener eine, vor dem Bühnengeschehen liegende Moment, wo die beiden sich als Gleichgesinnt-Suchende erkannten, kristallisiert in Isoldes Erinnerungswort „er sah mir in die Augen“, diesen Augen-Blick wollen beide wiederhaben: als Liebende. Denen doch nur die Heimlichkeit der Nacht vorbehalten sein kann.
Bayreuths “Tristan und Isolde”: Eine Neudeutung durch Arnarsson
Nachtschwarzes Dunkel im Hintergrund ist denn auch wesentlicher Bestandteil des Bühnenbilds von Vytautas Narbutas. Davor, knapp angedeutet durch herabhängende Taue, im ersten Aufzug die Szenerie des Schiffes, mit dem Tristan Isolde zu König Marke bringt. Isolde selbst inmitten eines überdimensionalen brautschleierhaften Stoffgebausches sitzend, oder besser: verfangen. Denn dass dieser Tristan, mit dem sie jenen unauslöschlichen Blick tauschte, sie nun einem fremden König zuführt, an diesem starken Stoff hat sie innerlich zu arbeiten.
Es sind zunächst die nordisch inspirierten Schauwerte dieser Inszenierung, neben der Bühne die stilisiert archaischen Kostüme von Sibylle Wallum, die in Beschlag nehmen. Gerade auch dort, wo sie sich von Wagners szenischen Angaben entfernen wie im zweiten Aufzug, der nicht im Garten von König Markes Burg, sondern im Bauch eines Schiffes situiert ist – ein merkwürdiger Liebes-Rückzugsort in seiner Mischung aus Rumpelkammer und Kuriositätenkabinett. Doch wenn der visuelle Neuigkeitswert verbraucht ist, macht sich zunehmend szenische Lähmung breit, weil Thorleifur Örn Arnarsson auf die lange Strecke es nicht vermag, die innere Spannung des Protagonistenpaars in äußere szenische Vorgänge zu übertragen. Ja, man muss sagen: So wenig Leidenschaft war selten in einem „Tristan“.
Da helfen auch nicht die wenigen Momente, in denen Arnarsson neue Akzente setzt. So spielt bei ihm auch noch im zweiten Aufzug der Trank eine markante Rolle. Diesmal ganz offensichtlich der „richtige“, der Todestrank, denn nach dessen Konsum haut es Tristan buchstäblich um, der Verräter Melot muss gar nicht mehr mit dem Schwert ausholen. Kann vielmehr gerade noch verhindern, dass Isolde das Fläschchen vollends leert. Ein weiteres und letztes Mal, im dritten Aufzug vor ihrem Liebestod, setzt Isolde den Trank an die Lippen, und diesmal mit Erfolg.
Die Geschichte schleppt sich zähflüssig ihrem tragischen Ende entgegen
Doch solch kleinformatige Inventionen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte ziemlich zähflüssig sich ihrem tragischen Ende entgegenschleppt. Was da in den Seelen vorgeht, gerade im Hinblick auf Arnarssons eingangs erwähnte psychosoziale Behauptung, das vermag kaum einmal den Bühnenrand zu überspringen. Was auch an der schnöden Tatsache liegt, dass diese Neuproduktion es mit der Textverständlichkeit nicht so genau nimmt. Ein Sänger- (weniger Sängerinnen-)Problem, aber auch eines, das zu Lasten von Semyon Bychkov geht. Wo das Orchester der Festspiele sich frei entfalten kann wie in den Vorspielen, ist Bychkov ein feinsinniger Klangregisseur selbst noch der Pausen – die beiden lang gehaltenen nach den ikonischen orchestralen Gesten der Werkeröffnung werden bei diesem Dirigenten zu wohlbedachten Resonanzräumen sinnenden Miterlebens. Doch in den Augenblicken ekstatischen Außer-sich-Seins der Protagonisten, wenn auch Wagners Motivgeflecht sich zusammentürmt, lässt Bychkov das Orchester zu voluminös agieren, da hilft auch die Deckelung des Klangs im Festspielhaus nichts.
Rein sängerisch gibt Camilla Nylund eine bemerkenswerte Isolde. Ihre volle, bestens fokussierte Stimme erhält sich den warmen Schimmer auch noch in den mühelos angesetzten Spitzen. Vorzüglich zudem die lyrischen Qualitäten der Sopranistin nicht nur in den Duetten des zweiten Aufzugs, sondern auch im finalen „Mild und leise“, das Nylund als großen Bogen spannt bis zum Abendlicht der letzten Worte. Christa Mayer ist auch in diesem Bayreuther Sommer der souveräne Mezzo vom Dienst, ihre Brangäne präzise gestaltet in der anhaltenden Sorge um die Herrin, die leuchtenden „Habet Acht“-Warnungen nur leider durch Kulissen verdeckt.
König Marke ist hier mehr in seinem Mannsein als in seinem Treueglauben verletzt, so kernig, wie er von Günther Groissböck gegeben wird. Olafur Sigurdarson kommt mit Kurwenal nicht zurecht, zu einseitig kantig statt emotional empathisch gerät ihm die Gestalt des Tristan-Getreuen insbesondere im dritten Aufzug.
Andreas Schager im Tongebirge des dritten Aufzugs
Dieses Finale, gefürchtetes Tongebirge für jeden Sänger des Tristan: Andreas Schager verströmt hier in der weit ausgerollten Hellsichts- und Sterbeszene rücksichtslos sein Kraftorgan. Nicht zuletzt zum eigenen Nachteil, denn nach etlichen Aufschwüngen, die anbrandenden Orchesterfluten immer wieder übertrumpfend, ist die Stimme merklich angeknackst, die Vokalisation verwaschen, jeder Sprung in die Spitze eine weitere Stemmübung. Schade, denn zu Beginn der Aufführung, im ersten Aufzug, stellt Schager sich dar als einer, der sehr wohl klangschön Wagnersches Tenor-Melos darzubieten vermag.
„Tristan“, das kapitale Werk, man hat es schon besser gehört und gesehen in Bayreuth. Chronistenpflicht muss noch vermerken, dass es für die Sänger und den Dirigenten ungetrübten Jubel gab, für das Regieteam lautstarke Ablehnung.
Stefan Dosch | 26.07.24
Ich schau dir in die Augen, Kleine
Ein Klang baut sich auf. Lauter Halbtöne, Reibungen, die Musik sehnt sich fort und weiß nicht wohin. Dann: Stille. Die Pause dehnt sich schier endlos. Dem Dirigenten wird doch hoffentlich nichts passiert sein? Am Pult des Festspielorchesters steht – wie immer im Bayreuther Festspielhaus verborgen durch den Deckel über dem Orchestergraben – Semyon Bychkov, und der schlägt schon im Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ tiefe Krater in die Musik.
Sie sind von ähnlicher Art wie das diffuse Loch, das später bei geöffnetem Vorhang im Bühnenboden klafft. Nach nur zwei Spielzeiten löst am Donnerstagabend die Inszenierung des vor allem schauspielerfahrenen Isländers Thorleifur Örn Arnarsson die von Roland Schwab verantwortete Produktion des Stücks von 2022 ab, und das, was Richard Wagner im Untertitel als „Handlung“ bezeichnete, ist bei ihm als Folge von Standbildern zu erleben. Der Bühnenbildner Vytautas Narbutas lädt auf ein Schiffsdeck ein: mit Seilen, die vom Schnürboden baumeln, und mit viel atmosphärisch wirksamem Trockeneis. Im zweiten und dritten Akt befinden wir uns dann ein Stockwerk tiefer, im Bauch eines (Alb-)Traumschiffes, der ein Abstellraum ist, vielleicht auch ein Lager mit Requisiten für ein sehr oft schon gespieltes Stück, vollgestopft mit Bildern, Statuen, Koffern, Gerümpel. Man müsste mal aufräumen hier, aber man schafft‘s wohl nicht – das ist Narbutas‘ tiefenpsychologischer Beitrag zur diesjährigen Bayreuther Neuproduktion.
Zu viel Seelenballast haftet an dem titelgebenden Paar, vor allem an dem Helden, der so gar nichts Heldisches hat und haben will. Dabei singt Andreas Schager den Tristan sehr direkt und kraftvoll. Tatsächlich sinkt, wenn er mal Leises wagt, die Trefferquote erheblich, im letzten Akt werden auch in lauten Passagen die überzeugenden Momente weniger: Da hat Schager die Grenzen seines schier unverwüstlichen Tenors überschritten. Neben ihm lässt Camilla Nylund als Isolde ihren Sopran erblühen, weich singt sie, beweglich, mit vielen unterschiedlichen Farben. Ihre ebenso überzeugende wie ergreifende Darstellung ermöglicht auch der Mann am Pult: Semyon Bychov geht behutsam mit der Partitur um, er ist kein Klang-Gourmand mit Hang zu lauten Gefühlswogen, eher einer, der Schönes und Wichtiges herausmeißelt. Manchmal ist das ein bisschen zu dezent, manchmal ein bisschen zu didaktisch, aber Bychkov gibt den Sängern Raum. Schager müsste also nicht brüllen. Tut er aber oft, und so sind Tristan und Isolde sängerisch ebenso weit voneinander entfernt wie sie hier es räumlich sein sollen.
Eine einzige Idee
Selbst beim „Sink hernieder, Nacht der Liebe“, dem großen Liebesduett im zweiten Akt, drapiert Thorleifur Örn Arnarsson links vorne den einen, rechts hinten die andere. Man bewegt sich dann aufeinander zu, aber meist bleibt jeder für sich allein. Die Inszenierung ist sehr statisch. Sie besteht vor allem aus Standbildern. Und sie fußt auf einer einzigen Idee. Die ist zwar nicht neu, aber hier ebenso deutlich wie konsequent umgesetzt: Der Liebestrank ist abgeschafft.
Im ersten Akt schlägt Isolde Tristan das Fläschchen aus der Hand, bevor er es trinken kann. Er muss es auch nicht trinken, denn die Liebe ist schon lange da. Sie hat sich in der Vorgeschichte des Stücks eingestellt, die Wagner andeutungsweise erzählt: in dem Moment, als Isolde einst Tristan in die Augen blickte, dem Mörder ihres Verlobten. Schon damals hat sich ein zweites Paar gebildet, das jetzt zum eigentlichen Protagonistenduo der Oper wird: die Liebe und der Tod. Davon erzählt auch Arnarsson, wechselt bei der Beleuchtung der Bühne entsprechend deutlich vom Tageslicht- zum Nachtlichtmodus und ersetzt Melots Schwertstich gegen Tristan durch einen Todestrank. Auch Isolde stirbt selbstbestimmt. Von Anfang an hat beider Liebe dieses Ziel gehabt: die Auflösung. Ganz im Sinne der Worte, mit denen man in Frankreich den Höhepunkt körperlicher Liebe umschreibt: la petite mort, der kleine Tod.
Buhrufe vom Premierenpublikum
Die Grenzen verflüssigen sich auch im Bühnenbild zum letzten Akt: Die Balken des Schiffsbauchs sind auseinandergeschoben, das Gerümpel mittig auf einen Haufen getürmt. Ein zwingendes Bild. Dass davor und daneben keine Personenführung stattfindet, ist seine Kehrseite, und da dies für den ganzen Abend gilt, hat die Produktion Längen. Und einen logischen Bruch, denn die Abschaffung des Liebestranks macht die finale Vergebung durch den betrogenen König unglaubwürdig. Günther Groissböck verleiht den Leiden Markes immerhin starken Nachdruck – was ein wenig für seinen oft mulmigen Ton und seine nicht immer ganz treffsichere Intonation entschädigt. Auch die Figur der Brangäne wird durch die Regieidee degradiert, aber der in Bayreuth gefühlt omnipräsenten Christa Mayer gelingt die Verwandlung von einer Strippenzieherin zu einer wissenden Freundin gut. Olafur Sigurdarson als Kurwenal kann mit seiner allzu stark tremolierenden Stimme mit diesem Niveau nicht mithalten.
Am Ende: tot, tot, alles tot. Nacht legt sich auf die Bühne. Das riesige Brautkleid, dessen Stoff Isolde im ersten Akt kreisförmig umgab, das sie verhüllte, schützte und beschwerte; das Kleid, aus dem sie dann herausstieg wie aus einem Gefängnis: Dieses Kleid liegt nun zerknüllt am Boden, und die Buchstaben, mit denen Isolde das Tuch verzierte, kann nun keiner mehr lesen. Es war ihre Geschichte, die Geschichte einer Frau, die sich aufgelöst hat in einer Liebe, die der Tod gewesen ist. Das zeigt der Regisseur. Für den statischen Rest bestraft ihn das Premierenpublikum mit lauten Buhrufen.
Susanne Benda | 26.07.2024
Die Neuproduktion von Wagners epochalem Liebesdrama «Tristan und Isolde» ist dank dem Dirigat von Semyon Bychkov eine feinsinnige Angelegenheit. Bychkov verzichtet, dem äusserlich handlungsarmen Stück entsprechend, auf alle vordergründigen Effekte und setzt stattdessen ganz auf den unaufhörlich fliessenden Bewusstseinsstrom, mit dem der Komponist das innere Erleben, diese bald himmelhoch jauchzenden, bald zu Tode betrübten Gefühlswelten seiner Protagonisten, in radikal moderne Töne gefasst hat.
Bychkov gestaltet in Vollendung Wagners wegweisende Kunst des Übergangs, also bruchlose Wechsel von Farben und Stimmungen, nimmt sich dafür aber teilweise sehr viel Zeit, manchmal gefährlich nah an der Grenze zum Stillstand. Die Intensität des Musizierens und die sinnliche Dringlichkeit des Orchesterklangs lassen jedoch keinen Moment lang nach. Die Sänger reagieren sehr unterschiedlich auf dieses Fundament aus dem in Bayreuth unsichtbaren Graben.
Camilla Nylund, kürzlich für ihre Brünnhilde im Zürcher «Ring»-Zyklus gefeiert, lässt sich davon bei ihrer ersten Isolde in Bayreuth immer wieder tragen, namentlich in leisen Passagen, die sie im Einklang mit Bychkov sehr eindringlich gestaltet. Im finalen «Liebestod» verschmilzt ihre Stimme dann regelrecht mit dem Orchester. Und sie fährt gut mit dieser Strategie, denn anders als im Zürcher Haus kommt ihr leichter, heller Sopran im riesigen Festspielhaus an dynamische Grenzen. Im Ganzen erinnert ihr sehr sicherer Einstand an die lyrische Isolde von Margaret Price, die die Partie einst mit Carlos Kleiber eingespielt hat.
Andreas Schager hat als Tristan das gegenteilige Problem. Seine Stimme ist mittlerweile zu einem echten Heldentenor herangereift, und Schager singt von jeher mit ununterbrochener Attacke und bedingungslosem Engagement. Das klingt eindrucksvoll – zumal dieser heldische Stimmtyp im Wagner-Gesang selten geworden ist –, es bringt aber auch Probleme mit sich: in der Balance und im Zusammenklang mit der viel obertonreicher timbrierten Stimme von Nylund.
Schager erkennt dies und nimmt sich im grossen Liebesduett des zweiten Aufzugs sehr kollegial und für ihn selbst gewinnbringend zurück. In Tristans Fieberekstasen im dritten Akt verausgabt er sich dann aber dermassen, dass er das Orchester stellenweise übertönt – was bei Wagner eine Leistung, aber trotzdem falsch und ungesund für die Stimme ist. Verglichen mit Schagers viel differenzierterem Parsifal im vergangenen Jahr erscheint dieses Power-Singen wie ein Rückschritt.
Mit Christa Mayer ist die Magd Brangäne sehr stark besetzt, als eine Art Spiegel- und Komplementärfigur zu ihrer Herrin Isolde, auch stimmlich. Allerdings hat man die Bayreuth-erfahrene Sängerin schon textverständlicher gehört. Die nachlässige Deklamation ist bei allen Beteiligten ein Problem, ausser – ausgerechnet – für den Isländer Olafur Sigurdarson. Er zeigt als Kurwenal, wie es gehen kann, hat aber ebenso mit den exponierten Passagen seiner Partie zu kämpfen wie der Sänger des Königs Marke. Günther Groissböck bleibt hier mit monochromem Dröhnen und verengter Höhe deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Liebe, Tod, Schweigen
Das gilt leider auch für die Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson. Der Isländer kommt vom Schauspiel, hat aber offensichtlich wenig Erfahrung mit den grösseren Dimensionen einer Opernbühne. Vor einem weitgehend statischen, mit Kulissenteilen und bildungshuberischen Anspielungen – Romeo-und-Julia-Balkon, Caspar-David-Friedrich-Romantik – zugestellten Hintergrund (Bühne: Vytautas Narbutas) inszeniert Arnarsson das Liebesdrama sehr kleinteilig und eher konventionell als Kammerspiel.
Das ist bei dem Stück nicht verkehrt. Aber die reichlich herumstehenden Objekte werden kaum theatralisch belebt, in ihrem naiven Realismus findet die Regie keine Bilder für die alles entscheidenden metaphysischen Dimensionen dieser Oper. Für ein Werk, das viereinhalb Stunden lang vor allem Ungegenständliches verhandelt, in dem es mit höchster romantischer Emphase um Liebe, Tod, Schweigen, Erinnerung und Transzendenz geht, ist das entschieden zu wenig.
Christian Wildhagen | 26.07.2024
In der Rumpelkammer der Erinnerung
Auf dem Programm die Neuproduktion von „Tristan und Isolde“. In der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson, mit Semyon Bychkov am Pult und mit Andreas Schager und Camilla Nylund in den Titelpartien. Nun gilt Sport (siehe Paris) im Allgemeinen als irgendwie gesundheitsfördernd; „Tristan und Isolde“ aber potenziell als gesundheitsgefährdend. Zumindest hat Wagner selbst (im Nachhinein betrachtet ziemlich werbewirksam) „befürchtet“, dass eine wirklich gute „Tristan“-Aufführung die Leute verrückt machen würde und nur mittelmäßige die Rettung seien. Nimmt man den Meister mal beim Wort, dann geht von dieser Inszenierung keine Gefahr für die geistige Gesundheit der Zuschauer aus.
Ja-Aber-Produktion
Sie bietet große musikalische Momente, aber auch sehr lang erscheinende mittlere. Sie bietet große Bilder, aber auch jede Menge ziemlich zugestellte kleine Rätsel. Sie gibt den für sich genommen großartigen Interpreten viel Raum, um sich am authentischen Ort zu entfalten, aber kommt doch nur selten an das Verführungspotenzial dieser besonderen Liebesgeschichte heran. Der von den Machern erklärte Interpretationsansatz ist durchaus nachvollziehbar. Aber er erschließt sich weder wirklich als Theater, noch vermittelt er sich sozusagen gefühlt. Das Ganze ist das Musterbeispiel einer Ja-Aber-Produktion, bei der beim Vorhang zu – zumindest bei der ersten Begegnung – ein paar Fragen mehr offenbleiben, als es der immer noch prominentesten Opernpremiere im ganzen Land guttut.
Zum echten Aufreger wiederum fehlt der Inszenierung die Kraft. Natürlich ergibt es Sinn, die Vorgeschichte des Paares mitzudenken und zum Ausgangs- und Zielpunkt ihres denkbar großformatig komponierten Sehnens nacheinander zu machen. Sei es im Leben oder im Tod. Der kolportierte Kierkegaard-Gedanke vom Vorwärts leben und Rückwärts verstehen ist genauso verführerisch, wie Nietzsches Blick in den Abgrund, der dann irgendwann zurückblickt. So wird das metaphorische, riesige Brautkleid Isoldes, das sie in einem fort mit einer Feder beschreibt (keiner kann erkennen womit) zu einer Bild gewordenen Insel ihrer Erinnerungen. Vermutlich an die erste Begegnung mit Tristan, als er ihr als Mörder ihres Verlobten in die Hände gefallen war und sie die Chance hatte, ihn zu töten, ihm stattdessen aber viel zu tief in die Augen blickte. Wie in einer Therapie spielen die beiden diese Begegnung jetzt vor dem großen Liebesduett nach.
Raum: überkonkret und abstrakt
Überhaupt ist der alptraumhaft zwischen überkonkret und abstrakt changierende Raum, mit dem Vytautas Narbutas die riesige Bühne für den zweiten Aufzug gefüllt hat, eine Art Rumpelkammer der Erinnerungen. Im offenen Schiffsrumpf findet sich da von der Reisetruhe mit dem XXL-Brautkleid über ein Caspar-David-Friedrich-Bild, Säulen, Statuen, Maschinenteilen, bis zur Uhr, von denen viele meinen, dass sie aus Herheims „Parsifal“ stammen soll, alles, was sich in einem Theater-Fundus (und den Erinnerungen von Menschen) so ansammelt. Und wenn man Glück hat und lange genug aufmerksam hinschaut und -hört, findet man auch die Interpreten in diesem Wimmelbild im warmen Licht, das natürlich grell wird, wenn Melot und der König die dieses Mal lang wie selten erscheinende Liebesnacht abrupt beenden. Und Tristan (hier und in voller Absicht) das Gift schluckt, das ihm Isolde im ersten Aufzug aus der Hand geschlagen hatte. Dass Melot hier und auch im Dritten Aufzug zwischen den kärglichen Resten dieses Schiffsrumpfes der Erinnerungen mal nicht nur der primitive Intrigant ist, sondern offensichtlich selbst ein ambivalentes Verhältnis zu Tristan hat, gehört zu den interessanten Details, die in der sehr auf statisches Rumstehen und Ins-Publikum-Singen setzenden, eher mageren Personenregie fast untergeht. Auch, dass es am Ende kein Gemetzel gibt, Kurwenal erstarrt sitzen bleibt und alle wie ausgeschaltet wirken, ist eine der offenen Fragen, die man mit nach Hause nimmt.
Das Regieteam kassierte – fast möchte man sagen natürlich – dafür etliche Buhs. Der Versuch des Regisseurs, schnell die Sänger, quasi als Schutzschild wieder vor den Vorhang zu holen, wirkte da seltsam unsouverän. Mit dem sehr getragenen, mit Details liebevoll umgehenden, gleichwohl streckenweise erstaunlich gedehnten Dirigat von Semyon Bychkov hatte das Premierenpublikum hingegen ebenso wenig ein Problem, wie mit den Protagonisten. Die Tristanmusik bleibt in diesem Haus natürlich immer noch etwas ganz Besonderes, auch wenn die Ekstase des großen Wurfes sich dieses Mal nicht einstellen wollte. Andreas Schager ist natürlich ein phänomenal kraftvoller Tenor. Einer, dem man – um es positiv zu sagen – in Bayreuth beim Reifen zuschauen und -hören kann. Er kann auch gestaltete Piani und fügt sie ein, so wie man spürt, dass er sich auf seine Partnerin einstellen will und ihm das auch hin und wieder glückt. Dass er den dritten Aufzug durchstehen würde, war klar; dass er dabei aber hörbar ein paar mal über selbst für ihn existierende Grenzen geht, ist etwas, von dem man nur hoffen kann, dass er es in den folgenden Vorstellungen (und überhaupt) noch einzuhegen vermag. Camilla Nylunds Isolde klingt durchweg schön, blüht auf, fasziniert bis zu dem wirklich mild und leise ansetzenden Liebestod. In den Dimensionen des Festspielhauses hält sie der Wucht von Schager allerdings nicht immer stand. In Sachen Textverständlichkeit bleibt sie eh hinter der mustergültigen Brangäne von Christa Mayer deutlich zurück. Die Buhs für Günther Groissböck nach dem zweiten Aufzug waren zwar etwas übertrieben, aber seinem Auftritt als König Marke fehlte an diesem Abend tatsächlich einiges am Wohlartikulierten, das hier eigentlich üblich ist. Olafur Sigurdarsons Kurwenal ist Geschmacksache aber überzeugend präzise. Birger Radde als Melot, Matthew Newlin als junger Seemann und auch Daniel Jenz als Hirt und Lawson Anderson als Steuermann sind Grund zu Freude.
Joachim Lange | 26.07.2024
Sänger schlecht, Regie öde: Buhs für „Tristan und Isolde“
Erschreckende Sänger-Probleme und Regie-Leerlauf: Trotz viel schöner Musik war die Eröffnungspremiere der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele am Donnerstag eine Enttäuschung.
„Tristan und Isolde“ zeigt zwei Menschen mit ihrer todessehnsüchtigen Liebe auf dem Weg zum Ende, während sie von Erinnerungen erzählen und gegen widrige Umstände kämpfen. An sichtbarer Handlung passiert da über knapp vier Stunden wenig. Und das ist das Hauptproblem in der Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson bei seiner Arbeit in Bayreuth.
Auf einer meist halbdunklen Bühne (Entwurf: Vytautas Narbutas) in kaputten Schiffsresten und mit viel dekorativem Dachbodengerümpel stehen und sitzen ein paar Leute herum und singen. Immer wieder unterstützt Nebel die düstere Grundstimmung, begleitet von Beleuchtungseffekten für emotionale Momente wie Zweifel oder Liebe.
Inniger Kuss zwischen Tristan und Isolde
Doch die Darsteller spielen nicht miteinander. Bis auf einen innigen Kuss zwischen Tristan und Isolde sehen wir Figuren, die starr ins Publikum singen oder irgendwo verharren. Der Regisseur hat wenig Ideen, um glaubhafte, interessante Personen und Begegnungen zu schaffen.
Mit Andreas Schager als Tristan und Camilla Nylund als Isolde betrat ein erwartetes Traumpaar den Festspielhügel. Im ersten Aufzug gab es Hoffnung, weil Schagers kraftvoller Tenor und Nylunds wunderschöner Sopran zwei beeindruckende Stimmen sind.
Doch schon im zweiten Aufzug begannen sie, gesanglich zu scheitern. Vor allem im zentralen Liebesduett war Nylund zu schwach und Schager zu laut. So laut, dass seine Stimmpower jeden Charme verlor und zu unangenehmer Überwältigung geriet.
Im dritten Aufzug brachen ihm dann häufig Töne weg, teils sang er nicht, sondern brüllte. Die Fehler waren handwerklich und künstlerisch eines Weltstars nicht würdig. Die nächste Minderleistung erbrachte Bass Günther Groissböck als König Marke. Dessen Figur ist eigentlich ein kraftvoller Garant für Mitgefühl und Sicherheit im Stück. Doch Groissböck kämpfte mit Joe-Biden-Problemen: schwächlich, krächzend, unkonzentriert. Christa Mayer sang verlässlich ihre Brangäne, Ólafur Sigurdarson einen soliden Kurwenal.
Allein Dirigent Semyon Bychkov rettete den Abend. Er beherrschte das Orchester, schuf faszinierende Momente und überzeugte durch Energie. Allerdings sah er das Ganze in seinem versteckten Orchestergraben eher als großes symphonisches Werk und vergaß oft, dass er ja eigentlich Darsteller auf einer Bühne begleiten sollte.
Das Premierenpublikum klatschte laut, aber nicht lang, es gab Buhs für die Regie.
Philipp von Studnitz | 26.07.2024
Turteltauben im Nebel
Wenn sich der Protagonist im dritten Aufzug die Frage “Wo bin ich?” stellt, ist er damit nicht allein. So mancher Premierengast von Tristan und Isolde, der Neuproduktion dieses Bayreuther Sommers, weiß am Donnerstag mit dem Bühnenbild von Vytautas Narbutas wenig anzufangen. Tut Wagners Liebesheld seine letzten Atemzüge hier in einer Werft? Oder auf einer Art Müllplatz für maritime Abfallprodukte verschiedener Größe? Jedenfalls: Tristan verendet auf dieser Bühne inmitten eines Haufens von Steuerrädern, Galionsfiguren und rostiger Schiffsgerippe, als wäre er eines dieser nutzlos gewordenen Objekte, Isolde wird ihm wenig später folgen. Warum die beiden Liebenden nicht aufeinander, sondern einige Meter entfernt zum Liegen kommen, ist eines der Rätsel dieser Premiere. Allerdings nicht das störendste.
Thorleifur Örn Arnarsson, Isländer Jahrgang 1978, hat bereits Wagners Parsifal und Lohengrin zu Bildern verholfen – nun gibt er mit dem Tristan seinen Einstand in Bayreuth. Seine Grundidee ist simpel und setzt bei der Vorgeschichte der Handlung an. Wagner-Fans wissen: Bevor sich in dieser Oper der Vorhang hebt, passiert bereits allerhand. Tristan metzelt im Namen Cornwalls anfangs Isoldes Verlobten Morold nieder, verletzt sich im Kampf und lässt sich ausgerechnet von der Hinterbliebenen gesundpflegen. Die erkennt in dem angeblichen Herrn “Tantris” zwar den Killer ihres Partners, bringt einen Rachemord aber nach einem berückenden Blickwechsel mit ihrem siechen Pflegling nicht übers Herz.
Für Arnarsson ist bereits dies der Schlüsselmoment, in dem erstmals die Liebesfunken fliegen und die Protagonisten aus ihrem gewohnten Selbstverständnis kippen. Zwar schippert Tristan im ersten Akt noch Isolde übers Meer, um sie König Marke als Braut zuzuführen, fremdelt innerlich aber schon gewaltig mit seiner Rolle. Kein Wunder, dass unter diesen Vorgaben kein Liebestrank nötig ist, um die Titelfiguren zu vereinen. Es reicht, wenn sie im ersten Akt ihren Sehnsüchten nachgeben.
Singen, sitzen, stehen
Nur leider: Diese Seelenregungen vermitteln sich dem Blick nicht wirkungsstark. Das Bühnenbild zur anfänglichen Seefahrt beschert dem Auge wallende Bodennebel, gelbe Lichtschimmer, baumelnde Taue – aber kaum Bewegung. Tristan? Verbringt die meiste Zeit damit, verstockt im Hintergrund zu stehen. Isolde? Kritzelt obsessiv auf einem Brautkleid herum. Was darauf steht, bleibt im Festspielhaus ein Rätsel. Das manische Geschreibsel scheint jedenfalls einer Art Traumabewältigung zu dienen; Isoldes Furor beruhigt sich, wenn mit dem ersten Kuss Liebesharmonie Einzug hält. In der Folge kommt dann allerdings auch der Personenverkehr auf der Bühne weitgehend zum Erliegen: Während Tristan und Isolde auf ihre “Nacht der Liebe” zusingend den Standort gewechselt haben – wir befinden uns nun symbollastig in den Tiefen eines Schiffsbauchs –, stellt sich der Eindruck einer halbkonzertanten Aufführung ein, deren Personal in unauffälligen Kostümen (Sibylle Wallum) sitzt, singt oder steht.
Immerhin: Die Regie meldet sich nochmals mit einem Lebenszeichen zurück. Als König Marke den Liebesbetrug der beiden Turteltauben aufdeckt, stürzt sich Tristan nicht librettogemäß in ein Schwert. Die Todestür öffnet sich ihm hier ausnahmsweise durch einen Gifttrank, den Isolde als Sterbehilfe kredenzt. Ein findiger Einfall, und doch: Es ist an diesem Abend nur ein Tropfen auf einen heißen Stein namens Ideenarmut.
Überragender Schager
Gesungen wird dafür hochklassig, überragend von Andreas Schager: Der Mann, dessen Schalldruck wohl selbst Panzerglas durchschlagen könnte, erweist sich als Kraftzentrum des Abends. Wobei: Hätte dieser Tristan im dritten Akt etwas weniger mit seinen Energien geprasst, es wäre ihm ein prekärer Moment erspart geblieben. Camilla Nylund begeistert als Isolde – vor allem im ersten Operndrittel – mit einem eruptiven, glühenden Sopran; Günther Groissböck verleiht König Marke weitgehend seine gewohnte schneidige Bassdiktion. Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Christa Mayer (Brangäne) und Birger Radde (Melot) bürgen für wehrhafte Töne, Matthew Newlin (junger Seemann) steuert lyrische bei.
Und Semyon Bychkov? Der Dirigent hält das Festspielorchester zwar nicht durchwegs zu einem kristallklaren Sound an, steigert die Intensität aber von einem zarten Flüsterton ausgehend immer wieder leidenschaftlich und lässt dem Urelement dieser Partitur – einer ins Maßlose drängenden, wühlenden Sehnsucht – regelmäßig die Zügel schießen. Letztendlich Jubel für das Vokalensemble, ein Wechselbad aus Buhs und Bravos dagegen für die Regie.
Christoph Irrgeher | 26.07.2024
Rumpelkammer des Unbewussten
Eine Augenblickssache? Als Isolde in dem schwer verwundeten Fremden den Mörder ihres Verlobten Morold erkennt, will sie ihn töten – aber es kommt bekanntlich anders: “Er sah mir in die Augen”. Da ließ sie das Schwert wieder fallen. Das hat sich bereits vor dem Einsetzen der Opernhandlung abgespielt, als Tristan, am Gift von Morolds Schwert siechend, zielstrebig bei Isolde Rettung gesucht hat. Für das Regieteam um Thorleifur Örn Arnarsson und für den Dirigenten Semyon Bychkov bildet dieser Blick, von dem Isolde im ersten Aufzug ihrer Begleiterin Brangäne berichtet, den alles entscheidenden Auslöser für Wagners “Handlung in drei Aufzügen”. Aber was wird eigentlich ausgelöst? Liebe? Ein in diesem Kontext höchst komplizierter Begriff. Vielleicht (darauf zielt die Regie offenbar ab) die Vorstellung, in seiner eigentlichen Wesensart verstanden zu werden und sich gleichzeitig hingeben und damit ausliefern zu wollen. Sigmund Freud hat das später in der Kombination von Eros und Thanatos dargestellt.
Dieser Kipppunkt, auch wenn er in der Vergangenheit liegt, müsste freilich stärker inszeniert sein, er müsste an dieser Stelle von Isoldes Erzählung auf der Bühne greifbar werden und nicht nur im Programmheft oder in Einführungsvorträgen. Für Isoldes Zustand im ersten Aufzug, von Brautwerber Tristan zur Hochzeit mit König Marke verschifft, haben Bühnenbildner Vytautas Narbutas und Kostümbildnerin Sibylle Wallum eine ausdrucksstarke Form gefunden: Isolde trägt ein riesiges weißes Kleid, das sie wie eine Insel umgibt, das sie aber abwirft und wie ein verletzter Vogel – oder ein Engel mit gebrochenen Flügeln – dasteht. Das Kleid ist mit Wörtern übersät, als wolle sie ihr Leben hineinschreiben. Tristan legt nur ein Stück seines panzerartigen dunkelroten Anzugs ab, er öffnet sich weniger. Einen Liebestrank brauchen sie nicht, um sich nahe zu kommen, und bleiben einander doch so fern. Im zweiten Aufzug reden sie aneinander vorbei, die hehren Entwürfe passen nicht zueinander. Irgendwann gibt Isolde ihrem unter dem Einfluss Schopenhauers dozierenden Gegenüber eine schallende Ohrfeige. Eine merkwürdige Szene, denn die unpassende Geste gehört zum Vokabular des bürgerlichen Schwanks und wirkt in ihrer Banalität fehl am Platze. Hinzu kommt die bescheidene Textverständlichkeit bei fehlenden Übertiteln, zu denen sich die Festspiele nach wie vor nicht durchringen mögen (die aber hier, soweit man das Libretto nicht nahezu auswendig beherrscht, außerordentlich sinnvoll wären). Was genau mag Isolde so entzürnt haben, dass sie zu derart handgreiflichen Mitteln übergeht?
Tristan und Isolde bleiben monadisch isoliert. Das spiegelt sich auch indirekt im Gesang. Andreas Schager imponiert als Tristan einmal mehr mit einer Riesenstimme, bei der heldentenoraler Glanz von baritonaler Samtigkeit leicht grundiert wird, die nicht allzu schwer, aber keineswegs zu leicht klingt, beweglich bleibt, über ein mehr als akzeptables Piano verfügt, vor allem aber über schier unendliche Kraftreserven. Und die, sobald Schager ihr freien Lauf lässt, eben sehr laut wird. Camilla Nylund ist im Gegensatz dazu eine vergleichsweise lyrische Isolde ohne die hochdramatische Heroinenaura. Sie verfügt über ein betörendes Piano und Pianissimo (so mild und leise und doch intensiv gesungen hört man den Beginn des “Liebestods” ganz selten), das sie bruchlos und immer klangschön bis an die großen dramatischen Ausbrüche führt, die kontrolliert und klar fokussiert bleiben. Wenn sie aber mit Tristan die Nacht der Liebe besingt, dann ist Andreas Schager einfach deutlich lauter. Die Stimmen verschmelzen nicht, sie singen aneinander vorbei.
Wenn auch auf den Liebestrank verzichtet wird, ein Todestrank muss her: Den nimmt am Ende des zweiten Aufzug Tristan ein (Rivale Melot macht keinerlei Anstalten, Tristan zu töten), und Isolde im dritten. Allein aus Liebe stirbt es sich eben doch nicht. Der Selbstfindungsprozess, den beide durchlaufen, führt sie im zweiten und dritten Aufzug in tiefere Gefilde des Schiffes aus dem ersten Aufzug, wo sich bereits eine Bruchstelle auf dem Deck abzeichnete. Im Inneren befindet sich allerlei Gerümpel; Kunstwerke vergangener Zeiten, aber auch Getrieberäder und Rohrleitungen: Offenbar sind wir im Maschinenraum des individuellen wie des kulturellen Unterbewussten angekommen. Es bleibt allerdings unklar, ob die Ausstattung, auf den nüchternen Bühnenboden mehr gestapelt als arrangiert, bewusst antiillusionistisch gehalten ist oder das Regieteam schlicht die große Bühne nicht richtig in den Griff bekommt. Jedenfalls wird die Angelegenheit zunehmend unübersichtlich und nicht mehr allzu poetisch. Auch die Beleuchtung mit dem typisch gelben Natriumlicht, das früher gern für Straßenbeleuchtungen verwendet wurde, gibt sich wenig romantisch. Und zwischen all’ dem Plunder auf der Bühne geht das Personal zunehmend verloren, zumal die Personenregie konventionell und wenig ausgefeilt bleibt. Die Nebenfiguren werden in diesem Kontext, der fast alle äußere Handlung tilgt, zu Stichwortgebern degradiert. Das trifft am stärksten den König Marke, den Günther Groissböck fast liedhaft sonor anlegt und damit einen Gegensatz bildet zum kraftprotzend heldenbaritonalen Kurwenal von Olafur Sigurdson und der hochdramatischen (und an Furor der Isolde überlegenen) Christa Mayer als Brangäne. Matthew Newlin steuert einen sehr schönen, melancholisch-lyrischen jungen Seemann bei.
Vergrößerung in neuem FensterUnd auch hier ist es nicht leicht, das Liebespaar (vorne etwas links von der Mitte) am Ende des dritten Aufzugs zwischen Versatzstücken der Erinnerung zu entdecken.
Dirigent Semyon Bychkov sucht einen lyrisch strömenden Zugang mit immer wieder sehr langsamen Tempi, wobei dem Orchester keineswegs die Begleitung, sondern die eigentliche Erzählung übertragen ist. Die Musik richtet sich nicht nach dem Text, sondern bildet den entscheidenden Strom des Unterbewussten. Gerade Übergänge, die oft zu Bruchstellen werden, gelingen Bychkov sehr schön. Wagners “unendliche Melodie” reißt nie ab und füllt die Leerstellen der Inszenierung, was nicht das Schlechteste ist. Es fehlt nicht an Energie in den dramatischen Passagen, und die Sänger werden vom Orchester sanft getragen. Der Farbreichtum des auf bayreuthtypisch hohem Niveau spielenden Festspielorchesters hat man bei anderen Dirigenten noch stärker ausgeprägt erlebt. Aber alles in allem gelingt eine musikalisch großformatige Interpretation, an der das Premierenpublikum deutlich mehr Gefallen fand als an der mit einigen Unmutsbekundungen bedachten Regie.
FAZIT
Arnarssons psychologisierende, auf erzählerische Momente weitgehend verzichtende Regie verliert sich nach überzeugendem Beginn zunehmend in optisch unübersichtlicher Kleinteiligkeit. Musikalisch auf sehr gutem Niveau.
Stefan Schmöe | Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 25. Juli 2024
Antiquitäten-„Tristan“…
Nach dem sehr gelungenen „Interims“-„Tristan“ von Roland Schwab, den die Bayreuther Festspiele relativ kurzfristig als fast chorloses Stück in der Pandemie einschoben, um ihn bei möglichen Corona-Attacken auf den Chor alternativ spielen zu können, war manchem unklar, dass nach nur zwei Jahren eine weitere Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ stattfinden sollte. Die Verträge mit dem isländischen Regisseur und Bayreuth-Debutanten Thorleifur Örn Arnarsson waren allerdings schon länger vorher geschlossen. Umso gespannter war man nun, was da an einer möglichen neuen Lesart der „Handlung in drei Aufzügen“ kommen würde, und man wurde doch zu großen Teilen enttäuscht.
Örn Arnasson mit Bühnenbildner Vytautas Narbutas, Kostümbildnerin Sibylle Wallum, dem Licht von Sascha Zauner mit dramaturgischer Unterstützung von Andri Hardmeier stellt vor allem auf die Vergangenheit von Tristan und Isolde ab, auf ihre Vorgeschichte, die sich vor langer langer Zeit bereits einmal in einem kurzen glücklichen Momente kennen und damals schon lieben gelernt hätten, bzw. tatsächlich haben. „Er sah mir in die Augen…“ wird somit zum Keyword der Produktion, aus der Erzählung Isoldes an Brangäne aus dem 1. Aufzug über ihr erstes Zusammentreffen mit Tristan. Daraus folgt nun eine Optik und Dramaturgie, die stark rückwärtsgewandt ist.
Während im 1. Aufzug noch bisweilen recht langweiliges Stehtheater auf der Bayreuther Riesenbühne geboten wird, mit durchaus schlüssigen Assoziationen auf eine Schiffsüberfahrt mit dicken Tauen von der Decke, Bühnennebel und Wasserspielen, so blickt man im 2. Aufzug in einen verrosteten Schiffstorso mit einer Unzahl an Kulturelementen und -assoziationen fast jeder Art, ein regelrechtes Antiquitäten-Panoptikum. Da ist von alten Marmorstatuen aus der Römerzeit über dicke Bücher, Spiegel, Zahnräder, Lampen, Koffer und was immer man in alten und umsatzschwachen Antiquitäten-Läden so findet, dabei. Die beiden Protagonisten und später auch Marke wuseln nun in diesem Szenario herum, ohne dass man immer klar erkennen könnte, wo sie grade sind, zumal Leuchten im Schiffsrumpf Gegenlicht erzeugen. Die Rolle der drei Protagonisten wird damit eher heruntergefahren, als dass sie hervorgehoben wird, wie das Roland Schwab in seiner Inszenierung gemacht hatte und Örn Arnasson ja auch will. Die Handlung verflacht, meist singen Tristan und Isolde weit voneinander entfernt – sich nicht ansehend – vor sich hin. Personenregie, höchst bedeutsam in diesem unübersichtlichen Umfeld, ist eher Mangelware. Was gemacht wird, machen offensichtlich die Künstler weitgehend mit ihrer Erfahrung selbst. Das hatten wir schon im „Ring“ von Tankred Dorst.
Im 3. Aufzug ist der Schiffsrumpf auf kleine Teile geschrumpft. Tristan siecht auf einem nun zusammengeräumten Haufen von Antiquitäten vor sich hin, in den auch Kurwenal und Marke steigen müssen. Das an sich gute Regie-Konzept, auf die Vergangenheit der beide Liebenden und damit ihre Vorgeschichte abzustellen, versandet und bleibt gar unklar in der zu plakativen Darstellung von Vergangenheit symbolisierenden Antiquitäten – eine „dramaturgische Vergangenheitsbewältigung“ findet also nicht statt… Als das Regieteam relativ spät vor den grauen Schlussvorhang trat, gab es einen veritablen Buhsturm und stark abnehmenden Applaus. Einer wollte schnell die Sänger hinzuholen, was aber eine lange Weile dauerte…
Camilla Nylund sang und spielte einen einnehmende Isolde mit ihrem farbigen lyrisch-dramatischen Sopran. Sie steckt zunächst in einem Brautkleid, das sie fast bewegungsunfähig erscheinen lässt, voll mit Schriftzügen zu ihrem Schicksal als kommende Braut Markes und ewige Geliebte Tristans. Andreas Schager spielte und sang einen depressiven Tristan mit seinem gewohnt intensiven Charisma, alles gebend, was er hat, auch stimmlich, und das ist viel! Dennoch verfiel er ab der zweiten Strophe des 3. Aufzug wieder in zu lautes Singen, um es diplomatisch zu sagen, was kleinere Einbrüche derselben im Finale zur Folge hatte. Dennoch, er gab eine äußerst packende und einnehmende Interpretation des Tristan. Günther Groissböck sang einen enttäuschten Marke mit seinem klangvollen Bass und berückendem Spiel. Christa Mayer war eine erstklassige Brangäne mit vollem Mezzo und eindrücklicher Rollengestaltung. Olafur Sigurdarson sang den Kurwenal mit kräftiger Stimme, aber etwas holzschnittartig. Birger Radde war ein sängerisch und darstellerisch hervorragender Melot und hat sicher in Bayreuth und anderswo noch Größeres vor. Daniel Jenz als Hirt, Matthew Newlin als Junger Seemann und Lawson Anderson als Steuermann rundeten das Ensemble klangvoll ab.
Semyon Bychkov leitete das Festspielorchester im 1. Aufzug zu zurückhaltend, eher begleitend als Akzente setzend, was dann im 2. Aufzog besser wurde. Insgesamt aber fehlte bei seiner Interpretation eine deutlichere musikalische Sprache und Intensität, wie man sie hier von anderen Dirigenten gewohnt ist – eine Wahrnehmung allerdings aus der 30. Reihe. Der wie immer von Eberhard Friedrich geleitete Festspielchor war gewohnt gut und intensiv.
Eines muss man aber hervorheben. Es wird in diesem neuen „Tristan“ das Stück erzählt, es war zu jedem Moment wiederzuerkennen und weit weg von jeglicher regietheatralischer Verfremdung. Dieser „Tristan“ ist somit die erste Inszenierung am Grünen Hügel, neben dem nur pandemisch bedingten „Tristan“ von Roland Schwab, der nicht dem (zum Teil überzogenen) Regietheater zuzuordnen ist, wie zuletzt der „Ring“ von Valentin Schwarz und jener zuvor von Frank Castorf, der „Holländer“, der „Parsifal“, streckenweise auch der „Tannhäuser“. Wird damit am Grünen Hügel eine Phase der Rückkehr zu einem werkbezogeneren Inszenierungsstil, der die originären Ideen und Werkaussagen Richard Wagners wieder mehr in den Mittelpunkt rückt, eingeleitet?! Das wäre insbesondere im Hinblick auf das Jubliäumsjahr 2026 mit einem neuen „Ring“ sehr interessant.
Klaus Billand | 26.07.2024
A production by Þorleifur Örn Arnarsson (premiere)
Also available as telecast