Tristan und Isolde
Christian Thielemann | ||||||
Sächsischer Staatsopernchor Dresden Sächsische Staatskapelle Dresden | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Tristan | Klaus Florian Vogt |
Isolde | Camilla Nylund |
Brangäne | Tanja Ariane Baumgartner |
Kurwenal | Martin Gantner |
König Marke | Georg Zeppenfeld |
Melot | Sebastian Wartig |
Ein junger Seemann | Attilio Glaser |
Ein Hirt | Attilio Glaser |
Steuermann | Lawson Anderson |
HÖCHSTE WAGNERLUST
1995 feierte Marco Arturo Marellis Inszenierung von Richard Wagners Tristan und Isolde Premiere. Seitdem ist sie vermutlich schon genug besprochen worden, deshalb an dieser Stelle nur einige wenige Worte. Das Wichtigste zuerst: Im Großen und Ganzen funktioniert sie immer noch. Zum Glück für die Semperoper hat sich Marelli damals für ein zeitloses Regiekonzept entschieden, das mit abstrakten Bildern Tristan und Isoldes Rückzug von der Außenwelt eindrucksvoll in Szene setzt. Im würfelförmigen Bühnenbild geben sich die beiden hinter durchsichtigen Vorhängen ganz ihrer Liebe hin, die anderen Figuren können nur hilflos zusehen. Auch nach dreißig Jahren ist diese Interpretation noch schlüssig und Marellis Bühnenbilder sind noch ästhetisch ansprechend. Dagmar Niefind-Marellis Kostüme überzeugen auch immer noch. Sie harmonieren wunderbar mit der erzählten Handlung und den Figuren, die sie kleiden. Der Alterungsprozess setzt der Inszenierung an anderer Stelle zu: Von einer ausgefeilten Personenregie ist auf der Bühne nicht mehr allzu viel übrig. Teilweise müssen die Sänger in ihrer Gestik sogar auf die einfache wörtliche Illustration des Textes zurückgreifen und rutschen dabei visuell in die Nähe einer Flugbegleiterin, die gestenreich die Lage der Notausgänge erklärt. Auch an anderen Stellen kommt es zu unfreiwilliger Komik, wenn eine Figur gar zu planlos rumsteht. Das nimmt der eigentlich gelungenen Inszenierung dann doch etwas von ihrer Ernsthaftigkeit. Am Ende stört das alles aber nicht, denn, Marelli in Ehren, die Inszenierung ist wohl das Element, auf das an diesem Abend die wenigsten Zuschauer besonders achten. Viel spannender als die Regie sind nämlich die spektakulären Leistungen der Musiker.
Da ist zum Beispiel das Tristan-Debüt von Klaus Florian Vogt. Hätte der beim Schlussapplaus das Bedürfnis verspürt, laut „Bingo!“ in den Zuschauerraum zu rufen, man hätte es ihm verziehen. Denn mit dieser Vorstellung von Tristan und Isolde ist es vollbracht: Vogt hat nun alle großen Tenorpartien im Hauptwerk Richard Wagners debütiert. Ob sein helles Timbre zur Partie des Tristan passt, ist Geschmackssache. Daran, dass er der Partie gewachsen ist, gibt es keinen Zweifel. Vom ersten „Was ist, Isolde?“ an ist er voll präsent und überzeugt mit natürlicher Phrasierung und klarer Diktion. Letztere hat ihre Tücken, denn durch sie hört man, dass es beim Text noch etwas hapert: An einer Stelle macht Vogt sogar buchstäblich die Nacht zum Tag – nicht ganz unerheblich in einem Stück, bei dem es so sehr um die gegensätzlichen Konzepte von Tag und Nacht geht. Aber das ist Jammern auf ganz hohem Niveau. Schlichtweg wunderschön ist es, wenn Vogt in den Liebesduetten mit Isolde die Musikalität und Weichheit seiner Stimme voll ausspielen kann. Besonders beeindruckend ist der dritte Akt, wo Vogt mit der unglaublichen Wandlungsfähigkeit seiner Stimme imponiert, von Wahnsinn zu Liebesschmachten, von Seligkeit zu Wut. Ganz ohne Ermüdungserscheinungen ist dieser letzte Akt nicht, aber da Tristan an diesem Punkt sowieso im Sterben liegt, fällt das nicht weiter negativ auf. Insgesamt liefert Vogt eine Leistung, die selbst bei einem routinierten Tristansänger beeindruckend wäre. Bei einem Rollendebüt ist sie überwältigend.
An Vogts Seite singt Camilla Nylund eine überragende Isolde. Für sie ist es kein Rollendebüt, aber ihre erste Isolde in Zürich ist noch nicht allzu lang her. Und doch hat sie die Kunst, ihre Kräfte für die drei Akte des Werks einzuteilen, schon nahezu perfektioniert. Der dritte Akt klingt so frisch, als sei es der erste, ohne dass Nylund sich vorher hörbar schont. Von Anfang bis Ende singt sie voll aus, meistens fein melodisch, aber auch kraftvoll, wenn nötig. Bei Isoldes Fluch im ersten Akt etwa übertönt Nylund alles und jeden, und selbst in den höchsten Lagen bei der größten Lautstärke klingt ihre Stimme kein bisschen schrill, sondern immer noch schön. Ihr Sopran ist, wie Vogts Tenor, ein bisschen leichter, als man es von einer Sängerin ihres Fachs erwarten würde und sie profitiert davon: Eine so klare Melodieführung und so gute Textverständlichkeit hört man in Tristan und Isolde selten. Auch darstellerisch weiß Nylund zu überzeugen: Die nervöse, verbissene Isolde im ersten Akt nimmt man ihr genauso ab wie die fast kindliche, träumerische Verliebte im zweiten und die erhabene Liebesgöttin im dritten Akt.
Übrigens zeigen Vogt und Nylund nicht nur individuell hervorragende Leistungen. Im Laufe des Abends wird auch sehr deutlich, warum die beiden oftmals als das „Traumpaar vom Grünen Hügel“ bezeichnet werden. Duette singen die beiden immer ausgewogen und niemals gegeneinander. Niemals versucht sie ihn zu übertönen oder andersherum. Ihre Stimmen harmonieren fantastisch, sie entfalten sich ähnlich genug, dass sie zusammenklingen, und unterschiedlich genug, dass der Klang immer interessant bleibt. Und darstellerisch wirken die beiden in der ersten gemeinsamen Tristan-Vorstellung schon so gut aufeinander eingespielt, als hätten sie in ihrer bisherigen Karriere nichts anderes getan. Beim Schlussapplaus fallen die beiden sich vor lauter Freude über die geglückte Vorstellung und das gelungene Debüt Vogts erst einmal überschwänglich um den Hals – ohne jegliche Übertreibung ist das einer der schönsten Momente des Abends. Es bleibt zu hoffen, dass man dieses Duo noch sehr oft gemeinsam in Tristan und Isolde erleben darf.
Trotz der hervorragenden Protagonisten ist das sängerische Highlight des Abends aber Georg Zeppenfeld als König Marke. Beeindruckend sind zunächst seine gute Hörbarkeit und die exzellente Textverständlichkeit. Nahezu perfekte Phrasierung und Diktion lassen die Übertitel an seinen Gesangsstellen gänzlich überflüssig werden. Und auch inhaltlich überzeugt Zeppenfeld auf ganzer Linie. Sein Marke ist gleichzeitig autoritär und hochemotional, gebieterisch und zutiefst menschlich. Die langen Monologe Markes gestaltet Zeppenfeld auf intelligente Weise höchst abwechslungsreich. An keiner Stelle kommt Langeweile auf – was bei zehnminütigen Reden sonst durchaus passieren kann. Stattdessen will man weiter in die Gefühlswelt und die Verletzung des Königs mitgenommen werden. Bei allem Abwechslungsreichtum bleibt Zeppenfeld aber doch immer exakt beim Notentext, ohne auch nur ein Detail zu verschlucken.
Besonders hervorzuheben sind außerdem Martin Gantner als ein Kurwenal wie er im Buche steht, mit kernigem, dunklen Bariton, und Tanja Ariane Baumgartner, die, eingesprungen für die erkrankte Christa Mayer, eine auf ganzer Linie überzeugende Brangäne gibt. Sie begeistert mit angenehmem Vibrato, einem schönen dunklen Unterton und einer trotz der Kurzfristigkeit ihres Auftritts mit einer souveränen und durchdachten Darstellungsweise. Die Partien des jungen Seemann im ersten und des Hirten im dritten Akt übernimmt Attilio Glaser, der an der Deutschen Oper Berlin schon Lohengrin gesungen hat – eine Luxusbesetzung. Beide Partien klingen bei ihm auch dementsprechend weniger lyrisch als man es erwartet, sondern wesentlich reifer und dunkler. Erfrischend anders eben. Lawson Anderson als Steuermann rundet das Ensemble mit schönem, dunklen Bass ab.
Und um dem Abend die Krone aufzusetzen ist da noch Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der macht an diesem Abend sehr deutlich, warum er in vielen Kreisen unumstritten als derzeit bester Wagnerdirigent gilt. Sein Dirigat ist zügig, das hört man deutlich, und doch wirkt die Musik niemals gehetzt. Denn schon im Vorspiel wird klar, dass Thielemann genau weiß, wo er verweilen muss und wo er der Musik Raum geben muss, sich zu entfalten, damit sie wirkt. Zum Beispiel ist der berühmte Tristan-Akkord bei ihm stets recht schnell vorbei, aber umso mehr Zeit verwendet Thielemann auf die anschließenden Melodielinien und Wagners kluges Spiel mit der Harmonik. Das Klischee, das Wagners Musik wuchtig und dröhnend sei, räumt er ganz nebenbei aus dem Weg. Behutsam, fast schon zart, greift Thielemann die einzelnen Akkorde auf, gibt den sich darin abspielenden Emotionen Raum, ohne das Publikum akustisch zu überfallen. Nur wenn die Emotionen dramatisch hochkochen, vor allem im zweiten und dritten Akt, lässt er das Orchester mit ganzer Lautstärke spielen. Schnell, aber niemals plötzlich führt er die Musiker ins volle Fortissimo. Er schafft so Übergänge, die klingen wie aufblühende Blumen. Wahnsinnig beeindruckend und wahnsinnig schön. Was am meisten imponiert: Den ganzen Abend über zwingt Thielemann dem Zuschauer die hohe Emotionalität und die Erotik des Tristan niemals auf, und doch kann man sich der Musik nicht entziehen. Der Liebestod ist dann wieder ganz ruhig, leiser als gewöhnlich und wie über den Wirbel der vergangenen Stunden erhaben. Den vorletzten Ton lässt Thielemann fast schmerzhaft lange aushalten, als wolle er das Ende der Aufführung herauszögern. Das Publikum dürfte er dabei auf seiner Seite haben. Denn am schönsten wäre es, wenn dieser Tristan nie enden würde.
Adele Bernhard | Sempteroper 21.01.2024
Dresden’s Tristan und Isolde takes Wagner to a new level of excellence
Wagner saw his work as Gesamtkunstwerk, a unity of stage design, costumes, lighting, acting, music and singing; for all those component parts to be of equal importance and to merge into unified experience for the spectator. In all my experience as spectator, the performance of Tristan und Isolde at the Semperoper Dresden came closest to achieving this ideal, thus taking it to a new level.
This timeless production was created in 1995. The set consists of a simple cube, not in parallel with the ramp but with one of its angles pointing like an arrow at the conductor. While this cube is at first on an even plane it is subsequently raised at the back, creating a slope. The walls on the left and right side of the cube provide tall doorways of different widths. A gauze encircles the cube for Act II, falling to the ground when Tristan and Isolde are discovered by King Marke. The imaginative lighting design creates landscapes of slowly varying colours projected against the walls, the floor and the gauze. The characters wear flowing robes, which renders them statuesque.
The size of the stage, the height of the walls and the doorways within them, the colour projections and those statuesque characters fit the grandeur of the music as performed by the musicians and singers under Christian Thielemann’s conducting. The instruments in each section play at an exceptionally high level of unison, which allows the interplay of sections to come to the fore with striking clarity and this is mirrored somewhat by the interweaving of colours and the undulating costumes. Thielemann can create a sound that genuinely combines orchestral playing and singing. They no longer sound merely in parallel to each other, more or less arbitrary in their relations, with random moments when one can be heard more than the other or vice versa. Here the voices become part of the score, or the score becomes part of the singing – they become one. Thielemann leads his orchestra in such a subtle manner, the musicians are so alert, aware, open, and ready to do what he asks them to do at any point throughout the entire performance that a unique unity of music and human voice is created. My mode of experiencing time changed dramatically and I was entirely unaware of time passing: the conventional sequential unfolding of the impressions of sound and visual stimuli merged into one, transcending time.
Such an achievement is possible only on the basis of an exceptional level of rapport between musicians and conductor, combined with the presence of exceptional singers. For Camilla Nylund, this was the second production in which she sang Isolde – following her relatively recent debut in this role in Zürich in 2022 (review here). She now inhabits the character fully, both in terms of her acting and her singing, and is in full control and command of her voice, trusts it inherently, enjoys it, relishes it. Thielemann gives the music for her lines precisely the volume, depth and density it needs for music and voice to resonate as one. The rendering of Isolde’s Liebestod, ‘Mild und leise’, became, in its soaring lines of melody, both a natural summary and the inescapable climax of the opera, as never before.
Klaus Florian Vogt gave his role debut as Tristan in this performance. Many passages of the role have been described by critics and music theorists as difficult; they have indeed sounded like hard work for many notable tenors. When tenors manage to brave the difficulties without audible problems, comments on their performance would invariably relate to sturdiness or stamina. Those concepts and the related terminology do not do justice to Vogt’s Tristan. This debut comes at the right time for his voice which he has developed over the years with great and loving care. As a result, the voice allows Vogt to actually – and literally – ‘sing’ the part of Tristan, throughout, without any exception. The voice never sounds forced, pressed, squeezed, narrow or strained. He sings gently and lyrically where appropriate and there is vocal abandon when necessary. With ease – and in full control of his vibrato – Vogt joins the orchestra, leads the orchestra or even overrides the orchestra in the louder passages.
Thielemann gave Georg Zeppenfeld as King Marke the space he needed to bring out the best in his voice. Very nuanced and with keen awareness for phrasing, his rendering of Marke’s shades of sadness was very moving indeed. Martin Gantner took inspiration from the leads and trusted the music Wagner had composed for Kurwenal: the words are enough to show he is rougher in nature than Tristan and Gantner sang the music beautifully with a well-focused voice and so did not sacrifice any beauty to match his character. Tanja Ariane Baumgartner offered a Brangäne who was an independent woman, sung with a well-rounded, rich voice. Sebastian Wartig as Melot, Lawson Henderson as the Helmsman (both company members of the Semperoper) and Attilio Glaser (company member at Deutsche Oper Berlin, with a recent role debut as Lohengrin) as Shepherd and Young Sailor have strong voices in their own right and contributed well to a production that is exceptional overall.
Daniel Meyer-Dinkgräfe | Semperoper Dresden, 21.1.2024