Tristan und Isolde
Tristan | Ric Furman |
Isolde | Lena Kutzner |
Brangäne | Marlene Lichtenberg |
Kurwenal | Steffen Kubach |
König Marke | Rúni Brattaberg |
Melot | Noah Schaul |
Ein junger Seemann | Noah Schaul |
Ein Hirt | Noah Schaul |
Steuermann | Viktor Aksentijević |
Die Liebe ist für den bürgerlichen Menschen eine mitunter tödliche Droge
Haben wir es hier mit einem Liebestrank von begrenzter Wirkung zu tun? Isolde und Tristan jedenfalls nehmen vor ihrem großen Duett im zweiten Akt, das zugegeben sängerisch einiges abverlangt, eine weitere Dosis der offensichtlich stimulierenden Substanz. An der Liebe können und wollen wir uns bewusst berauschen, möchte Regisseur Stephen Lawless wohl sagen. Wobei über die Wirkmächtigkeit des Trankes ja seit eh und je gestritten wird. Eigentlich überflüssig und bestenfalls ein Katalysator für vorhandene Gefühle, meinen viele Regieteams. Lawless fragt gar nicht nach dem therapeutischen Nutzen des vermeintlichen Aphrodisiakums. Für ihn ist der Trank eher ein Symbol dafür, die bürgerlichen Konventionen aufzugeben und sich dem anderen ganz hinzugeben – mit dem Tod als letzte Konsequenz. Da ist es nur angemessen, selbigen feierlich aus einem goldenen Pokal zu trinken. Dieser Pokal steht später, effektvoll beleuchtet, im Zentrum der Bühne. Und der Todestrank? Den nimmt Isolde am Ende der Oper ein. Einen Liebestod stirbt man eben nicht einfach so.
Vergrößerung in neuem FensterSpannungsgeladene Schiffspassage im ersten Aufzug: Brangäne (auf der Treppe rechts) bittet Tristan (unten) zum Gespräch mit Isolde (links). Kurwenal (oben rechts) wird die ziemlich unhöfliche Antwort formulieren.
Die nicht in jedem Detail gelungene, aber insgesamt schlüssige Regie entmystifiziert das Liebespaar und verortet es im bürgerlichen Kontext. Dazu bedarf es allerdings nicht wie in manchen anderen Inszenierungen einer Luxuswohnung oder Yacht zur Dekonstruktion. Das Bühnenbild zeigt in allen drei Aufzügen das schmucklose Innere eines Schiffsrumpfs (Ausstattung: Frank Philipp Schlößmann). Ein letztendlich klaustrophobischer Raum, dem Tristan und Isolde nicht entkommen können. Und man kann natürlich ein Bild für das Leben als Reise oder als Passage zum Tod darin erahnen. Ab und zu wird das tosende Meer als Videoprojektion eingeblendet. Während des Orchestervorspiels zeigt Lawless kurz die Schlüsselszene der Vorgeschichte: Isolde nähert sich mit dem Schwert dem siechen Tristan, kann ihn aber nicht töten: “Er sah mir in die Augen”. Der schicksalhafte Blick müsste allerdings viel stärker visualisiert werden, um die Szene vor der Banalität zu retten. Was aber wichtig ist: Von da an geht ein Riss durch die Welt. Die Schiffshälften fahren ein Stück auseinander, Isolde auf der einen, Tristan auf der anderen Seite. Mit der Einnahme des Liebestranks schließt sich der Graben, mit der Entdeckung durch Marke reißt er wieder auf. Man kann den Ansatz als plump bezeichnen; aber er schafft klare Bilder. Wobei das im dritten Aufzug im Hintergrund in Form aufgetürmter Platten zitierte Eismeer von Caspar David Friedrich, romantisches Symbol menschlichen Scheiterns, handwerklich mehr Sorgfalt verdient hätte.
Brangäne im Business-Look, Marke im Anzug, Tristan ein wenig hemdsärmlig mit Fischerhemd und Hosenträgern – die Kostüme sind weitgehend heutig. Nur Isolde trägt ein einfaches, zeitloses Kleid, dessen Dunkelrot einen sanften Kontrast zur weitgehend nachtblauen Ausleuchtung bildet. Requisiten wie das Schwert oder Schrankkoffer aus dem 19. Jahrhundert, das sorgfältig gestaltete Kästchen mit den Zaubertränken und natürlich der erwähnte Pokal weisen auf verschiedene Schichten der Vergangenheit hin, ohne das Geschehen zeitlich festzulegen. Diese Offenheit bekommt der Inszenierung gut, denn sie gibt der zu erzählenden Geschichte Raum. Selten hört man eine Aufführung, bei der so genau der Wortgehalt mit seiner emotionalen Bedeutung ausgelotet wird. Das betrifft insbesondere den ersten Aufzug. Wie Lena Kutzner bei ihrem Rollendebut als Isolde mit feinen Nuancen von Ironie und Sarkasmus die erlittenen Verletzungen zum Ausdruck bringt, ist eine kleine Sensation. Die Stimme klingt jung und verfügt über ein schönes, intensives Piano, hat aber viel Kraft zur vokalen Attacke. Auch im Duett im zweiten Aufzug hört man erfreulich viel zurückgenommene Töne. Dem Liebestod fehlt es noch an Ausgewogenheit zwischen lyrischer und dramatischer Attitüde und an Entschlossenheit zur langen Phrase, aber alles in allem erlebt man hier ein faszinierendes Rollenportrait.
Vergrößerung in neuem FensterIn dieser Inszenierung ist der Liebestrank mehrfach täglich einzunehmen, so auch hier im zweiten Akt: Marke (rechts) hat auf Hinweis von Melot (unten) das Liebespaar überrascht. Brangäne und Kurwenal hatten das Unheil kommen sehen.
Dazu kommt die jugendliche Ausstrahlung. Diese Isolde besitzt noch viel von der Unbekümmertheit eines Teenagers, der sich nicht um Konventionen kümmert und entsprechend wenig Skrupel hat, mit dem Skandal zu drohen, sollte Tristan sich nicht auf den gemeinsamen Trank einlassen. Den singt Ric Furmann, für ihn ebenfalls ein Debut, mit nicht allzu schwerem, strahlendem, auch in der Höhe unanfechtbarem Tenor, der auch bei den leisen Tönen schön anspricht und zwar nicht unbedingt mit dem Sopran der Isolde verschmilzt, aber doch vergleichsweise gut harmoniert. Steffen Kubach als heldenbaritonal auftrumpfender, großformatiger Kurwenal und Marlene Lichtenberg als dramatisch zupackende Brangäne sind glänzende Besetzungen, denen gegenüber der sonore, aber in den exponierten Tönen wacklige König Marke von Rúni Brattaberg ein wenig abfällt. Ganz ausgezeichnet gesungen sind der Hirt und der junge Seemann von Noah Schaul (der auch noch den Melot übernimmt). Gerade das Lied des jungen Seemanns ist in jeder Phrase sorgsam durchgestaltet und gibt den Grundton vor: Es kommt nicht nur auf die großen Eruptionen an, sondern auf die Feinheiten im Detail. Dadurch erhält die Aufführung etwas sehr Menschliches.
Dass Wagners Musikdrama dabei nicht zu kurz kommt, dafür sorgt Stefan Vladar am Pult des sehr aufmerksamen Philharmonischen Orchesters Lübeck. Er gibt den Gesangslinien die nötige Zeit, lässt aber nie den Spannungsbogen abreißen. Hier gelingt das Kunststück, in manchen Passagen beinahe einen Konversationston zu erzeugen, ohne dass die Musik an Wucht verliert. Die Stimmen werden auch bei den großen orchestralen Ausbrüchen nicht zugedeckt. Der musikalische Aufbau ist genau geplant. Gerade dadurch, dass kein durchgehender musikalischer Rauschzustand vorgeführt wird, gewinnen die Höhepunkte an Kontur. Die Tempi sind flexibel; so beginnt das Vorspiel in großer Ruhe, um dann in einer großen Steigerung mehr und mehr an nervöser Energie (und an Tempo) aufzunehmen. Und auch den großen Steigerungen im zweiten Aufzug und in Tristans Fieberfantasien des Schlussakts bleibt das Orchester nichts schuldig.
FAZIT
Auch abseits der großen Metropolen kann man faszinierende, musikalisch hochrangige Wagner-Abende erleben: Stephen Lawless und Stefan Vladar heben mit einem famosen Ensemble in Tristan und Isolde das zutiefst Menschliche hervor, ohne das große Musikdrama zu vernachlässigen.
Stefan Schmöe | rezensierte Aufführung: 2. März 2025
„Ist es kein Traum?“ – Wagners „Tristan und Isolde“ triumphiert in Lübeck
Die Inszenierung lebt von den fast durchweg großartigen Solisten mit bei allen einwandfreier Textverständlichkeit, einer hingebungsvollen Personenregie und der vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter Leitung von GMD Stefan Vladar mit größter Verve, aber auch subtilem Gespür für die ganz zarten Töne gespielten Musik, die zwischen sattem Wagner-Rauschklang und kammermusikalischer Intimität changiert. Für diese hingebungsvolle Umsetzung der seelenvollen Partitur auf höchstem Niveau gibt es zu Beginn der Aufzüge Zwei und Drei schon zahlreiche Bravo-Rufe. Vladars erster „Tristan“ ist ein reifer, weil von detaillierter Kenntnis geprägt, und ein frischer, weil so unmittelbar und leidenschaftlich wiedergegeben.
Die „Isolde“ von Lena Kutzner als kometenhaft strahlend zu beschreiben, ist bedingungslos angemessen. Ihr Rollendebut gerät zu einem triumphalen Flug durch all die Emotionen von rasendem Zorn über heißestes Sehnen bis zur seligen Verklärung. Völlige, mühelose Sicherheit in den Höhen und ein phantastisch mitreißender Ausdruck prägen – unter anderem – diese Glanzleistung. Bei ihrem „Tod uns beiden!“ gefriert einem das Blut in den Adern. Bravissima, Lena – wann sehen wir dich in Bayreuth?
Ihr zur Seite in jeder Hinsicht steht, leidet und schmachtet Ric Furman, ein buchstäblicher Heldentenor. Auch für ihn ist es der erste „Tristan“, den er aber mit größter Selbstverständlichkeit mit klarer und leuchtender Stimme singt, vor allem aber darstellt. Der dritte Aufzug dieser Oper kann schon mal sehr lang werden und man leidet mit dem Helden beim mühevollen Warten auf das ersehnte Schiff. Furman aber gestaltet die Rolle des todkranken Tristan mit so viel glaubhaftem Schmerz, Sehnsucht und Hoffnung, dass vielen im Publikum aus Mitgefühl die Tränen kommen. Die beiden sind, das darf durchaus mal gesagt werden, auch optisch ein wunderschönes Paar.
Tristan ist nicht zu denken ohne seinen Getreuen Kurwenal, und Steffen Kubach verleiht dem unerschütterlichen Freund tiefmenschliche und denkbar nahe, anteilnehmende Gestalt. Kubach wird seit Jahren unterschätzt – natürlich ist er ein großartiger Komödiant, aber es ist endlich an der Zeit, ihm noch mehr von den ernsten Charakterrollen anzuvertrauen. Der Mann legt seinen ersten Kurwenal hin, als hätte er nie etwas anderes getan. Auf diesen Schultern lässt man sich gerne überallhin tragen.
Marlene Lichtenberg singt die Brangäne schon länger und macht die Vertraute Isoldes auch in Lübeck als ebenso standhafte wie mitfühlende Freundin erlebbar. Ihr wundervoll warmer, fülliger Mezzo eröffnet innige Anteilnahme und tiefes, freundschaftliches Mitgefühl. Die Szene, als sie, die Jacke über die Schulter geworfen, vor den beiden langsam in den Hintergrund entschwundenen Liebenden an der Bühnenkante entlanggeht, und ihr Mahnen sie nicht erreicht, ist von größter Schönheit – das ist tatsächlich ein bühnenbildnerisch wundervoller Einfall, und die Sängerin glänzt mit meisterhafter Grandezza.
Wiederum in einem Debut gleich in den Rollen Melots, des Hirten und des jungen Seemanns überzeugt Noah Schaul. Der junge Tenor gibt jeder Figur stimmlich und spielerisch glaubhaften Ausdruck, er zeigt, dass dies weit mehr als Nebenrollen sein können. Gerade sein Melot ist beängstigend fies.
Vor dem Beginn des zweiten Aufzugs wurde schon angesagt, dass Rúni Brattaberg beim Einsingen bemerkt hatte, dass er stimmlich angeschlagen sei und man Nachsicht üben möge. Sein Marke röhrte und gurgelte folgerichtig, wofür er am Ende anteilnehmenden Beifall erhielt. Hand aufs Herz, lieber Herr Brattaberg – ein erfahrener Sänger wie Sie merkt doch am Abend zuvor oder spätestens am Morgen der Aufführung, wenn man nicht auf der Höhe ist. Dann hätte die Leitung des Hauses rasch für Ersatz sorgen können. Der Bass hat sich, der Produktion und dem Publikum damit keinen Gefallen getan.
Viktor Aksentijević hat als Steuermann zwar kaum Text, aber auch der will klar und verständlich gesungen werden, ebenso, wie die Rufe der Seeleute und Krieger, die von den Herren des Chores und Extrachores des Theaters Lübeck unter Jan-Michael Krüger aus der Ferne schallen. Die Mannen Tristans und Markes agieren im dritten Aufzug wie bei einem indonesischen Schattenspiel im Hintergrund – eine stimmungsvolle, intelligente Lösung, ebenso wie die immer wieder von Andreas Beer auf die Schiffswand projizierten Meereswogen, Sinnbild der bewegten Seelen.
Das Ende des Dramas ist desillusionierend und in seiner eigenen Interpretation schlüssig. Tristan ist tot, ohne seine Geliebte nochmals in den Armen gehalten zu haben. Isolde ist der Realität entrückt und besingt ein Miteinander, das nie wirklich eine Chance hatte. Ob Liebestod, Verklärung oder nur Wahn – dieses Werk findet damit ein zu Herzen gehendes, sehnsüchtig-suchendes, leidvolles Ende. Bereits beim ersten Vorhang reißt es das komplette Publikum von den Sitzen und es gibt langanhaltenden, tosenden Beifall.
Dieser „Tristan“ ist für alle Liebhaber großer, meisterhaft umgesetzter Oper ein Muss! Wer jetzt nicht nach Lübeck fährt, hat wirklich etwas verpasst.
Dr. Andreas Ströbl | 3. Februar 2025
Lübeck’s new Tristan und Isolde is a resounding success
Two veteran freelancers, director Stephen Lawless and set and costume designer Frank Philip Schlössmann, collaborated as guest artists with the lead singers (also guest artists) and regular company members on this long-awaited new production of Tristan und Isolde in Lübeck. There were several debuts, for Ric Furman as Tristan, for Lena Kutzner as Isolde, for Noah Schaul as Melot, Shepherd and Young Sailor, as well as for the theatre’s General Music Director Stefan Vladar as conductor. They must have been nervous but it didn’t show, at least not until the joyous relief at the curtain call to standing ovations as the audience literally jumped to their feet after the final chords. For a smallish municipal theatre as is the one in Lübeck, mounting a Wagner production is a major endeavour, and the risks in assembling a team and cast for such a demanding work are considerable. Here, the effort paid off on a large scale.
Lawless and Schlössmann brought the plot to a large hold of a ship, with bulls’ eyes at the higher level and a staircase leading down to the ground from a door quite high up. Striking about this inner space, with rounded walls suggesting the shape of a ship. From the top of the ship’s frame to the floor and extending on the floor there was a gap that had the zigzag shape of a lightning stroke. One area was that of Isolde and Brangäne, the other that of Tristan and Kurwenal, with an armchair on each side. The space was predominantly lit with harsh light, emphasising the grey of the walls, but for the love duet in Act II, for example, the space was cast in warm red light. The gap, which initially could not be stepped across, closed for the union of Tristan and Isolde and separated again when they parted. When Marke discovered the lovers, he appeared from the middle of the newly formed gap. The story was thus told in a simple but poignant way.
The love potion brought about states of rapture in Tristan and Isolde, but isolated, each predominantly for him- or herself, not so much as unmediated togetherness. They stood together while drinking the potion, but then, as the potion took its effect, each ran off to their respective area and sank into their respective armchairs. During the love duet there was much movement of seeking to come together and never quite succeeding, always interrupted by countermovement away from each other. The subtleties of these encounters were well worked out, and equally subtle was Kurwenal’s unjudgmental incomprehension as to Tristan’s totally unexpected behaviour – he simply could not understand why Tristan would behave so strangely.
The debuts were very successful indeed. Ric Furman as Tristan impressed with a clean, radiant, focused sound. His vocal strength was considerable, not surprising if you listen to the cries of ‘Wälse!’ from Die Walküre on his website. Stamina and volume were similar to those of a young Andreas Schager, while not neglecting, indeed equally excelling at more gentle, soft, lyrical material, such as the love duet. Lena Kutzner was clearly aware of the placement and use of her voice, and breath, for every single moment of the evening. This allowed for an even presentation from beginning to end, with ringing top notes and a firm foundation in the lower register. The voice was mellow, without the sharp edges frequently heard from other good singers of this part, but well rounded, golden rather than silvery, at ease even in the most dramatic moments. Noah Schaul’s triple debut was also a success: his voice was bright and clear, and he managed to provide the three different parts (Melot, A Shepherd, Young Sailor) with different shades of singing. Long-standing company member Steffen Kubach was a very convincing Kurwenal. He sang the role very melodically, without the need to resort to shouting – in line with the role’s conception as an empathetic loyal companion rather than the macho character we get in some productions.
Guest artist Marlene Lichtenberg (Brangäne) had sung with the Lübeck company before; her voice was very beautiful, particularly in the lower register. Rúni Brattaberg had been a company member for some previous years. He was announced as having noticed unexpected problems with his voice while warming up; while he clearly struggled, and looked uncomfortable and apologetic because of it, in the few moments when his ‘real’ voice came through, it was obvious what a fine reading of King Marke we missed.
While Christian Thielemann’s rendering of the score excels through the finely chiselled detail, with many moments you think you have never heard before, conductor Stefan Vladar stood out to me for the awareness of, and bringing out, the flow of the music overall, the arcs, the high and low tides, the broad rhythm rather than the minute detail. Conducted in this way, the waves intermittently projected onto the walls of the ship became even more meaningful.
Daniel Meyer-Dinkgräfe | 09/02/2025