Das Rheingold

Wolfgang Bozic
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Date/Location
14 November 2009
Staatsoper Hannover
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Wotan Renatus Mészár [singing]
Tobias Schabel [acting]
Donner Jin-Ho Yoo
Froh Young-Hoon Heo
Loge Robert Künzli
Fasolt Albert Pesendorfer
Fafner Young Myoung Kwon
Alberich Stefan Adam
Mime Torsten Hofmann
Fricka Khatuna Mikaberidze
Freia Arantxa Armentia
Erda Okka von der Damerau
Woglinde Nicole Chevalier
Wellgunde Julia Faylenbogen
Floßhilde Mareike Morr
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Reviews
Online Musik Magazin

Wotan in Badehose

18 Jahre nach der letzten „Rheingold“-Premiere startet die Staatsoper Hannover eine Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“. Als Regisseur konnte Barrie Kosky verpflichtet werden, der in Hannover mit seiner großartigen Inszenierung des „Peter Grimes“ in der vorletzten Spielzeit eine Visitenkarte abgegeben hat, die zu den größten Hoffnungen auf seine „Ring“-Interpretation berechtigt. Und auch wenn „Ring“-Inszenierungen in unseren Landen keine Seltenheit sind, bedeuten sie doch immer wieder eine besondere Herausforderung für das Haus und eine große Spannung für das Publikum.

Barrie Koskys große Stärke ist die Personenregie. Mit unzähligen Details charakterisiert und vertieft er, stellt Verbindungen her oder zeigt Gegensätze auf. Nicht zuletzt dadurch erscheinen die Personen so lebendig, so natürlich, so menschlich. Kosky beherrscht sein Handwerk meisterlich und ist damit ein Mann des echten Musiktheaters. Hand in Hand mit Bühnenbildner Klaus Grünberg und Kostümbildner Klaus Bruns hat er ein ausgesprochen kurzweiliges „Rheingold“ erarbeitet, das vor Spannung geradezu knistert und neugierig auf den Rest des Nibelungen-Zyklus macht.

Ganz besonderes Augenmerk legt der Regisseur auf Alberichs Charakterisierung, der unbestritten die Hauptfigur im „Rheingold“ ist. Nicht umsonst nannte Wagner seine Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Kosky beleuchtet explizit das Innenleben, die Ängste, Komplexe, Sehnsüchte und psychischen Störungen des benachteiligten Zwerges, der den Weltuntergang ins Rollen bringt.

Die erste Szene beginnt neckisch: Die Rheintöchter singen ihre ersten Töne durch einen Spalt im Vorhang, der, sich öffnend, den Blick auf eine Revuebühne der 20er Jahre freigibt. Girls betanzen in aufwändiger Choreographie eine Revuetreppe und lassen mit den fließenden und zitternden Bewegungen ihrer weißen Straußenfedern den Rhein assoziieren, als deren Darstellerinnen sie im Programmheft ausgewiesen sind. (Da drängt sich der Gedanke auf, ob dann im zweiten Bild ein Marika-Rökk-Verschnitt als keifende Fricka auftaucht).

Alberich ist ein Variete-Clown, ein Weißer, der sich als Schwarzer geschminkt und Schläfenlocken angeklebt hat – eine Kostümierung, die in den zwanziger Jahren sehr beliebt war. Doch als er sich von den Rheintöchtern verschmäht sieht, wischt er sich die Farbe aus dem Gesicht, hofft auf eine positive Wendung und zeigt sich doch nur als schmieriger Proll.

Die Darstellung des Rheingolds lässt unweigerlich an das sprichwörtlich Goldene der Zwanziger denken: Eine fast nackte, goldene junge Frau. Sie wird von Alberich geraubt, der sie in einen gewöhnlichen Karton packt und diesen ordentlich mit Klebeband verschließt. So kann man auch der Minne entsagen. Und damit bleibt der Regisseur einem Leitmotiv seiner Inszenierungen treu: Kein Kosky ohne Kisten.

Mit der zweiten Szene machen wir einen Zeitsprung ins Heute. Ein eher beengter Kasten aus schwarzem Plexiglas ist die Spielfläche, deren Boden ein unebener Felsen bildet, auf dem Götter und Riesen umständlich und vorsichtig (und bemitleidenswert) herumsteigen. (Vielleicht sollte man Wetten abschließen, wann die erste Ansage wegen einer Fußverletzung kommt). Bewegen sie sich auf unsicherem Terrain? Auf jeden Fall scheinen sich die Götter ihren Umzugsstress mit einem Badeurlaub zu versüßen. Wotan in Badehose – „wann ward es erlebt“?! Doch dieser Strahlemann mit wohlgeformtem Body und Dandylächeln ist ein knallharter Geschäftsmann, der die Siamesischen Bauunternehmer-Zwillinge ordentlich übers Ohr hauen will. Doch die sind nicht nur körperlich miteinander verbunden. Sie planen ihren Coup flüsternd genau, bevor ihn Fasolt mit „Hör’, Wotan, der Harrenden Wort!“ dem Götterchef und Bauherrn vorschlägt.

Nibelheim ist ein Laboratorium in dem Alberich Gold im weitesten Sinne hortet und veredeln lässt. Einerseits als Schmuck in – wie sollte es anders sein – Kartons bzw. Kisten und andererseits findet sich in einer Art Brutkasten mit Überwachungsmonitor und Versorgungsschlauch ein deutlich atmendes, grausam verstümmeltes Wesen. Im Safe bewahrt Mime den Karton auf, in dem Alberich das Rheingold verstaut hat – aber er holt dort auch ein Stück goldenen Stoffs hervor, das er mit der Nähmaschine bearbeitet. Da drängt sich die gedankliche Verbindung zum „Schweigen der Lämmer“ auf. Hat Alberich die Rheingold-Frau gehäutet und lässt sich aus ihrer Haut eine neue, goldene Hülle für sich schaffen? Fähig dazu wäre er. Im Gespräch mit Wotan und Loge zeigen sich Anzeichen von Neurosen, ja Wahnsinn. Der Zwerg dreht durch ohne Liebe, wird zum Psychopathen. Das ist einer der ganz genialen Momente dieser Produktion.

Doch dann kippt sich der Regisseur Wasser in den Wein. Zu Alberichs Verwandlung in (eigentlich) einen Riesenwurm taucht ein Dutzend Doubles im Clownkostüm des ersten Bildes auf und masturbiert mit fast schon brutalen Bewegungen. Alberichs Verwandlungsworte mögen oberflächlich Assoziationen wecken. „Riesenwurm….“ mag als phallische Übertragung ja noch funktionieren, aber „winde sich ringelnd“ – ?!?! Auch über die Notwendigkeit Mime mit Kippa und Schläfenlocken (wie auch Alberich im ersten Bild) auszustatten lässt sich streiten. Der Hinweis auf Wagners Antisemitismus und das Einfließen desselben in die Gestaltung der Figuren der Zwerge bringt uns auf dem Weg zur Götterdämmerung keine neuen Erkenntnisse.

Einer der eindrucksvollsten Momente im letzten Bild ist der Auftritt Erdas. Die Stimme kommt aus dem Off, die Erscheinung auf der Bühne ist eine sehr alte nackte Frau mit ausgemergeltem Körper und langen, wirren weißen Haaren, die unsicher und vorsichtig über den unwegsamen Felsen auf Wotan zugeht. Ein Bild das bewegt und erschüttert, berührt und erschreckt, das eine Grenze überschreitet, sie aber doch nicht verletzt. Eher verzweifelnd flehend als eindringlich mahnend beschwört die Urmutter den Dandy-Gott. Dass die beiden in den nächsten Tagen 9 Walküren zeugen werden, kann man sich dagegen so gar nicht vorstellen.

Wotan hört auf die Warnung und wirft den Ring in den Karton (kein Kosky ohne….) in dem Freia mit Schmuck überdeckt wird und aus dem sie wie eine Mumie aufsteigt. Fafner tötet Fasolt indem er den gemeinsamen Körper zerreist. Diese Trennung der siamesischen Zwillinge überlebt der Bruder nicht. Das ist auch medizinisch häufig der Fall.

Donner und Froh servieren Champagner, Loge lässt sich zu einem Bauchtanz hinreißen und Freia stiftet zum Einzug eine Torte in Burgform – und damit nimmt Walhall hier zum ersten Mal sichtbare Gestalt an. Besteht die Füllung aus Äpfeln? Doch lässt es sich dann nicht erklären warum Wotan und Fricka figurbewusst die Schlemmerei dankend ablehnen und Loge am Schluss ein Stück isst (von dem er das meiste allerdings verkleckert). Vielleicht ist mir da bei der Fülle der Aktionen beim Zuschauen auch einfach etwas entgangen. Die Götter gehen ab – wohl in die Richtung in der Walhall zu vermuten ist – und nachdem er dem toten Fasolt ein Champagnerglas in die Hand gedrückt hat, verlässt auch Loge tänzelnd die Bühne.

Unzählige Details ließen sich noch erwähnen, erhellende und verwirrende, begeisternde und ärgerliche. Vieles erkennt man sicher auch erst beim zweiten oder dritten Anschauen der Produktion. Nur noch einige Beispiele: die vielen Hüte, die Mime angefertigt hat, denen er aber doch keinen Tarnhelmzauber verleihen konnte, Alberichs ausdrucksstarke T-shirts, sein fast liebevolles – an Gollum aus dem „Herrn der Ringe“ erinnerndes – Verhältnis zum Ring. In Abendkleidung mit Champagner werden die „Ring“-Protagonisten in anderen Inszenierungen gern am Ende der „Götterdämmerung“ dargestellt. Doch bis dahin ist es noch ein langer und weiter Weg. Man darf gespannt sein – sehr gespannt.

Gesungen wird in Hannover auf recht hohem Niveau – gestaltet auf noch höherem. Und da ist an erster Stelle Stefan Adam als Alberich zu nennen. Ein begnadeter Sängerdarsteller, der sowohl gesanglich als auch darstellerisch ein faszinierendes und beklemmendes Charakterbild des Alberich zeichnet. Auf der Grundlage seines satten und volltönenden Basses verdeutlicht er in unzähligen Stimmfärbungen und Ausdruckvarianten die Vielschichtigkeit der Gefühlsebenen durch sie sich der immer mehr verzweifelnde Nibelung bewegt, mal kraftvoll, mal brüchig, mal verzweifelt, dann wieder bitter, wütend oder giftig.

Tobias Schabel konnte wegen einer Luftröhrenentzündung am Premierenabend nicht singen, spielte den Wotan aber eindrucksvoll stumm, während Renatus Mészár (der am gleichen Tag erst aus Weimar angereist war) dem Obergott die Stimme lieh. Und was für eine Stimme! Sehr differenziert und wohldurchdacht gestaltet er die Partie – und sein Bass klingt angemessen edel-voluminös vom ersten bis zum letzten Ton. Als zweiter Einspringer hinterlässt Torsten Hofmann als Mime einen exzellenten Eindruck. Robert Künzli hat es nicht leicht die großen Fußstapfen seiner Vorgänger auszufüllen. Einerseits hatte der Regisseur bei der Charakterisierung des Loge nicht das allerglücklichste Händchen und andererseits bleibt Künzli dieser Partie auch stimmlich einiges schuldig. Da fehlt der schneidend helle Glanz, die intellektuelle Ironie, die Leichtigkeit des Gesangs mit der der Feuergott intrigierend tätig wird.

Mit wunderbar metallischem Glanz singt Young-Hoon Heo den Froh, Jin-Ho Yoo ist ein angemessen kraftvoll klingender Donner. Arantxa Armentia muss als Freia regiegewollt immer mal wieder unschön kreischen. Das ändert aber nichts am Liebreiz, den ihre Stimme auch verströmen kann. Khatuna Mikaberidze hält sich als Fricka eher etwas bedeckt und Okka von der Damerau lässt als Erda (leider aus dem Off) einen wundervoll balsamischen Alt strömen, in dem man baden möchte. Albert Pesendorfer lässt als Fafner seinen großartig-gewaltigen Bass angemessen riesenhaft dröhnen. Als sein Bruder Fafner fällt Young Myoung Kwon dagegen vom Stimmvolumen her deutlich ab, nicht aber von der Gestaltung der Partie. Nicole Chevalier (Woglinde), Julia Faylenbogen (Wellgunde) und Mareike Morr (Floßhilde) singen die Rheintöchter sehr individuell differenziert, bilden aber keinen wirklich homogenen Zusammenklang.

Wolfgang Bozic hält mit seinem dynamischen Dirigat sowohl den musikalischen Fluss als auch die musikalische Spannung in festen Händen. In großen Bögen lässt er den Sog der Musik entstehen, bleibt dabei aber immer umsichtig und sängerfreundlich. Dabei folgt ihm das Staatsorchester gern, allerdings nicht ohne den wagnerschen Klangteppich mit partiturfremden Tönen zu variieren.

FAZIT
Insgesamt ist mein Eindruck sehr zwiespältig, Ich kann es nicht wirklich schlucken, will es aber auch auf keinen Fall ausspeien. Die erste Szene liegt mir zu nah an einer (allerdings sehr guten) Parodie. Aber auf jeden Fall ist immer was los auf der Bühne, es wird keinen Moment langweilig, es bleibt immer spannendes und lebendiges Musiktheater mit genialen Ideen – aber eben auch mit fraglichen Momenten.

Eine Richtung für die weiteren „Ring“-Teile lässt sich aus diesem „Rheingold“ nicht erkennen. Das erhält die Spannung.

Bernd Stopka | Premiere in der Staatsoper Hannover am 14. November 2009

Wiener Zeitung

Rheingold im Pappkarton

Mit Wagners “Lohengrin” ist Barrie Kosky an der Wiener Staatsoper ja ziemlich ins Stolpern geraten. In Berlin kommt seine lustvoll verspielte Aufmischerei besser an. Dort wird er sogar Andreas Homoki als Intendant der Komischen Oper beerben. In Hannover nun hat man dem Australier nach einem ziemlich überzeugenden Janáèek- “Totenhaus” gleich den ganzen “Ring” anvertraut.

Den Göttern in seinem “Rheingold” verordnete er heuer gleich selbst eine zerklüftete, ziemlich lauf-unpraktische Felsenklippe in Klaus Grünbergs Bühnenkasten. Der schwebt etwas losgelöst in einem metaphorischen, bislang aber auch intellektuellen Dunkel. Wenn das der Urlaubsort dieser Familie war, dann sind sie jedenfalls ganz schön angeschmiert worden. Und die neue Behausung kriegen wir lediglich als ein Torten-Modell wie vom Demel zu sehen. Zum Einzug hatten diese Freizeitgötter dann immerhin ihre lockere Bademode mit einer halbwegs vorzeigbaren Abendgarderobe vertauscht und sich ein Gläschen Schampus genehmigt.

Dabei war der Auftakt auf der Bühne, ganz im Gegensatz zum Graben, geglückt: den Raub des Rheingoldes gibt es hier als eine flott gemachte Revue im Ufa-Stil. Der Rhein zeigt dabei jede Menge (Frauen-)Bein auf der Showtreppe und wogt und wellt mit weißen Riesenfedern.

Sex und Klischee

Aus ihrer Mitte raubt ein als Klischee-Bühnen-Neger angemalter Alberich eine gülden angemalte weibliche Schönheit namens Rheingold. Er verfrachtet sie dann aber in einen der schnöden Pappkartons, in denen die Nibelungen später allen möglichen Plunder anschleppen, um Freia auszulösen.

Produziert haben sie das Modeschmuck-Zeug in einem Nibelheim, das aus allen finsteren Industrie-Nachtseiten-Klischees zusammengewürfelt ist. Dort wird ein Mime mit Kippa regelrecht vergewaltigt und der Riesenwurm als Masturbationsfantasie einer Horde von Alberich-Doubel im Lichtzerhacker eher verramscht. Erdas wankender Auftritt als nackte Greisin ist zwar für sich genommen eindrucksvoll, verbannt aber die Sängerin der großen Warnung vor dem Ende ins Off. Nicht nur da misstraut Kosky dem gesungenen Wort allzu sehr. Seinen Alberich (Stefan Adam) treibt er mit schnaufendem Überdruckspiel fast völlig aus der Rolle.

Auch sonst ist das vokale Niveau eher mittelprächtig; Renatus Mészár als Einspringer Wotan solide, Robert Künzlis Loge wendig.

Die eigentliche Enttäuschung ist jedoch das Orchester unter Wolfgang Bozic. Die Anfangspatzer der Bläser leiteten einen Abend ein, der unausgeglichen blieb und vor allem zwischen diffus und überlaut changierte. Dafür musste er denn auch kräftige Buhs einstecken. Nun ist “Das Rheingold” ja zum Glück nicht aller “Ring”-Tage Abend.

Joachim Lange | 16.11.2009

Tagesspiegel

Unter Sonnenölgötzen

So viele Töchter hatte der Rhein noch nie: Wo Richard Wagner sich in seinem „Rheingold“ mit drei Nixen begnügte, reicht die Zeugungskraft des deutschen Urstroms knapp 150 Jahre später für eine ganze Girlreihe. Mit knappen Korsagen und Straußenferfächern sorgen die Mädels für einen spektakulären Auftakt zum neuen „Ring des Nibelungen“ an Hannovers Staatsoper. Der Fluss als Revuetheater – nicht anders als zuletzt bei seinem Berliner „Rigoletto“ startet Barrie Kosky auch diesmal wieder mit einem Überraschungscoup, und hier wie dort hat er sich von der Sphäre des Varietés inspirieren lassen.

Der Australier, der ab 2012 die Komische Oper leiten wird, entwickelt sich langsam zum Paillettenmann des deutschen Regietheaters, und tatsächlich taugt die Unterhaltungsmaschinerie der Revue oft erstaunlich gut als Kontrastfolie zu den einfachen, großen Gefühlen der Oper. Zumindest, wenn man dabei so genau zu Werke geht wie Kosky, der seine Rheingirls nicht nur in einer strengen Choreografie den Wellenschlägen der Partitur unterordnet, sondern auch zum richtigen Zeitpunkt klar macht, wo der Spaß aufhört. Nachdem Alberich, der in dieser Show den dicklippigen Varieténeger gibt, bei allen Mädels abgeblitzt ist, steigt er aus Spiel und Kostüm aus. Man nimmt diesem Nibelungen den Hass auf die Welt des schönen Scheins ab, die ihn nur zum Narren gehalten hat.

Denn nichts anderes ist für Kosky letztlich dieses Rheingold. Nicht Geld oder Wertpapiere sind bei ihm der Gegenstand des unheilbringenden Gierens von Göttern, Menschen und Zwergen, sondern allein der schöne Schein. Eine nackte, golden bemalte Nymphe ist dieser Schatz, den der Zwerg Alberich raubt und deren bei lebendigem Leibe abgezogene Haut Mime später in seiner Fabrik zum Sound des rastlos in den Streichern puckernden Nibelungen-Motivs an seiner Nähmaschine zu kostbaren Stoffen verarbeiten muss.

Eine ebenso einfache wie überzeugende Idee: Einmal, weil sie das Rheingold und seine Derivate nicht bloß als Übel, sondern auch als Faszinosum erscheinen lässt. Und zum anderen, weil ja tatsächlich nichts mehr Macht über die Menschen verschafft als die Fähigkeit, ihre Träume zu beherrschen. Selbst die Götter geraten in den Sog dieser Träume, deren Unerfüllbarkeit sie aus ihrer Zufriedenheit reißt. Als harmlose Badegäste zeigt Kosky zunächst Wotan und seine Sippe: Im ewigen Heute eines Ferienüberall dösen sie auf ihren Klippen dahin. Gleichnishaft scheinen die schwarzglänzenden Wände der engen Box, in die sie Koskys Bühnenbildner Klaus Grünberg gesperrt hat, dieses leere Leben ohne Horizont und Perspektive zu spiegeln, in das lediglich der schmierige Entertainer Loge ein bisschen schale Abwechselung bringt. Erst die Kunde vom Gold ist es, die bei diesen Sonnenölgötzen die Sehnsucht nach etwas anderem weckt.

Dass die Götter in Hannover nicht besonders majestätisch daherkommen, sondern eher wie eine Durchschnittsfamilie, erstaunt zunächst. Man ist, von den unermüdlichen Deutungsversuchen an deutschen Opernhäusern, die oft immer noch im Fahrwasser von Chéreaus 1976er Bayreuth-„Ring“ segeln, noch immer die Gleichsetzungen der Wotanssippe mit den Mächtigen von gestern oder heute gewohnt. Und doch wirkt es eher wie ein Befreiungsschlag, dass Kosky Wagners Mythos von solchen erschöpften Analogien ebenso befreit wie von etlichen Requisiten: Dieser Wotan braucht keinen Speer mehr und dieses „Rheingold“ kein Walhall. Am Ende entlässt der Regisseur Fricka, Froh und Co einfach in das gleiche schwarze Nichts der Bewusstlosigkeit, aus dem sie auch gekommen waren. Mit dem Gold sind ihnen auch die Träume wieder abhandengekommen.

Nach Brittens „Peter Grimes“ und Janaceks „Totenhaus“ kann Kosky mit dem „Rheingold“ seinen dritten Erfolg in Hannover einfahren. Dazu trägt sicher bei, dass Hausherr Michael Klügl in den letzten Jahren ein starkes Ensemble aufgebaut hat: Mit Robert Künzli besitzt er eine Tenor-Trumpfkarte, die auch als Loge sticht, mit Khatuna Mikaberize eine Fricka mit starkem vokalen Sexappeal, mit Stefan Adam einen gallespeienden Vulkan von Alberich und mit Tobias Schabel einen spielstarken Bassbariton (der den Wotan allerdings krankheitsbedingt nur darstellen konnte und vom satt auftrumpfenden Renatus Meszar gedoubelt wurde) – eine Liste, die sich bis hin zu den quellfrischen Rheintöchtern fortsetzen ließe. Buhs bekam allein Wolfgang Bozic: Dabei ist das unpathetisch klarsichtige Wagner-Bild von Hannovers Chefdirigent, das der Partitur gewissermaßen die Haut abzieht und ihre Sehnen und Knochen zeigt, nur die Konsequenz der Szene. Denn wo Träume gemacht werden, bleibt kein Platz mehr zum Träumen.

JÖRG KÖNIGSDORF | 16.11.2009

Frankfurter Rundschau

Die Freizeit-Götter

Sein Verhältnis zu Wagner sei kompliziert und ungelöst, hatte Barrie Kosky im Spielzeitmagazin der Staatsoper Hannover zu Protokoll gegeben. Stimmt, könnte man nach seinem “Rheingold” sagen. Leider, müsste man anfügen. Nun ist das Rheingold ja nur der Vorabend und macht von der Dauer nicht mal ein Viertel der Tetralogie aus. Es ist also längst nicht aller Ring-Tage Abend.

In Hannover setzt man – wie u.a. gerade in Wien, Hamburg und demnächst auch in Frankfurt – auf eine Ring-Handschrift. Anders in Essen. Dort folgt die Aalto-Oper der einst in Stuttgart exemplarisch gelungenen Pars-pro-toto Methode, bei der vier Regisseure die Perspektiven ihrer Teil-Interpretation frei wählen können. Auch da ist Kosky mit einer “Götterdämmerung” dabei.

In Hannover aber bleibt “Das Rheingold” die Exposition für ein großes Ganzes. Auch wenn man das übermütig Leichte betont, das der Ringauftakt ja hat und dabei auf eine Collage von Bildern setzt. So, wie es der designierte Intendant der Komischen Oper jetzt gemacht hat, erfährt man allerdings mehr über seine, oft erfrischend zwischen die alten Stoffe fahrende Handschrift, als über das Woher und Wohin von Wotans Sippe.

Der Einzug der Götter in die neu gebaute Burg gerät ihm jedenfalls zu einem Abgang in die pure Finsternis. Sie werden einfach von der Dunkelheit, die den im Ungefähren schwebenden Bühnenkasten von Klaus Grünberg umgibt, verschluckt. Während Loge zur Rampe hin aussteigt und die Rheintöchter ins Off verbannt bleiben.

Das, obwohl sie für einen witzigen Auftakt gesorgt hatten. Da schauen sie nämlich übereinander durch den Schlitz des noch geschlossenen Vorhangs. Überhaupt sitzt das erste Bild. Weil es opulent ist und schräg mit Klischees spielt. Der Raub des Rheingoldes ist hier nämlich eine flotte Revue im Stile der Zwanziger.

Vater Rhein zeigt jede Menge Frauen-Bein auf der Showtreppe und wogt und wellt mit weißen Riesenfedern. Ein schwarz angemalter Alberich raubt eine gülden angemalte, nackte Schönheit namens Rheingold. Doch wischt der sich den Bühnen-Klischee-Neger der Roaring Twenties dann aus dem Gesicht, steigt vom Anzug aufs Prekariats-T-Shirt um und verfrachtet seine Beute in einen schnöden Pappkarton. In solchen Kisten schleppen später die Nibelungen Modeschmuck und Tücher-Ramsch an, um Freia (Arantxa Armentia) auszulösen.

Produziert haben sie den Ramsch in einem Nibelheim, das zusammengewürfelt ist aus Industrie-Nachtseiten-Klischees. Zwischen Nähmaschinen und Heizungsrohren flackern Displays und in einer Retorte atmet eine undefinierbare Fleischmasse. Hier wird ein wuselnder Mime (Torsten Hofmann) mit Kippa vergewaltigt, und der Riesenwurm zur Masturbationsfantasie.

Dieses Spiel mit vermeintlichen Tabus bleibt seltsam matt und beliebig, weil es Teil einer Collage ist und keine, zumindest bislang, erkennbaren Folgen fürs Ganze hat. Zum Finale vertauschen diese Freizeit-Götter ihre Badesachen mit Abendgarderobe und genehmigen sich ein Gläschen Schampus. Musikalische Vorlagen für die szenische Phantasie wie den Regenbogen lässt sich Kosky entgehen. Auch nach Nibelheim und zurück geht´s nur hinter geschlossenem Vorhang.

Problematischer als diese, mal mehr, mal weniger triftigen Bilder ist jedoch Koskys Misstrauen gegenüber dem gesungenen Wort. Natürlich ist Erdas wankender Auftritt als nackte Greisin eindrucksvoll. Aber dabei bleibt die Sängerin der großen Warnung vor dem Ende (Okka von der Damerau) ins Off verbannt. Da bleibt nicht nur die Frage, wie unter diesen personellen Voraussetzungen denn die Walküren gezeugt werden sollen. Vor allem seinen Alberich treibt Kosky in ein so exzessiv stöhnendes und ächzendes Überdruckspiel, dass es ihn fast aus der Rolle trägt. Leider kann oder will Stefan Adam dem keinen Widerstand entgegensetzten.

Überhaupt ist das Niveau an diesem Abend eher mittelprächtig. Wobei Renatus Mészár, als Einspringer (für den erkrankt, anfangs in Badehose spielenden Tobias Schabel), von der Seite einen soliden Wotan beisteuert. Auch Khatuna Mikaberidze vermag als Fricka wenigstens ihre vokale Leuchtkraft, wenn auch etwas eigenwillig, vorzuführen. Robert Künzli ist ein wendiger, schmieriger Loge. Und Albert Pesendorfer (Fasolt) und Young Myoung Kwon (Fafner) machen aus ihrem Riesen-Duo stimmlich das Beste.

Enttäuschender freilich als die mit Effekten aufgepeppte szenische Collage Koskys ist das Niedersächsische Staatsorchester unter Wolfgang Bozic. Die Anfangspatzer der Bläser leiteten einen Abend ein, der unausgeglichen blieb und zwischen diffus und überlaut changierte. Dafür musste er kräftige Buhs einstecken.

Joachim Lange | 16.11.09

operapoint.com

Der Australier Barrie Kosky wird den gesamten RING in Hannover inszenieren. Neben den drei „offiziellen“ Rheintöchtern wedeln noch 14 Revuegirls mit weißen Flügelarmen und Strahlenkronen im Rhythmus der Wellen und Wogen des Rheins. Und dann erscheint aus einer Geschenkpackung eine begehrenswert schöne goldene Frau – kein Wunder, daß Alberich dieser Schatz reizt. Die Götter scheinen auf den Seychellen in Sommerfrische zu sein. Wotan in der Badehose. Fasolt und Fafner kommen als siamesische Zwillinge daher – und sind auf ihren „drei“ Beinen trotz des felsigen Geländes nicht einmal hingefallen. Nach dem Erhalt des Ringes reißt sich der kleinere Fafner vom größeren Fasolt los, welcher nun – seiner lebenswichtigen Organe beraubt – tot liegen bleibt. Das Nibelheim scheint ein Versuchslabor zu sein: überall zischt, lebt, raucht und brodelt es. Der Einzug in Walhall findet auf ungewöhnliche Weise statt: Auf einem Servierwagen befindet sich eine gigantische Torte, offenbar von Leo von Klenze erbaut, welche von den Göttern verzehrt wird.

Sänger und Orchester
GMD Wolfgang Bozic dirigierte Wagner klassisch – keine Überraschungen, aber durchaus mit geschickt gesetzten Akzenten und – das lieben wir an ihm – viel Rücksicht auf die Sänger. Sensibles Dirigat, aber auch, wo angesagt, wagnerianisch gewaltig.

Renatus Meszar – sang schon im Ring Weimar – ist dankenswerterweise ganz kurzfristig für Tobias Schabel, der grippehalber nur stumm agieren konnte, mit markigem Baßbariton eingesprungen. Rollenadäquate Leistungen von Jin-Ho Yoo und Young-Hoon Heo als Donner und Froh. Stark in Stimme und Rollengestaltung die Göttinnen Freia und Fricka, verkörpert von Arantxa Armentia und Khatuna Mikaberidze. Wohltönend und pointiert singend profilierte sich am Premierenabend besonders der hauseigene Heldentenor Robert Künzli – wir sind auf seine Rolle als Siegfried gespannt – Paradetenorpartie im Ring. Mit raumfüllendem Tenor imponierte auch Torsten Hofmann (eingesprungen für den erkrankten Jörg Eichler) als Mime. Besonders gefallen hat mit überzeugendem Spiel und überzeugender Stimme Matthias Stefan Adam als Alberich; tadellos – und hübsch anzuschauen auch Nicole Chevalier, Julia Faylenbogen und Mareike Morr als attraktive Rheintöchter. Mit feinem Baß der hünenhafte Albert Pesendorfer als Fasolt zusammen mit seinem etwas rauher singenden kleinen Bruder Young Myong Kwon als Fafner.

Fazit
Außer den vereinzelten, rasch verklingenden Buhs nur Beifall, auch für die ja nicht gerade konventionelle, aber insgesamt doch überzeugende Regie von Barrie Kosky. Die siamesischen Riesen-Brüder werden sicher in die Operngeschichte eingehen. Sängerische Bestleistungen ohne negative Anmerkungen.

Rüdiger Ehlert | 20. November 2009

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 360 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (NDR Kultur)
A production by Barrie Kosky (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.