Der fliegende Holländer

Will Humburg
Chor und Orchester des Staatstheaters Darmstadt
Date/Location
8 September 2017
Staatstheater Darmstadt
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Daland Seokhoon Moon
Senta Astrid Weber
Erik Marco Jentzsch
Mary Elisabeth Hornung
Der Steuermann Dalands David Lee
Der Holländer Krzysztof Szumanski
Gallery
Reviews
bachtrack.com

A Romantic ghost story in Darmstadt

There were many operatic supernatural stories in early 19th-century Germany, most of which have disappeared from view, with the notable exception of Weber’s Der Freischütz, but they clearly had an impact on the young Richard Wagner, whose first masterpiece, Der fliegende Holländer, drew on this tradition. It opened the Darmstadt Staatstheater’s new season, conducted by music director Will Humburg.

The opera was given in a production from the Cologne Opera by Dietrich Hilsdorf, with the three acts run together without intervals. I am glad that I had read the interview with the director in the programme booklet before the performance to make sense of some of the unexpected directorial interventions. The most successful of these was the suggestion that Mary might previously have been associated with the Dutchman, which would explain the presence of his portrait. This back-story was hinted at during the overture when Senta’s obsession with the ghostly seafarer was established, to her nurse’s consternation. More questionable was the introduction of a devil, named Samiel (as in Weber’s Der Freischütz), a woman with two faces and prominently displaying sexual characteristics of both men and women. She preceded the Dutchman on his first appearance and somewhat took attention away from him. At the end there was no salvation. When Senta had shot herself with Erik’s hunting rifle, causing the Dutchman’s portrait to fall from the wall – a dramatic moment which made the audience jump – Samiel turned her attention to the hapless Erik.

In many ways, however, this was a conventional production. It was definitely a ghost story and definitely a Romantic Opera, as Wagner termed it. The Dutchman and his crew were pallid and dressed in tattered clothes; we could imagine that they had been at sea for years. When they appeared towards the end of the opera, they ensnared the women in red clothes – the same as the one covering the portrait of the Dutchman. They distributed letters – a detail apparently taken from Heine’s telling of the story which was Wagner’s source. The opening scene of the opera was very atmospheric, dark and stormy. When the scene moved to Daland’s house we were very much in the 19th century as evidenced by the set and the costumes. The women were working at all stages of wool treatment, not just spinning. The curious machinery (bicycle powered!) suggested the early Industrial Revolution.

Astrid Weber gave a very strong performance as Senta. An experienced Wagnerian, her singing of the Ballad of the Dutchman was beautiful and she controlled her powerful voice to create intense, quiet moments where required. Her infatuation with the legend of the Dutchman was never in doubt. Only at the very end of the opera were there a few uncomfortably strident moments. Unfortunately Polish baritone Krzysztof Szumanski’s Dutchman was not as successful, with many inaccuracies and a tendency to rely on volume to the detriment of any subtlety, although he was stronger when interacting with other performers, such as Seokhoon Moon’s excellent Daland. The scene between the Dutchman and the sea captain eclipsed the Dutchman’s famous monologue.
The large chorus was excellent throughout and made a major contribution to the success of the evening, as did the orchestra whose stirring account of the overture set high expectations for the rest of the evening. They conjured up a stormy seascape for the opening and the blended with the female chorus nicely in their spinning song. They accompanied the soloists with delicacy when necessary. The smaller roles of Mary and the Helmsman were strongly performed by Elisabeth Hornung and Michael Pegher. Sadly this cannot be said of Marco Jentzch’s Erik, who was often inaccurate.

Despite some misgivings, this was a strong ensemble performance with all elements contributing to a gripping evening of music drama.

Peter Connors | 03 September 2017

onlinemerker.com

Der Holländer und die blonde Frau

Regisseur Dietrich Hilsdorf zeigte ein weiteres Mal, seine bereits in Köln einstudierte Produktion von Wagners „fliegendem Holländer“. Ähnlich wie beim früheren Darmstädter Intendanten John Dew, so ist auch bei Hilsdorf festzustellen, dass er die szenische Kontroverse früherer Regie-Arbeiten zu Gunsten einer Ästhetik aufgab, die sich heute erkennbarer in einem historischen Kolorit bewegt. So gibt es also eine Interpretation zu erleben, die im 19. Jahrhundert als Schauergeschichte erzählt wird. Dieter Richter (Bühnenbild) baute akustisch günstige Räume, die dem Zuschauer die Orientierung leicht machen. Ansprechend die Kostüme von Renate Schmitzer.

Hilsdorf erzählt die Geschichte und kann sich dabei eine Eitelkeit nicht verkneifen: Samiel! Nein, wir sind nicht im falschen Stück! Aber weil, so Hilsdorf, es eine „Reminiszenz an den Freischütz“ geben soll, wird diese Figur als blondhaariges Zwitterwesen eingeführt. Und da es offenkundig noch immer Menschen gibt, die die Anatomie des menschlichen Körpers nicht kennen……, ja da darf Frau Samiel nackte Brüste und einen XL-Penis zur Schau tragen! Erhellend ist das zu keinem Zeitpunkt und somit völlig überflüssig!

Mit Astrid Weber stand eine erfahrene Senta auf der Bühne, die sehr gut die Vielschichtigkeit des Rollencharakters traf. Ihr jugendliches Stimmtimbre ist immer noch gut erkennbar, jedoch sind inzwischen sehr deutliche Schwierigkeiten festzustellen. Die Höhen wurden mit äußerster Anstrengung hart erarbeitet und gerieten häufig zu tief. Die Finali 2 und 3 klangen nach sängerischer Schwerstarbeit!

Deutlich aufgewertet wirkte Erik in der herausragenden Interpretation durch Marco Jentzsch. Szenisch sehr präsent und engagiert, verwöhnte er die Zuhörer mit schmelzenden Tenorklängen. Die schwierige Kavatine im 3. Aufzug gelang besonders mühelos. In der Traumerzählung setzte er gekonnte sprachliche Akzente. Hier stimmte alles! Eine großartige Leistung!

Es war ein Abend ohne tiefe Stimmen. Seokhoon Moon war ein recht gemütlicher Daland, der seinen Part ordentlich sang, jedoch nicht die Hintergründigkeit seiner Rolle vermittelte. Mit seiner Baritonstimme war er dennoch fehlbesetzt, weil er keinen farblichen Kontrast zum Holländer aufzeigen konnte.

Elisabeth Hornung zeigte als Mary ein starkes Rollenportrait und war weit mehr als nur eine Stichwortgeberin.

David Lee als lyrischer Steuermann hatte keinerlei Probleme mit den Anforderungen seiner Partie und wirkte jedoch als Figur reichlich blass. Da ist Hildsdorf nicht viel eingefallen.

Bleibt der Holländer in der Gestaltung von Kzysztof Szumanski. Szenisch verkörperte er glaubwürdig den getrieben Suchenden. Sängerisch sehr problematisch klang zu viel nach musikalischer Bewältigungsarbeit. Der oft heisere Beiklang seiner Stimme kann als „Ausdrucksfarbe“ schön geredet werden, ist aber vielmehr Beleg dafür, dass stimmtechnische Schwächen zu konstatieren sind. Je länger der Abend voran schritt, um so schwerer gerieten die Höhen, nicht selten wurden Töne auf Tonhöhe gerufen und nicht gesungen. Schnell sang er sich immer wieder fest. Im Liebesduett kämpften sowohl er als auch Astrid Weber um das musikalische Überleben.
Die tiefen Töne waren nur erahnbar und dynamisch konnte er außer lauten Tönen nichts anbieten. Die Intonation war nicht selten vage und die Textverständlichkeit war mäßig. Sehr störend jedoch der fehlende Bezug zum Text.

Insgesamt darf einmal mehr an der fachlichen Kompetenz der Entscheider am Staatstheater Darmstadt gezweifelt werden, die Besetzungen verantworten, die zu selten den Anforderungen des jeweiligen Werkes entsprechen.

Eine Freude waren die Chorgesänge (Chor und Extrachor des Staatstheaters, Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint), die schallkräftig und differenziert von der Bühne tönten.

Großartig einmal mehr auch das Dirigat von GMD Will Humburg, der das zu Beginn etwas unkonzentriert aufspielende Orchester des Staatstheaters immer wieder antrieb. Auch gab es im Eingangschor heftige Wackler zwischen Chor und Orchester. Dann stimmte die Balance durchweg, blitzsauber intonierten die heftig geforderten Hörner, sekundiert von der homogen musizierenden Gruppe der Holzbläser. Streicher, Blech und die viel geforderte Pauke erzeugten Sturm und Drang. Kleine Schmisse im Schlagzeug beim Geisterchor waren bedauerlich. Dennoch eine überzeugende Leistung.

Am Ende wenig Enthusiasmus im gut besuchten Haus.

Dirk Schauß | besuchte Vorstellung am 21. September 2017

Frankfurter Rundschau

Die Unerlösten

Nicht gerade vor sieben, aber doch vor fünf Jahren inszenierte Dietrich W. Hilsdorf diesen „Fliegenden Holländer“ an der Oper Köln, ein Publikumstriumph just zu der Zeit, als die Verantwortlichen in der Stadt sich unheimlich dumm mit dem künstlerisch erfolgreichen Intendanten Uwe Eric Laufenberg anlegten. Nun ist Laufenberg nebenan in Wiesbaden engagiert, während Hilsdorf für das Staatstheater Darmstadt die Produktion reanimierte. Dass sie über die Jahre an Spannung verloren hat, ist gewissermaßen ein Holländer-Problem, auch er muss sich Mühe geben, erneut seine Chance einigermaßen schwungvoll zu nutzen. Es liegt aber wohl tatsächlich vor allem daran, dass in Köln so exzellent gesungen wurde – nicht umsonst marschierte Samuel Youn in der Titelpartie direkt nach Bayreuth weiter, um dort die in der Hakenkreuz-Tätowierungs-Affäre im letzten Moment vakant gewordene Jewgeni-Nikitin-Position einzunehmen (was wieder daran erinnert, dass Musiktheater mit etwas Pech eine Kette der Skandale und Missgeschicke ist). Darstellerisch war Hilsdorfs Regie wie für ihn gemacht, ein mächtiger asiatischer Dämon brach hier ins biedere Kacheldekor- und Teekännchen-Bürgertum ein.

In Darmstadt stellt es sich gedämpfter dar. Das Konventionelle, das Hilsdorf in Köln zu einer atemberaubenden Erzählstrecke gefügt hatte, war jetzt doch – konventionell (trügt das Gedächtnis, war die Lichtregie raffinierter?). Dieter Richters Bühne arbeitet mit dem Gegensatz zwischen dem steilen, lichten Innenraum und der buchstäblich auf der anderen Seite befindlichen dunkel aufgewühlten See. In der Bildmitte eine ungeheure Welle, bei näherer Hinsicht ein Wellenungeheuer. Geschickt wird die Anwesenheit eines Schiffes imitiert. Der prächtig vorbereitete Herrenchor zerrt nautisch vermutlich sinnlos an einem Tau. Der Segler des fliegenden Holländers kündigt sich durch ein – Musik und Fantasie tun ein übriges – schauriges rotes Blinklicht an. Dann fällt schon eine Gangway herunter. Das muss ein Riesenschiff sein, größer als Dalands, der stimmlich allerdings bei Seokhoon Moon zu beträchtlicher, dazu wendiger Form ausläuft. Das Drinnen der züchtigen Hausfrau birgt eine fantastische Spinn-Maschine, die reichlich Beschäftigung bietet.

In dieser nicht realistischen, aber plausiblen Umgebung lädt Hilsdorf (unterstützt von der regelmäßig am Staatstheater Wiesbaden aktiven Beka Savic als Co-Regisseurin) den Figuren nicht unkomplizierte Gefühlswallungen auf. Darstellerisch kommt damit am besten Astrid Weber zurecht, eine wunderbar unzweiflerische, ungemein guter Dinge Richtung Tod blickende Senta, die zugleich sehr jung und menschlich wirkt. Unter dem Druck ihres zukünftigen Ex, des glücklosen Jägers Erik, wird sie geradezu zermahlen. Das ist Marco Jentzsch, ein Baum von einem Mann mit einem Tenor zum Jubeln, und so stellte es sich beim Schlussbeifall dann auch dar. Weber, gellend in den Spitzentönen und am Ende auch etwas instabil, bietet aber eine fein nuancierte Ballade. Die blasseste Figur ist Krzysztof Szumanskis Holländer, darstellerisch defensiv, stimmlich nicht überfordert und doch ohne überzeugende dramatische Durchschlagskraft.

Da es im Kern des Geschehens nicht gerade lodert, sind auch Hilsdorfs Zusatzeinfälle zwar reizvoll an einem ohnehin unlangweiligen (und ohne Pause gespielten) Abend. Aber sie bleiben jeweils ein bisschen für sich. Der Steuermann (Michael Pegher mit funkelnden, feinsten Höhen) wird zum Bier von den Kollegen zusammengeschlagen. Das oder Ähnliches ist gelegentlich zu sehen, aber triftiger wird es dadurch nicht. Man interessiert sich auch dafür, dass hier die scheinbar so brave Mary, Elisabeth Hornung, offenbar ebenfalls eine Rechnung mit dem Holländer hat, eine umso gescheitere Idee, als Senta ja von ihr die Ballade kennt. Aber der Reiz läuft ins Leere. Isoliert bleibt Holländers mysteriöse Begleiterin, ein hermaphroditischer Doppelkopf. Mit Blick auf ihren ersten Auftritt muss es sich um den gepries’nen Engel Gohottes handeln. Übersichtlich fällt der kurze Zombieauftritt der frauenstehlenden Holländer-Geister-Mannschaft aus, während aus Lautsprechern der zugehörige Gespensterchor dröhnt. Auch die Frauen sind nachher alle wieder da und wohlauf. Mit der Erlösung wird es aber nicht funktionieren.

Das straffe Dirigat von Will Humburg hält zusammen, was ein ambivalenter, aber nicht fader Gesamteindruck bleibt. Der Orchesterpart ist überzeugend, nicht derb, aber knackig. Die irritierenden rhythmisch knarrenden Nebengeräusche konnte Intendant Karsten Wiegand damit erklären, dass kurz vor der Premiere der Boden des Orchestergrabens versehentlich gestaucht und in der Eile zu notdürftig repariert worden war. Ein einmaliger Fall, betonte er. Opernmusiker brauchen und haben erfahrungsgemäß Nerven wie Stahl.

Judith von Sternburg | 05.09.17

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User Rating
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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 302 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Dietrich W. Hilsdorf (2017)