Der Ring des Nibelungen

Ádám Fischer
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
27 July 2002 (R), 28 July 2002 (W)
30 July 2002 (S), 1 August 2002 (G)
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast

Das Rheingold

Die Walküre

Siegfried

Götterdämmerung
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Online Musik Magazin

Reifung mit Varianten

Jürgen Flimms Ring wächst im dritten Jahr mit Sängerpräsenz

Unverändert öffnet sich im letzten Aufzug des Siegfried der metallisch-silberne, elliptisch geformte Turm, um die schlafende Brünnhilde freizugeben. Die goldenen Innenwände, die die Schlummernde wie eine kostbare Perle umrahmen, weisen dabei recht würdig bereits etwas Patina auf und setzen damit die Reifung ins Bild, die die Ring-Inszenierung von Jürgen Flimm in ihrem dritten Jahr in Bayreuth erreicht hat. Der hohe Erwartungsdruck, der auf den Inszenierungen in Bayreuth liegt, ist ja stets durch die Werkstatt-Situation der Regiearbeit in gewisser Weise abgefedert. Da kann von Jahr zu Jahr austariert, ergänzt und gefeilt werden. Dass Regisseur Flimm diese Möglichkeit bisher kräftig nutzte, wundert nicht, hatte der Ring im Premierenjahr 2000 schließlich reichlich unfertig und holprig gewirkt.

Auffällig ist, dass mittlerweile auf einigen allzu verschiedenartigen Aufwand auf der Bühne verzichtet wird. Die zahlreichen auf Gaze gemalten Bühnenbilder von Erich Wonder sind auf einige wenige reduziert und präsentieren sich damit wirkungsvoller. So mancher Theaterzauber wurde weggelassen und vor allem auch der unsägliche Drache, dieses rumpelnde dunkle Gebäude mit Glitsch-Überzug, das unvermittelt im Boden verschwand – wurde schon letztes Jahr aufgelöst und durch eine zwar brave winddurchwehte Tuchkonstruktion ersetzt, die aber schließlich nach Fall des Drachens doch noch ihren besonderen Einfall enthält. Die Regiearbeit kommt nun zu mehr Konzentration, und wenn dadurch zwar die Aussage nicht gerade erhöht wird, konnte aber eine deutlich bewegtere Personenführung erzielt werden. Diese wohltuende Belebung zeigt sich vor allem im Siegfried, der es nötig hatte, während in der Walküre die Szene in Wotans moderner Büroetage in Walhall immer schon dicht gelungen war.

Die neue Personenführung wurde ganz offensichtlich auch von den diesjährigen Neubesetzungen stark mitgeprägt. Graham Clark beispielsweise agiert als Loge im Rheingold überwältigend. Fast gerät der Abend damit zum Loge-Stück, bei dem der Fortgang der großen Geschichte aus dem Blick gerät. Die anderen Darsteller treten wie als Statisten in den Hintergrund. Der Wotan von Alan Titus verblasst ohnehin in seiner bestenfalls noch als gemütlich zu bezeichnenden Bühnenwirkung nicht nur neben diesem Loge, sondern auch neben den starken Frauen: Mihoko Fujimura als Fricka und später Evelyn Herlitzius als Brünnhilde spielen ihn da locker an die Wand. Im weiteren Verlauf wird es wiederum Clark sein, der im Siegfried als Mime mit temperamentvoll, fast komödiantischem Spiel brilliert und gemeinsam mit dem bewegten Auftritt von Christian Franz als Siegfried den ersten Aufzug entscheidend belebt. Der “neuen” Brünnhilde Evelyn Herlitzius gelingt es zudem nicht nur sängerrisch, sondern auch darstellerisch die drei Hauptabende zu prägen mit ihrer außerordentlichen Bühnenpräsenz.

Vergrößerung Siegfried, 3. Akt, 3. Szene – Ein großes Paar begegnet sich – Evelyn Herlitzius als Brünnhilde und Christian Franz als Siegfried. Für das ergreifend gestaltete Finale des Siegfrieds wurden die Solisten Franz und Herlitzius vom Publikum enthusiastisch als neues Bayreuther Traumpaar gefeiert. Beide boten eindringlich forderndes Spiel zu jugendlich glänzendem Gesang – eine Intensität blühte da auf, die ganz der erwachenden, sogleich extrem gefährdeten Beziehung der großen Figuren Siegfried und Brünnhilde entspricht. Herlitzius kann sich außergewöhnlich ausdrucksstark auf der Bühne bewegen und nicht zufällig lässt man sie da auftreten im dünnen schwarzen Trägerhemdchen wie vom Tanztheater bekannt. Schade nur, dass sich das Paar zum Schluss doch noch am Boden rollen muss – das konnte sich die Regie zum Vorhangfall wohl nicht verkneifen.

In der Götterdämmerung darf eine neue Ausgestaltung noch einmal als symptomatisch für die Inszenierung gelten: keine Baustelle befindet sich mehr neben dem gläsernen Gibichungen-Büropalast, sondern fertig ist nun ein weiterer Bau, der sich an den ersten fügt – auch die Inszenierung ist eben keine Baustelle mehr. Bleibt abzuwarten, ob man sich in den folgenden Jahren noch mit Verzierungen oder Kunst am Bau beschäftigen wird. Die zunehmende Spannung die mit dem Siegfried geboten wurde, setzt sich nun am letzten Abend fort. In den drei Geschossen dieser Bürogebäude gibt es enorm viel Bewegung zu sehen, die Personen werden beziehungsreich immer wieder neu positioniert. Vor allem die Begegnung von Hagen und Brünnhilde entwickelt sich außergewöhnlich differenziert. Die beiden Darsteller – von überwältigendem Auftritt wieder John Tomlinson als Hagen – zeigen ein packendes Stück Musikdrama, das sich wohl schwerlich überbieten lässt.

Im dritten Jahr gab es nun die dritte Variante der Schlussszene zu sehen. Fast könnte man meinen, es sei das besondere Konzept dieses Rings, jedes Jahr einen neuen Schluss anzubieten. Im deutlich reduzierten Gestus zeigte sich nicht mehr die allzubunte Zusammenführung der Bühnengemälde, die sinnreich motivisch zusammengedrängt sein sollten und das doch nicht einlösten. Nun bleibt die Bühne kahl und grau, Brünnhilde steht allein und stellt sich dem Untergang – mit dieser starken Darstellerin kann man das auch schlechterdings machen. Langsam bewegen sich Menschen in Alltagskleidung auf die Bühne – an Irdische, Heutige wird eben weiterverwiesen. Gerade weil dieses profane Bild herausreißt aus den göttlichen Sphären, ist es irritierend und somit bewegend und stark. Es schlägt aber dann doch noch um in hohes Pathos oder geweihte Rätselhaftigkeit, die im besten Falle noch Geschmacksache ist, doch eher ärgerlich, wenn am Bühnenhintergrund sich eine Kammer mit güldenem Licht öffnet und mit hocherhobenen Armen die einfachen Menschen in diesen doch eher trüb erleuchteten Nebel wandeln und sich wohl auch selber uneins über ihre Hoffnungsfähigkeit sind. Dennoch erweist sich der letzte Aufzug des Rings als konzentriert, er gelingt wie die ganze Inszenierung gestrafft und bereichernd bewegt. Immer noch bildet diese Ausführung damit nicht den genialisch großen Wurf mit etwa großen, übergreifenden neuen Ideen und dem einstmals versprochenen besonderen politischen Konzept. Brüchig bleibt diese Ring-Produktion allemal, doch mit vielen stark inszenierten Einzelszenen ist sie nun lohnend, weil einfallsreich und spannend anzusehen.

Geboten wurde dazu in diesem Jahr eine musikalische Ausführung, die einige Highlights zu bieten hatte, aber auch manche eingeschränkte Leistung. Sonnenlicht kann nach grauen Tagen voller Regen regelrecht erlösend wirken und dies vermeinte man zu spüren am hellen Tag des Siegfrieds nach der durchaus verhaltenen musikalischen Ausführung des Rheingolds und der Walküre unter dunklen Wolken. Das Festspielorchester, das unter dem sorgsam ausgeführten Dirigat von Adam Fischer differenzierte Dynamik und farbreiche Klänge produzierte, aber an den ersten beiden Abenden noch unbestimmt gebremsten Elan aufwies und Fischer hier nicht ganz aufmerksam auf die Sänger führte, wirkte im Siegfried wie ausgewechselt. Nun fing der Orchesterpart an zu leuchten und konnte auch die Sänger besonders tragen. Berückend vor allem die Stellen des äußersten Piano, die Fischer meisterhaft mit seinem Orchester entwickelte und von diesen ausgehend für einen emotional aufgeladenen Fortgang des musikalischen Verlaufes sorgte. Herausragende Neubesetzung in diesem Jahr war die Brünnhilde der Evelyn Herlitzius. Sie prägte die Ring-Aufführung mit ihrer Präsenz sowohl in der Darstellung als auch beim jugendlich kraftvoll und zugleich außergewöhnlich sensiblen Gesang. Ihre Stimme ist durchaus etwas gewöhnungsbedürftig mit dem starken, leicht scharfen Vibrato, das gelegentlich im Forte sogar leicht zu flackern begann. Doch ihr Elan und ihre Ausdruckskraft, das spannungsvoll eingesetzte Piano sind überwältigend und begeisterten sogleich das Bayreuther Publikum. Vergrößerung Siegfried, 3. Akt, 3. Szene Christian Franz und Evelyn Herlitzius – das Paar endlich auch in Bayreuth, nachdem sie in den Jahren 1999 bis 2001 das Publikum beim Der Ring des Nibelungen in Münster zu Begeisterungsstürmen hingerissen hatten.

Christian Franz – im zweiten Jahr als Siegfried – zeigte sich in Bestform. Sein kraftvoll wohltönender Tenor, mit dem er vital auftritt, scheint schlicht nicht zu ermüden. Dabei erfreute er auch mit Zwischentönen in gehaltvoller mezza voce. In der Götterdämmerung wurde der Part des Siegfried dann wieder von Wolfgang Schmidt übernommen. Leider, muss man sagen, denn Schmidt protzte mehr noch als in den vergangenen Jahren mit seiner großen metallischen Stimme, lässt dabei aber zunehmende Stimmprobleme deutlich hörbar werden. Feinheiten der Gestaltung bot er nicht. Alan Titus als Wotan zeigte sich anfangs vor allem in der Artikulation besonders nachlässig, besserte sich in der Walküre und hatte sich für den letzten Aufzug dort offenbar Gestaltungskraft aufgespart. Passabel führte er den Wanderer im Siegfried aus.

Erstmals war Mihoko Fujimura in der Rolle der Fricka zu erleben. Mit sinnlich warmen Timbre und enormen Stimmvolumen beherrschte sie genaue Stimmführung und Diktion und konnte damit freilich begeistern. Ein gutes Paar bildeten Robert Dean Smith als Siegmund und Violeta Urmana als Sieglinde, die beide stimmstark und beweglich ihren Part gestalteten, sich in der Gestaltung allerdings nicht übermäßig sensibel zeigten. Die Präsenz, die Graham Clark mit der Darstellung des Loges und des Mimes im Siegfried bot, beruhte auch auf der stimmlich gekonnt stark gezeichneten Ausführung, die aber auch leichte Angespanntheiten in der Stimme und Einschränkungen beim Wohlklang riskierte. Simone Schröder verkörperte die Erda gemessen mit warmen tiefen Tönen, Anja Kampa als Freia bot hellen sicheren Klang. Hartmut Welker konnte als Alberich im Rheingold aufgrund von leicht schnodderiger Ausgestaltung nicht überzeugen, besserte sich aber zur Götterdämmerung hin entscheidend.

John Thomlinson bot wieder einen herausragenden charaktervollen Hagen, differenziert vor allem in der Begegnung mit Brünnhilde, die zum wahren Gipfeltreffen geriet. Olaf Bär als Gunther und Yvonne Wiedstruck als Gutrune blieben dagegen blass. Einschränkungen gab es auch bei weiteren Nebenrollen. Nur mäßig, weil sehr bemüht, ertönten Johann Tilli und Philip Kang als die Riesen. Mit leicht scharfem Ton überzeugte Evgenia Grekova als Waldvogel nicht so recht. Die Walküren fanden nicht den homogenen Zusammenklang. Zufrieden stellten die Nornen (Simone Schröder, Irmgard Vilsmaier, Judit Nemeth) und die Rheintöchter (Caroline Stein, Natascha Petrinsky, Elena Zhidkova). Solide Leitungen erbrachten Michael Howard als Mime im Rheingold, Philip Kang als Hunding und Lioba Braun als Waltraute in der Götterdämmerung. Der Festspielchor präsentierte sich wie gewohnt als satter Klangkörper und bot starke, gelegentlich allzu starke Akzentuierung.

Die Inszenierung reifte zur insgesamt spannenden Aufführung. Das große Sängerensemble der vier Abende wuchs hingegen nicht recht zusammen, sondern blieb hörbar beim Werkstatt-Charakter mit Schwankungen, darin enthalten aber auch die großen herausragenden Spitzenleistungen.

Meike Nordmeyer

Rating
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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Premiere, PO
Technical Specifications
224 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 1.5 GByte (MP3)
Remarks
Broadcasts from the Bayreuth festival
A production by Jürgen Flimm (2000)