Der Ring des Nibelungen

Kirill Petrenko
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
27 July 2014 (R), 28 July 2014 (W)
30 July 2014 (S), 1 August 2014 (G)
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast

Das Rheingold

Die Walküre

Siegfried

Götterdämmerung
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Die Welt

Das definitive Leckmich auf dem Grünen Hügel

Mehr Krokodile, weniger Zweifel: Frank Castorfs Inszenierung Richard Wagners “Ring des Nibelungen” als Kapitalismus-Niedergangsgeschichte ist der bedeutendste Bayreuther “Ring” seit Jahrzehnten.

Das Unangenehmste in Bayreuth sind nicht die Wagner-Aufführungen. Sondern die drei warmen Mahlzeiten, die man mindestens pro Tag isst. Rührei zum Frühstück. Schäufele zu Mittag, um Kraft zu tanken für die lange Vorstellung. Für danach hat man dann einen Tisch reserviert.

Rechnet man hinzu, dass während der einstündigen Festspiel-Pausen immer ein mittelfränkisches Bratwurstwunder tobt, so hilft im Anschluss an einen Bayreuther “Ring”-Zyklus nicht mehr die verklärende Erinnerung an bessere Zeiten. Sondern nur noch eine Extraportion Bullrich-Salz.

Zur zweiten Hälfte des Castorf-“Rings” wetzt das Publikum auch im zweiten Jahr die Messer und lässt zur “Siegfried”-Pause kolossale Buhchöre hören. Einzige Neuerung beim “Siegfried”: Ein Statist hat diesmal die Stirn des Lenin-Kopfes im sozialistischen Mount Rushmore zu putzen. Er tut es mit Hingabe. Und Siegfried hämmert derweil hohltönend gegen die Nase von Marx.

Bordsteinschwalbe, ick hör dir trapsen

Ansonsten wenig Neues. Es war auch kaum damit zu rechnen, dass Castorf, nachdem man ihm im ersten Jahr zu wenig Proben zugebilligt hatte, sich ernstlich auf den Bayreuther “Werkstatt”-Gedanken einlassen würde. Er ist tendenziell noch nie im Leben mit den Proben zu einer Produktion fertig geworden. Warum sollte er diesmal nachbessern?!

Da hat sich der Skandal von Frank Castorfs Jubiläums-„Ring“ von 2013 gerade zur Ruhe begeben. Hinten rechts sieht man noch ein aufblasbares Krokodil. Das hatte Castorf mit einem anderen Krokodil kopulieren lassen. Interessant. Sollte große Gefühle ironisieren.

Stattdessen ist es immer noch eine gute Idee, dass Fafner im 3. Teil dieser Kapitalismus-Niedergangsgeschichte in der U-Bahn des Berliner Alexanderplatzes Zuflucht sucht. Wo sonst würde totes Kapital heute seine Zeit vertrödeln als in der deutschen Metropole?!

Das Waldvögelchen geht auf den Strich

Auch dass Siegfried, bevor er auf Brünnhilde trifft, eine Affaire mit einem Federboa-Flittchen (Mirella Hagen) hat, das bei Wagner ganz unverdächtig den Namen “Waldvögelchen” trägt, ist gut und witzig. Denn es dechiffriert gekonnt einen obszönen Nebensinn des Textes.

Bordsteinschwalbe, ick hör dir trapsen. Der Platz, auf dem dieser Waldvogel auf den Strich geht, heißt “Exanderplatz” (statt “Alexanderplatz”). Folglich ist es konsequent, wenn in Gestalt von Krokodilen einige Echsen den Platz bevölkern.

Von Sängern als Ungeheuern

In diesem Jahr, das ist eine weitere winzig kleine Neuerung, sind es drei statt wie ursprünglich nur zwei Krokodile. Sie haben Nachwuchs bekommen. Die Ungetüme selbst sind vielleicht auch eine Anspielung auf die Tatsache, dass Wagner-Stimmen heutzutage immer drachenartiger, monströser werden.

Lance Ryan etwa, weltweit amtierender Siegfried, ist ein Tenor zum Dauer-Fürchten. Den festen, harten Stab seiner Stimme biegt er wie zum Hochsprung; was zumindest unter sportlichen Aspekten Eindruck macht. Dass er gelegentlich aufheult und kläfft wie ein Wolf, charakterisiert den Drachentöter selbst als Ungeheuer.

Bayreuth spart sich die Sänger kaputt

Am Anfang der “Götterdämmerung” macht dieser Siegfried übrigens fast schlapp, weil zwischen den beiden letzten Teilen des “Rings” nur ein einziger spielfreier Tag anberaumt war. Zu wenig für heutige Tenöre, was auch den Festspielen eigentlich bekannt sein sollte.

Burkhard Ulrich bellt ein wenig zu marktschreierisch den Mime. Oleg Bryjak ist als Alberich vor allem übergewichtig von Statur. Attila Jun gibt einen Hagen, der einen harten Bass-Klos im Halse hat. Alejandro Marco-Buhrmester gibt dem Gunther mehr darstellerische als sängerische Präsenz. Allison Oakes als Gutrune desgleichen. Dass Claudia Mahnke, die Fricka der beiden ersten Teile, in der “Götterdämmerung” gleichzeitig Waltraute und auch die 2. Norn singen muss, verrät den empfindlichen Sparkurs, den die Festspiele in Sängerfragen inzwischen fahren.

Keine Lust auf die Apokalypse

Einzig Wolfgang Koch kann sich auf dem Weg von Wotan zum Wanderer merklich steigern. Trotz Lance Ryan, der mit seinen fettigen Flusen aussieht wie Martin Wuttke, ist in diesem Jahr Catherine Foster das einzige, echte Pfund, mit dem die Besetzungsliste prunken kann. Dem Schlussgesang der Brünnhilde verleiht sie Töne unerhörter Resignation.

Kein bisschen Weltuntergangs-Enthusiasmus. Genau daran merkt man, dass Wagners “Ring” durchaus eine zynische, weil euphorische Apokalypse ist. Aber Castorf kein zynischer, sondern nur ein sarkastisch-kritischer Regisseur.

Für die eigene These interessiert sich Castorf wenig

Seine eigene These, das Rheingold sei heute das Öl, interessiert Castorf in Wirklichkeit nur am Rande. Wie auch anders? Schon der Ring selber bleibt in seinem Konzept ganz einfach der Ring. Der Tarnhelm bleibt der Tarnhelm.

Und nur das Schwert mutiert zeitweilig zur Kalaschnikow, weil das schöner knattert und das Publikum im Vorfeld vor der Gefahr von Herzklabastern gewarnt werden muss. Wir haben es schließlich mit einem alten, mit allen hochprozentigen Wassern gewaschenen Theaterdirektor zu tun.

Das Konzept zerfällt, der Dirigent gefällt

Wie sehr Castorf das eigene Konzept schnurzpieps ist, dafür schickt er symbolisch auch dieses Mal seinen eigenen Dramaturgen in diversen Statistenrollen über die Bühne. Patric Seibert, mal als Barkeeper, mal als Siegfrieds Bücherbärchen, wirkt wie eine ironische Variante des Untermenschen. In der “Götterdämmerung” stürzt er – stellvertretend für die ganze, verdammte Konzeption – kopfüber eine lange Eisenstein-Treppe hinab. Und wird kurz danach umgebracht.

Was die finale Verweigerungshaltung Castorfs einleitet. Für den Schluss der Tetralogie ist ihm außer ein Paar Film-Schnippseln leider gar nichts eingefallen. Ein Armutszeugnis angesichts einer optisch sonst derart auf Grandiosität getrimmten Inszenierung. Oder einfach: Berliner Stil. Das definitive Leckmich.

Ein Trauermarsch kommt famos in Fahrt

Gewiss sind “Siegfried” und “Götterdämmerung” jene Stücke, in denen Kirill Petrenkos swingender Zugriff zwischen Hart und Zart, Surf and Turf, am besten zur Geltung kommt. Die furiosen Tempi dieses Dirigenten lassen die glühenden Drähte des “Waldwebens” glimmen und lichtern, dass es eine Freude ist. Der Trauermarsch nimmt ungeahnt Fahrt auf.

Doch Petrenko ist kein Feinmaler und kein Verharmloser. Schon im 3. Akt “Siegfried” gerät sein Festspielorchester derart in Wallung und Aufruhr, als müssten Schuttberge versetzt und Granitwände zerpulvert werden. Dass ein Orchester zu solcher Monumentalität auflaufen kann, ohne Krach zu machen: Hinreißend.

In Wirklichkeit sollte es Denic-Ring heißen

Angeblich, so besagen Gerüchte, will sich Petrenko im kommenden Jahr schon wieder von den Festspielen zurückziehen. Was ein Jammer wäre. Nach diesem “Ring” ist Kirill Petrenko für jede Liebeserklärung reif.

Und Castorfs “Ring”, daran kann kein Zweifel bestehen, ist der wichtigste Bayreuther “Ring” seit Chéreau. Auch wenn er, nach Castorfs fulminantem Bühnenbildner Aleksandar Denic, besser “Denic-Ring” heißen sollte.

Wer schreit, der bleibt

An der Leuchtschrift von “Plaste und Elaste aus Schkopau” erfreute sich, wie fürs Protokoll festgehalten sei, in diesem Jahr auch die Bundeskanzlerin. Drei Tage beehrte sie die Festspiele. Und konnte miterleben, wie zum Ende des Ganzen der Regisseur keineswegs ausgepfiffen wurde, wie einige Medien fälschlich kolportierten. Vielmehr gab’s Standing Ovations, mit Orkanen aus Buhs und Bravos turbulent durchmischt. Kein Reinfall.

Wo immer noch Empörung einiger Wagnerianer vorhanden gewesen sein mag, so muss man sich darüber auch nicht wundern. Wer zehn Jahre auf eine Karte wartet, ist am aktuellen Stand zeitgenössischer Theaterkunst nicht unbedingt interessiert. Sondern will ewigen Werten huldigen. Diejenigen, die via Wagner-Verein jedes Jahr kommen, lieben dagegen die Rituale um ihrer selbst willen. Das wahre Paradox der Wagnerianer besteht darin, dass diejenigen, die am meisten meckern, am häufigsten wiederkommen.

Eine Frage der Haare

Breaking News: Die bald scheidende Co-Geschäftsführerin Eva Wagner-Pasquier trägt neuerdings – zumindest hinter der Bühne – die Frisur ihrer Großmutter Winifred.

Dieselbe, nach außen eingedrehte Blondwelle. Erstaunlich! Die Gegensätze berühren sich eben doch. Wenn es auch, wie hier, nur am Haare hängt.

Kai Luehrs-Kaiser | 02.08.14

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Media Type/Label
PO
Technical Specifications
502 kbit/s VBR, 44.1 kHz, 3.0 GByte (flac)
Remarks
Broadcasts from the Bayreuth festival
A production by Frank Castorf (2013)