Ein Kontrastprogramm bescherte der nächste Tag, an dem Christian Thielemann alles das präsentierte, was einen guten, ja außerordentlichen Dirigenten ausmacht und was man beim Parsifal so schmerzlich vermisst hatte. Seine Interpretation der Meistersinger von Nürnberg strotzte nur so von Musikalität und gestalterischer Ausdruckskraft. Dieser Einstand am grünen Hügel bestätigte zweifellos, dass Thielemann schon jetzt in die erste Reihe der ganz großen Dirigenten unserer Tage gehört. Bei allem Wirbel, der zur Zeit wieder heftig um die Fortführung der Bayreuther Festspiele geschürt wird, könnte er in den kommenden Jahren der ruhende Pol und der Garant für künstlerisch aufwärtsstrebende Qualität sein. Auf den neuen Tannhäuser im Jahr 2002 darf man schon jetzt mehr als gespannt sein (eine Option auf den neuen Ring im Jahr 2006 besteht zwar, ist aber noch nicht gesichert, da noch kein Inszenierungsteam gefunden ist). Wollen wir das Beste hoffen!
Die Protagonisten in Wolfgang Wagners Inszenierung (und Bühnenbild; Kostüme – Jorge Jara; Tanzgestaltung der Festwiese – Iván Markó) sind im großen und ganzen die gleichen geblieben. Positiv aufgefallen sind dabei Robert Holl, der den Sachs dieses Jahr – trotz fehlender charismatischer Ausstrahlung – bis zum Schlussmonolog auf der Festwiese gut gestaltete, Michelle Breedt als “neue”, propere Magdalene, Kwangchul Youn als “kauziger” Nachtwächter und auch Robert Dean Smith als Stolzing, der trotz seiner Zusatzbelastung durch das Einspringen als Lohengrin, seine leichtgeführte und klangschöne Stimme bis zum Preislied auf der Festwiese in vollem Glanze erstrahlen lassen konnte. Neben Emily Magee als Eva und Endrik Wottrich als David gefielen auch Eric Halvarson (Veit Pogner) und die wahrhaftigen “Meistersinger” Bernhard Schneider (Vogelsang Kunz), Roman Trekel (Konrad Nachtigall), Hans-Joachim Ketelsen (Fritz Kothner), Torsten Kerl (Balthasar Zorn), Peter Maus (Ulrich Eisslinger), Arnold Bezuyen (Augustin Moser), Sándor Sólyom-Nagy (Hermann Ortel), Alfred Reiter (Hans Schwarz) und Jyrki Korhonen (Hans Foltz). Als eine Klasse für sich erwies sich wiederum, Dank seiner technisch perfekten, ausdrucksstarken und herrlich dahinströmenden Stimme, Andreas Schmidt als Beckmesser. Das ungetrübte, klangprächtige Fest, für das Christian Thielemann schon mit dem Festspielorchester sorgte, wurde durch die von Eberhard Friedrich vorzüglich einstudierten Chöre noch gekrönt. Es war ein großer Lichtblick der diesjährigen durch viele Ereignisse stark gebeutelten Festspiele.
Gerhard Menzel | Bayreuther Festspiele (V) 19. August 2000