Die Meistersinger von Nürnberg

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
2 August 2002
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hans Sachs Robert Holl
Veit Pogner Guido Jentjens
Kunz Vogelgesang Bernhard Schneider
Konrad Nachtigall Klaus Häger
Sixtus Beckmesser Andreas Schmidt
Fritz Kothner Alejandro Marco-Buhrmester
Balthasar Zorn Arnold Bezuyen
Ulrich Eißlinger Peter Maus
Augustin Moser Helmut Pampuch
Hermann Ortel Sándor Sólyom-Nagy
Hans Schwartz Hans Griepentrog
Hans Foltz Jörg Simon
Walther von Stolzing Robert Dean Smith
David Clemens Bieber
Eva Emily Magee
Magdalene Michelle Breedt
Ein Nachtwächter Attila Jun
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Ringeltänze zum Heil der Welt

Hier geht’s um alles. Eine gewaltige Weltkugel, mit einem Netz aus Längen- und Breitengeraden überzogen und Projektionsfläche für mittelalterliche Fresken, Dachlandschaften und Baumkronen, macht den Anspruch von Regisseur Wolfgang Wagner deutlich, statt altfränkischer Lokalromantik ein allumfassendes Welttheater auf die Bühne zu stellen. Weil ein symbolschweres (dabei aber letztendlich in seiner Beliebigkeit nichtssagendes), dabei auch handwerklich wenig überzeugendes Bühnenbild bei einer gleichzeitig hausbackenen Personenregie und bestenfalls drolligem Kostümspektakel kein anspruchsvolles Theater macht, ist diese Inszenierung in den vergangenen Jahren von der Presse mit Spott und Häme sondergleichen überzogen worden. Wenn sich nur alle bei den Händen fassen und fröhlich Ringelreihen tanzen, dann wird die Welt gut, scheinen uns diese Meistersinger sagen zu wollen.

Die Beschaulichkeit auf Provinztheaterniveau ist die eine Seite der Regie, unangenehmer noch ist die andere: Indem Wolfgang Wagner die Augen vor der Problematik des Werkes und seiner Rezeptionsgeschichte völlig verschließt und mit Naivität alles Unangenehme quasi weginszenieren möchte, sozusagen den Wolf unter Bergen von Schafspelz ersticken will, in eben diesem Verzicht auf Kommentierung lässt er der gefährlichen Gemütlichkeit der Meistersinger ihren Lauf. Da mag Eva ja noch mit dem Schlagetot Walther in die Welt fliehen, aber mit dem erfolgreichen Sänger, der die Meisterwürde ablehnt, bitte nicht: Der unverstandene (dabei aber der rechten Kunst hörige) Künstler wird – auch vom Regisseur – akzeptiert, dagegen wird der gegen die offizielle Kunstauffassung protestierende Künstler mit Liebesentzug abgestraft. Wenn dann Walthers eben ersungener Lorbeerkranz vom Individuum an die abstrakte Kunst, symbolisiert durch die Fahne des König David, weitergegeben werden muss, dann wird hier – unfreiwillig, aber überdeutlich und unkommentiert – ein totalitärer Kulturanspruch deutlich. Am Meistergesang muss die Welt genesen.

Sind die Massenszenen der Festwiese, aber auch der Einzug der Meister im 1. Aufzug ärgerlich wegen ihrer demonstrativ-albernen Putzigkeit, aus der ungebrochene Sympathie für (sozial-)hierarchisch starr geordnete Arrangements spricht, so lassen die „kleinen“ Szenen mit konventioneller, aber immerhin solider Personenregie der Musik Freiräume. Die einzige wichtige Neubesetzung, Endrik Wottrich als Walter (der alternierend mit Robert Dean Smith singt), bringt erfreulicherweise eine leichte ironische Brechung in die zopfige Inszenierung. Braungebrannt und mit hochgekrempelten Ärmeln agiert er in der Schusterstube des 3. Aufzugs wie ein Student, der sich verwirrt fragt, wie er denn in dieses merkwürdige Spiel hineingeraten sein mag – die Unbekümmertheit, mit der Wottrich sich von allen anderen Akteuren absetzt, macht den Konflikt zwischen altgedienten Sangesbrüdern und der nachwachsenden Generation immerhin erahnbar. Stimmlich meistert er die Partie kraftvoll und sicher in der Höhe, aber die Stimme ist eng und gepresst (wird aber im 3.Aufzug etwas freier). In die Rolle muss Wottrich erst noch hineinwachsen.

Etabliert in dieser Inszenierung sind Robert Holl als Sachs und Andreas Schmidt als Beckmesser, und das merkt man auch ihrem gut aufeinander abgestimmten Spiel an (wobei Holl die drollige Angewohnheit hat, seinen massigen Körper in gefährlich anmutende Schwingungen zu versetzen). Holl verkörpert, durchaus im Sinne der inszenatorisch verordneten Harmlosigkeit, den „Guter-Onkel-Typ“ mit sonorer Tiefe und Problemen in der Höhe; er spart im ersten und zweiten Aufzug Kräfte für den mörderischen dritten. Schmidt ist ein zurückhaltend vornehmer Beckmesser, der seine Figur nicht karikiert, sondern klangschön und intelligent singt. Die jugendliche und etwas direkte Stimme von Emily Magee passt zur Rollenanlage der Eva, die von der Regie mit naiv-kokettem Lilo-Pulver-Charme nicht unbedingt tiefsinnig gezeichnet, aber hübsch anzusehen ist. Clemens Bieber singt mit leichtem, aber tragfähigem Tenor den David sehr nuanciert – was die musikalische Gestaltung betrifft, ist er dem Meistersingerstatus deutlich näher als Walther. Sehr überzeugend in Klangfülle und Differenzierung ist der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor.

Das große Ereignis aber ist das Dirigat von Christian Thielemann. Stampfende Handwerkerpoltrigkeit vermeidet er durch zielgerichteten Vorwärtsdrang, der die Musik jederzeit vorantreibt – auch wenn Thielemann immer wieder zu sehr ruhigen Passagen findet, in denen er den Klang auskostet (dabei aber immer die Gesamtarchitektur im Auge hat und nie den großen Bogen unterbricht). Die Musik ist immer im Fluss, und die einzelnen Abschnitte greifen schlüssig ineinander. Die Erdverbundenheit der Meistersinger geht nicht verloren, wird aber auch nie zu massig. Anders als bei Thielemanns Tannhäuser-Dirigat sind auch die Sänger in die musikalischen Entwicklungen eingebunden, mit dem trotz der individuellen Schwächen der Sänger hervorragend ausgeloteten Quintett des letzten Aufzugs als Höhepunkt.

Wenn diese Meistersinger am Ende der Festspielsaison ausgemustert werden, dann wird keine Inszenierung eines Wagner-Nachfahren mehr auf dem Spielplan stehen. Die Ära Wolfgang Wagner ist deshalb noch nicht vorbei, schließlich hält der Prinzipal noch alle Fäden in der Hand. Trotzdem markiert dies natürlich einen Einschnitt in der Geschichte der Festspiele, und die Zeichen mehren sich, dass auf musikalischem Gebiet eine Ära Thielemann begonnen hat. Jetzt fehlt dem Pultstar, der bisher nur szenisch eher misslungene Produktionen übernommen hat, ein Regisseur, der es mit ihm aufnehmen kann.

Stefan Schmöe

Rating
(7/10)
User Rating
(4/5)
Media Type/Label
Premiere
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 663 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Wolfgang Wagner (1996)