Die Meistersinger von Nürnberg

Sebastian Weigle
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
2 August 2010
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hans Sachs James Rutherford
Veit Pogner Artur Korn
Kunz Vogelgesang Charles Reid
Konrad Nachtigall Rainer Zaun
Sixtus Beckmesser Adrian Eröd
Fritz Kothner Markus Eiche
Balthasar Zorn Edward Randall
Ulrich Eißlinger Florian Hoffmann
Augustin Moser Stefan Heibach
Hermann Ortel Martin Snell
Hans Schwartz Mario Klein
Hans Foltz Diogenes Randes
Walther von Stolzing Klaus Florian Vogt
David Norbert Ernst
Eva Michaela Kaune
Magdalene Carola Guber
Ein Nachtwächter Friedemann Röhlig
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Reviews
Online Musik Magazin

Wiederholung von Traditionsbrüchen

Zwei unterschiedlich überzeugende Wiederaufnahmen gab es in dieser Festspielzeit auf dem Grünen Hügel: zum dritten Mal den bild- und assoziationsreichen „Parsifal“ von Stefan Herheim und im vierten Jahr die etwas zu konzeptlastigen „Meistersinger“ von Katharina Wagner. In beiden Produktionen warteten die Festspiele mit Umbesetzungen von Hauptrollen im Sängerensemble auf. Mit Susan Maclean stand eine darstellerisch präsente Kundry auf der Bühne, die gesanglich dieser Rolle vollauf gerecht wurde. Leidende und Verführerin war sie in gleicher Intensität. Nicht zum Schaden der „Meistersinger“ sang James Rutherford die Rolle des Sachs regelrecht belcantistisch, ausdrucksstark (Fliedermonolog) und mit virilem Timbre. Ein junger Schustermeister und Poet war zu erleben und die bereits zu Beginn angedeutete mögliche Liäson mit Eva rückte so in den Bereich der Wahrscheinlichkeit. Neben diesen „Neulingen“ zeigten sich die letztjährigen Besetzungen auch in diesem Jahr als durchwachsene Ensembles. In den „Meistersingern“ nur wenig überzeugend war Carola Guber als recht blasse Magdalene und Michaela Kaune konnte dem Evchen ebenfalls wenig Strahlkraft verleihen, zumal sie stimmlich wenig Ebenmaß und lyrisches Potential aufbot. Als Stolzing wartete Klaus Florian Vogt recht lässig bis zum Preissingen im 3. Akt, bevor er sein schönes, helles Organ zu vollem Glanz entfaltete. Ausgefeilt und meisterlich gesungen wuchs Norbert Ernst als David weit über Lehrbubenniveau hinaus. Auch Adrian Eröd gab seiner Rolle als Beckmesser stimmlich wie darstellerisch besonderes Profil. Im Verein der zumeist soliden Meistersinger ließ besonders Markus Eiche als stattlicher Fritz Kothner aufhorchen. Friedemann Röhlig als Nachtwächter setzte nach der deftigen Prügelei im 2. Akt mit lautem Organ einen energischen Schlusspunkt. Einheitlicher und durchweg überzeugend war der Eindruck der sängerischen Leistungen im „Parsifal“. Hier wurde insgesamt einfach besser gesungen. Christopher Ventris war für diese Inszenierung ein idealer Parsifal, mit hoher Sensibilität der Stimmfärbung und wohldosiertem Krafteinsatz. Als anrührender Amfortas beeindruckte Detlef Roth und zwischen jovial und diabolisch pofilierte Thomas Jesatkos die Rolle des Klingsor. Perfekt schließlich Kwanchul Youn als abgeklärt ruhiger Gurnemanz – makellos in der Diktion und stets verständlich. Kritik an beiden Dirigenten, Sebastian Weigle in den „Meistersingern“ und Daniele Gatti im „Parsifal“, wurde vielfach publiziert, kann allerdings für die beiden gesehenen Aufführungen nicht ganz geteilt werden. Vor allem Gatti gelangen großartig sensible Passagen, die klangsinnlich strömten (Karfreitagszauber). Seine Tempi (gegenüber der Premiere erheblich zügiger) sind gefühlt flüssiger und sicherlich sängerfreundlicher geworden. Der Mischklang aus dem verdeckten Graben, wie Wagner ihn eigens für dieses Haus komponiert hat, entfaltete sich suggestiv und berückend. Unter Sebastian Weigles Stabführung polterte es mitunter bei dem Brocken „Meistersinger“, dennoch war der Gesamteindruck nicht schlecht. Stringent hielt Weigle den Apparat zusammen, mitunter zu laut für die Sänger, doch auf Ausgewogenheit des Klangs bedacht. Unterschiedlicher in der Wirkung könnten zwei Inszenierungen kaum sein. Beide brechen mit der Tradition, provozieren neue Blicke auf das Werk, schlagen für die Rezeption jeweils neue Seiten auf. Der kecke Tabubruch von Katharina Wagner, den spießigen Kern der Meistersinger-Ideologie freizulegen und den Sieg der „deutschen Kunst“ als eine kleinbürgerliche Kitsch-Idylle mit Ritter Stolzing als Song-Contest-Sieger zu zeigen, wogegen der wahre Erneuerer der Aktionskünstler Beckmesser ist, hat sich nun im vierten Jahr schon etwas abgenutzt. Die zahlreichen Anspielungen auf den Kunstbetrieb (auch den in Bayreuth: Marthaler-Gestik!) wirken, wenn auch witzig so doch eher aufgesetzt. Das Konzept, die Meistersänger plötzlich Maler sein zu lassen, geht -außer im Dienste einer Kontrastierung von Traditionsmalerei und Actionpainting- nicht recht auf. Zum Beweis, dass Walther von der Vogelweide sein Meister gewesen sei, rollt Stolzing eine Leinwand aus: Ironie – oder was? Auch sonst: manche Aktion, die peinlich wirkt (wie Stolzing Eva bemalt) oder einfach nur spannungslos (Dialog Sachs / Stolzing im 3. Akt). Katharinas „Meistersinger“ werden wohl bloß eine, wenn auch lustvolle Provokation bleiben, während Herheims „Parsifal“ in seinem Assoziationsreichtum, in der Fülle stimmiger Bilder über den Tag hinaus reichen kann. Wenn sich Bayreuth wieder als führende Wagner-Bühne etablieren kann, dann mit Inszenierungen wie dieser. Sie bezieht sich in Bild und Aktion auf das Werk und den Ort: auf „Parsifal“ als Musikdrama und den „Geist von Bayreuth“ als Gesellschaftsdrama mit den Akteuren aus der Wagnerianergemeinde jeweils im Gewand der herrschenden Zeit – von den Reaktionären des Kaiserreichs, über die Profaschisten der Dreißiger Jahre bis zu den Erneuerern der Nachkriegsjahre. Erlösung, so suggerieren es die Bilder, kann dem vermeintlichen Heilsbringer „Wagnerkult“ nur dann zuteil werden, wenn sich das Grab des Übervaters Richard endgültig schließt, so wie am Schluss eine Mauer vor dem Bild Wagners, der Villa Wahnfried und dem Grabhügel emporwächst. Daneben spannt Herheim als zweite, persönliche Ebene die der Erlösung der Kinder Richard und Parsifal ein: Versöhnung mit sich und dem Schicksal. „Erlösung dem Erlöser“ – so sinnfällig wurde es selten erfahren.

Christoph Wurzel | Rezensierte Aufführung am 12. August 2010

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 952 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuther Festspiele
A production by Katharina Wagner (2007)