Die Meistersinger von Nürnberg

Sebastian Weigle
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2011
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hans Sachs James Rutherford
Veit Pogner Georg Zeppenfeld
Kunz Vogelgesang Charles Reid
Konrad Nachtigall Rainer Zaun
Sixtus Beckmesser Adrian Eröd
Fritz Kothner Markus Eiche
Balthasar Zorn Edward Randall
Ulrich Eißlinger Florian Hoffmann
Augustin Moser Stefan Heibach
Hermann Ortel Martin Snell
Hans Schwartz Mario Klein
Hans Foltz Diogenes Randes
Walther von Stolzing Burkhard Fritz
David Norbert Ernst
Eva Michaela Kaune
Magdalene Carola Guber
Ein Nachtwächter Friedemann Röhlig
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Wahn! Wahn! Überall Wahn!

Man kann über Katharina Wagners Meistersinger-Inszenierung sicherlich geteilter Meinung sein. Eines muss man der Festspielleiterin auf jeden Fall hoch anrechnen. Auch im letzten Jahr dieser Produktion stellt sie sich nach den Aufführungen dem Publikum und gibt den Zuschauern damit ein wenig das Gefühl eines Premieren-Erlebnisses. Selbstbewusst lässt sie die Buhrufe über sich ergehen, winkt sogar ins Publikum und strahlt. Dabei soll aber keineswegs verschwiegen werden, dass es auch sehr viel Zustimmung aus dem Saal für ihre Inszenierung gibt. Man könnte sogar sagen, dass sich die Bravo- und Buhrufe einigermaßen die Waage halten, so wie auch ihre Inszenierung einerseits durch sehr gute, dramaturgisch hervorragend umgesetzte Szenen überzeugt, andererseits nicht jede Deutung oder Lesart als gelungen betrachtet werden kann. Es darf jedenfalls gelacht und geschmunzelt werden, und das ist bei Wagners einziger komischer Oper durchaus legitim.

Die besten Momente hat die Inszenierung im ersten und dritten Aufzug. Die Katharinenkirche von Nürnberg in eine Art mehrstöckiges Museum zu verlegen, sozusagen in einen Tempel der Kunst, ist recht stimmig. Auch die gelben Reclam-Heftchen als Stellvertreter für werkgetreue Umsetzungen der Literatur, die wie der Kelch beim christlichen Abendmahl von einem Meistersinger zum nächsten weitergereicht und somit geradezu religiös verehrt werden, unterstreicht die Spießigkeit des Systems, die Wagner selbst diesen Meistersingern ja ankreiden will. Die Rivalität zwischen Beckmesser und Sachs und die Überlegenheit des letzteren wird in dieser Szene sehr gut zum Ausdruck gebracht. Während die Meistersinger jeweils ein Blatt dem Reclam-Heft entreißen und wie eine Oblate zu sich nehmen und bei der Weitergabe des Heftes dieses von beiden Seiten weihevoll küssen, ärgert Sachs Beckmesser, indem er bei dem bevorstehenden Kuss das Heft einfach zur Seite zieht und Beckmesser angewidert zurückweicht. Die ganze Szenerie bei diesem ersten Treffen der Meistersinger wirkt so steif und erstarrt wie das System, das Stolzing mit seiner neuen Kunst aufzubrechen versucht. So ist schon der Aufbau der Tische durch die Lehrbuben und -mädchen – dieser Einfall mag wohl der Emanzipation geschuldet sein – absolut starr und eckig. Dass die Tischbeine zunächst wie große Altarkerzen hereingetragen und aufgestellt werden, gehört nicht zu den genialsten Einfällen dieser Szene, wohingegen das Verschieben des kleinen Rednerpultes zwischen Kothner und Pogner durchaus eine altbackene Vereinssitzung karikiert. Vielleicht wird diese ganze Szenerie auch von Teilen des Publikums abgelehnt, weil sie sich dort selbst vorgeführt sehen.

Stolzing als Maler auftreten zu lassen, ist als Regieeinfall nicht schlecht, da in der Malerei leichter als in Stolzings Musik für den heutigen Zuschauer nachvollziehbar gemacht werden kann, wieso ihn die Meistersinger als zu wenig konform betrachten. Ob er dazu alles mit weißer Farbe anmalen, ja sogar Eva selbst durch das Bemalen zum Kunstobjekt machen muss, ist diskutabel. Auch ob sich durch weiße Turnschuhe das Rebellische in seiner Natur angemessen ausdrücken lässt, ist Geschmacksache. Den Meistersingern Bilder im Stil von Miró zu präsentieren, bei denen sie verschämt mit ihren Mützen den abstrakt angedeuteten Schambereich und die zu erahnenden Brüste bedecken, lässt schon eher nachvollziehen, dass sich mit Stolzing eine in die Zukunft weisende Kunst andeutet. Dass Sachs erkennt, welches Potential in Stolzing steckt, wird gut nachvollziehbar, wenn Stolzing in seinem ersten Vortrag, bei dem er aus Puzzleteilen ein pittoreskes Gemälde von Altnürnberg legt, dieses verkehrt herum zusammensetzt. So entspricht das Kunstwerk zwar nicht den Erwartungen der Meistersinger, erst recht nicht Beckmessers, der das gleiche Puzzle in der richtigen Form legt, anstatt die Fehler Stolzings im Vortrag mit Strichen zu markieren, zeigt aber bereits, dass in diesem Kunstwerk ebenfalls ein aufkommender Meister steckt.

Sachs im Gegensatz zu den anderen Meistersingern, die einheitlich schwarze Schuhe tragen, barfuß auftreten zu lassen, um ihn der neuen Kunstrichtung gegenüber aufgeschlossener zu zeigen, mag im Inszenierungskonzept noch aufgehen. Dass er jedoch im zweiten Aufzug Beckmessers Vortrag mit dem Hämmern auf einer Schreibmaschine unterbricht, passt weder zum gesungenen Text, noch lässt es sich anderweitig aus der Inszenierung motivieren. Auch die aus dem Schnürboden herabfallenden weißen Turnschuhe wirken in Beckmessers Vortrag völlig zusammenhanglos. Die Personenregie im zweiten Aufzug kann ebenfalls nicht überzeugen. Schon die ausgelassene Feier der Lehrbuben und -mädchen zu Beginn des zweiten Aufzuges wirkt eher apathisch, wenn sie träge ihre Bierflaschen in der Hand hin und her schwingen und die Johannisnacht besingen. Und auch am Ende von Beckmessers Vortrag erschöpft sich ihre ganze Aktivität darin, ihren Kopf ruckartig zur Musik von links nach rechts zu bewegen. Wieso Magdalene einen Perückenkopf frisiert, ist ebenfalls schwer nachvollziehbar. Die komplette Prügelszene entfällt und äußert sich nur darin, dass der Chor aus der oberen Etage des Bühnenbildes eimerweise Farbe auf die Bühne kippt. Der Missmut des Publikums äußerte sich nach diesem Aufzug auch mit lautstarken Buhrufen.

Dafür gelingt der dritte Aufzug zwar für einen Großteil des Publikums nicht versöhnlicher, offenbart aber ein nachvollziehbareres und sehr ausgeklügeltes Regiekonzept. Während Sachs in seinem Wahnmonolog vor einem riesigen Fenster über die vergangene Nacht sinniert, sieht man hinter ihm zwölf große Meister aus diversen Kunstrichtungen mit überdimensionalen Köpfen bei ganz alltäglichen Geschäften. Die Meister der Vergangenheit werden also von ihren Sockeln geholt, auf denen sie im ersten Aufzug noch am Rande des Bühnenbildes stehen. Den anschließenden Can Can dieser Figuren auf der Festwiese und die sexistischen Anzüglichkeiten dieser Szene lassen sich als Abrechnung mit dem modernen Regietheater verstehen, da nach dieser Szene Statisten als Regisseur, Bühnenbildner und Dirigent vor den Vorhang treten, um ihren Applaus entgegenzunehmen, stattdessen aber mit dem ganzen herumliegenden Unrat in einen Müllcontainer gepackt werden und – das mag dem einen oder anderen Betrachter dann doch schon wieder zu weit gehen – angezündet werden. Diese Szene manifestiert Sachsens und Stolzings Entwicklung zum ebenfalls in alten Konventionen behafteten Traditionalisten. Mit Blick auf Stolzing ist das eine sehr pessimistische, aber durchaus zutreffende Sichtweise. So war Wagner zu seiner Zeit musikalisch auch sehr revolutionär und ist von den damaligen Traditionalisten sicherlich nicht verstanden worden. Heute hingegen gilt er für große Teile der jüngeren Generation aber als ebenso alt und verstaubt, wie die Alten auf ihn gewirkt haben. Dieses Schicksal wird Stolzing genauso teilen. Seine Musik mag für den heutigen Hörer davon bereits ein Zeugnis ablegen. Sachs am Ende als rigorosen Verfechter der alten Werte darzustellen und ihn deshalb wie die anderen Meistersinger in einen schwarzen Anzug und schwarze Schuhe zu quetschen, ist zum einen textlich durch seinen Schlussgesang motiviert, lässt sich andererseits auf die Verfremdung des modernen Regietheaters verstehen, die bei zahlreichen der Kunst aufgeschlossenen Menschen dazu führen, diese modernen Ansätze abzulehnen und die so genannte Werktreue einzufordern.

Dass Beckmesser sich in den Rebellen verwandelt, ist als Regieeinfall ganz witzig, lässt sich aber mit der Anlage der Figur in der Vorlage nicht unbedingt vereinbaren, obwohl die Personenregie im dritten Aufzug, wenn Beckmesser in Sachsens Wohnung herumschnüffelt und dabei auf die von Stolzing verfasste Arie, in diesem Fall ein Bühnenbild für eine Theateraufführung, stößt, wunderbar auf die Musik gelegt ist. Diese Szene ist handwerklich perfekt und auch von Adrian Eröd darstellerisch hervorragend umgesetzt. Dass er bei seinem Vortrag auf der Festwiese aus Lehm einen leicht deformierten Adam formt, der mit gelben Farbklecksern versehen, gemeinsam mit einer nackten Eva Äpfel auf den protestierenden Festspielchor wirft, soll genauso wenig gefallen wie Beckmessers Vortrag in der Vorlage auf Zustimmung trifft. Dagegen erinnert die Szene, die Stolzing in seinem Vortrag präsentiert, in regelrechtem klassischem Kostümkitsch an ein vorzeitliches Arkadien, was in der Ästhetik dem ablehnenden Teil des Publikums sicherlich entgegenkommen könnte, wenn man die Ironie dieser Szene auszublenden vermag. Grandios ist auch das Bild, wie der Chor auf der Festwiese als Zuschauer auf einer großen Tribüne auf die Bühne emporgefahren wird. Dieses Bild ist eine Hommage an die damals sehr gescholtene, heute mittlerweile verklärte Inszenierung von Wieland Wagner. So kann es mit der Kunst gehen. Der goldene Hirsch als Siegtrophäe mag zum einen an eine Bambi-Verleihung erinnern, so wie die Überreichung des Schecks der Nürnberger Bank ebenfalls sehr medienwirksam in Szene gesetzt wird, zum anderen aber auch den einen oder anderen Bayreuth-Besucher an das gleichnamige Hotel erinnern, in dem man für seinen Festspielbesuch absteigt. Am Ende kommt dann auch noch ein bisschen Hollywood-Glanz in die Inszenierung, wenn in Gold glänzende, an den amerikanischen Oscar erinnernde gewaltige Statuen der großen Meister Goethe und Schiller aus dem Bühnenboden emporsteigen. An diesen Stellen schafft Katharina Wagner Szenen, die ganz weit vom viel gescholtenen modernen Regietheater entfernt sind.

Musikalisch gibt es in diesem Jahr mit Burkhard Fritz einen neuen Stolzing. Dabei ist es für Fritz keine dankbare Aufgabe, diese Rolle von Klaus Florian Vogt zu übernehmen, der darin stets einen musikalischen Glanzpunkt der Inszenierung gesetzt hat. Aber Fritz meistert die Herausforderung mit kräftigem und zupackendem Tenor, der allerdings in “Morgenlich leuchtend im rosigen Schein” in den Höhen an seine Grenzen gerät. James Rutherford überzeugt auch im zweiten Jahr als Hans Sachs mit profundem Bass und sehr klarer Diktion. Auch Adrian Eröd füllt die undankbare Rolle des Sixtus Beckmesser stimmlich und musikalisch hervorragend aus. Georg Zeppenfeld begeistert mit markantem Bass als Veit Pogner. Norbert Ernst präsentiert Sachsens Lehrbuben David gewohnt souverän. Wie in den Jahren zuvor legt Michaela Kaune die Eva mit recht starkem Vibrato in den Höhen an und bleibt recht textunverständlich. Auch Carola Guber wirkt als Magdalene stimmlich eher blass. Glänzend und sehr kraftvoll dagegen kann der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor vor allem im dritten Aufzug überzeugen, auch wenn er als Zuschauermasse auf dem hochgefahrenen Podest nur sehr statisch agieren darf. Sebastian Weigle führt das Orchester der Bayreuther Festspiele gewohnt souverän durch den recht langen Abend.

FAZIT

Ein bisschen Wehmut ist doch dabei, wenn diese Inszenierung in diesem Jahr zum letzten Mal auf dem Hügel zu erleben ist. Denn auch wenn ein Großteil der langjährigen Besucher Katharina Wagners Deutung ablehnt, ist doch vor allem beim jüngeren Publikum ein großer Zuspruch zu beobachten.

Thomas Molke | rezensierte Aufführung: 12.08.2011

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 658 MByte (MP3) 1731 kbit/s VBR, 48.0 kHz, 5.1 ch, 3.43 GByte (flac)
Remarks
Broadcast from the Bayreuther Festspiele
A production by Katharina Wagner (2007)