Die Walküre

Franz Welser-Möst
Orchester der Oper Zürich
Date/Location
4 June 2001
Opernhaus Zürich
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Gösta Winbergh
Hunding Matti Salminen
Wotan Jukka Rasilainen
Sieglinde Stephanie Friede
Brünnhilde Gabriele Schnaut
Fricka Cornelia Kallisch
Helmwige Liuba Chuchrova
Gerhilde Margaret Chalker
Ortlinde Brigitte Jäger
Waltraute Stefania Kaluza
Siegrune Stella Grigorian
Grimgerde Brigitte Pinter
Schwertleite Nadine Asher
Roßweiße Ursula Ferri
Gallery
Reviews
Neue Zürcher Zeitung

Lichtspiele, Schattenseiten

Das Formale Theater, sagt Robert Wilson, unternehme selbst keine Interpretation; es schaffe bloss den Raum, in dem sich jeder Zuschauer seine eigene Interpretation erstellen könne. Im Übrigen hoffe er, dass seine Arbeit an Richard Wagners «Ring des Nibelungen» nicht allzu sehr intellektuell belastet sei. Die Hoffnung hat sich schon ganz und gar erfüllt. Was das «Rheingold» letzten Herbst angedeutet hatte, verdichtete sich bei der «Walküre», die jetzt im Opernhaus Zürich zu umstrittener Premiere gekommen ist, zur Gewissheit. So wie es heute Schriftsteller gibt, die sich damit brüsten, nichts von Literatur zu halten und schon gar nicht etwas davon zu kennen, so wie es heute Schauspielregisseure gibt, die ein Stück zehn Tage vor der Premiere zum ersten Mal überhaupt lesen, so gibt es heute Opernregisseure, die sich das Schwerste vom Schweren vornehmen, ohne sich einen Deut darum zu kümmern. Abstrakt nennt sich dann das Resultat.

Noch abstrakter wäre die konzertante Aufführung. Aber das wäre nun doch zu schade. Dann müssten wir nämlich auf die (von Frida Parmeggiani erdachten) Kopfbedeckungen der Götter verzichten, die so charmant an eine nach hinten gezogene Mitra erinnern. Und auf Nothung, das neidliche Schwert, das Siegmund, Gott sei Dank, ohne jegliche Theatermühe aus dem im Hintergrund angedeuteten Stamme zieht und in der Folge wie einen Herrenschirm mit sich führt. Verzichten müssten wir auch auf die immer patenten Trockeneisschwaden, die zum Auftritt der acht Walküren über den Boden ziehen und kurz vor dem Absturz in den Orchestergraben weggeblasen werden. Und verzichten müssten wir auf das Bühnenfeuer, mit dem Wotan seine Wunschmaid am Ende umgibt – das heisst: Darauf mussten wir tatsächlich verzichten, denn die Chose funktionierte nur zum Teil.

Aber halb abstrakt ist auch schön – vor allem, wenn es wieder so berückende Lichtspiele gibt, wie sie bei Robert Wilson obligat und wie sie dank dem grossartigen Erlös des Zürcher Opernballs überhaupt erst möglich geworden sind. Hundings Hütte, im ersten Aufzug, ist durch Wände angedeutet, in die schmale, hohe, durch feine Sprossen gegliederte Fenster eingelassen sind – wir merken: Sieglinde ist gefangen gesetzt. Von fletschenden Hunden gehetzt, schreitet Siegmund auf Sieglinde zu, die ihm den Met mit blosser Hand reicht. Dass die beiden gewaltig füreinander entflammen, kommt in jenem weissen Lichtstrahl zum Ausdruck, der durch das vollkommene Dunkel auf ihre Hände fällt. Als Moment der szenischen Verfremdung könnten solche Ansätze von fruchtbarer Wirkung sein, und tatsächlich weist Robert Wilson darauf hin, dass sein Theater auch Raum schaffen wolle zum Zuhören. Allein, der Dirigent Franz Welser-Möst macht nicht mit, weil er zu sehr mitmacht.

Er stellt die Musik nicht aus, sondern nimmt sie in der gleichen Weise zurück wie der Regisseur das Szenische. Nichts, aber auch gar nichts gegen die Besetzung. Gösta Winbergh (Siegmund), der vom Lyrischen her kommt, hat seinen eher hellen Tenor in der Zwischenzeit überzeugend gefestigt; er braucht nicht zu drücken und hält bis zum zweitletzten Ton makellos durch. Stephanie Friede (Sieglinde) dagegen arbeitet mit dunklen Farben, aber auch sie setzt nicht auf Kraft, eher auf das volle Strömen. Möglich ist das, weil Welser-Möst – in Fortsetzung dessen, was er im «Rheingold» angelegt hat – dem (an der Premiere noch nicht ganz sattelfesten) Orchester der Oper Zürich Zurückhaltung auferlegt, weil er den Ton kammermusikalisch auflichtet, die einzelne Linie gegenüber dem Zusammenklang betont und damit die Textverständlichkeit erleichtert – auch dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden. Indessen hat sich der Dirigent auch die Neigung des Regisseurs zur Zeitlupe zu eigen gemacht, was den Spannungsbogen dieses Aufzugs zerstört. Keine Spur von Bedrohlichkeit, wenn Hunding (Matti Salminen) seinem Gast auflauert, und nicht die Ahnung von Rausch und Ekstase, wenn am Ende Lenz und Liebe zusammenfinden.

Im zweiten Aufzug, wo – auf leerer Bühne und leicht ansteigendem Schiefergrund – das göttliche Ehepaar zu altem Sturm gegeneinander antritt, ändert der Ton. Wotan bleibt jederzeit gefasst, und Jukka Rasilainen lässt seinem geschmeidigen, wohltönenden Bass entspannten Lauf. Als Fricka muss Cornelia Kallisch dagegen mächtig aufdrehen, was sie stimmlich souverän meistert, was aber zulasten der Verständlichkeit geht. Die Ehefrau als Furie: Das ist nicht nur ein verstaubtes, in der Wagner-Rezeption überdies längst bereinigtes Klischee, es widerspricht auch dem Geist der Szene. Denn der Ehestreit wird überaus gehaltvoll, auf dialektisch hohem Niveau ausgetragen, und wenn am Schluss Fricka obsiegt, muss man sagen: nach Punkten. Doch um das auf die Bühne zu bringen, hätte der Regisseur etwas konkreter werden und sich vielleicht ein wenig mit dem Text befassen müssen. Auch die Auftritte von Brünnhilde – mit Wotan, mit Siegmund – ziehen sich arg in die Länge. Gabriele Schnaut zeigt sich zwar wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte; sie setzt ihr kraftvoll metallenes Timbre bravourös ein und lässt erkennen, dass sie sehr wohl auch leise singen kann. Aber der Dirigent bremst, wo er kann. Die Sänger geraten deshalb immer wieder an ihre Grenzen, der Energiefluss bricht immer wieder zusammen.

Womit die Zürcher «Walküre» gelaufen ist. Denn der dritte Aufzug – in derselben szenischen Disposition wie der zweite – gerät arg konventionell. Die Versammlung der Schwestern Brünnhildes bringt noch einmal die wirklich sehr schönen Schattenrisse, die Robert Wilson über alles liebt, und sängerisch einige Schattenseiten. In dem ausführlichen Finale, das auf den Feuerzauber zuläuft, darf aufs Neue das abstrakte Streckbett bewundert werden, das sich aus dem Bühnenboden hebt und auf dem sich Brünnhilde mit Mühe, aber stets würdig niederlässt. Zu verstehen ist kein Wort, weil das Orchester jetzt in voller sinfonischer Kraft loslegt und es zum alten Kampf zwischen Graben und Bühne kommt, weshalb zum Beispiel der berührende Abschied des Vaters von seiner Tochter und seinen Visionen völlig verschenkt wird. Und zu sehen sind die bekannten künstlichen Handzeichen aus Wilsons Küche und eine Reihe von Beleuchtungseffekten, bei denen nicht klar wird, warum sie sich hier und nicht dort ereignen. Design verschönert das Leben; in diesem Fall führt es in jenen Abgrund, den das Theater, auch das musikalische, wie nichts anderes zu fürchten hat: in die Langeweile.

Peter Hagmann | 29.5.2001

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 494 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Robert Wilson (2001)