Die Walküre

John Fiore
Düsseldorfer Symphoniker
Date/Location
12 May 2002
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Frank van Aken
Hunding Hans-Peter König
Wotan Jukka Rasilainen [act 2/3]
John Wegner [act 3]
Sieglinde Jeanne Piland
Brünnhilde Linda Watson
Fricka Renée Morloc
Helmwige Cynthia S. Szymkovicz
Gerhilde Morenike Fadayomi
Ortlinde Annegeer Stumphius
Waltraute Renée Morloc
Siegrune Annette Seiltgen
Grimgerde Taru Sippola
Schwertleite Cornelia Berger
Roßweiße Laura Nykänen
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Reviews
Online Musik Magazin

Skandalöse Wiederaufnahme mit musikalischen Glanzlichtern

Im Prinzip hat Professor Tobias Richter ja recht, wenn er nicht müde wird zu behaupten, man müsse möglichst viele Vorstellungen spielen, um sich gegen die immer prekärer werdende finanzielle Situation des Gemeinschaftstheaters zu stemmen. Nun gibt es neben der leidigen Diskussion um das liebe Geld aber auch so etwas wie eine künstlerische Verantwortung, die ein Intendant wahrzunehmen hat: Es ist mir durchaus klar, dass man für eine Reprise nicht dieselbe Anzahl an Proben hat wie für eine Premiere, aber wenn ein aufwändiges, langes Stück wie das genannte seit fünf Jahren nicht mehr auf dem Spielplan stand, wenn dazu noch Rollendebütanten besetzt sind (beziehungsweise Künstler, die noch nie in dieser Inszenierung zu sehen waren) und auch der musikalische Leiter trotz aller Werkkenntnis die Oper noch nicht dirigiert hat, dann muss man eben Zeit und Raum für die Vorbereitung schaffen oder die Finger von dem geplanten Unternehmen lassen, pardon.

Und sind wir ehrlich: Es ist ja nicht das erste Mal, dass man sich über die Qualität mancher Abende an der Deutschen Oper am Rhein die Haare raufen möchte – da gibt es ganz düstere Vorstellungen vor allem im Repertoirebetrieb, für deren Besuch aber auch Menschen wahrlich nicht geringe Eintrittspreise zahlen! Dass das Gros des Publikums davon nichts merkt oder vielleicht gnädiger über die eine oder andere Panne hinwegschaut, steht dabei auf einem anderen Blatt; dass hier vor allem im dritten Aufzug in technischer Sicht manches daneben ging, merkte auch der unerfahrene Besucher spätestens an den Unmengen Bühnennebel, die ihm um die Nase wehten, aber auch an dem deutlich vor dem Verklingen des letzten Tons fallenden Schlussvorhang. Und auch Zuschauern, die selten in die Oper gehen, konnte es nicht entgehen, dass die Mehrheit der Sängerinnen und Sänger nicht ihre Mitspieler anschaute, sondern den Blick nicht vom Dirigenten oder einem der Monitore lassen konnte, dass John Fiore immer wieder den Arm Richtung Bühne erheben musste, um falsche Einsätze zu stoppen, dass Linda Watson geistesgegenwärtig selbst Schild und Speer beiseite trat, damit der Brünnhildenfelsen seine endgültige Halteposition in der Mitte der Bühne einnehmen konnte, dass ein Mitglied der technischen Mannschaft kurz seinen Kopf ins grelle Scheinwerferlicht im Bühnenhintergrund hielt, um mit eigenen Augen zu sehen, welches Chaos sich nun wieder auf der Szene ereignet. Ob das verärgerte Buh eines Besuchers unmittelbar nach Verklingen des letzten Tons da die angemessene Reaktion ist, mögen andere entscheiden – verständlich war mir seine Missfallensäußerung allemal.

Angesichts dieser Umstände Worte über Kurt Horres’ immer kontrovers besprochene Regie zu verlieren, verbietet sich – dass Alexandra Ilickovic, der man die Spielleitung anvertraut hatte, vor zwölf Jahren dabei war, wage ich zu bezweifeln. Vieles, was man da auf der Bühne sah, wirkte ohnehin eher der unterschiedlich vorhandenen Kreativität und Darstellungskunst der Akteure entsprungen.

Aber die meisten Besucher waren ja ohnehin gekommen, um die “Neuen” zu hören. Jeanne Piland dehnt ihre Aktivitäten in Richtung dramatischer Sopran aus (das “Hehrste Wunder” indes zeigte, dass eine Grenze erreicht ist), und zweifellos hatte sie große Momente als Sieglinde (das “Mich dünkt, ihren Klang hört ich als Kind” etwa rührte mich sehr an): Das klangvolle, immer noch lyrische Mezzofundament kommt besonders zu Beginn ihrer Erzählung aufs Schönste zum Tragen, sie besaß auch den nötigen “Jubel” in der nicht allzu exponierten Höhe, sie ist eine faszinierende, engagierte Darstellerin. Aber da waren auch einige peinliche Aussprachefehler, Wagners Absichten negierende Phrasierungen und vor allem zahlreiche falsche Einsätze – Negativa also, die auch in Vorstellungen des Rosenkavalier mit ihr immer wieder ärgerlich auffallen. Großen Beifall fand auch ihr Partner Frank van Aken, dessen mitunter aufgerauht-heiseres, angenehm dunkles Timbre indes Geschmackssache bleibt, der aber mit vielen schönen, von manch prominenterem Kollegen im Dauerforterausch übergangenen Pianomomenten aufwartete, mit seinen nicht endlos gehaltenen, aber existentielle Not herzzerreißend zum Ausdruck bringenden Wälserufen überzeugte, musikalisch aber ebenso unsicher wie seine Bühnenschwester und -braut war (die Schmisse am Ende der “Todesverkündigung” waren skandalös).

John Wegner hatte als Wotan außer einer unerhört zuverlässigen, durchdringenden Höhe und einigen vorbildlichen Legati wenig anzubieten: Manches Piano geriet brüchig, die Tiefe ist ohnehin nicht besonders ausgebildet, und das Geflüster in den langen, allzu lässig und unmotiviert abgespulten Monologen und in weiten Teilen der Schlussszene hat mit differenziertem Wagnergesang nichts zu tun, das ist Mogeln! Renée Morloc war vokal alles andere als eine schlechte Fricka (die mittlere Tessitura dieser Partie kommt ihrem in der Höhe etwas faulen Mezzo sehr entgegen), aber ihre Darstellung blieb einfach zu eindimensional und allgemein, als dass man sich am Ende des Aufzugs noch an ihre Interpretation erinnert hätte.

Neu war auch die Brünnhilde: Linda Watson, selbst jahrelang eine hochkarätige Sieglinde, sang nach ihrem Rollendebüt in Tokio vor wenigen Wochen die Titelpartie nun auch an ihrem Düsseldorfer Stammhaus. Auch ihr Sopran hat sich die attraktive Mezzofarbe bewahrt, was gerade bei der ersten der drei Brünnhilden hilfreich ist, die abgesehen vom Auftrittsschlachtruf, den die Amerikanerin mit bestechender Präzision wirklich einmal aussang und nicht nur “jauchzte”, reichlich tief liegt. Hier hörte man endlich einmal wieder eine echte hochdramatische, voluminös-breite, ausgeruht-satte, belastbar-unangestrengte Stimme, und auch darstellerisch präsentierte die Künstlerin sich aktiver und mehr auf ihre Mitspieler eingehender als sonst – eine Ausnahmeleistung, die Lust macht auf die für die kommende Saison angekündigten Wiederaufnahmen der beiden letzten Teile des Ring. Durch nichts zu erschüttern war auch Hans-Peter König, bei dessen Hunding auch der tiefste Ton bestechend saß und der mit seinem schweren, schwarzen, mächtiger Bass, seiner furchteinflößenden körperlichen Präsenz und dank seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Text eine Idealbesetzung für diese Partie ist.

John Fiores Beschäftigung mit dem Wagnerschen Zyklus reicht zurück bis in seine Teenagerjahre (!), als er bei den Wagnerfestspielen in Seattle als Korrepetitor engagiert war. Der Chefdirigent der Rheinoper reizte die dynamische Palette höchst abwechslungsreich aus, neben dröhnenden Fortissimi etwa beim Walkürenritt (über die Leistung der meisten Solistinnen sei trotz weitgehender Präzision der gnädige Mantel des Schweigens gebreitet) gab es auch viel Raum für zarteste Piani, die die Sängerinnen und Sänger gern aufgriffen. Sicher, manche Motive hätten noch deutlicher herausgearbeitet werden können, vieles ist noch mit einem eher breiten Pinsel gemalt, bisweilen fehlte es dem Spiel der Düsseldorfer Symphoniker auch ein wenig an Transparenz, die Tempi waren auch mitunter diskutabel (etwa in der allzu zerdehnten Todesverkündigung), und insgesamt vermisste man noch den großen Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Note, den zu ziehen sein Vor-Vorgänger Hans Wallat so unnachahmlich versteht. Über weite Strecken freute man sich aber über ein sinnliches, mitunter wohlige Schauer auslösendes Musizieren, das weder mit dem gleichsam kastrierten, abgestandenen Wagner Jeffrey Tates am Pult des Kölner Gürzenich-Orchesters bei der Premiere desselben Werks im letzten Dezember zu vergleichen war, noch mit dem gehetzten, seelenlosen Glitzern, das Stefan Soltesz den Essener Philharmonikern im Lohengrin abtrotzt.

FAZIT

Trotz des sensationellen Rollendebüts von Linda Watson und anderer musikalischer Höhepunkte verließ man das Düsseldorfer Opernhaus einmal mehr kopfschüttelnd …

Thomas Tillmann | Wiederaufnahme am 9. Mai 2002

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 540 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Kurt Horres (1990)
In the third act (“Du folgtest selig der Liebe Macht”) John Wegner takes over as Wotan.