Die Walküre

Franz Welser-Möst
Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
2 December 2007
Staatsoper Wien
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Johan Botha
Hunding Ain Anger
Wotan Juha Uusitalo
Sieglinde Nina Stemme
Brünnhilde Eva Johansson
Fricka Michaela Schuster
Helmwige Amanda Mace
Gerhilde Caroline Wenborne
Ortlinde Alexandra Reinprecht
Waltraute Aura Twarowska
Siegrune Sophie Marilley
Grimgerde Daniela Denschlag
Schwertleite Zoryana Kushpler
Roßweiße Cornelia Salje
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Reviews
operinwien.at

Fehlstart

Warum beginnt man ein neues „Ring“-Projekt mit der „Walküre“? Damit sich die Regie nicht schon am „Rheingold“ die Zähne ausbeißt … Insofern war es ein taktisch kluger Schachzug, dem allerdings das stimmliche k. o. Wotans am Ende des zweiten Aufzugs einen Strich durch die Rechnung machte. Somit fällt eine Beurteilung schwer – und eigentlich müsste es heißen: „Zurück an den Start!“

Unbestritten an diesem Abend: das umjubelte Wälsungen-Paar. Johan Botha mit schier unerschöpflichen stimmlichen Reserven und Nina Stemme, als mitreißende, leidende, liebeshungrige und verweifelt-verlassene Frau, die letztlich aus ihrer Mutterschaft noch einmal neue, wunderbare Hoffnung schöpft. Stemme hat die Sieglinde bereits in Wien gesungen und sie bringt alle Voraussetzungen mit: ein warmes, nicht zu helles Timbre, dass sich seelenvoll verbreitern kann, genug Stimmvolumen, um in der Staatsoper bestehen zu können, viel körperlichen Einsatz und behende Agilität. Zudem hat man bei Stemme immer das Gefühl, dass sie weiß, was sie singt. Dementsprechend tauchte sie die Wagner’schen Stabreime in das wechselnde Gefühlsbad ihrer Emotionen und gewann hier jene zusätzliche und für das dramatische Wirken entscheidende Dimension, die ihr an diesem Abend als „zeitgemäße“ Singschauspielerin unikaten Stellenwert verlieh.

Nun wird man derzeit kaum einen Siegmund finden, der diese Partie dermaßen souverän und im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte umzusetzen vermag wie Johan Botha. Selbst bei den Wälserufen hatte man keine Sekunde das Gefühl einer stimmlichen Anspannung, kraftvoll und doch locker sang er sie, ein unbesiegbarer Gott der Opernbühne, der sich so weit über die Untiefen eines Wagner’schen Heldenlebens hinaushebt, dass man seinen Siegmund schon fast als Festkantante zur höheren Ehre des „Meisters“ durchgehen lassen könnte. Die Bewunderung kennt hier keine Grenzen und niemand wird Botha diese Anerkennung versagen. Aber genauso wie ihm der Stolzing behagt, als Meistersinger-Apoll, mit der Möglichkeit auch ein wenig selbstironisch seine prachtvolle Gesangeskunst zur Geltung zu bringen, so schwierig wird es, wenn das Göttliche in der Gestalt eines eifersuchtsbesessenen Othellos oder eines abgekämpften, verwundeten, nach Wasser schmachtenden Heroen zu erscheinen hat. Man bewundert ihn, aber findet sich ein Schlüssel zum leidgeprüften Seelenleben dieser Helden? Zudem scheint Botha – im zweiten Aufzug mit Textunsicherheiten konfrontiert – sich den Stabreim noch nicht so ganz verinnerlicht zu haben. Durch die bedeutungsgewichtende Betonung der Anlaute entwickelt dieser einen eigenen Rhythmus, der, wenn man ihn beachtet, sozusagen von selbst das Wichtige vom weniger Wichtigen scheidet. Botha sang mir hier zu sehr legato, es fehlten die Konturen – und egal ob Liebe oder Leid – alles löste sich bei ihm in Wohlklang auf. Gewisse schauspielerische Risiken – wenn die Regie Botha gar mittels Sessel (!) auf das seltsame Tischarrangement in Hundings Hütte steigen lässt – seien nur ganz dezent erwähnt.

Gesanglich weniger überzeugend gelang das Brünnhilden-Debüt von Eva Johansson. Das Auftritts-Hojotoho war hart erkämpft, grell und gefährdet in den Spitzentönen. Es wurde rasch deutlich, dass sich Johansson in den lyrischeren Passagen deutlich wohler fühlt und dass sie (gemessen an den räumlichen Dimensionen der Staatsoper) wohl nicht als genuiner dramatischer Sopran gelten kann. In der Mittellage klingt die Stimme angenehm, nicht ohne Wärme. Wer sich eine Brünnhilde „in klassischem Sinn“ erwartet hatte, wurde womöglich enttäuscht (worauf einige Missfallenskundgebungen beim Solovorhang schließen ließen). Als Bühnenerscheinung machte sie – mit langem Blondhaar – beste Figur, brachte auch Brünnhildes Mädchhaftigkeit und ihr Tochtersein gegenüber Wotan innig zum Ausdruck. Von ihren „Schwestern“ erreichten leider nicht alle Premierenreife, das war kein Aushängeschild.

Ain Anger gab einen noblen Hunding, ohne stimmlich gewalttätig mit „schwarzer Farbe“ zuzupacken. Das klang kultiviert, war mir in Summe aber zu blass. Was ist Hunding anderes, als ein Bösewicht? Anger erschien schon zahm und domestiziert. Drückt das ihm zugeordnete Leitmotiv seine brutale, grobe Natur nicht allzudeutlich aus? Michaela Schuster brachte als mit Pfauenfedernkleid (!) „betuchte“ Fricka ihren Wotansgemahl stark ins Schwitzen. Schön, dass es hier einmal nicht nur eine böse Geiferin zu hören gab, sondern eine Frau, die durchaus mit zwiespältigen Gefühlen ihrem Mann gegenübertritt, um dessen „Verfehlungen“ sie weiß, den sie aber auch nicht verlieren und deshalb zurückerobern möchte.

Dieser Gemahl, Göttervater Wotan, gesungen vom Finnen Juha Uusitalo, hatte freilich einen rabenschwarzen Tag erwischt. Schon während der Wotanserzählung wurde die Stimme brüchig, das herbeigewünschte „Ende“ verkam zu einem Säuseln und das wutenbrannte Schlussstatement am Ende des zweiten Aufzugs verschwand in einem akustischen schwarzen Loch, dass sich wie eine Schockwelle auf das Publikum übertrug. Gleich nach Schweigen des Orchesters ging es mit einigen Buhrufen los, die dann rasch von aufbrandenden Solidaritätskundgebungen für Uusitalo unterbrochen wurden. Was jetzt? Einen dritten Aufzug „Walküre“ kann man sich schwer ohne Wotan vorstellen?!

Vor Beginn des dritten Aufzugs trat Direktor Holender persönlich vor den Vorhang. Einige Buhrufe wurden von ihm in gekonnter Weise mit einem süffisanten Statement pariert (sinngemäß: er habe den Wotan nicht gesungen und er werde ihn auch nicht singen). Dann wurde dem Publikum eine humoristisch eingefärbte Geschichte erzählt: Juha Uusitalo sei ein hervorragender Wotan und er habe die Hauptprobe und die Generalprobe ausgesungen, allerdings auf seinen (Holenders) Rat sich zu schonen, nicht gehört. Er habe sich wenige Stunden vor der Vorstellungen plötzlich schlecht gefühlt, sei zum HNO-Arzt geeilt und dieser habe nichts feststellen können. Man habe es geschafft („ohne Handy hätten wir jetzt keinen Wotan“), Herrn Oskar Hillebrandt beim Pizzakaufen am Westbahnhof zu erreichen – und dieser habe sich bereit erklärt, im dritten Aufzug einzuspringen. Er werde aber von der Seite des Orchestergrabens singen, während Uusitalo den Wotan auf der Bühne mimen werde (das sei der Wunsch des Regisseurs). Hillebrandt entledigte sich der Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit und Uusitalo mimte mehr oder weniger erfolgreich seinen Part. So blieben eigentlich nur zwei Fragen offen: Warum wurde Uusitalo nicht angesagt und warum gab es keine Zweitbesetzung als Cover?

Franz Welser-Möst hielt unter diesen schwierigen Umständen das Schiff auf Kurs. Aber schon im zweiten Aufzug machte sich Nervosität breit (Bläserpatzer) und der dritte zeigte ohnehin eine gänzlich neue Situation. Dass er im zweiten Aufzug die Lautstärke stark zurückgefahren hat, konnte Uusitalo auch nicht mehr retten. Der Beginn war verheißungsvoll, ein Vorspiel von starker, drängender Wucht, ein packendes Dahinjagen. Man sah Siegmund förmlich durch Wald und Feld hasten, das Gewand von Schwerthieben und Dornen zerfetzt, mit blutigen Wunden und vielleicht noch einem schön drapierten Cut auf der Stirn. (Ein Eindruck, den die Inszenierung dann freilich Lügen strafte.) Doch bald zeigte sich, dass Welser-Möst die Partitur analytisch durchgerechnet und nach Verhältnismäßigkeiten aufgeteilt zu haben schien – einem mathematischen Verfahren folgend und keinem dramatischen. Die verinnerlichende Tiefenstruktur der Motive erhielt kaum Entfaltungsspielraum, der Orchesterklang blieb zudem meist schlank und etwas unterkühlt, ohne romantischem Schwelgen. Wer konnte sich bei dieser homogenen Ausgeglichenheit noch vor dem hörnerbegleiteten Herannahen der Hunding’schen „Jagdgesellschaft“ fürchten, wer entdeckte im aufblühenden Wallhall-Motiv ein tröstende archetypische Gewissheit? Vieles wirkte sehr flott dirigiert, und im ersten Aufzug beispielsweise zu einheitlich im Wechselspiel von Innehalten und nach Erfüllung gierender Liebesglut, im zweiten – aber hier war ja Wotan schon gezeichnet – plätscherte im Orchester die Wotanserzählung mehr dahin, als dass sie in narrativem Sinn den sachlichen und emotionalen Gehalt der Motive transportiert hätte. Für ein abschließendes Urteil ist es freilich zu früh – außerdem hat in Anbetracht der Hausdebüts und der Entwicklung, die der Abend nahm, dieses sehr strukturiere Vorgehen sicher Schlimmeres verhindert.

Bleibt noch von der Inszenierung zu berichten, deren deutliche Ablehnung von Teilen des Publikums beim Schlussvorhang mich ein wenig überrascht hat. Freilich muss man sich hier auch selbst die Frage stellen: Mit welchen hochgespannten Erwartungen besucht man eine solche Premiere, welche Sensationsgier wünscht man befriedigt? Denn das Ergebnis war in Anbetracht der hochgestochenen Ankündigungen: „Der Ring einer neuen Generation!“ doch etwas dürftig. Während Sven-Eric Bechtolf die Personenführung mit psychologischer Feinzeichnung zum Teil ganz gut gelang (etwa in der Szene Wotan Fricka oder die Trauer Wotans um einen weißen Wolf, der sozusagen als Ankündigung von Siegmunds Tod, auf die Bühne getragen wird) versagte in anderen (die lächerlichen heldenhaschenden Walküren) sein Theaterinstinkt völlig. Man könnte aber auch ganz blasphemisch die Frage stellen, ob Wien nach 15 Jahren wirklich schon einen neuen „Ring“ gebraucht hat. Denn irgendwie lag über dieser „Walküre“ das bedrückende Gefühl einer allgemeinen kreativen Schaffenspause, die für das Neuninszenierungskarussel, dass dieselben Werke beständig in neue Gewänder zu kleiden sucht, längst symptomatisch ist.

Insofern litt die Szene nicht unter übertriebener Ausschöpfung vorhandener Mittel, sondern in der erschöpfenden Nichtnutzung selbiger. Bis auf den Feuerzauber, den ich davon ausdrücklich ausnehmen möchte, weil er es dank geschickter Projektionen endlich einmal so richtig „wabern“ ließ, blieb wenig übrig. Der „Wonnemond“ fand nicht statt, es sei denn, man rechnet einen schwachen Beleuchtungswechsel als Effekt, der Kampf zwischen Siegmund und Hundig wirkte in der Figurenkoordination chaotisch, die beiden mussten auch viel zu lange lautsprecherverstärkt aus der Hinterbühne singen. Dass Siegmund auf einem Tisch steht, wenn er das Schwert aus der Esche Stamm zieht, behindert die Interaktion mit Sieglinde (und das Botha ihr stürmisch in die Arme springt, will man ihm und ihr lieber nicht zumuten). Völlig daneben ging der Walkürenritt: Die Helden, in weiße Kapuzenbademäntel gehüllt, wollen von den Schlachtjungfrauen nicht gefangen werden, tappsen hilflos über die Bühne. Die Walküren haben blutverschmierte Hände und seltsam bemalte Gesichter. Beäugt wird die Szenerie von lebensgroßen Pferdestatuen, die wie in einem Museum herumstehen – sie bleiben bis zum Aktschluss am Ort. Ob Siegfried Brünnhilde in diesem Ambiente wird aufwecken müssen?

Wenn Sieglinde den Männern vor dem Mahle in Hundings Hütte eine Schüssel zum Händewaschen reicht, kommen offenbar großbürgerliche Verhaltensweisen ins Spiel, die mit dem Bühnenraum korrespondieren, der ein klassizistisches Zimmer darstellt. In diesem Punkt hatte die alte Inszenierung unbestrittene Vorteile: der Lenzeinbruch war deutlich mit einem Überraschungseffekt markiert, die weiße, kahle Schneefläche im zweiten Aufzug machte das Leid und die Ausgesetztheit Sieglindes und Siegmunds viel deutlicher. Hier muss Sieglinde in Brünnhildes Kinderzimmer (?) mit einem Stahlrohrbett Vorliebe nehmen. Und warum umringen im ersten Aufzug vier Tische die Esche? Eine ganz absonderliche Möblierung. Soll das seltsame Arrangement nur für Kletterübungen sorgen, damit die SängerInnen in Bewegung bleiben? Kinderspielzeug spielt auch eine Rolle, Erinnerungen an die gemeinsame Wälsungenzeit (erster Aufzug) oder Brünnhildes Kindheit im zweiten.

Insgesamt finden sich noch viele weiße Flecken auf dieser „Ring“-Landkarte und man wird sehen, wie sich die Sache entwickelt. Trotzdem – und das mag jetzt angesichts obiger Aufzählung überraschend wirken – der Gesamteindruck war bei weitem nicht so provokant oder desaströs wie es einige Publikumsreaktionen vermuten lassen. Man wird in Zukunft damit leben können, denke ich. Freilich würde man – in Anbetracht dessen – auch mit der „Karajan“-Inszenierung von 1957 immer noch gut gelebt haben …

Dominik Troger | Wiener Staatsoper 2.12.2007

Neue Zürcher Zeitung

Wagner-Gesang mit ungewohntem Profil und Fallgruben

Nicht mit dem gemessen und gedehnt aus der Tiefe aufsteigenden Es-Dur-Akkord, der «Das Rheingold» eröffnet, sondern den peitschenden Schlägen in den ersten Takten der «Walküre» hebt nun also die neue Produktion von Richard Wagners «Ring des Nibelungen» an, die sich die Wiener Staatsoper auf die Bretter zu stemmen vorgenommen hat. Noch in dieser Saison folgt «Siegfried», die nächste Spielzeit bringt «Die Götterdämmerung» und dann, aber erst zum Abschluss des Projekts, den Vorabend des «Rheingold». Fürwahr aufsehenerregend, diese Wiener Spezialität in der Abfolge der Tetralogie, nur gibt es ebenso wenig Grund wie Begründung dafür – abgesehen von der Tatsache, dass sie im Haus am Ring sozusagen Tradition ist. Und Traditionen soll man hochhalten, das schon.

Zu den Traditionen gehört weiter, dass sich die Wiener Staatsoper unter der Leitung von Ioan Holender als Trutzburg der Gesangskunst in der wüsten Welt des allenthalben um sich greifenden Regietheaters deutscher Art versteht. Weshalb sich auch der neue Wiener «Ring» durch eine besondere Art der vokalen Kultur von den zahllosen Deutungen der Tetralogie in jüngerer Zeit unterscheiden sollte. Allein, genau hier hat die zum Grossereignis emporstilisierte Premiere der «Walküre» ihren Einbruch erlitten – indem Juha Uusitalo, der Darsteller des Wotan, im zweiten Aufzug auf offener Bühne die Stimme verlor. Ausgesprochen interessant hatte sein Einstieg geklungen: ein Wotan mit seidenem, fast lyrischem Ton, fern aller virilen Pracht, vielmehr hörbar unsicher gegenüber der blendenden Argumentation, mit der Fricka ihren Gatten umzingelt. Bald folgten allerdings erste Huster des Sängers, am Ende blieb nur mehr das blosse Markieren.

Kammermusikalische Lesart

Da war guter Rat offenbar teuer. Als bei der Premiere von Wagners «Meistersingern» vor wenigen Wochen in der Dresdener Semperoper der Tenor Robert Dean Smith als Darsteller des Stoltzing zu Beginn des dritten Akts vom selben Schicksal ereilt wurde, konnte auf einen hinter der Bühne bereitstehenden Sänger der zweiten Besetzung zurückgegriffen werden, weshalb auf der Festwiese mit Raymond Very ein ganz und gar frischer Ritter sein Preislied schmetterte. Das war in Wien nicht möglich – doch immerhin liess sich dank den Segnungen der modernen Kommunikationstechnik der Bariton Oskar Hillebrandt ausfindig machen. In früheren «Ring»-Inszenierungen vielfach beschäftigt und mit den Aufgaben vertraut, sang er den Part des Wotan seitlich aus dem Klavierauszug, während sich Uusitalo dem Agieren auf der Bühne hingab.

Das war natürlich ein arger Dämpfer – der nun allerdings auch seinen Vorteil hatte. Denn so respektabel Hillebrandt seinen Stegreif-Vortrag bewältigte, so deutlich war doch zu hören, dass er eine grundsätzlich andere und vielleicht auch ältere Auffassung von Wagner-Gesang repräsentiert – mit anderen Worten: worin die Meriten der neuen Wiener «Walküre» bestehen (könnten). Franz Welser-Möst, der mit dieser «Walküre» seinen ersten, sehr bejubelten Auftritt als designierter Musikdirektor der Wiener Staatsoper hatte, setzt auf eine kammermusikalische Lesart der Partitur und eine aus dem Wort entstehende Verwirklichung der musikalischen Textur. Das war schon bei seinem Zürcher «Ring» der Jahre 2000 bis 2002 der Fall, ist ihm hier aber merklich überzeugender gelungen – nicht zuletzt darum, weil das Wiener Staatsopernorchester an dieser Premiere ganz aus der Reserve ging und mit Präsenz, klanglicher Schönheit und farblichem Reichtum aufwartete.

Stürmisch, aber auch wuchtig und etwas trocken im Klang brach der erste Aufzug aus, und schon bald zeichnete sich ein sängerischer Höhenflug ab. Denn mit Johan Botha (Siegmund), der seine enorme Körperfülle durch den mühelosen Glanz und den kompakten Schmelz seines Tenors vergessen liess, und mit Nina Stemme (Sieglinde), die ebenso viel Geschmeidigkeit wie Klangfülle einbrachte, begegnete sich – unter den misstrauischen Blicken Hundings (Ain Anger) – das Geschwister- und Liebespaar der «Walküre» in ungewohnter Art. Während die Vokallinien in den Musikdramen Wagners rasch etwas Stentorhaftes bekommen, schien hier alles leicht von der Hand zu gehen und war überraschend viel zu verstehen. Und das, obwohl das Orchester keineswegs im Graben versenkt war, sondern ähnlich hoch sass wie in einer Mozart-Oper.

Nach diesem fulminanten Auftakt fiel der Absturz umso schmerzlicher aus. Manches mag mit dem sängerischen Zwischenfall zu tun haben. Die Begegnungen zwischen Mann und Frau fanden jedenfalls nicht mehr zur gleichen Intensität wie zuvor. Michaela Schuster gab eine überaus souveräne Fricka, hatte aber zu leichtes Spiel mit ihrem stimmlich absackenden Gatten. Erst recht hatte Brünnhilde nicht wirklich ein Gegenüber; vielleicht ist Eva Johansson deshalb so unter Druck geraten, was das Fliessen der Linien und die Verständlichkeit behinderte. Selbst das Instrumentale fiel ab. Zwar suchte Welser-Möst auch im zweiten Aufzug den Klang zu lichten und das Lineare statt des Harmonischen herauszustellen; zugleich nahm er die Tempi bisweilen aber so zurück, dass nicht nur das Grübeln Wotans unterstrichen wurde, sondern auch die Spannung in sich zusammenfiel und die Stringenz litt.

Menschendramen

Trotz allem waren für einen kurzen Moment Intention und Verwirklichung zu erleben und war zu spüren, was sich in diesem neuen Wiener «Ring» vielleicht ereignen könnte. Allerdings nur musikalisch, szenisch scheint das Projekt hinter vielen Ansätzen der letzten Jahre zurückzubleiben. Einen Wotan mit Aktenkoffer werde es bei ihm nicht geben, hatte der Regisseur Sven-Eric Bechtolf mit provokativem Unterton wissen lassen. Was es bei ihm stattdessen gibt, weiss man es nach dieser «Walküre»? Im Vordergrund steht der Mythos, was die Ausstatter Rolf und Marianne Glittenberg mit dem wuchtigen Baum in der ein klein wenig klassizistisch aufgemöbelten Hütte Hundings, mit den zu Statuen gewordenen Pferden in Walhall und den auf eine nicht näher definierte Vorzeit weisenden Kostümen andeuten. Und dazu kommt, in der Personenführung, die Anwendung des mythischen Geschehens auf den zwischenmenschlichen Alltag. – Beides ist weder neu noch originell, auch nicht besonders packend durchgeführt. Die Begegnung zwischen Siegmund und Sieglinde entbehrt des knisternden Reizes; besser wirkt das raffinierte Dramolett um Fricka und Wotan, während die Debatten zwischen Wotan und Brünnhilde flau geraten und in Walhall das gewohnte Gerenne herrscht. Am Ende wird der Speer geschwungen und wird Video mit züngelnden Flammen geboten. So bleibt es beim Bildertheater, der bekömmlichen Alternative zur deutenden, interpretierenden Inszenierung. Dafür gibt es – ohne das geht es heute nicht mehr beim «Ring des Nibelungen» – ein Buch mit dem Titel «Vorabend», in dem der Regisseur wortreich die Geschichte von «Rheingold» nacherzählt und sie auf seine eigene Biografie projiziert. Immerhin das.

Peter Hagmann | 4.12.2007

Die Presse

“Walküre” mit Widrigkeiten: Wotans Stimme versagte

Der Auftakt zum neuen Wiener “Ring des Nibelungen” verlief mit Pannen. Für Wotan wurde ein anderer Sänger via Handy aufgetrieben und der Göttervater mimte die Inszenierung zu Ende.

Eines will ich noch, das Ende!” Doppeldeutig war der Sinn der Worte diesmal, denn Juha Uusitalo hatten mitten im Wotans-Monolog seine stimmlichen Kräfte verlassen. An Stelle der wütenden Attacken, mit denen der Göttervater am Ende dieses Aktes davonstürmen sollte, war dann gar nichts mehr zu hören. Ein Opernabend, der mit orkanartigem Beifall nach dem Finale des ersten Aufzugs begonnen hatte, drohte zu kollabieren.

Als Direktor Ioan Holender vor dem Vorhang erschien, hagelte es Proteste, die der gelernte Impresario allerdings geschickt parierte. Via Mobiltelefon hatte er einen Sänger aufgespürt, der imstande war, die Partie des Wotan aus dem Orchester zu singen, während Uusitalo die Inszenierung zu Ende mimte: Oskar Hillebrandt, der sich gerade am Westbahnhof eine Pizza kaufen wollte, wurde, wacker vom Blatt singend, zum Retter in der Not, sang Wotans zornige Vorhaltungen und den Abschied untadelig.

Zuweilen blitzen auch zu diesem Zeitpunkt noch orchestrale Schönheiten auf, jene berauschend sinnliche Klänge, die den ersten Aufzug zum Ereignis gemacht hatten; denn da trugen die Philharmoniker mit Elan und in leuchtendes Farbenspiel gehüllt, die Stimmen von Nina Stemme und Johan Botha _ dunkel leuchtend, von hoher Expression der Sopran der Sieglinde, strahlend in allen Lagen, von überwältigender Sicherheit der Tenor des Siegmund. Ain Anger dazu als Hunding, dessen Bösartigkeit verschlagen lauernd, sozusagen im Hinterhalt schlummert: endlich einmal kein Brüllaffe, sondern ein differenziert gestaltender Bassist!

Wie Wotan wirklich gesungen hätte

Solch stimmlicher Luxus hätte sich fortsetzen können. Michaela Schuster ließ als Fricka vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass sie die Trümpfe im juristischen Machtkampf in Händen hält: Wortdeutlich und mit ätzender Schärfe trieb sie den Göttergatten in die Defensive. Dass es diesem daraufhin die Red’ verschlug, ist ein böser Treppenwitz, der in die Annalen der wienerischen Operngeschichte eingehen wird. Wie es ausgehen hätte können, sei verraten: Neugierig war ich während der Generalprobe Zeuge, wie Juha Uusitalo mit voller Stimme, prägnant in allen Lagen mit dem Schicksal haderte.

Bleibt zu hoffen, dass in den kommenden Aufführungen die Stimme sich wieder einstellt. Dann erhält Eva Johansson im Finale wieder einen Partner, mit dem sie auch vokal interagieren kann. Ihre Brünnhilde ist ganz Wotans “kühnes, herrliches Kind”, der Sopran klingt jugendfrisch und weit heller als jener der Sieglinde. Ungewohnt, doch sitzen die Töne von der Tiefe bis hinauf zu den hohen Cs der Walküren-Rufe sicher, die vokale Leistung ist tadellos _ erntet dennoch einigen Widerspruch.

Buhrufe für Regisseur Bechtolf

Heftige Buhrufe gab es für das Regie-Team dieses Auftakts zum neuen Wiener “Ring”. Man darf sich aussuchen, ob der traditionsbewusste Teil des Auditoriums gegen ein paar Regie-Gags wie die Kinderbetten und die Puppen aufbegehrte, mit denen die Götter spielen, wenn sie über Menschen-Schicksale verhandeln. Oder ob fortschrittliche Wagnerianer von Regisseur Sven-Eric Bechtolf einen politischen Diskurs erwarteten, wie er seit Patrice Chéreau und Harry Kupfer in der Auseinandersetzung mit Wagners Chef d’Oeuvre wohl unumgänglich sein dürfte.

Diese Kritik träfe den Nerv der Sache, denn von politischer Brisanz ist in Bechtolfs subtilem Kammerspiel wenig zu bemerken: Die Geschichte wird – sieht man vom schwer beweglichen Siegmund Bothas ab – en détail erzählt. Selbst der Moment, in dem Fricka und Brünnhilde einander in die Augen schauen, ist präzis mit den orchestralen Akzenten harmonisiert. Dass die Begegnungen und Auseinandersetzungen mehr als nur den häuslichen Frieden stören, dass eine Welt ins Wanken gerät, wenn eine Fricka zürnt, das wird nicht fühlbar.

Doch stellt die kleinteilige Regiearbeit gegenüber früheren Wiener “Walküren” einen deutlichen Fortschritt dar. Zudem sind Bühnenbild und Kostüme Rolf und Marianne Glittenbergs ansehnlicher als die der letzten Produktion, stellen die mythologischen Aktionen wie einen Traum in einen Gründerzeit-Saal, der einen Wald ebenso umfasst wie ein Gestüt (im auch akustisch endlich halbwegs konzertierten Walkürenritt).Beleuchtungs-Raffinement dient nur dem Feuerzauber. Von Winterstürmen und Wonnemond ist hingegen wenig zu sehen, und die magische Stimmung der Todesverkündigung stellt sich lediglich im Orchester ein. Dort allerdings berückend schön.

Wilhelm Sinkovicz | 03.12.2007

news.at

Blamage an der Wiener Staatsoper: ‘Wotan’ blieb bei der “Walküre” die Stimme weg

Panne: Dem Finnen Uusitalo versagte die Stimme Buhrufe: Double sang von Bühnenrand “playback”

Es sollte jene Inszenierung werden, von der alles spricht – doch nach der “Walküren”-Premiere hat das Publikum der Wiener Staatsoper anderes zu erzählen, als allen lieb ist. Denn dem zuvor heftig beworbenen Juha Uusitalo (Wotan) versagte auf offener Bühne die Stimme. Ein Einspringer, Oskar Hillebrandt, sang für ihn den dritten Aufzug von einem Pult an der Bühnenseite aus, während Uusitalo stumm agierte. Insgesamt wurde der unglücklich gelaufene Auftakt zum “neuen Ring” ein vom Publikum unterkühlt aufgenommener Abend, dessen umfassende Beurteilung vorerst noch nicht möglich ist.

Einzig Dirigent Franz Welser-Möst und “Siegmund” Johan Botha (den man jedoch auch schon stärker erlebt hat) ernteten ungeteilte Zustimmung. Denn zuerst gab es großes Opernglück. Wie sich Hunding (eigentlich das Highlight des Abends: Ain Anger) und Siegmund (Botha) im ersten Aufzug über einen Tisch hinweg angifteten, hatte ohne große Mittel eine zum Schneiden dicke, packende Atmosphäre von Aggression erzeugt. Derart emotional geht es auch in der Staatsoper selten zu, da zeigte Regisseur Sven-Eric Bechtolf starke Arbeit.

Dazu das musikalische Ereignis des Abends: Welser-Möst hat fest zugegriffen und das Staatsopernorchester zu einem derart ausgefeilten Spiel mit Dynamik, zu einem gleichsam Wiener Dialekt in der Wagnersprache, zu einem kammermusikalischen Musikfest gebracht, dass es trotz der bis zum Anschlag zurückgedrehten Lautstärke nur umso berauschender brodelte. Allein der Beginn, mit hochbrandenden und doch wie von einer Stahlwand vom endgültigen Ausbrechen zurückgehaltenen Streicherwellen, faszinierte. Ein durchdachter, perfekt kontrollierter Wagner.

“Stimm-Bruch”

Doch nur so lange von der Bühne etwas zurückkam. Als sich dort mit Uusitalos Sängeralptraum das Geschehen zusehends auflöste, geriet auch der Graben ins Trudeln: Denn die konsequente Sängerfreundlichkeit wandelte sich ohne dementsprechende Stimmmacht in ungefüllte Leere. Zwar zauberte Welser-Möst jene Farben hervor, die der in graublauem fahlem Licht gehaltenen Bühne abgingen. Doch ließ auch die Konzentration der zuerst makellosen Musiker zunehmend nach, die Bläser schwammen zuweilen. Dennoch, zu Recht, ungeteilte Zustimmung für den künftigen Generalmusikdirektor, der für die ersten zwei Stunden die Staatsoper zu “seinem” Haus machte.

Buhrufe

Die Sänger wussten nicht durchgängig zu überzeugen. “Brünnhilde” Eva Johansson ließ im letzten Aufzug starke Unsicherheiten hören und erntete Buhrufe, prächtig war Nina Stemme als Sieglinde, unauffällig Michaela Schuster als Fricka. Der Eindruck, den die Regie hinterließ, muss gegen die Unbill des Abends gemessen werden. Doch es scheint: Bechtolf ist zur “Walküre” so gut wie nichts eingefallen, das über Wagners Entwurf hinausgeht.

Dass Direktor Holenders Einführung für Oskar Hillebrandt vor dem dritten Aufzug wohl für immer eine gute Opernanekdote abgeben wird – der Sänger war zum Pizzakaufen beim Westbahnhof, als ihn der Anruf ereilte -, tröstet wohl weder Publikum noch die Staatsoper, deren Prestigeprojekt einen unglücklichen Start erlebte. Dennoch verhielt sich das Publikum fair und applaudierte dem Duo Uusitalo und Hillebrandt, während bei Bechtolf die Buhs die Zustimmung übertönten. Eine vertrackte Premiere – doch eines ist klar: Umso gespannter darf man auf den restlichen “Ring” sein. Und auf die “Walküre” mit einem Juha Uusitalo bei Stimme.

apa/red | 3. Dezember 2007

Wiener Zeitung

Zwei Wotane und ein Debakel

Obwohl eigentlich auch Michaela Schuster als zunehmend dominante Fricka überzeugt. Da hat die kluge Sängerin wohl “Ring”-Darstellungserfahrungen aus Stuttgart mitgebracht.

Eva Johansson ist eine nette Brünnhilde, der man das Aufbegehren gegen ihren Vater Wotan nicht glauben will. Wunderbar singt sie die Lyrismen, die dramatische Attacke bewältigt sie nur mit einigem Kraftaufwand und Ermüdungserscheinungen im dritten Akt: Ein gutes Brünnhildchen in Ermangelung einer besseren Brünnhilde.

Johan Botha als Siegmund perfektioniert die Verweigerung des Schauspiels und liefert alle Töne so perfekt schön wie ausdruckslos ab. Muss dieser Siegmund erst im Opernführer nachlesen, dass er sich, aus tiefster Verzweiflung kommend, in eine Amour fou stürzt?

Juha Uusitalo schließlich agiert als Wotan wohl so, wie es Bechtolf will. Also gar nicht.

Kleinteiliges Dirigat

Dirigiert wird diese “Walküre” von Franz Welser-Möst – und das höchst mittelmäßig. Welser-Möst lässt Wagners Deklamation zwar mit äußerster Deutlichkeit ausführen. An die Stelle der affektiv gesteigerten Sprache tritt jedoch ein Aufsagen von Noten, Silben und, im Orchester, ein Aufzählen von Motiven.

Auch das flotte Grundtempo, das Welser-Möst nur in der sinnlos zerdehnten Todverkündigung verlässt, kann über den bedenklichen Spannungsmangel nicht hinwegtäuschen, der – ausgerechnet – im “Feuerzauber” (in dem übrigens auch die Pferdeattrappen geröstet werden) seinen negativen Höhepunkt findet. Einige herrlich ausgeformte Lyrismen, ein Faible für zarte Farben und einen angenehm leisen Gesamtklang entschädigen nicht für ein unentschlossenes und weitgehend interpretationsfreies Abspulen des Notentextes.

Ein paar wackelnde Einsätze des sonst klangschönen Staatsopernorchesters und wenig Gefühl beim Begleiten des Wotan-Einspringers sind auf Seiten Welser-Mösts obendrein zu registrieren. Und siedeln diese erste Staatsopern-Wagner-Premiere des designierten musikalischen Leiters des Hauses auf einem denkbar unspektakulären Niveau an.

Das Publikum bestätigte Welser-Möst dennoch hohe Sympathiewerte, feierte Nina Stemme zurecht, verfuhr mit den anderen Sängern nachsichtig und ließ es beim Regieteam auf ein Patt zwischen Buh- und Bravorufern hinauslaufen.

Womit die verschiedentlich als wichtigste Premiere der Saison ausgegebene Produktion musikalisch weitgehend uninteressant ist. Sven-Eric Bechtolfs Regieverweigerung hingegen trägt den Stempel eines echten Debakels.

03.12.2007

merkur.de

Im zweiten Akt kam das Aus – “Ring”-Auftakt mit “Walküre”

Geraubter Ring führt zu heißblütigem Inzest mit doppelter Todesfolge plus Kampf um die Weltherrschaft: Nichtigkeiten im Vergleich zu den wahren Wiener Dramen. Die provozierten schon Buhrufe, bevor Opernchef Ioan Holender vor dem dritten Aufzug überhaupt ein Wort herausbrachte und folglich den gekränkten Pfau spielte. Denn diese neue “Walküre” fällte werkgemäß nicht nur Siegmund und Hunding, sondern gleich einen weiteren Recken.

Juha Uusitalo, von vielen als Wotan der kommenden 20 Jahre gepriesen (und überdies Münchens Premieren-Holländer), erlebte im zweiten Akt einen dramatischen Stimmverlust, sodass per Handy Oskar Hillebrandt alarmiert wurde. Der genehmigte sich laut Holender gerade am Westbahnhof eine Pizza ­ gottlob keinen Döner. Frisch gestärkt und unerschrocken kraftmeiernd sang Hillebrandt den dritten Akt von der Seite, während Uusitalo spielte. Ein Schock, von dem sich die Aufführung nur mühsam erholte.

Dabei hatten sich doch die Argusaugen der Musikwelt auf den Brennpunkt Wien gerichtet. Ein neuer “Ring des Nibelungen”, geschmiedet in zwei Spielzeiten und ungewöhnlicherweise 2009 mit dem “Rheingold” als letzter Premiere, ist gerade hier der Ausnahmezustand. Hinzu kommt, dass damit Franz Welser-Möst, musikalischer Chef ab 2010, den künftigen Arbeitsplatz quasi scheibchenweise entert.

Mit Sven-Eric Bechtolf, dem zunehmend regieverliebten Schauspieler, bildet Welser-Möst seit der künstlerischen Zürcher Verlobung ein Dauer-Paar. Bechtolf bietet gern gediegene Menschenschau und gelegentliche Ambitionsanfälle, stört aber sonst nicht weiter. Das bringt den Primat der Musik, für Wagners Weltentwurf freilich den Zuschauer nicht unbedingt weiter.

Löblich ist, dass da einer den Deutungsdruck vom “Ring” nehmen will, also auf koffertragende Helden und Politgangster verzichtet, sich folglich für die Wesen unter der häufig nur zeitgeistigen Verkleidung interessiert. Im ersten Aufzug, in dem Wagners Musik ja überdeutlich Gesten und Gänge vorgibt, funktioniert das auch.

Mit Nina Stemme (Sieglinde) und Johan Botha (Siegmund) steht Bechtolf allerdings ein Wälsungenpaar zur Verfügung, das seinesgleichen sucht. Stemme mit gehaltvoll dunkler Dramatik und jubelnden Höhen, Botha mit perfekt geführter, überwältigender Stimme: Diesem Tenor gelingt alles, notfalls wohl auch das Umschalten zum Tamino. Einziges Problem ist, dass Botha den Gegenpol zur Bayreuth-Besetzung Endrik Wottrich bildet ­ der ja mäßig singt, aber Bella Figura macht. Mit Ain Angers schwarzstimmiger Jugendlichkeit verkommt Hunding überdies nicht zum flachen Fiesling. Kurz: Ein erster Akt, der Wiens wankelmütiges Publikum in Ekstase versetzte.

Was Bechtolf und Bühnenbildner Rolf Glittenberg vorschwebt, ist eine Einheitsszenerie für den “Ring”: ein klassizistischer Raum, der mit wechselnden Elementen bestückt wird. Manchmal modisch nett (der Video-Feuerzauber von fettFilm), gelegentlich mit Gewinn (im ersten Akt die symmetrische Reduktion auf langen Tisch und schmaler “Weltesche”), manchmal mit Verlust: die unmotivierten Pferdestandbilder, zwischen denen Helden in Bademänteln hereingetrieben werden. Offenbar wurden sie aus dem Wellnessbad entführt.

Ohnehin neigt Bechtolfs Zeichensetzung vom Holzspielzeug Siegmunds bis zu den leeren Kinderbettchen der Walküren zur Verdoppelung, kaum zur hintergründigen Erhellung. Vieles wirkt beliebig, oft friert die Szene auf Standbild-Pathos ein ­ was auch am Fall Uusitalo liegen könnte.

Dass Franz Welser-Möst ein exzellenter Handwerker ist, zeigt sich an diesem Störfaktor. Ansonsten setzt Wiens künftiger General auf scharf umrissene Gesten und eine kantige, häufig sehr flotte Dramatik. Ein genießerischer Detailfummler à la Thielemann ist Welser-Möst nicht, dafür schaut er souverän auf die Gesamtstruktur: eine schneidige Interpretation, die Einzelmomente und klangliche Stufungen profiliert, ohne sie gleich auszustellen, und sich im dritten Akt geradezu entfesselten Momenten hingibt.

Sänger werden so nicht als klangliches I-Tüpferl missbraucht, möglich ist ihnen vielmehr eine Phrasierung, die sich am Satzrhythmus orientiert. Die “Todverkündigung” etwa missrät nicht zum pastosen Strömen, offenbart dafür ihren Charakter als Disput zwischen Siegmund und Brünnhilde.

Mit Eva Johansson jedoch hat sich das Haus keinen Gefallen getan. Die Stimme klingt überreizt und übersteuert, manch angeheulte Töne rasten nicht sofort ein ­ ein Wunder, wenn der Herr Direktor für die künftigen “Ring”-Premieren nicht wieder zum Handy greifen würde. Johansson kassierte (wie zunächst auch Welser-Möst) einige Buhs, bei Bechtolf überwog die Ablehnung, der Rest, darunter die eher unterforderte Michaela Schuster (Fricka), wurde gefeiert.

Klaus Bachler, “Burg”-Direktor und ab kommender Saison Münchens Opernchef, saß im Parkett und dürfte einige Erkenntnisse gewonnen haben: wen er dringend an die Isar holen sollte ­ und wer ruhig in Wien bleiben darf.

New York Times

An uneven ‘Die Walküre’ opens new ‘Ring’ cycle in Vienna

Change is coming to the Vienna Staatsoper. The long-serving director Ioan Holender will transfer power in 2010 to Dominique Meyer, who runs the Théâtre des Champs-Élysées in Paris, while the music director Seiji Ozawa will pass the baton to Franz Welser-Möst, music director of the Cleveland Orchestra.

Welser-Möst is also currently music director of the Zurich Opera, which he will give up in favor of the political thickets of the Vienna post. “I fear a martyr’s fate,” he joked last spring, “but they say that martyrdom is a path to sainthood.”

As something of a collaborative effort between the old and the new regimes, the Staatsoper, with Welser-Möst conducting, has embarked on a new production of Wagner’s “Der Ring des Nibelungen,” with “Die Walküre” as the initial installment. The director is Sven-Eric Bechtholf, with whom Welser-Möst has frequently worked in Zurich.

It is often said that “Die Walküre” is the most popular of the “Ring” operas because it deals more intently than the others with human emotions.

Bechtolf’s engaging staging brings these emotions to the fore. When the curtain rises, Sieglinde is seen staring at the sword Wotan has destined for a hero, as if longing for that hero to appear. When the Valkyrie Brünhilde, who loves to grab her father Wotan’s spear and brandish it herself, is punished for countermanding his order, the body language of father and daughter confirms that their love for each other is undiminished. Even Wotan and his wife Fricka are demonstratively affectionate despite the bitterness of their argument over Siegmund’s fate.

There are some perplexing moments, as when Sieglinde shows Siegmund a box of toys just as things start heating up between them. Perhaps she was looking for a sign of recognition, for we later learn that Brünhilde has similar ones, suggesting that they were Wotan’s common gift to his children.

But what was the point of having a mysterious figure dressed in white (a slain hero, we later learn) present Wotan with the carcass of a wolf? Rolf Glittenberg’s set houses the action in a large paneled room, but he avoids a sense of claustrophobia, in part because he has trees growing in it. Life-size wooden horses attend the Ride of the Valkyries, the latter wearing blood-stained evening gowns as they bully the slain heroes they have brought to Valhalla into submission. Marianne Glittenberg’s attractive costumes suggest tradition even though they are essentially modern in their details.

At the first performance Juha Uusitalo’s voice gave out as Wotan and, in the absence of a cover, Oskar Hillebrandt was summoned to finish the performance, singing from the side of the stage while Uusitalo mimed the role. Fortunately, by the second performance last Thursday the Staatsoper obtained the services of the Norwegian baritone Terje Stensvold, who produced a fine, commanding sound worthy of the chief god and appeared to be perfectly at home in the production.

I also enjoyed the Brünhilde of Eva Johansson. The voice is small for the role, but she looked ideal with her long blonde hair and sang with real involvement and an exciting, if not always accurate, top. Nina Stemme and Johan Botha brought bel canto singing to the Volsung twins of Sieglinde and Siegmund. Stemme lacked the wild impetuosity of some Sieglindes, which is not to say she lacked passion, and the creamy voice was a joy to hear; Welser-Möst rushed her a bit at “O hehrstes Wunder.” Botha is the rare Heldentenor who sings with resonant, liquid tone and exemplary legato. Perhaps influenced by these two, Ain Anger contributed an unusually cultivated Hunding. Michaela Schuster sang Fricka’s music rather than indulging in a harangue.

Welser-Möst led a performance with sweep and well-judged, propulsive tempos. But it was frustrating that he did not take more opportunities to savor the details of Wagner’s score. His beat tended toward the metronomic where expansiveness would have been in order, as, for example, at the beginning of Wotan’s “Farewell,” which benefits from a broadening of tempo.

But there is ample opportunity for him to refine his approach to the “Ring” operas. “Siegfried” follows in April, with integral cycles of the “Ring” set for May and June 2009.

GEORGE LOOMIS | NOV. 13, 2007

Rating
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User Rating
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Media Type/Label
Technical Specifications
192 kbit/s VBR, 44.1 kHz, 308 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast
A production by Sven-Eric Bechtolf (premiere)
Juha Uusitalo as Wotan was indisposed during the broadcast so parts of the rehearsals were spliced in to correct the problem.