Die Walküre

Karl-Heinz Steffens
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Date/Location
21 October 2011
Theater Pfalzbau Ludwigshafen
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Thomas Mohr
Hunding Christoph Stegemann
Wotan Gerard Kim
Sieglinde Carola Höhn
Brünnhilde Lisa Livingston
Fricka Julia Faylenbogen
Helmwige Susanne Gasch
Gerhilde Ines Lex
Ortlinde Anke Berndt
Waltraute Uta Christina Georg
Siegrune Susanne Wild
Grimgerde Sandra Maxheimer
Schwertleite Eva-Maria Wurlitzer
Roßweiße Melanie Hirsch
Gallery
Reviews
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Das Einheitsbühnenbild aus Rheingold in Halle stellt auch das Bühnenbildes der Walküre dar: Die Schachtelwand bildet wieder den Hintergrund. Während des Walkürenritts werden fleißig die Hinterlassenschaften der toten Helden eingeschachtelt. Vorne quer zur Rampe befindet sich ein Graben, in dem Loge den Feuerzauber lodern läßt. Ebenso gibt es einen Flickenteppich, der für vielerlei Perspektivwechsel sorgt. Dieser Zwischenvorhang trägt den Titel Dahinter die Tagtraumwelt einer immerhin gestaltbaren Möglichkeit. In den Zwischenraum zwischen Schachtelwand und Flammengraben kommen noch die situationsbezogenen Dekorationen. Hundings Hütte besteht aus Herd, Tisch und Stühlen. Im zweiten Akt hat sich Wotan in eine Nachtbar mit zwei lesbischen Barmädchen geflüchtet. Durch eine Drehung wird aus der Bar eine Flughafenhalle, aus der Siegmund und Sieglinde im Trenchcoat fliehen wollen. Für den Walkürenritt ermöglichen Aufzüge den Walküren den Zugriff auf die Schachteln. Die Kostüme der Walküren gleichen Punksubjekten. Siegmund ist Mitglied einer Motorradgang, Sieglinde und Hunding entstammen einer grauen Arbeiterklasse, die Götter einer dekadenten mondänen Halbwelt.

Sänger und Orchester

Genauso wie im Rheingold (Ludwigshafen) setzt Gerard Kim (Wotan) die stimmlichen Maßstäbe. Er verfügt über eine gut fundierte Tiefe, kann aber auch die Höhen mitreißend gestalten. Seine Wortverständlichkeit ist beispielhaft, was für den Siegmund nicht gilt. Thomas Mohr ist ein Wagner-Tenor mit hoher baritonal gefärbter Durchschlagskraft und strahlender Höhe. Er muß aber noch an der Wortverständlichkeit und somit an der Phrasierung arbeiten. Corola Höhn wirkt als Sieglinde leider sehr unerotisch. Besonders im ersten Akt fehlt ihr die lyrische Gesangslinie und sie neigt zum Tremolieren. Als dramatischer Sopran kann sie jedoch die hysterischen Ausbrüche der Verzweiflung glaubhaft gestalten. Christoph Stegemann besitzt einen tiefen Baß, lediglich noch etwas mehr Schwärze fehlt ihm, um die Bösartigkeit des Hunding lebendig zu machen. Lisa Livingston, als hochdramatischer Sopran, gestaltet eine überzeugende Brünnhilde, auch wenn es nicht ohne heftiges Tremolo und Schärfen abgeht. Julia Faylenbogen steht eher für Schöngesang, daher fehlt ihr der keifige Moment, der für die Rolle der Fricka notwendig ist. Ebenso wie im Rheingold gelingt es auch hier in Halle, die kleinen Rollen gleichwertig zu besetzen. So harmonieren die acht Walküren miteinander und geben ein einheitlich geschlossenes Bild ab. Karl-Heinz Steffens macht klar, daß die Walküre mehr ist als eine Aneinanderreihung von Leitmotiven. Es gelingt ihm die Wagnerschen Klangbögen zu einem großen Ganzen zu schmieden. Gerade der erste Akt wird zu einem Höhepunkt romantisch mitreißenden Musizierens, wie in einem Wunschkonzert.

Fazit

Eines zeichnet sich nach dem ersten Tag der Ring-Tetralogie ab, nämlich daß mittlerweile auch kleine Häuser in der Lage sind einen Ring zu stemmen. Selbst im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen, das über kein eigenes Opernensemble verfügt. So gelingt Hansgünther Heyme in Koproduktion mit der Oper Halle eine von fast 1.100 euphorisch applaudierenden Gästen gefeierte Walküre.

Oliver Hohlbach | 22. Oktober 2011

der-neue-merker.eu

Mit der „Walküre“ ist das große „Ring“-Projekt von Theater im Pfalzbau, Deutscher Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz sowie Oper und Orchester Halle unter dem gemeinsamen GMD Karl-Heinz Steffens in die zweite Etappe gegangen. Immer noch wurde im Vorfeld einiges Aufhebens um die Frage gemacht, ob die in Ludwigshafen beheimatete Staatsphilharmonie nun ein Wagner-Orchester sein könne und dürfe – als ob ein gutes Orchester mit starker regionaler Verankerung und überregionaler Ausstrahlung heuer nicht so vielseitig sein müsste, auch den „Ring“ zu schmieden. Vielleicht hat das die Musiker letztlich dann doch nervös gemacht, doch von den Premierenpatzern war außer ein paar leicht verwackelten Einsätzen und wenigen Horn-Kieksern nichts zu spüren. Schon der gut phrasierte Beginn des 1. Aktes ließ mit stürmisch-schroffem Timbre und Tempo aufhorchen. Und auch in der Folge blieb Steffens seiner Linie treu, einen gut durchhörbaren, kammermusikalisch entschlackten Wagner zu präsentieren.

So kam es zu einem wunderbar transparenten und organischen 1. Akt, in dem nicht nur fast jedes Wort zu verstehen war, sondern Sprache und Musik eine vollkommen organisch wirkende Symbiose eingingen. Als Regisseur und Ausstatter hatte Hansgünther Heyme, der Ludwigshafener Intendant, seinerseits einen großen Anteil am Gelingen. Die hier überaus plausible und natürlich wirkende Personenführung bringt drei starke Sängerdarsteller zur Geltung. Christoph Stegemann gibt einen Hunding mit Statur, Carola Höhn eine verhärmte, aber zusehends aufblühende Sieglinde und Thomas Mohr einen hellwachen, sympathischen Siegmund mit auch stimmlich enormer Ausstrahlung. Um wie vieles intelligenter, feinfühliger und besser erzogen präsentiert sich dieser tragisch sterbende Wölfling als später sein berühmter Sohn Siegfried.

Auch in der „Walküre“ bemüht sich Heyme um die Verknüpfung der Wagnerschen Mythenwelt mit dem Heute. Ganz zu Beginn treten offensichtlich zwei verfeindete Motorradgangs gegeneinander an; später bleibt davon nichts als das Hundewappen auf Hundings und das Wolfsabzeichen auf Siegmunds Mantel. So falsch ist die Assoziation nicht. Im Rockermilieu mögen heute noch ähnliche Ehrbegriffe und Rollenvorstellungen herumgeistern wie in Wagners mythischem Frühgermanien. Einen großen Teil der Bühne bedeckt die „Wand der Verzweiflung“, die drei Menschen in unterschiedlichen Situationen von Wut, Angst und Ausweglosigkeit zeigt. Sie stammt von dem jungen Ludwigshafener Sprayer und Kunsthistoriker Philipp Himmel, der damit im März dieses Jahres den Streetart-Wettbewerb „Walküre gesprayt“ gewonnen hatte. Dieser Wettbewerb steht wieder für eine ganze Reihe von verschiedensten Satelliten-Veranstaltungen, mit denen das Theater im Pfalzbau Kinder, Jugendliche und Erwachsene für die Thematik des „Ring“ zu interessieren sucht. In der Aufführung selbst dominiert dann aber doch wieder die ältere Generation im Publikum, und leider gibt es nach der Premiere in Ludwigshafen auch nur diese eine Aufführung.

Die Wand der Verzweiflung ist indessen nicht das letzte Wort des Bühnenbildners. Hundings Hütte öffnet sich nach hinten, wo man den freien Nachthimmel sehen kann, und außerdem wird der „Vorhang der Hoffnung“, die schon vom „Rheingold“ bekannte Wandbild-Collage, wieder herabgelassen. Wieder zitiert sie aus dem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ des in des in Ludwigshafen geborenen Philosophen Ernst Bloch, diesmal aus dem folgenden Satz: „Bedeutende Tagtraumphantasiegebilde machen keine Seifenblasen, sie schlagen Fenster auf, und“ – hier beginnt der Text auf dem Vorhang – „dahinter ist die Tagtraumwelt einer immerhin gestaltbaren Möglichkeit.“ Dass die von Wagner selbst Utopie am Ende nicht unter den Trümmern seiner „Götterdämmerung“ verschwindet, scheint der Regie ein wichtiges Anliegen zu sein.

Gegen den starken Eindruck des 1. Aktes fällt die folgende Szene deutlich ab. Das liegt zum einen an Gérard Kim, der schon im „Rheingold“ den Wotan gespielt hat. Weder Statur noch Stimme haben die nötige Ausstrahlung für einen – wenn auch zunehmend verzweifelten – Göttervater, und die erneut japanisierende Stilisierung seiner Frisur scheint ihn beim Agieren noch zusätzlich zu hemmen. So hat Fricka, die Julia Faylenbogen mit kalter Eleganz verkörpert, leichtes Spiel mit ihm. Heyne verlegt die Szene in einen zwielichtigen Spielsalon mit zwei traurig dreinblickenden Manga-Mädchen als knapp bekleideten Bardamen. Immer wieder macht sich Wotan an den Spielautomaten zu schaffen, und auch seine Lieblingstochter Brünhilde folgt ihm darin. Als Indiz für seine Spielernatur und seine Frustration könnte das noch angehen, wenn er sich denn für ernsthafte Gespräche zusammennehmen und wenigstens eine gediegene Sitzecke aufsuchen würde. So aber gebricht es ihm völlig an der Seriosität, die er doch, wie ihm schmerzlich bewusst ist, auch verkörpern muss und will.

Siegmund und Sieglinde landen inzwischen auf ihrer Flucht im nächtlich menschenleeren Terminal eines Passagierflughafens. Das wirkt als Zeichen völliger Unbehaustheit zunächst einmal glaubhaft, doch die Gänge, Gesten und Blicke einerseits, die musikalischen Impulse aus dem Orchestergraben fügen sich nicht zu einer plausiblen Einheit. Doch dann erscheint Brünhilde. Diesmal kann Lisa Livingston ihre gestalterischen Fähigkeiten voll ausspielen, und es entspinnt sich eine Auseinandersetzung um Siegmunds Schicksal, die an Spannung und Intensität noch den 1. Akt übertrifft. Es durchfährt einen geradezu: Wie viel Geistesgegenwart, wie viel Feingefühl, wie viel Intelligenz wird Wotan nun mit Siegmund und Brünhilde verloren gehen. Bloß weil er sich in seiner zerrütteten Ehe mit seiner eigenen Frau nicht mehr auf eine Lösung zu verständigen weiß, geht ihm diese hoffnungsvolle junge Generation verloren!

Im 3. Akt finden wir auf der Bühne die schwarze Wand mit einzelnen Fächern, Buchstaben und Ziffern wieder, die schon im „Rheingold“ Rätsel aufgab. Das Rätsel wird nun gelöst: Die Wand ist das Archiv von Walhalla, und in jedem seiner Fächer verstauen die Walküren die wichtigsten Besitztümer der gefallenen Helden. Heyme legt den Walkürenritt mit satirischer Schärfe an. Wie auf einem Laufsteg präsentieren die im japanisierenden Rahmen individuell kostümierten und frisierten Wotanstöchter zwischen blutbefleckten weißen Fahnen stolz und kokett letzte Habseligkeiten und Devotionalien. Auch eine Bibel ist dabei und ein Orden mit schwarz-rot-goldenem Band, und wir erinnern uns. Ja, auch Deutschland führt wieder Krieg und beklagt Menschenleben. Bloß fehlt es noch an deren zeitgemäß-munterer Präsentation, wie Heyme sie so anregend vorführt! – Brünhildes Erscheinen mit Sieglinde gibt der Situation dann wieder die nötige Ernsthaftigkeit. Wotan allerdings, der aus einer Bodenklappe erscheint, braucht eine ganze Weile, bis man ihm seinen Zorn glaubt. Und dass er am Ende den Feuerwall um Brünhilde genau in die Flure des Archivs legt, ist dann wieder ein Beispiel für den zu wenig durchdachten Umgang des Regisseurs mit seinen eigenen Bühnenbild-Ideen. Immerhin: Inmitten der schwarzen Wand leuchtet Nothung, das neidliche Schwert, auf und verheißt eine Fortsetzung, in der sich zumindest szenisch noch manches richten lässt.

Andreas Hauff | 22. Oktober 2011

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 537 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (SWR 2)
A production by Hansgünther Heyme (premiere, Halle 2011)
VII. Festspiele Ludwigshafen
This recording is part of a complete Ring.