Götterdämmerung

Fabrice Bollon
Opernchor, Extrachor und Zusatzchor des Theater Freiburg
Philharmonisches Orchester Freiburg
Date/Location
18./25 October 2010
Theater Freiburg
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Christian Voigt
Brünnhilde Sabine Hogrefe
Gunther Wolfgang Newerla
Gutrune Sigrun Schell
Alberich Neal Schwantes
Hagen Gary Jankowski
Waltraute Anja Jung
Woglinde Lini Gong
Wellgunde Sally Wilson
Floßhilde Sang Hee Kim
1. Norn Anja Jung
2. Norn Sang Hee Kim
3. Norn Jana Havranová
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Online Musik Magazin

Weltenbrand mit Pappkartons

Nachdem beim Siegfried zahlreiche Regieeinfälle nicht aufgegangen waren und der Regisseur Frank Hilbrich nach der Aufführung mit heftigen Buhrufen bedacht worden war, wurde mit Spannung erwartet, ob Hilbrich im Abschluss der Tetralogie wieder zu einer schlüssigeren Lesart zurückfinden würde. Man darf ihm wohl attestieren, dass er aus den Fehlern im Siegfried gelernt hat und seine Inszenierung stimmiger als der dritte Teil war, was das Publikum auch dementsprechend besänftigte, so dass vereinzelte Missfallensbekundungen im allgemeinen Jubel der Zuschauer regelrecht untergingen.

Mag man auch nicht jede Idee gelungen finden, präsentiert Hilbrich dennoch zahlreiche Ansätze, die eine neue Sicht auf das Stück ermöglichen und zumindest in ihrer Absicht nachvollziehbar sind. So findet die Nornenszene zu Beginn des Vorspiels als Albtraum Brünnhildes in deren Schlafzimmer statt. Aus drei Puppen, die hinter dem Bett Siegfrieds und Brünnhildes liegen, werden die Nornen, die ihr Seil um Brünnhilde weben, die diesem Gewebe verzweifelt zu entkommen versucht. So ist es auch Brünnhilde, die letztendlich das Seil zum Reißen bringt. Die Konsequenz daraus ist, dass sie Siegfried eigentlich nicht zu neuen Taten aufbrechen lassen will, weshalb sie zunächst auch die Tür versperrt. Steht dieses Verhalten auch im Gegensatz zum gesungenen Text, zieht Hilbrich Brünnhildes Sorge dennoch durch, indem sie die drei Puppen später wütend gegen die Wand werfen, ihnen sogar Gliedmaßen abreißen lässt, um die Stimme der Nornen in ihrem Kopf zum Verstummen zu bringen. Und kurz vor dem Weltenbrand wird dieser Ansatz auch in der Partitur schlüssig, wenn Brünnhilde die Melodie der Nornen wieder aufnimmt und somit erkennt, dass die schreckliche Vision nicht bloß ein Traum war.

Volker Thiele konzipiert das Bühnenbild auf der Drehbühne als eine Art Ziehharmonika. Das eine Ende zeigt einen Raum, der zunächst Siegfrieds und Brünnhildes Schlafgemach auf dem Felsen darstellt, auf der anderen Seite sieht man in mehreren versetzten, silbern glänzenden Bögen die Gibichungenhalle, die mit zahlreichen Pappkartons gefüllt ist. Über den Sinn und Zweck dieser Kartons kann man sicherlich diskutieren. Sind sie aufgehäuftes Wissen, weil sie größtenteils Bücher enthalten, die Hagen beispielsweise heranzieht, um Gunther und Gutrune über Siegfried und Brünnhilde zu informieren, oder die die Gibichungen später auf der Suche nach Antworten durchwühlen? Dienen sie dazu, den Fall der Gibichungen zu veranschaulichen, da die am Eingang in die Halle aufgestapelten Kartons, auf denen Gunther mit Gutrune im ersten Aufzug thront, von Aufzug zu Aufzug niedriger werden, bis Brünnhilde beim Weltenbrand die hintere Wand aus Pappkartons zum Einsturz bringt und die Welt statt im Feuer in Kartons versinkt? Versinnbildlichen sie die starren Strukturen einer menschlichen Gesellschaft, die im Gegensatz zu den beweglicheren Normen der Natur, zum Beispiel der rote Vorhangs für den Rhein, stehen. Oder ermöglichen sie nur, mit möglichst geringen finanziellen Mitteln viel auf die Bühne zu stellen, was den Zuschauer vergeblich nach einem tieferen Sinn suchen lässt? Immerhin trägt Hagen auch keinen Speer, sondern nur des “Speeres Spitze”, bei der Siegfried und Brünnhilde ihren Eid schwören und mit dem er schließlich Siegfrieds Meineid rächt.

Diskutabel ist sicherlich auch die Anfangsszene des zweiten Aufzugs, die an Alberichs Krankenbett spielt, an dem Hagen Wache hält. Hilbrich hat im Verlauf seiner Ring-Deutung bereits in den ersten Teilen die Götter gewaltig altern lassen, so dass es diesbezüglich konsequent ist, Alberich gewissermaßen kurz vor seinem Tod seinen Sohn noch einmal an dessen Auftrag zu erinnern. Auch diese Sequenz könnte man als Traum deuten, der zeigt, dass Hagen eigentlich den Machtspielchen seines Vaters entwachsen ist und nur sein eigenes Interesse am Ring verfolgt. So verblasst in seiner Motivation der Gedanke daran, dass es eigentlich sein Vater gewesen ist, der in ihm die Gier nach dem Ring geweckt hat, und Alberich stirbt wie die Hoffnung des Nibelungen, seinen Ring jemals zurückzubekommen. Ein weiterer Eingriff Hilbrichs ist es, den Vergessenstrank durch einen Kuss Gutrunes zu ersetzen, was zum einen aufgeht, da Hilbrich ja möglichst alle Magie aus seiner Inszenierung heraushalten möchte und der leidenschaftliche Kuss einer begehrenswerten Frau manchen Mann sicherlich alte Verpflichtungen vergessen lassen kann, zumindest bei einem so selbstherrlichen Charakter wie Siegfried, zum anderen, weil diese Idee sich mit etwas Fantasie auch im Libretto belegen lässt, wenn Brünnhilde später Gutrune als den Zauber bezeichnet, der ihr Siegfried entrückt hat.

Musikalisch bewegt sich der letzte Teil der Tetralogie auf recht hohem Niveau, wobei der frenetische Applaus für das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Fabrice Bollon nicht ganz nachvollziehbar ist. Auch wenn die Leistung gerade mit Blick auf die Größe des Orchesters beachtlich ist, zeigen sich immer wieder kleinere Ungenauigkeiten in der Intonation, die den Hörgenuss bisweilen ein wenig trüben. In jeder Hinsicht beeindrucken kann der von Bernhard Moncado einstudierte Opern-, Extra- und Zusatzchor, der mit seinem Volumen das Theater nahezu zum Beben bringt. Die stimmliche Wucht, mit der sich die Herren des Chors präsentieren, und die darstellerische Leistung legen nahe, dass man sich mit diesen Gibichungen besser nicht anlegen sollte. Neil Schwantes begeistert auch im letzten Teil der Tetralogie als Hagen mit diabolischer Tiefe, wobei er optisch in seinem weißen Kostüm allerdings eher an einen Amfortas erinnert. Anja Jung erntet nach ihrer Erda im Rheingold und Siegfried und der Fricka in der Walküre auch als Waltraute und 1. Norn stürmischen Applaus, den sie auch in jeder Hinsicht verdient. Ihr Auftritt als Walküre wird von den beiden Raben begleitet, die sich in Form von zwei Statisten in schwarzen Anzügen durch den ganzen Abend ziehen. Dass dabei ein Statist optisch an Alberich erinnert, mag Zufall sein, da der andere Statist weit von der Statur des Wotan in den drei ersten Teilen entfernt ist.

Als Rheintöchter überzeugen wie im Rheingold Lini Gong als Woglinde mit leuchtendem Sopran, Sally Wilson und Qin Du als Wellgunde und Flosshilde mit warmem Mezzo. Hilbrich lässt sie zunächst in grauen Kostümen mit einem riesigen roten Samtvorhang als Rhein auftreten. Erst Siegfrieds Erscheinen veranlasst sie, ihre rot glitzernden Kostüme aus dem Rheingold anzulegen, um ihn dazu zu verführen, ihnen den Ring zu überlassen. Doch nachdem weder ihre Schmeicheleien noch ihre Warnung bei Siegfried irgendeinen Erfolg zeigen, legen sie die roten Kostüme wieder ab, um in den grauen Kostümen wieder zu verschwinden. Sigrun Schell gibt mit dunkel gefärbtem Sopran eine verführerische Gutrune, die ihre Reize gekonnt einsetzt. Warum Hilbrich sie zu Beginn mit einem recht biederen Haarkranz abstraft, den sie erst nach Siegfrieds Tod lösen darf, bleibt fraglich. Wallende blonde Haare hätten ihr sicherlich besser gestanden, wenn sie mit weißem Pelzmantel und schwarzer Unterwäsche Siegfried verführt. Die Freiburger können sich glücklich schätzen, eine solch wandlungsfähige Sängerin, die in diesem Zyklus als Fricka im Rheingold, Brünnhilde in der Walküre und im Siegfried und jetzt auch als Gutrune stimmlich und darstellerisch überzeugt, im Ensemble zu haben. Wolfgang Newerla scheint die Rolle des Gunther nicht hundertprozentig zu liegen, da er in den Höhen ein wenig angestrengt klingt. Seine Darstellung als eher schwacher Charakter gelingt ihm jedoch absolut glaubhaft.

Gary Jankowski findet als Hagen nach einem etwas schwächeren Start spätestens im zweiten Aufzug stimmlich zu fulminanter Schwärze, die den Zuschauer mit seinen durchdringenden “Hoiho”-Rufen und dem diabolischen Lächeln für das Hochzeitsfoto am Ende des zweiten Aufzugs das Fürchten lehren. Warum er unter dem beigefarbenen Sakko, das ihn wohl als Sohn Alberichs ausweisen soll, einen Pullunder in Altrosa tragen muss, wird wohl das Geheimnis der Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht bleiben. Genauso diskutabel ist der Wandel Brünnhildes vom weißen Unterrock über die wilde Frau im Wälsungenfell zum schwarzen Kapuzen-Pullover und schwarzen Hosen in hohen Lederstiefeln. Soll es ein Wandel von der liebenden Frau zu einer Art kämpferischen Amazone sein, die einzig den Weltenbrand entfachen kann? Während man über die szenische Anlage sinnieren kann, lässt Sabine Hogrefe als Brünnhilde stimmlich keinerlei Wünsche offen, klingt stets natürlich, ohne zu forcieren, und legt ein grandioses Finale hin, auch wenn Grane als Plüsch-Pony, das sie hinter sich wirft, und das fehlende Feuer den Zuschauer mancher musikalisch angelegter Emotion berauben mögen. Christian Voigt hat sich zu Beginn der Vorstellung als erkältet ansagen lassen, meistert die Partie aber hervorragend und auch in den Höhen sicherer als im Siegfried. So erntet auch er am Ende den für diese Leistung gebührenden Applaus.

FAZIT

Es ist nicht alles Gold, was in diesem Freiburger Ring glänzt, alles in allem aber eine beachtliche Leistung, die eine Fahrt nach Freiburg zum letzten Zyklus vom 25. bis 30.5.2012 durchaus lohnenswert macht, sofern man noch Karten ergattern kann.

Thomas Molke | Premiere im Großen Haus am 16. Mai 2010

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
128 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 234 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (SWR2)
A production by Frank Hilbrich (2010)